Dorian Rogozenco: Schachklassiker - eine Rezension

von ChessBase
30.09.2022 – Im Studium der Klassiker lernt man die elementaren Strategien und taktischen Motive in Reinkultur kennen und vertieft so sein eigenes Schachverständnis. Zugleich gewinnt man einen Einblick in die Schachgeschichte und Schachkultur. Dorian Rogozenco stellt auf seinem Fritztrainer die schönsten Klassiker vor. Phillip hat sich den Fritztrainer angesehen.

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Schachklassiker -  Partien die man kennen muss

Eine Rezension über den  Fritztrainer von GM Dorian Rogozenco

von Philipp Hillebrand

Vor einiger Zeit kam aus der Feder von GM Adrian Mikhalchishin der Fritztrainer mit dem Titel „Wie man die Klassiker studiert“ heraus. In seinem Werk legte er großen Wert auf Musterwiedererkennung und brachte dazu passende Beispiele, wie er selbst dank des Studiums von klassischen Partien die erworbenen Ideen erfolgreich in seinen Turnierpartien umsetzen konnte. Der hier besprochene Fritztrainer knüpft an dieser Thematik an. Der ehemalige Bundestrainer Dorian Rogozenco betreut bereits sehr lange im ChessBase Magazin die Sparte, welche sich genau diesem Thema widmet, sprich das Analysieren und Genießen von klassischem Material.

Schachklassiker - Partien, die man kennen muss

Wie der Autor im Einführungsvideo erklärt, bereichert die Kenntnis der klassischen Partien aus der Vergangenheit das Schachverständnis im Allgemeinen und hilft, das Niveau der eigenen Partien zu verbessern.

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Wer im Schachspiel noch nicht so bewandert ist, dem wird empfohlen anhand solcher Partien, die man klassisch nennt, sein Repertoire an Ideen zu erweitern und zu vertiefen, damit es einem gelingt in Turnierpartien vergleichbare Ideen anwenden zu können. Schachspieler und Trainer nennen sie deshalb klassisch, weil sich diverse Manöver, taktische Schläge,  Abwicklungen, Durchbrüche u.ä. bewährt haben und sich entweder in direkter oder analoger Weise nutzen lassen. Manche dieser Ideen sind bereits fast 250 Jahre alt und sollten weder vergessen, noch unterschätzt werden, was sie für die aktuelle Turnierpraxis bieten können:

 

Diese Stellung stammt aus der Partie Von Bruehl, H.- Philidor, F. 0-1 (47), London 1783.

Der letzte Zug des Anziehenden war 14.c3-c4. Der positionelle Vorteil des Nachziehenden ist schon recht groß und es gilt diesen Vorteil zu bewahren und nach Möglichkeit ein Gegenspiel des Anziehenden zu unterbinden. Mittels des kleinen Bauernzuges ist es genau das, was der Nachziehende auch tat. Nach 14…a7-a6 wird das Feld b5 kontrolliert und der weißen Dame somit auch der Hauch eines Gegenspieles genommen. Dieses Beispiel ist aus mehreren Gründen bemerkenswert. Zum einen dürfte der Name Philidor dem einen oder anderen Schachfreund bekannt sein aufgrund einer Technik in Turmendspielen. Es geht um einen Verteidigungsmechanismus, wie man als materiell unterlegene Partei eine Festung einnehmen kann. Dies hat Francois Andre Philidor bereits vor etlichen Jahren ohne Engines perfekt nachgewiesen und es dürfte als Beleg genügen, um zu zeigen wie stark er damals gewesen ist, auch nach heutigen Standards. Darüber hinaus war es Philidor, der den Ausspruch prägte „Die Bauern sind die Seele des Schachspiels“. Damit vertrat er die Ansicht, dass wer in der Lage ist diese Spielsteine gut zu führen, sich objektive Vorteile erarbeiten kann. Mit ihm war der erste Schritt in Richtung positionelles Schach gemacht, sprich die romantischen Opferangriffe, wo es als Pflicht galt ohne Rücksicht auf Verluste anzugreifen, rückten mehr und mehr in den Hintergrund. Gemessen an dem Beispiel oben bedeutet dies, dass der Randbauernzug der Prophylaxe galt. Ein Thema, welches immer noch eines der wichtigsten Denkmethoden ist, sowohl für einen angreifenden, als auch einen verteidigenden Spieler.

