Dortmund: Nach dem Fußball geht’s zum Schach
Von Dagobert Kohlmeyer
Ein Sommerloch
gibt es 2010 im Spitzensport nicht! Wenn der Fußball ausgerollt ist, regiert
neben der Tour de France das königliche Spiel. Nachdem die spannende WM der
Kicker in Südafrika am kommenden Sonntag zu Ende sein wird, richten sich die
Blicke der Schachfans auf Dortmund. Dort findet vom 15. bis 25. Juli das
diesjährige Sparkassen Chess Meeting statt. Am 14. Juli gibt es um 15 Uhr eine
Pressekonferenz der Veranstalter und Spieler und am Abend das traditionelle
Eröffnungsbankett in der Sparkasse.
Sechs
Weltklasse-Großmeister kämpfen bei der 38. Auflage der Internationalen
Dortmunder Schachtage um den Turniersieg. Ihr Altersdurchschnitt beträgt 26,5
Jahre. Die Besucher von Deutschlands traditionsreichstem klassischem
Schachturnier erwartet im Stadttheater wiederum ein exzellentes Feld. Drei der
Teilnehmer sind als „übliche Verdächtige“ wie gewohnt gesetzt: Kramnik, Leko und
Naiditsch.
Rekordsieger
Wladimir Kramnik will natürlich seinen Titel vom Vorjahr verteidigen. Der
dreifache Weltmeister befand sich bei seinen letzten Turnieren in großartiger
Form und ist aktuell die Nr. 4 der Weltrangliste. Dortmund ist schlicht und
einfach das Revier des 35-jährigen Russen, der auch diesmal Turniersenior sein
wird und wie immer gelassen die Favoritenbürde trägt. Kramnik wird alles daran
setzen, ein besonderes Jubiläum zu feiern und das bedeutendste Schachturnier auf
deutschem Boden zum zehnten Mal zu gewinnen. Dieses Ziel formulierte er bereits
im vorigen Jahr. Es geschah just in dem Moment, nachdem Wladimir seine „Neunte“
mit einem souveränen Sieg gekrönt hatte.
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Der Zweite im
Bunde ist Kramniks Kollege und Freund Peter Leko, ohne den das Sparkassen
Chess-Meeting ebenfalls kaum vorstellbar wäre. In Dortmund reifte der Mann aus
Szeged zum Weltklassespieler heran.
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Dort hat er
nicht nur seine Frau Sofia kennengelernt, sondern auch schon dreimal gewonnen.
Der Ungar gehört seit über einem Jahrzehnt zur Elite des Schachs und befindet
sich mit 30 Jahren vielleicht im Zenit seines Könnens. Auf jeden Fall will die
Nr. 16 der Weltrangliste auch dieses Jahr ein gehöriges Wort beim Kampf um den
Turniersieg mitreden.
Die deutschen
Farben werden einmal mehr von Arkadij Naiditsch vertreten. Der Dortmunder
Lokalmatador schrieb 2005 Schachgeschichte, indem er als erster Deutscher und
mit 19 Jahren gleichzeitig als jüngster Spieler das Sparkassen Chess-Meeting
gewann.
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Inzwischen ist
Arkadij 24 Jahre alt und hat sich in der erweiterten Weltspitze etabliert. Der
zweitjüngste Spieler des Turniers nimmt zurzeit Platz 51 der internationalen
Rangliste ein. Diese Position möchte Naiditsch auf jeden Fall verbessern. Kann
er im Schauspielhaus nochmal ähnlich auftrumpfen wie vor fünf Jahren?
Das waren die
in Dortmund geläufigen Namen. Die drei anderen Großmeister des 2010er Feldes
sind dem deutschen Schachpublikum noch nicht so bekannt, deshalb stellen wir sie
weiter unten etwas näher vor.
Zum dritten Mal
zu Gast im Revier ist der aktuell beste Spieler aus Aserbaidschan, Shakryar
Mamedjarow.
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Er gilt als
einer der besten Taktiker der Welt. Mit seinem kompromisslosen Spiel hat es der
25-jährige schon vor geraumer Zeit in die Top Ten der Weltrangliste geschafft
und nimmt aktuell den sechsten Platz ein. In seiner schachbegeisterten Heimat
ist „Shak“ Mamedjarow nicht erst seit dem Mannschafts-Gold bei der EM 2009 ein
Held.
Mit Ruslan
Ponomarjow beehrt ein früherer Weltmeister erstmalig die Reviermetropole.
