02.09.2021 – In den Jahren vor 2020 sorgten eine Reihe von jungen Spielern mit ihren Erfolgen für Aufsehen. Die meisten Talente kamen aus Indien. Die weltweite Corona-Pandemie mit einer langen Turnierpause war für die Entwicklung der Talente aber kaum förderlich. Wo stehen sie jetzt? Talentscout Thorsten Cmiel hat nachgeschaut. | Foto: Madras Gang (Ramesh auf Facebook)
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Wunderkinder nach der Pandemie
Aus ehemaligen Wunderkindern sind nach der Pandemie oft Teenager geworden. Leicht vergisst man, dass die stärksten Jugendspieler inzwischen Großmeister-Normen erzielen müssen, um ihre Rating lediglich zu halten. In normalen Open-Turnieren gehören die jugendlichen Spieler inzwischen zu den Favoriten und müssen liefern. Das Ziel der meisten Top-Youngster ist das Überschreiten der nächsten Zielmarke von 2700 Ratingpunkten. Dort angekommen sind von den aktuellen Junioren Alireza Firouzja (Jahrgang 2003) und Andrey Esipenko (2002). Jacob Aagaard, bekannter Trainer und Herausgeber von Qualitäts-Schachbüchern, sieht das so: Wer mit zwanzig Jahren nicht mindestens eine Zahl über 2700 Punkten vorweisen kann, für den ist der Zug in die absolute Weltspitze vermutlich abgefahren. Die Pandemie mit einem Jahr Unterbrechung könnte dieses Beobachtung-Wissen etwas aufweichen, aber der Trend geht gleichzeitig ohnehin zu noch früheren Erfolgen.
Die Leiden des jungen Pragg
Während Nihal sich mit zwei Open-Turnieren in Serbien auf den World Cup vorbereitete und dabei mächtig abräumte, war der World Cup in Sotschi für Pragg eine Art Kaltstart nach der monatelangen Pause. Genau wie andere Talente kann der junge Inder sichtbar einen ordentlichen Größenzuwachs vermelden. Bei der ersten Turnierreise seit über einem Jahr begleiteten ihn seine Mutter Nagalakshmi, seine Schwester Vaishali und sein Coach aus Chennai, Großmeister Ramesh. Die Gruppe aus der sechstgrößten Stadt Indiens bestand aus mehreren sehr starken Großmeistern (Karthikeyan Murali, Aravindh, Arjun Kalyan, Sethuraman). Spaß in der Gruppe zu haben gehört bei den Indern offenbar zum Konzept. Wer will kann manche skurril anmutende Tanzfilme der Inder auf Youtube bewundern. Oder man kann Ramesh in einem Interview zuhören, was beim Training von Kindern falsch läuft.
World Cup und Biel
Letztlich schied Pragg im World Cup erst in der vierten Runde gegen Maxime Vachier-Lagrave aus und konnte neben einem ordentlichen Preisgeld elf Rating-Punkte im Plus verbuchen. Da er zu „lange“ im K.o.-Turnier verblieben war, übernahm Nihal den Platz von Pragg im Großmeister-Turnier in Biel. Pragg spielte stattdessen im Meister-Open mit. Bei diesem stark besetzten Turnier verlor er nach einem guten Start nur gegen die zwei Top-Spieler Pavel Eljanov (UKR) und Saleh Salem (VAE). Am Ende reichten Pragg sechs Punkte für den Juniorenpreis. Weitere fünf Rating-Punkte konnte der Inder in Biel auf sein Konto einzahlen.
Gemeinsam ging es mit einer indischen Reisegruppe nach Riga. Nihal war dort hinter Alexander Donchenko der an zwei gesetzte Teilnehmer. In den ersten Runde erwischte es bereits viele Favoriten und das Turnier wurde früh zu einer Aufholjagd für manche Spieler. Murali Karthikeyan, Co-Sieger in Biel 2021, gab in den ersten drei Runden zwei Remis ab und spielte ein völlig „unprofessionelles“ Turnier, bei dem er mit Weiß bis Runde 8 alle Partien remisierte und mit Schwarz immer gewann. Am schlimmsten erwischte es den schon etablierten Inder, Sethuraman, der bereits in der Startrunde gegen einen Litauer (2177) hinter sich greifen musste. Der missglückte Start von Alexander Donchenko, der das Turnier am Ende sogar noch gewann, war insofern keineswegs ungewöhnlich für Riga 2021.