Eines der ungewöhnlichsten Schlussstellungen, welche ich bis dato gesehen habe, stammt aus der Partie McDonnell, A. – De Labourdonnais, L., 0-1 (37), Match 1834:

 

Diese Stellung bietet für meinen Geschmack nicht nur einen ästhetischen Anblick,  sondern beinhaltet auch die Erkenntnis, dass im Schach „ein Sieg des Geistes über die Materie“ sehr oft stattfindet. Solche außergewöhnlichen Wendungen funktionieren meist dann, wenn die Königssicherheit einer Partei unzureichend ist. Beispielsweise kann ein Springer alleine und dank der gegnerischen Steine in der Lage versetzt werden das sog. erstickte Matt anzubringen, also eine Konstellation, wo eine Figur allein eine ganze Armee bezwingen kann, das folgende Diagramm ist diesbezüglich ein konstruiertes Beispiel, soll aber das eben gesagte unterstreichen:

 

Um den Anziehenden ist es denkbar schlecht bestellt. Zum einen ist er materiell unterlegen und seinem König drohen diverse Mattangriffe. Dank der Tatsache aber, dass der Anziehende am Zug ist, kann er mit Hilfe eines Damenopfers selbst ein Matt innerhalb von vier Zügen erzwingen.

Dieses Beispiel unterstreicht ebenfalls die Bedeutung der Initiative im Schachspiel, sprich welche Seite stellt derart gewichtige Drohungen auf, welche pariert werden müssen? Oft sind solche Situationen jene, wo ein Mattangriff bzw. Schachgebote vorliegen. Wenn es um eine frühe Initiative geht, darf eine Seite nicht vor materiellen Opfern zurückschrecken und es ist bezeichnend, dass der aktuelle Vize Weltmeister (sprich Ian Nepomniatschi liebt es ebenfalls sehr mit der Initiative zu spielen) hin und wieder zum Königsgambit greift. Die folgende Stellung entstammt allerdings der sog. „Unsterblichen Partie“ von Adolf Anderssen gegen Lionel Kieseritzky aus dem Jahre 1851:

 

Der letzte Zug des Nachziehenden war 21…Kd8 und erneut kann mit Hilfe eines Damenopfers ein schönes Matt erzwungen werden. Wie in dem Beispiel um das erstickte Matt geht es nicht selten darum am entscheidenden Brettabschnitt eine Überlegenheit zu besitzen!

In Hinblick auf die Initiative ist auch die andere berühmte Partie von Adolf Anderssen lohnenswert:

 

In der Partie zwischen Anderssen, A – Dufresne, J 1-0 (24), Berlin 1852 opferte der aus Deutschland stammende Mathematiklehrer zwei Schwerfiguren für einen zwingenden Mattangriff.

Diese Wildromantische Ära nahm zum Ende des 19. Jahrhunderts ab, als kein Geringerer als Wilhelm Steinitz, der erste offizielle Weltmeister, seine Ansichten über das Schachspiel nicht nur postulierte, sondern auch in der Praxis umsetzte. Er war es u.a., der sagte, es sei notwendig kleine positionelle Vorteile anzuhäufen, beispielsweise das Läuferpaar oder eine bessere Bauernstruktur, um erst dann dank solcher Vorteile einen zwingenden Gewinn herausspielen zu können bzw. zu müssen.

