"Höherwertigster Titel" für Ackermann / Beate Krum gelingt Hattrick nach langer Spielpause
In Baden wird gerne der badische Schach-Meister etwas despektierlich als "Bademeister" bezeichnet. Heruntergezogen auf den südlichsten Landesverband Deutschlands, dessen angedachte Fusion mit den Schwaben aus Württemberg noch umstritten bleibt, finden sich nun in Baden ein neuer "Bademeister" und zwei neue "Bademeisterinnen": Nur Hans Werner Ackermann hat in der Alterskategorie Ü65 die Ehre des Rests der Republik gerettet. Der Hammer wurde im hessischen Kurort Bad Wildungen zum ersten Mal deutscher Champion im Turnierschach! "Das ist natürlich höherwertig!", ordnete der 70-jährige FM den hart erkämpften Erfolg ein, an den er "nach drei Jahren Pause wegen Corona nicht gedacht hat". Zweimal war der Schnelldenker vom Hammer SC bereits deutscher Schnellschach-Meister der Senioren, einmal auch Blitzmeister. Als wertvoller stuft Ackermann seinen Sieg in Bad Wildungen sicher auch deshalb ein, weil er schon "zwei-, dreimal nah dran war", aber letztlich doch immer knapp scheiterte.
Hans Werner Ackermann freut sich über seinen "höherwertigsten Titel" in der Ü65
Wehrhafter 91-Jähriger
Diesmal musste Ackermann gegen einen besonderen Gegner kämpfen: Erich Krüger! Der war nicht nur 2008 sowohl deutscher Ü65- und Nestoren-Meister in einem, sondern ist mit seinen 91 Jahren Weltranglistenerster – unter den über 90-Jährigen! Das hat Gerhard Meiwald als Pressechef der 35. Deutschen Senioren-Einzelmeisterschaft (DSEM) ermittelt. Noch immer bringt der Altmeister - im wahrsten Sinne des Wortes – 2146 Elo auf die Waage! Der nur etwas jüngere FM Willy Rosen (Jahrgang 1933) sitzt ihm mit seinen 2100 Elo bei den über 90-Jährigen im Nacken. In Bad Wildungen übernahm Krüger aber nicht nur am Auto das Steuer, um die betagten Vereinskameraden von Bochum aus zum Seniorenturnier zu bringen. Der Ältere der beiden Katernberger Vereinskameraden übernahm auch auf den 64 Feldern das Ruder – und wollte den Jungspunden zeigen, was eine Harke ist. "Das war ein Blödsinn! Ich stand leicht besser mit +0,3 oder +0,4", hatte Krüger die Zeit bis zur Siegerehrung genutzt, um seine Schlussrunden-Partie gegen Ackermann mit dem Rechner zu analysieren. Doch im "39. Zug in leichter Zeitnot" patzte der 91-Jährige "und kreiere den Ackermann damit zum Meister", klagte der Katernberger Spieler. Den Vorteil ließ sich der neue Ü65-Champion nicht mehr nehmen und vollstreckte die Position zum Sieg, der ihn auf 7,5 Punkte hievte. Das reichte, weil sich die beiden anderen Führenden, Wolfram Heinig (SK Zehlendorf) und Friedbert Prüfer (TSG 1861 Taucha), rasch friedlich trennten. So blieb den mit der besten Buchholz-Wertung ausgestatteten Heinig nur die Silbermedaille vor Prüfer (beide 7). Erich Krüger fiel mit seinen sechs Zählern auf Rang neun zurück, haderte aber nicht mit seinem Schicksal allzu lange: "Ich bin zufrieden mit meiner Leistung", betonte der Bochumer und berichtete, dass ihm seine Endspiel-Leistung in der "vorletzten Runde gegen FM Vladimir Podat besondere Freude" bereitet habe. Der 91-Jährige durfte sich mit dem Nestoren-Titel (für den besten Teilnehmer über 75 Jahre) trösten – und erhielt zudem eine Ehrenmedaille der Emanuel-Lasker-Gesellschaft (ELG) von Seniorenreferent Wolfgang Block für sein langes Schachleben seit 1945 überreicht!
Liebling aller Senioren: Der 91-jährige Erich Krüger wird nach einer grandiosen Leistung zumindest Nestoren-Meister
Dass er wie Beate Krum 14 Jahre pausiert und dann erst in Rente ans Brett zurückkehrt wäre für den Altmeister undenkbar gewesen. Die frühere Organisatorin des Bundesligisten SG Heidelberg-Kirchheim kam allerdings mit Pauken und Trompeten zurück! Sie lag nicht nur in der Damen-Wertung der Ü65 mit vier Punkten vorne: Die Badenerin hatte als ersten Titel den im Schnellschach gewonnen und im Blitz dafür gesorgt, dass sie zum Hattrick vollenden kann. Auch trotz der schwachen Konkurrenz von jeweils nur zwei Rivalinnen in dem 113 Teilnehmer zählenden Ü65-Gruppe eine beachtliche Leistung. Die mit 1717 DWZ gestartete Krum schaffte ungeachtet der langen Pause eine Elo-Performance von 1894.
