24.04.2023 – Nicht nur in Astana wird spannendes Schach gespielt, auch in der DSOL blicken die Teilnehmer auf eine ereignisreiche Woche zurück. Und wenn sogar Ding Fehler macht und verliert, dann dürfen wir das in der DSOL auch, meint Olaf Steffens in seinem Wochenbericht und ist zudem einer Verschwörung auf der Spur, die etwas mit dem Buchstaben H zu tun hat - aber was? | Fotos: Olaf Steffens (wenn nicht anders angegeben)
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DSOL Runde 5: Wenn sogar Ding Liren verliert, dann dürfen wir das auch
Wenn nichts passiert, dann bin ich meistens glücklich, und dennoch muss ich immer etwas tun
Element of Crime
Als vor 3500 Jahren zwischen Euphrat und Tigris das Fernschach erfunden wurde, löste dies den ersten Schachboom der Weltgeschichte aus. (Der zweite Boom entstand durch Bobby Fischers WM-Sieg 1972, der dritte durch die Serie „Das Damengambit“.)
Für jede/n mesopotamische/n Schachfreund/In war es allerdings eine Herausforderung, die frisch ersonnenen Fernschachzüge in eine Steinplatte zu ritzen, und diese Platte dann zügig durch das ganze Zweistromland zu senden.
Das Gewicht der Warensendung und damit auch das Porto waren beträchtlich, zudem gingen viele schwere Steinplatten auf dem Weg verloren oder wurden von den Postboten im Zweistromland zu Frühstücksbrettern umfunktioniert.
So war es kein Wunder, dass Schach wieder in Vergessenheit geriet. Erst im sehr frühen Mittelalter wurde es in Indien auf einer Steintafel mit Fernschach-Diagrammen wiederentdeckt.
Lange Zeit mäanderte das Spiel der Könige dann so durch die Weltgeschichte, ohne dass es – abgesehen von der Rochade – zu nennenswerten Veränderungen gekommen wäre. Es war immer ein nobles Spiel, dem man mit viel Zeit und noch mehr Muße nachging, zumindest wenn man adlig war.
Heute aber? Schach ist in den Sog der allgemeinen Produktivitätssteigerung geraten. Schneller werden die Spiele, kürzer die Bedenkzeiten, häufiger die Turniere.
Es gibt Ligaspiele an acht Brettern, Open mit 400 TeilnehmerInnen, Vereinsabende, Onlineturniere im Blitz und im Bullet, und wir können bei Chessbase Videos sehen, beim Big Greek reinschauen. Und – wenn wir Nepo oder Ding heißen – eine Schachweltmeisterschaft spielen in einem sehr sehr fernen Land.
Stress? Stress!
Da vielen von uns ein Startrecht bei der WM verweigert worden ist – oder hat man Sie gefragt, ob Sie teilnehmen möchten? - können wir nun ganz entschleunigt dem Ligaspiel frönen, einmal die Woche in der DSOL, schön, entspannt, fast meditativ.
Dafür müssen wir noch nicht einmal mit schlechtem Klimagewissen nach Kasachstan fliegen. Es kann losgehen ohne auch nur einen Schritt aus der Tür. Online-Turniere sind wie Home-Office für Schachspieler.
Montag!: Alle Springer stehen still, wenn Dein rechter Arm es will
Nach einer einwöchigen Figurenniederlegung sind die DSOL-Tätigen an diesem Montag wieder an ihre Schachbretter gegangen. Im Streit um höhere Wertungszahlen forderte die Spieler-Gewerkschaft eine DWZ-Erhöhung von 10,4%, verbunden mit einem Einmal-Aufschlag von 50 Punkten. Der Schachbund hatte dies mit Hinweis auf eine drohende Wertungszahl -Inflation abgelehnt.
Nun soll bei Schlichtungsgesprächen ein Kompromiss gefunden werden. Bis dahin gilt: Wohlan, KollegInnen, zurück nun an die virtuellen Bretter der DSOL!
Heute Pausentag bei der WM in Kasachstan. Wie soll man sich nur beschäftigen? Zum Glück springt die DSOL ein und bietet ein schachsportliches Ventil.