Eine Lehrstunde erhielt niemand anderes als der oft sehr romantisch agierende Mikhail Chigorin, der es liebte große Komplikationen am Brett hervorzurufen, um in diesen seine Gegner überspielen zu können. Wilhelm Steinitz erkannte jedoch die Schwächen einer solchen Vorgehensweise und spielte auch nach heutigen Maßstäben sehr konsequent auf das Ausnutzen eines geschwächten Felderkomplexes:

 

Diese Stellung stammt aus der Partie zwischen Steinitz, W – Chigorin, M., 1-0 (28), WCH 1892. Der letzte Zug des Nachziehenden offenbart die Schwächen Entlang der Diagonalen a2-g8 und die Anfälligkeit des Punktes h7. In der Folge verwertete Steinitz diese Pluspunkte seiner Stelleung tadellos und optisch ansprechend.

Sehr viel beigetragen hat Wilhelm Steinitz auch für das Verständnis von isolierten Bauern. Neben der heute gut bekannten Weisheit solche Bauern zu „hemmen, zu blockeiern und dann zu vernichten“ (Aaron Nimzowitsch) zeigte der erste Weltmeisteraber auch, dass hinter einem isolierten Bauern die lauernden Figuren viel Kraft entfalten können:

 

Im Grunde nach ist dies ein weiteres Beispiel für die Bedeutung der Initiative, denn wenn es dem Nachziehenden in der Partie Steinitz, W – Von Bardeleben, C, 1-0 (31), Hastings 1895 gelingt seine Stellung zu stabilisieren, dann dürfte er wegen der latenten Schwäche des weißen Bauern d4 vermutlich sogar etwas angenehmer stehen. Dies kostet aber noch ein wenig Zeit und das ist genau der Moment wo Steinitz mit einem positionellen Bauernopfer das Heft des Handelns an sich riss und die Partie sehr elegant beendete. Es rankt sich auch die Legende um die Partie, dass Curt von Bardeleben so erzürnt war über den Verlauf der Partie, dass er den Turniersaal verließ ohne die Partie aufzugeben nach den genialen Zügen von Steinitz:

 

Alle Figuren des Anziehenden sind bedroht, aber durch eine Handvoll geschickter Schachgebote konnte der Nachziehende nie seinerseits zu einem tödlichen Hieb ansetzen.

Eine Art Offenbarung war damals eine von José Raul Capablanca gespielte Partie gegen Aaron Nimzowitsch:

 

Der letzte Zug des Anziehenden war 15.Dd3 und es hat den Anschein, als besitze er einen gesunden Mehrbauern. Allerdings sind die Figuren des Nachziehenden sehr aktiv, insbesondere der Lg7 und die schwarzen Türme, welche entlang der a- und b- Linie enormen Druck entfalten werden. Dieses Konzept wurde später von Pal Benkö und russischen Fernschachfreunden aus der Wolga Region erweitert und es ist heute eine sehr respektierte und gefährliche Waffe in den Händen eines versierten Spielers mit den schwarzen Steinen. Folglich sind es nicht nur taktische Kniffe und allgemeine Weisheiten, welche wir übernommen haben, sondern z.T. auch komplette Eröffnungsphilosophien (hier das Opfer eines Bauern für langanhaltenden Figurendruck, vergleichbar dem Marshall Gambit in der Spanischen Eröffnung).

Ebenfalls sehr ansprechend finde ich die Partie zwischen Friedrich Sämisch und Aaron Nimzowitsch aus dem Jahre 1923:

 

Der letzte Zug des Anziehenden war 25…h6 und es ist kaum zu glauben, dass der Anziehende keinen konstruktiven Zug oder Plan mehr besitzt und dem Grunde nach „Patt“ steht bei vollem Brett und die Waffen streckte. Wer wissen möchte, wie dies zu Stande kam, der bekommt vom Autor ein sehr instruktives Video mit der gesamten Partie präsentiert.

Dies ist eines der wesentlichen Strukturmerkmale des Fritztrainers. GM Rogozenco legt dar und erläutert, warum es an der einen oder anderen Stelle völlig ausreichend sein kann lediglich sog. Fragmente zu studieren, anstatt eine komplette Partie. Indem man sich auf die Muster konzentriert, ist es einem möglich unabhängig von seinen bevorzugten Eröffnungen Ideen, Motive, taktische Schläge oder andere wichtige Elemente zu erkennen, ohne Gefahr zu laufen „betriebsblind“ für die eigenen Eröffnungen zu werden.