Falsche Einschätzung von Ackermann
Eine Performance von 2340 Elo brachte Ackermann aufs Brett, obwohl ein Konkurrent nach dem Blitzturnier fälschlicherweise geunkt hatte, "der Hans Werner wird immer schwächer". Trotz der starken Leistung relativierte der neuen Ü65-Seniorenmeister seinen ersten Platz: "Gegen Stephan Buchal hatte ich in der achten Runde Glück. Er hat die Partie einzügig eingestellt", ließ der 70-Jährige seinen Turnierverlauf mit Blick auf den Spieler von Werder Bremen Revue passieren. Zudem habe Erich Krüger gegen ihn viermal das Pech gehabt, "immer mit Schwarz spielen zu müssen", zollte Ackermann dem bewundernswerten Turniersenior ein dickes Lob.
Bei den Damen in der Ü50 lag Birgit Schneider vorne: Die Gattin des langjährigen badischen Sportdirektors Michael Schneider, der mit 4,5 Punkten im Mittelfeld landete, wies die bessere Buchholz-Wertung auf als Kordula Lebioda-Dette (Essen-Werden) und Andrea Hafenstein von den Rodewischer Schachmiezen. Das Frauen-Trio kam durchweg auf 3,5 Zähler. Im Blitzturnier der Ü50 hatte die Starnbergerin Anita Stangl (7/11) wie schon im Schnellschach die Nase vorne.
Der Doppel-Titel blieb Patrick Burkart bei den Männern versagt. Der Hofheimer Schnellschach-Champion musste seinem Arbeitskollegen Sven Telljohann den Vortritt lassen. Der Frankfurter IM setzte sich mit einem Schlussrunden-Sieg über Stefan Arndt von den Verfolgern mit 8,5/11 ab. Dem Außenseiter von der SG Ennepe-Ruhr (2097 DWZ) hätte ein Remis gegen Telljohann zur Sensation gereicht – doch durch die Niederlage fiel er auf den undankbaren vierten Rang zurück. Vor ihn schob sich noch der Topfavorit, IM Bernd Schneider (Solingen). Wie der sichere Sieger sah lange Zeit Evgeni Kirnos aus. Der nicht titelberechtigte Ukrainer vom SC Porta Westfalica 1950 überrollte zunächst fast alle und führte dank seiner 7/8 mit einem Punkt Vorsprung. Doch nach dem Remis in der achten Runde gegen Burkart ging bei Kirnos nichts mehr. Nur ein Remis aus den letzten drei Runden ließ den Spieler mit einer Blitz-Elo von 2221 auf Rang sechs zurückfallen. Vor ihm und nach ihm reihten sich der Schweriner FM Karsten Schulz und IM Uwe Kersten (Bad Emstal/Wolfhagen) sowie der Bamberger Ralf Mittag (alle 7,5) ein.
Patrick Burkart (von links), Sven Telljohann und Bernd Schneider teilen die Medaillen im Ü50-Blitzturnier unter sich auf, die Wolfgang Block übergibt
Bodo Schmidt lässt keine Spannung aufkommen
Deutlich weniger Dramatik herrschte bei den Senioren Ü65 in den Partien mit fünf Minuten Grundbedenkzeit (plus drei Sekunden pro Zug). Der Siegburger Ex-Bundesligaspieler Bodo Schmidt pflügte unbarmherzig durchs Feld und machte erst auf der Zielgeraden etwas langsamer mit seinem zweiten Remis gegen Ackermann und in der Schlussrunde gegen den Würzburger Josef Steinmacher. Mit 9,5 Zählern lag Schmidt deutlich vor Holger Namyslo, der ihm in der fünften Runde den ersten halben Punkt abgetrotzt hatte. Der Biberacher holte nach Platz drei im Schnellschach den Vizemeister-Titel dank seiner 8,5/11. Bronze sicherte sich Gottfried Schumacher (Bad Neuenahr/8) vor dem Kitzinger Karl-Heinz Kannenberg (7,5). Mit Abstand folgten Ackermann, Steinmacher und dem Bamberger Peter Krauseneck (alle 6,5).