Für Pragg begann das Turnier in Riga ebenfalls mit einer Enttäuschung. Er versuchte zwar sehr lange gegen seinen lettischen Gegner zu gewinnen, aber es gelang ihm letztlich nicht, den vollen Punkt einzusammeln. Es folgten drei Siege und ein Unentschieden. (Anmerkung: Die Partie aus Runde 2 ist zum Zeitpunkt des Erstellens dieses Beitrags nicht überliefert.) Die zweite und dritte Runde wurden an einem Tag mit Doppelrunde gespielt, Praggs 16. Geburtstag, und brachten die volle Ausbeute.
Foto: Quelle Ramesh, Facebook.
In der sechsten Runde erwischte es Pragg und er musste gegen seinen Landsmann und Reisegruppen-Partner Arjun Kalyan eine Niederlage hinnehmen. Nach einem weiteren Unentschieden gegen einen weiteren Inder und zwei Siegen in den Schlussrunden blieb ein Minus von knapp vier Ratingpunkten. Riga war für Pragg trotz seiner sechseinhalb Punkte und einem Geldpreis für den 13. Platz daher eher eine Enttäuschung.
In Barcelona absolvierte der junge Inder mit drei Siegen und zwei Unentschieden seine Pflicht ordentlich. Danach trat der Inder nicht mehr an, da er in der Nacht zur sechsten Runde über Unwohlsein klagte. Ein sofortiger Covid-Test fiel laut seinem Coach Ramesh glücklicherweise negativ aus.
Bei Praggnanandhaa sind immer wieder Schwankungen zu sehen und für ihn grobe Versehen in späteren Partiephasen gehören bei ihm noch dazu. Sein Spiel mit den Türmen im frühen Mittelspiel wirkt manchmal etwas gewollt kreativ. Manche gute Stellung verdarb Pragg zuletzt in Zeitnot. Zudem entwickelt sich die Inder zu einem Spätstarter in Turnieren, ein Phänomen, das Alireza Firouzja im gleichen Alter ebenfalls erlebte. Inzwischen gibt es für den Kronprinzen aus dem eigenen Land noch mehr Konkurrenz und eine weitere positive Entwicklung ist zu erwarten, wenn der Inder noch stabiler beim Verwerten seiner erspielten Vorteile wird. Zusammen mit Nihal spielt er als nächstes Turnier am Jugendbrett für Indien bei der Online-Olympiade mit.
Indien glänzt weiter
Gelegentlich übersieht man als Kommentator, dass neben den üblichen Verdächtigen andere ehemalige „Wunderkinder“ ebenfalls eine hervorragende Entwicklung nehmen. Der dritte Inder im Jugendalter, der die 2600er-Hürde nahm ist Arjun Erigaisi, Jahrgang 2003: In drei Turnieren vor Biel gewann er 30 Punkte hinzu und mit seinem Ergebnis in Biel reichte es für die 2600. In Riga war Arjun ebenfalls der überzeugendste indische Junior. Danach gewann er mit 8,5 aus 9 ein Turnier in Portugal und erzielte eine Performance von 2822. Arjun reiste über 11000 Kilometer, wie ChessBase India nachrechnete, und konnte seine Elozahl auf 2625 verbessern.
Ein weiterer spannender Junior ist Ranauk Sadwhani, Jahrgang 2005, der kurzzeitig in Ungnade gefallen war, nachdem er bei Lichess gesperrt wurde. Er gewann gleich mehrere Turniere in Italien und zuletzt spielte er in Innsbruck ebenfalls groß auf. 70 Partien in 79 Tagen brachten ihn als aktuell vierten indischen Spieler über 2600.
Gukesh stand ebenfalls vor dem indischen Tiger-Sprung und schaffte die Marke kurz zu überspringen. Inzwischen sind vier indische Junioren-Spieler über 2600 Rating-Punkten angelangt und zwar einer aus den Jahrgängen zwischen 2003 und 2004, nur 2005 war ein besonderer Jahrgang mit zwei 2600ern. Neben den Indern gab es weitere Spieler mit einem starken Auftakt nach der Pandemie von denen wir vermutlich noch hören werden.
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