Der Fritztrainer bietet 10 sehenswerte und instruktive Fragmente, welche der Autor an den kritischen Stellen eingehend und gewissenhaft bespricht. Der andere Block besteht aus 33 Partien welche jeweils in einem separaten Clip besprochen werden. Diese sind meist zwischen 10 und 15 Minuten lang und bieten neben dem lehrreichen Charakter einer Schachpartie auch etwas über Schachgeschichte, Schachkultur und den Haltungen (beispielswese aggressiv ohne Rücksicht auf Verluste oder  lieber mit Bedacht und Vorbereitungen) zum Verlauf einer Schachpartie. Das Material entstand über mehrere Jahre hinweg aus den Clips aus den verschiedenen ChessBase Magazin Ausgaben. Das macht aber gar nichts, denn zum einen hat jedes einzelne Video seine eigene hohe inhaltliche Qualität und durch das sorgfältige Zusammenstellen und strukturieren des Materials reicht einem der ehemalige Bundestrainer ausgezeichnete „Rohstoffe“ an die Hand für das selbständige Studium. Das Kennen klassischer Partien ist nicht nur für Amateure von hohem Wert, denn auch Weltklasse Spieler machen sich die Erkenntnisse der alten Meister zu Nutze:

 

Diese Stellung stammt aus einer Partie zwischen Georg Rotlewi und Akiba Rubinstein, 0-1 (25), gespielt in Lodz 1907. Der letzte Zug des Anziehenden war 22.g3 und Rubinstein entfesselte einen schönen Schlussangriff samt Damenopfer. Eine Art „Doublette“ zu dieser Partie wurde zwischen Levon Aronian und Vishy Anand in Wijk an Zee 2013 gespielt:

 

Anand merkte nach der Partie auch an, dass er sich an die Partie von Akiba Rubinstein erinnert fühlte und verwies insbesondere auf seine zwei Läufer, den Sg4 und der schwarzen Dame auf der h-Linie.

Fazit:

Dieser Fritztrainer bietet viel, denn neben dem Vorstellen und Vermitteln von nützlichen „Fertigkeiten“ eines  Turnierspielers erhält man dank der Clips von Rogozenco auch Einblicke in die Schachkultur und deren Entwicklung, was ebenfalls dazu beitragen kann, dass man sein eigenes Spiel verbessern kann. Die ausgewählten Fragmente und Partien sind ein sehr schön zusammengestelltes Potpourri und haben meines Erachtens genau die richtige Länge, um effektiv trainieren zu können. Die mitgelieferten Notationen enthalten keine verbalen Kommentare, sondern lediglich den sog. Informator Stil. Dank der optischen Hervorhebungen (Pfeile und Markierungen) werden Ideen und Pläne nachvollziehbar angedeutet. Dies ist alles andere als ein Nachteil, denn wenn man möchte, kann man sich zuerst eine Notation nehmen, die Partie durchspielen, sich dazu eigene Ideen und Varianten notieren und diese dann mit den Clips abgleichen.

Sehr hilfreich ist auch die Strukturierung der Partien/ Fragmente nach Themen, denn es ist selten der Fall, dass eine Partie „nur“ ein lehrreiches Merkmal besitzt und wer etwas zum Thema „Läuferpaar“, „Prophylaxe“ oder „Initiative“ sucht, der wird so schnell fündig und kann gezielt trainieren!

Ich kann jedem Schachfreund diesen Fritztrainer uneingeschränkt ans Herz legen, der an einem tieferen Verständnis für dieses faszinierende Spiel interessiert ist. Auch für Trainer ist diese Zusammenstellung entweder eine gute Grundlage oder eine Ergänzung für das Repertoire an Ideen, die man mit seinen Schützlingen besprechen möchte.

Schachklassiker - Partien, die man kennen muss

Wie der Autor im Einführungsvideo erklärt, bereichert die Kenntnis der klassischen Partien aus der Vergangenheit das Schachverständnis im Allgemeinen und hilft, das Niveau der eigenen Partien zu verbessern.

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