Holger Namyslo (von links), der souveräne Bodo Schmidt und Gottfried Schumacher werden von Seniorenreferent Wolfgang Block zu ihren Blitzkünsten in der Ü65 beglückwünscht
Königshatz von a1 nach h4
Bleibt noch die Baden-Power zu erwähnen, die Arno Zude in der Ü50 von der Titelverteidigung abhielt: Nach einem Sieg und nur zwei Remis schien Lars Balzer den Hofheimer IM endgültig aus dem Meisterschaftsrennen gekegelt zu haben. In einer aufregenden Königs-Hatz ließ der Berner (mit dem deutschen und schweizerischen Pass) den weißen Monarchen von a1 bis nach h4 fliehen. Ein sehenswertes Damenopfer mit einem schnellen Matt übersah Balzer zwar, behielt aber stets das Heft in der Hand. Am Schluss konnte der wacker kämpfende Zude den Garaus für seinen König nicht mehr abwenden und streckte die Waffen gegen den Spieler der vierten Mannschaft der OSG Baden-Baden. Mit drei Siegen in Folge spielte sich Zude aber an der remisfreudigen Konkurrenz vorbei und lag dank eines Sieges über den führenden Kölner Peter Wacker mit 5/7 an der Spitze mit dem Kölner Thorsten Cmiel und Matthias Willsch (Preetzer TSV). Doch dann kam wieder ein Badener …
Königsmacher Michael Hoffmann
Hartmut Metz, der Autor dieser Zeilen, bekam im Königsgambit mächtigen Angriff gegen Zude. Den schloss der FM von der Rochade Kuppenheim kurzerhand mit einem Qualitätsopfer samt folgender Springergabel und Figurengewinn ab. Der ehemalige Weltmeister im Problemlösen gab sofort auf – und ebnete damit eigentlich den Weg für Willsch. Der hatte wie Cmiel und Metz 5,5/8, allerdings die beste Buchholz-Wertung. Gegen den Berliner Michael Hoffmann (Gardez Robe), der für seine bescheidene Elo von 1942 auf starke fünf Punkte vorgerückt war, galt der souverän spielende Preetzer mit Weiß als klarer Favorit. Er musste nur dasselbe Resultat erzielen wie Metz oder Cmiel im direkten Duell am ersten Brett. Doch Hoffmann entpuppte sich als Königsmacher. Bei dem Angriff von Schwarz entging Willsch ein Turmeinschlag auf e3, was bei Annahme ein Matt auf f2 erlaubt hätte. Mit einem Läufer weniger kämpfte der Führende noch lange weiter – indes vergebens. Angesichts der nun besten Buchholz-Wertung konnte Metz die zweite Remis-Offerte von Cmiel in siegverheißender Stellung getrost annehmen, um mit sechs Punkten den deutschen Meister-Titel abzusichern. Zude schloss so zwar wieder auf, aber landete lediglich noch vor Cmiel und Hoffmann. Metz hatte so sein Ziel erreicht, auch wenn der 59-Jährige die sechs Punkte als enttäuschend bewertet: 2018 hatte der Kuppenheimer stolze 7,5/9 geholt, landete aber trotz seines damaligen Sieges über IM Dieter Pirrot in der Ü50 hinter dem punktgleichen Saarländer. Diesmal spielte die Buchholz aber Metz, der wie Cmiel die Fortschrittswertung für gerechter hält, in die Karten – und der badische Triumph war unter Dach und Fach.
Königsmacher Michael Hoffmann (links) entscheidet das Titelrennen gegen Matthias Willsch
ChessBase-Mitarbeiter unter sich am Spitzenbrett: Hartmut Metz (rechts) trifft in der letzten Runde auf Thorsten Cmiel
Hübner-Vortrag ein Höhepunkte
Einer der Höhepunkte der 35. DSEM war ein Vortrag von Robert Hübner. Der 74-jährige, der am 6. November seinen 75. Geburtstag feiert, zeigte aus seinem Buch "Twenty-five Annotated Games" eine sehenswerte Partie gegen Ljubomir Ljubojevic. Das rund zweistündige Event hatte Gerhard Köhler ermöglicht. Der Initiator der Kinderschach-Initiative warb damit bei den Senioren für Unterstützung seines Projekts.
Gerhard Köhler (rechts) ermöglicht als Sponsor den unterhaltsamen Vortrag von Robert Hübner
Ob und wann 2024 wieder schöne Tage in Bad Wildungen anstehen, konnte Wolfgang Block noch nicht bei der Siegerehrung sagen. Der DSB-Seniorenreferent hält das Hotel Maritim für eine gute Option, sollten sich nicht andere Ausrichter um die 36. DSEM reißen. Platz für mehr als 300 Teilnehmer wäre jedenfalls in den Sälen des Hotels, betonte Block.
Die deutsche Seniorenmeisterschaft bei Chess-Results:
Deutsche Einzelmeisterschaft 65+
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