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München/Mainz
- Würfeln und Schach: Wie soll das zusammengehen? Sehr gut sogar: Beim
„Chess960“ werden die Startpositionen der wichtigsten Figuren nach dem
Zufallsprinzip ermittelt. Die WM in dieser neuen Variante ist Höhepunkt der
„Chess Classic Mainz“ vom 15. bis 20. August 2006. REINHARD SCHARNAGL (52) aus
München hat ein Handbuch zum Würfelschach „Chess960“ geschrieben; der
hauptberufliche Systementwickler spricht für SCHACH-AKTIV mit dem Autor DR. RENÉ
GRALLA.
DR. RENÉ GRALLA: Für Ihr Buch brauchen wir einen Würfel, um das Gelesene in die Tat umzusetzen. Wie funktioniert das?
REINHARD SCHARNAGL: Das „Chess960“ kennt 960 verschiedene Grundstellungen, daher der Name. Mit einem speziellen Zehnerwürfel, der die Ziffern eins bis null aufweist, ermitteln Sie eine dreistellige Zahl. Das Verzeichnis der 960 Anfangspositionen, die Sie in meinem Buch aufgelistet finden, nennt dazu die konkrete Anordnung der Offiziere, mit der Sie dann in die Partie starten.
DR. R. GRALLA: Eine Bandbreite von 960 Möglichkeiten, die Schachtruppe auf dem Brett vor dem Anpfiff zu gruppieren? Uns war bisher nur eine bekannt …
SCHARNAGL: … im Normalschach sind die Startpositionen ja auch genau festgelegt: Dame und König auf der Basisreihe, daneben jeweils nach links und rechts ein Läufer, ein Pferd und ein Turm; direkt davor eine Phalanx von acht Bauern. Diese seit Jahrhunderten unveränderte Ausgangslage hat jedoch dazu geführt, dass zwischenzeitig eine uferlose Eröffnungsliteratur produziert worden ist. Will jemand im Schach reüssieren, muss er viel Arbeit aufwenden und sich das akkumulierte Wissen aneignen, bevor er ernsthaft ein Match beginnen kann.
DR.
R. GRALLA: Die Bibliotheken werden überflüssig beim „Chess960“, weil sich der
Kampf nun um bisher noch nicht ausanalysierte Stellungsbilder dreht?
SCHARNAGL: Niemand wird etwas weggenommen; wer viel gepaukt hat, der hat nicht umsonst gebüffelt. Schließlich gehört auch die klassische Startstellung zu einer möglichen Einstiegsvariante in „Chess960“ – und zwar unter der Nummer 518. „Chess960“ ist ein abwechslungsreiches Angebot für Menschen, die aus dem Stand heraus schönes Schach spielen möchten, ohne gezwungen zu sein, vorab endlose Zugfolgen zu memorieren.
DR. R. GRALLA: Ist jede beliebige Verteilung der Offiziere über die erste weiße beziehungsweise achte schwarze Laterale zulässig?
SCHARNAGL: Nein. Die Regeln sehen gewisse Einschränkungen vor. Der König soll stets zwischen den Türmen landen, damit gegebenenfalls – sofern die Figuren dazwischen die Bahn frei gemacht haben – die Rochade eine Option bleibt. Die Läufer sind auf verschiedenfarbigen Feldern zu platzieren.
DR. R. GRALLA: „Chess960“ hat eine lange Vorgeschichte …
SCHARNAGL: … erste Experimente werden schon 1843 berichtet im berühmten Bilguer’schen Handbuch des Schachspiels. Das moderne Konzept hat Bobby Fischer entwickelt; das wurde zunächst unter „Fischer Random Chess“ bekannt. Allerdings hat der Begriff „Random“ einen negativen Beigeschmack …
DR. R. GRALLA: … weil „Random Chess“ übersetzt bedeutet: „Zufallsschach“ …
SCHARNAGL: … außerdem sollte Bobby Fischers Idee unabhängig von der Person des Ex-Weltmeisters gewürdigt werden können. Deswegen hat Hans-Walter Schmitt, der Organisator der Mainzer „Chess Classic“ …
DR. R. GRALLA: … in deren Rahmen seit 2003 auch eine Weltmeisterschaft im reformierten Schach ausgespielt wird …
SCHARNAGL: … ein kleines Konzil zur Namensfindung einberufen. Zielvorgabe war: Man wollte keinen Namen einer noch lebenden Schachgröße verwenden. Herausgekommen ist die neutrale Bezeichnung „Chess960“, die das Wesen der Spielidee besser auf den Punkt bringt.
DR. R. GRALLA: „Chess960“ befreit Schach vom theoretischen Ballast. Verändert sich so auch die strategische Anlage des Spiels?
SCHARNAGL: Keineswegs. Operative Grundsätze bleiben gültig, zum Beispiel die Notwendigkeit, das Zentrum zu erobern.
DR. R. GRALLA: Ist „Chess960“ eine Chance für den begabten Amateur, auch den Profis auf Augenhöhe zu begegnen?