Was im kasachischen Astana Ding vs Nepo ist, ist bei der deutschen DSOL die Begegnung Hellern gegen Rinteln. Und in der ersten Liga A gestaltet Rinteln seinen Besuch im Osnabrücker Land recht souverän und bringt die Vorstellung mit Bravour und einem 3:1 über die digitale Bühne.
Noch etwas weiter nördlich im Internet empfing Segeberg die Schachfreunde aus Lauenburg an der Elbe.
Hier war es bezeichnenderweise Uwe Elvkieker Nielius in Diensten der Lauenburger Elbgucker, der gegen Mike Schlüter hübsch gewann und damit dem 2,5:1,5 Erfolg seiner Mannschaft den Weg bahnte. Liga 2D: Lauenburg nun auf Platz zwei!
Schöne Spielführung – da könnten Nepo und Ding glatt naiditsch werden
Dienstag: Wenn sogar Ding Liren verliert, dann dürfen wir das auch
Gar nicht rund lief es heute für Ding Liren – kritische Stellung, Qualität weniger, und am Ende dann Schockstarre und Fehler kurz vor dem Plättchenfall.
Denn harte Bandagen sind es in Astana, fürwahr, denn keiner der Spieler erhält einen Zuschlag von 30 Sekunden pro Zug! Erst ab dem 61.Zug gibt es etwas obendrauf, vorher aber – ist die Zeit vorbei, dann ist die Zeit vorbei.
Das kennt man gar nicht mehr, so ein strenges Finish. Gleichwohl ist es reizvoll, denn so erlebt man als Zuschauer bei der ersten und zweiten Zeitkontrolle mal wieder „so richtige Zeitnot“.
Nachdem mein Verein Werder Bremen in den ersten 4 DSOL-Runden gezeigt hat, dass er ganz selbstlos auch die anderen mal gewinnen lassen kann, wollten wir im Spiel gegen Heidenau II aus der Sächsischen Schweiz mal wieder punkten.
Grün-Weiß diesmal ohne Fortune
Bei unserer Begegnung im Online-Weserstadion (so getauft von Werder-Kapitän Jochen Schwarz) zeitigten wir jedoch nicht die für einen Punktgewinn notwendigen Teilergebnisse, und wieder verloren wir also ein Spiel. Oh Mann!
Mit einem Punkt Vorsprung hat Grün-Weiß Werder 1 allerdings noch einen komfortablen Vorsprung auf den Tabellenletzten, Niederbrechen.
Im Online-Weserstadion
Die ungelösten Fälle des DSB
Alle mit H müssen heute auswärts ran
Unheimliche Phänomene heute im Online-Ligabetrieb. Wie groß schätzen Sie die Chance, dass von 6 Vereinen aus Städten „mit h“ fünf auswärts antreten? Heidenau, Hilchenbach, Horrem, Höxter, Hameln, sie alle waren virtuell auf Reisen - das einzige H-Team mit Heimrecht war der Hamburger SK 2. Ebenso verblüffend beinahe, dass (mit Höxter als kleiner Ausnahme) all diese Clubs ungeschlagen blieben.
Einen gefälligen Gegenentwurf zu dieser hanebüchenen H-Dominanz sah man in Liga 5B. In dieser Klasse wurde heute ganz zackig mit Z gespielt – Zehlendorf 4 gegen Schwarz-Weiß Zell. Zehlendorf jedoch erschien nur zu zweit, und überreichte die Punkte mit 0 Zu 4 an die Gäste aus Zell. Zauberhaft!
Mittwoch: Ha Ho He
Gar kein Schachbezug bei diesem Bild. Aber: der Frühling ist da!
Hatten wir uns nicht gestern bereits gewundert? Auch heute, Ihr Leute, auch heute! laufen wieder alle (!) Teams mit H auswärts auf:
Eppendorf – Heidenau 1
Fulda – SV Hemer
Bühlertal – SF Hamburg 2
Rinteln 3 – SC Hechingen
Unter Erfolgsgesichtspunkten ist die heutige Bilanz allerdings ernüchternder als am Dienstag – zwei Unentschieden, eine Niederlage, und immerhin ein Auswärtssieg von Heidenau bei den starken Hamburgern von SKJE.