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Der heute
26-jährige Ukrainer gewann 2002 das FIDE-Championat, das parallel zur
klassischen WM ausgetragen wurde. Der 14. der Weltrangliste gilt als
universeller Spieler, der nur schwer zu schlagen ist und trotz seines jungen
Alters über viel Kampferfahrung verfügt. Deshalb gehört Ponomarjow zu den
Geheimfavoriten, auch wenn er zum ersten Mal in Dortmund antritt.
Die weiteste
Anreise aller Spieler hat Le Quang Liem. Der 19-jährige Vietnamese erkämpfte
sich seine Teilnahme durch den Sieg beim Aeroflot-Open in Moskau im Februar
dieses Jahres.
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Le feierte als
Jugendlicher zahlreiche Erfolge und gilt als Riesentalent in Asien. Mit seinem
unbekümmerten Stil könnte er bei seiner ersten Teilnahme an einem Superturnier
für Furore sorgen. In der Weltrangliste nimmt Le mittlerweile den 55. Platz ein.
Mit diesen
sechs Spielern erreichen die Dortmunder Schachtage 2010 einen Schnitt von
derzeit 2731 Elo-Punkten. Dies entspricht der FIDE-Turnierkategorie 20. Das
Sparkassen Chess-Meeting gehört damit zu den stärksten Turnieren, die in diesem
Jahr weltweit ausgetragen werden.
Gespielt wird
nach diesem Modus: Der Sieger der Dortmunder Schachtage wird in zehn Runden
ermittelt. Dabei treten die sechs Teilnehmer jeder gegen jeden jeweils einmal
mit den weißen und einmal mit den schwarzen Steinen an. Zwischen dem ersten und
zweiten Durchgang gibt es nur einen Ruhetag.
Neu ist eine
strengere Remisregelung, um mehr Spannung in den Partien zu erzeugen. Ab der
diesjährigen Auflage des Chess Meetings dürfen die Großmeister dem Gegner
während des Spiels kein Remisangebot mehr machen. Das geschieht nur über den
Schiedsrichter durch Reklamation. Danach wird eine Partie als remis gewertet,
wenn aus dem Spiel heraus kein Gewinn mehr möglich ist (z.B. bei nackten
Königen), oder wenn sich eine dreimalige Zugwiederholung nicht vermeiden lässt.
„Diese Regel garantiert, dass alle Partien ausgekämpft werden, womit die
Attraktivität unserer Veranstaltung gesteigert wird“ sagt Turnierdirektor Stefan
Koth.
Die Besucher im
Schauspielhaus können die Spielzüge der Schachstars wieder hautnah und in
ansprechendem Ambiente erleben: Alle Partien werden live auf großen
Projektionsflächen übertragen und über Kopfhörer von Live-Kommentaren begleitet.
Großmeister Klaus Bischoff ist seit einem Jahrzehnt in Dortmund dabei, seit dem
vergangenen Jahr steht ihm Sebastian Siebrecht zur Seite, der in die Fußstapfen
von Helmut Pfleger getreten ist.
Veranstaltungsbeginn im Schauspielhaus ist täglich um15.00 Uhr. Eine Ausnahme
bildet die Schlussrunde am 25.7.2010. Sie beginnt bereits um 13.00 Uhr. Am
20.7.2010 ist Ruhetag.
Helmut-Kohls-Turnier
Zeitgleich mit
dem Großmeisterturnier findet im Schauspielhaus das Helmut-Kohls-Turnier mit
zehn Spielern statt. Zwei Partien werden täglich auf der Bühne des
Schauspielhauses ausgespielt. Die übrigen Spiele werden im Foyer des Schauspiels
ausgetragen.
Sparkassen-Open A und B vom 17. bis 25. Juli 2010
Parallel zum
Hauptereignis wird traditionell das Dortmunder Sparkassen-Open mit einer A- und
einer B-Gruppe im Rathaus veranstaltet. Täglicher Rundenbeginn ist 11.00 Uhr.
Die Ausschreibung des Sparkassen-Opens ist auf www.sparkassen-chess-meeting.de
veröffentlicht.
Eintrittskarten: Tageskarte: 6 Euro (ermäßigt: 4
Euro), Dauerkarte: 35 Euro
* * * * * * * * * *
Hier die Porträts der drei Großmeister, die
in Dortmund ihre Premiere feiern oder noch nicht so oft im Revier spielten.