SCHARNAGL: Der Informationsvorsprung, über den die Großmeister sonst verfügen, wird neutralisiert. Im „Chess960“ setzt sich allein derjenige durch, der das kreativste Schach spielt.
DR. R. GRALLA: Auf dem Cover Ihres Buches sehen wir eine Raumstation wie aus Stanley Kubricks „2001“. Das zentrale Modul ähnelt einer überdimensionierten Königsfigur: „Chess960“ als Zeitvertreib für die ersten Raumfahrer, die zum Mars aufbrechen?
SCHARNAGL: Ein Flug zum Mars dauert mehrere Monate; da können die Astronauten viele Varianten von „Chess960“ ausprobieren.
DR. R. GRALLA: Der Untertitel Ihres Werkes lautet: „Die revolutionäre Zukunft des Schachspiels“. Ein ehrgeiziger Anspruch …
SCHARNAGL:
… aber untermauert von der großen Breitenwirkung, die das „Chess960“
mittlerweile entfaltet. Die „Chess Classic Mainz“ zählen zu den wichtigsten
Turnieren im Land, nicht zuletzt wegen der WM, bei der sich die Kandidaten
nichts schenken. In diesem Jahr will der in Berlin lebende Armenier Lewon
Aronjan, aktuell die Nr. 3 der Weltrangliste im klassischen Schach, dem
Titelverteidiger Peter Swidler aus St. Petersburg die Krone abjagen. Im ersten
Anlauf 2004 war Aronjan noch gescheitert.
DR. R. GRALLA: Wird „Chess960“ langfristig das Standardschach verdrängen?
SCHARNAGL: In diesen Tagen wollen die Menschen nicht mehr jahrelang lernen, um ein Spiel zu beherrschen. „Chess960“ kann dem Schach einen neuen Platz erobern; das ist ein Angebot an die Jugend, die heute viel weniger Geduld aufbringt als früher, sich mit einer anspruchsvollen Materie zu beschäftigen. Die daraus folgende Hemmschwelle gegenüber Schach wird vom „Chess960“ deutlich gesenkt. Zugleich ist „Chess960“ interessant für Leistungsträger, die oft kaum mehr Platz im Terminkalender freischaufeln können, um sich mit Aussicht auf nachhaltigen Erfolg ihrem Hobby Schach zu widmen. Selbst wenn sie das Spiel aus früheren Tagen formal beherrschen, so sind sie in Bezug auf das Eröffnungswissen zumeist gnadenlos im Hintertreffen. Aber wo das klassische Schach deshalb an Reiz verliert, da bietet „Chess960“ gerade diesen Wenig-Zeit-Inhabern die Chance auf verdiente Erfolge durch den unmittelbar einsetzenden Kampf der freien Kräfte.
Chess960 in der Spielpraxis :
DER CHEFKOCH WIRD ABGEKOCHT – DAS „SUPPENKÜCHEN-MATT“ im Chess960
Wirr scheint die Startposition im „Chess960“ – aber glasklar und schnell ist oft die Exekution.
Zur bisher wohl kürzesten Partie im Würfel-Schach ist es im August 2003 während der „Chess Classic Mainz“ gekommen. Peter Leko, der in der Karnevalshochburg mit Peter Swidler die erste Weltmeisterschaft im „Chess960“ ausspielt – und am Ende verliert - , gibt am Rande der Titelkämpfe eine Simultanvorstellung.
Unter den Herausforderern sitzt auch der Chefkoch des örtlichen Hotel Hilton – namens Maus.
Weiß :
Leko, P. (2746)
Schwarz : Maus, D.
CCM3 Chess960 Simultan, „Chess Classic Mainz“, August 2003
Gestartet wird aus der nachfolgenden Anfangsstellung (die Partie wird berichtet von Hartmut Metz, Pressechef der „Chess Classic“).
SP 666
RICHTIG GROB IM CHESS960
Peter Leko eröffnet
die Partie mit einer Reverenz an „Grob’s Angriff“:
1.g4 …
Der Garmeister möchte simpel abgucken, wie der Schachmeister die Bouillon anrührt …
1. … g5 2.Lg2 …
… aber die Topfguckerei wird herzlos abgestraft – mit einem Schlag in die Magengrube:
2. … Lg7??? 2.Lxb7# 1:0
Der König von Maître Maus in der Mausefalle – analog dem notorischen „Schäfer-Matt“ im Normalo-Schach - : der erste überlieferte Fall, der im Chess960 das à „Suppenküchen-Matt“ dokumentiert.
Also aufgepasst: Normalerweise funktionieren die üblichen Fallen im Chess960 gerade nicht – es sei denn, dass wider alle Wahrscheinlichkeit die Ausgangslage des klassischen Schach ausgelost wird - , trotzdem kann auch hier der Unvorsichtige gnadenlos abgekocht werden.
Dr. René Gralla, Hamburg
Reinhard Scharnagl: „Fischer-Random-Schach ( FRC / Chess960 )“; Books on Demand GmbH, Norderstedt (ISBN 3-8334-1322-0); 116 Seiten, € 12,90.Infos zu den „Chess Classic Mainz“ und zur WM in „Chess960“: www.chesstigers.de