Dennoch – H for Harry, und 9 von 10 H-Teams auswärts? Das alles klingt, als wären wir einer Verschwörungstheorie auf der Spur. Nur – welcher?
Antworten bitte diskret und unter Nennung des Klarnamens im Kommentarbereich. (Sollte es unter diesem Artikel gar keinen Kommentarbereich geben, dann werden wir auch daraus unsere verschwörungstheoretischen Schlüsse ziehen.)
Wussten wir es doch: Das H-Team gibt es wirklich
*****
Und hier noch eine schnelle Partie aus der Liga Zwo, Bad Salzdetfurth vs Wermelskirchen
Marian Bleek (Wermelskirchen) – Alexander Kelemen (Salzdetfurth)
Salzdetfurther Nächte sind lang
Donnerstag: Die Beschten im Südweschda
Heute war es soweit - das nicht nur im Süden lang erwartete Derby von Pfullingen gegen Deizisau konnte beginnen! In der Liga 1A konnte Deizisau diesmal fast zu Fuß hingehen, denn Pfullingen ist hübsch an der Schwäbischen Alb gelegen und nur einen Katzensprung entfernt.
Und im schwäbischen Original:
Heud war's soweid - des im Süda lang erwardede Derby vo Pfullingen gegen Deizisau konnde bginna! Deizisau konnde diesmol faschd zu Fias hingeha, noh Pfullingen isch hübsch an der Schwäbische Alb glega ond nur einen Dach'hasnschbrung endfernd.
(Quelle: Topster.de - Und, hat jemand den Dachhasen entdeckt?)
Unter den Augen der Welt- DSOL-Öffentlichkeit boten die Pfullinger ihren europameisterlichen Gästen einen veritablen Fight.
Zwar verlor Martin Altenhof am Spitzenbrett gegen GM Matthias Blübaum, der hier mit gut 500 DWZ-Punkten mehr leicht favorisiert war - die anderen Begegnungen aber wusste man auf der Alb gut zu würzen mit trickreichen Abspielen, Materialopfern, Ungewissheit.
Und die prominenten Gäschde aus dem Stuttgarter Raum begannen tatsächlich zu wanken!
Das Derby im Südweschda: Die grünen Kreuze zeigen diskret an, auf welcher Brettseite eigentlich ein Deizisauer sitzt. Für Zuschauer ist das sonst leider nicht ganz einfach zu erkennen.
Feuriger Pfullinger Pfeffer – doch die soliden Deizisauer focht das nicht an, am Ende nahmen sie trotz etwas Wackeln ein schönes 3:1 mit nach Hause. Damit sind sie mit 10:0 Punkten Tabellenführer und – anders als beispielsweise … Werder in dieser DSOL-Saison - fast schon so gut wie beinahe am Rande der Qualifikation für die K.O.-Runde. Gut gemacht!
Hier aus der Begegnung ein kleines Fundstück, (auch) mit Chessbase- Computerkommentaren …
Michael Nagelsdiek – IM Ruben Köllner – eine umkämpfte Partie, was will man mehr! Und RubenKoellner kibitzing!?
***
Bleiben wir noch ein wenig im Süden, denn anmutig ist es nicht nur im Ländle, nein, auch das stets unter weiß-blauem Himmel und mit erschreckend wenigen Windkraftwerken daliegende Land der Bayern lohnt einen schachlichen Blick.
Tatsächlich – und damit Lob an die Turnierleitung! - kam es am Donnerstag auch in Bayern zu einem Derby. Die Schachunion Ebersberg Grafing, im Vorjahr DSOL-Sieger in der dritthöchsten Klasse, nahm gegen die MSA Zugzwang aus München an den Endgeräten Platz. Die Luftlinie zwischen beiden Vereinen beträgt gefühlt nicht mehr als 30 km, einen Rösselsprung sozusagen.