Ruslan Ponomarjow
(Ukraine), geb am 11.10.1983
Der Ukrainer steht im Guinness-Buch der
Rekorde als bisher jüngster Schachweltmeister aller Zeiten. Ruslan Ponomarjow
schaffte es in nur einem Jahrzehnt vom Eleven bis auf den Olymp. 2002 gewann er
mit 18 Jahren das Knockout-Turnier der FIDE in Moskau und wurde überraschend
neuer Titelträger. Dieses Kunststück brachte vor ihm noch kein Spieler in der
Schachgeschichte fertig.
In diesem Jahr feiert der 26-jährige
Großmeister nun endlich seine Premiere in Dortmund. Sein Start beim Sparkassen
Chess-Meeting ist nach Meinung von Anhängern und Experten überfällig.
Ruslan Ponomarjows Talent für das Spiel der
Könige war schon früh sichtbar. Mit 14 Jahren wurde der Wunderknabe einer der
jüngsten Großmeister. Schritt für Schritt arbeitete er sich weiter nach vorn und
verbesserte sein Schach. Der schmächtige Großmeister spielte seit 1998 für die
Ukraine bei Schacholympiaden und wuchs zu einem Riesen heran. Knockoutturniere
aber scheinen die Spezialität Ponomarjows zu sein. Bei den FIDE-Weltcups 2005
und 2009 schaffte er es jeweils bis ins Finale. Zuletzt unterlag er in
Chanty-Mansisk nur dem erfahrenen Boris Gelfand, der in Dortmund auch schon oft
seine Figuren setzte.
In den vergangenen Jahren erlebte Ruslan
Höhen und Tiefen wie jeder andere Weltmeister. Im Herbst 2003 kam es leider
nicht zum geplanten Match Ponomarjow-Kasparow, weil der Ukrainer die einseitigen
Vertragsbedingungen nicht akzeptierte. Der Vereinigungsprozess der Schachwelt
war einmal mehr ins Stocken geraten.
Ponomarjow pflegt einen ausgefeilten
strategischen Schachstil. Er manövriert sehr geschickt, scheut aber auch
Kombinationen nicht, wenn er die Gelegenheit dazu erhält. Sein Vorbild ist der
frühere Weltmeister Bobby Fischer. Wird er in Dortmund so aufspielen können, wie
es der Amerikaner in den Schacharenen tat?
Shakryar Mamedjarow
(Aserbaidschan), geb. am 12.04.1985
Zum dritten Mal stellt sich der 25-jährige
Großmeister in Dortmund vor. Shakryar Mamedjarow stammt aus Baku, wo auch Garri
Kasparow geboren wurde. Zugute kamen ihm die lange Schachtradition seiner Heimat
und die Tatsache, dass er in einer Schachfamilie aufwuchs. Sein Vater Gamid, ein
ehemaliger Gewichtheber sagt: „Das Beste, was ich im Leben geleistet habe, sind
meine drei Schach spielenden Kinder:“ Shakryars Schwestern Zeinab und Turkan
sind auch erfolgreiche Großmeisterinnen. Seit Jahren rangiert Mamedjarow unter
den Top Ten der Schach-Weltrangliste und liegt derzeit mit einer ELO-Zahl von
2761 auf Platz 6.
2006 gewann er ein Turnier im holländischen
Hoogeven und ließ dabei Exweltmeister Weselin Topalow (Bulgarien) hinter sich.
In Sofia konnte er ihn 2007 wieder bezwingen. Mamedjarow war zweifacher
Juniorenweltmeister und spielt seither neben Teimur Radjabow
und Vugar Gashimow im Nationalteam seines Landes. Radjabow gab in Dortmund
auch schon seine Visitenkarte ab.
Von der Stärke des Schachs in Mamedjarows
Heimat zeugt die Goldmedaille, die Aserbaidschan bei der Mannschafts-EM 2009
gewann. Zuvor wurde Shakryar Open-Sieger bei den Chess Classic in Mainz.
„Ich möchte interessantes Schach spielen und
suche Wege, den Gegner zu überraschen. Deshalb strebe ich immer nach dem besten
Zug und scheue auch nicht das Risiko“, beschreibt der sympathische Großmeister
seinen eigenen Stil. Mamedjarows erster Trainer war übrigens eine Frau. In
Aserbaidschan betreiben beide Geschlechter den Geistessport mit der gleichen
Leidenschaft.
Shakryar Mamedjarow hat zu Hause eine solide
Schachschule durchlaufen, ihm wird ein außergewöhnliches Talent bescheinigt.
Noch hat er seine Möglichkeiten nicht voll ausgeschöpft. Vielleicht gelingt ihm
dieses Jahr im Schauspielhaus der ganz große Erfolg.
Le Quang Liem
(Vietnam), geb. am 13.03.1991
Zum ersten Mal nimmt ein Spieler aus Vietnam
an den Dortmunder Schachtagen teil. Das Ticket zum Sparkassen Chess-Meeting
löste Le Quang Liem im Februar durch seinen überraschenden Sieg beim
renommierten Aeroflot Open in Moskau. Wenige Tage zuvor hatte er in der
russischen Hauptstadt auch ein anderes offenes Turnier als Co-Gewinner beendet.
Der 19-Jährige gilt als das größte
Schachtalent Vietnams. Schon im Kinder- und Jugendbereich sammelte der in
Ho-Chi-Minh-Stadt geborene Le Quang Liem viele Medaillen. So wurde er 2005 in
Belfort Weltmeister U14. Den Großmeistertitel trägt er seit 2006. Die Normen
hierfür erzielte er bei den Südostasienspielen 2005, der Schacholympiade 2006
sowie bei einem Turnier in Budapest im Juli 2006.
Auch beim Turnier der Nationen 2008 in
Dresden glänzte Le mit 8 Punkten aus 11 Partien und trug damit maßgeblich zum 9.
Platz des Vietnam-Teams (noch vier Ränge vor Deutschland) bei.
Le Quang Liems Trainer ist der frühere
russische WM-Kandidat Jewgeni Barejew, der auch schon Kramniks WM-Sekundant war.
Er bescheinigt seinem Schüler ein gutes Positionsverständnis und arbeitet mit
ihm an der Erweiterung seines Eröffnungsrepertoires. In dieser Beziehung kann
die vietnamesische Nr. 1 nach eigener Aussage mit den Spielern der Weltelite
noch nicht konkurrieren. Aber vielleicht macht der Jungstar dies durch
ideenreiches Spiel auf der Bühne des Dortmunder Schauspielhauses wett.
Im vorigen Jahr hat Le Quang Liem die Schule
beendet und konzentriert sich seither ganz auf den Schachsport. Sollte er weiter
so erfolgreich sein, steht einer Profikarriere wohl nichts im Wege. Eine
Prognose über sein eigenes Abschneiden in Dortmund wollte der junge Mann vorher
nicht abgeben. Viel lieber möchte er Konkurrenten und Zuschauer durch seine
Partien beim Chess-Meeting überraschen.
Der Spielplan
Runde 1, Donnerstag, 15. Juli, 15.00
Ponomarjow – Leko
Kramnik – Le
Naiditsch – Mamedjarow
Runde 2, Freitag, 16. Juli, 15.00
Leko – Mamedjarow
Le – Naiditsch
Ponomarjow – Kramnik
Runde 3, Samstag, 17. Juli, 15.00
Kramnik – Leko
Naiditsch – Ponomarjow
Mamedjarow – Le
Runde 4, Sonntag, 18. Juli, 15.00
Naiditsch – Leko
Mamedjarow – Kramnik
Le – Ponomarjow
Runde 5, Montag, 19. Juli, 15.00
Leko – Le
Ponomarjow – Mamedjarow
Kramnik – Naiditsch
Dienstag, 20. Juli, Ruhetag
Autogrammstunde der Schachstars beim Special
in der Hauptstelle der Sparkasse Dortmund, Freistuhl (gegenüber vom Hbf.).
Zusätzlich gibt es Preise zu gewinnen.
Runde 6, Mittwoch, 21. Juli, 15.00
Leko – Ponomarjow
Le – Kramnik
Mamedjarow – Naiditsch
Runde 7, Donnerstag, 22. Juli, 15.00
Mamedjarow – Leko
Naiditsch – Le
Kramnik – Ponomarjow
Runde 8, Freitag, 23. Juli, 15.00
Leko – Kramnik
Ponomarjow – Naiditsch
Le – Mamedjarow
Runde 9, Samstag, 24. Juli, 15.00
Le – Leko
Mamedjarow – Ponomarjow
Naiditsch – Kramnik
Runde 10, Sonntag, 25. Juli, 13.00
Leko – Naiditsch
Kramnik – Mamedjarow
Ponomarjow – Le
Ehrentafel der Dortmunder Schachtage seit
1973
Klangvolle Namen zieren die Tabelle der
bisherigen Gewinner des Sparkassen Chess-Meetings. In den letzten 15 Jahren
verbuchten vor allem Wladimir Kramnik oder Peter Leko den Sieg. Wer wird es
diesmal sein?