Ebersberg-Grafing machte alsgleich eine strenge Ansage an seine Gäste und ging mit 2:0 glatt in Führung. Davon erholte sich Team Zugzwang ebenso wenig wie die Fußballer des FC Bayern München, die schon am Vortag von Manchester City aus der Champions League gekegelt worden waren. (Und gleich danach auch noch in Mainz verloren, oh nein!, während D.o.r.t.m.u.n.d. mit einem Sieg gegen Frankfurt endlich an die Tabellenspitze springen konnte. Sehr, sehr bedauerlich … -zumindest aus Münchener Sicht.)
Die SU Ebersberg-Grafing dagegen thront nun mit 8 von 10 Punkten auf Platz 1 der Liga 1C. Mit dieser Truppe wird zu rechnen sein!
Überhaupt, es wurde eine blau-weiße Nacht in der DSOL, auch München-Südost hielt die Mannschaftspunkte beisammen und sandte den Hamburger SK 3 mit einem pfundigen 2,5:1,5 zurück über die Datenautobahn nach Norden.
Herzogenaurach 2 dominierte derweil mit einem 3:1 gegen TSF Welzheim 2 (Slogan: „Die Welzstadt mit Herz“), während die großen Brüder von Herzogenaurach 1 gegen den VfB Vacha in der anmutigen Rhön ein 2,5:1,5 feierten.
Und München Zugzwang 2? Zu Gast bei Wermelskirchen 2 in der 4D gingen sie als Bayern schon bald in Führung, wie sollte es auch anders sein, und um 21:10 Uhr war mit 3:1 auch hier schon alles klar.
Nicht vergessen wollen wir die SF München – mit einem zünftigen 2,5:1,5 gegen Stadthagen legten sie den Grundstein für eine lange Nacht, vielleicht in Schwabing, vielleicht aber auch zu Hause.
Marmor, Stein und Eisen bricht, aber dieser bayerische Deckel nicht
Freitag: Kehraus
Ein weiteres Mal wurde Liga gespielt an diesem Abend, dann konnten sich die DSOListas nach ihrer langen Arbeitswoche in den verdienten, ruhigen Feierabend retten.
Doch halt – was mag sie wohl am Wochenende erwarten? Der Vereinsabend am Freitag? Ein Ligaspiel am Sonntag, womöglich auswärts? Oder lieber ein Tag mit der Familie?
Es gibt keine Ruhe in den Schachspielerhütten. Denn gerne lassen wir uns immer wieder herauslocken für die nächste Partie. Nächste Woche geht es weiter!
Wir haben die Schachbretter immer noch selber aufgebaut, damals. Als wir jung waren, mussten wir die Figuren alle noch selber mit der eigenen Hand anheben und auf das richtige Feld bewegen! Wenn Du da das Holz spürst in Deinen Händen, das ist schön.
Wir wissen auch noch, wie es ist, wenn man die Uhren nach jedem Zug selber drückt, klick, nach jedem Zug, klack, nach jedem Zug, klick, klack. In meinen jungen Jahren tickten die Uhren sogar noch laut vor sich hin, der ganze Turniersaal ein einziges Uhrenticken.
Und der Saal hing dicke voll mit Rauch, denn Zigaretten am Brett waren damals noch erlaubt. Kaum zu glauben.
Auf Zeit reklamieren – auch das mussten wir noch selber, um zu gewinnen. Vergaß man das, und der Gegner setzte einen Matt, hatte man trotzdem verloren. Pech gehabt, alles schon erlebt.
Und heute, wie ist es heute? Spielst Du im Netz, wird alles vom Schachprogramm erledigt: Figuren aufbauen – nicht mehr nötig, sie stehen schon da. Uhren drücken – macht die Software. Auf Zeit reklamieren – tut nicht not, hat der Computer schon gemacht. Und Pre-Moves gibt es auch.
Online zu spielen ist ja eigentlich ganz praktisch und hat viele Vorteile. Ist es nicht wie Home Office - ganz schön, ganz virtuell, auf Dauer nur etwas eindimensional? Und es fehlt der Kontakt mit den Kollegen und der dumme Spruch zwischendurch.
Aufregend und, wenn man so will, sinnlich ist Schach nunmal eher in der echten Welt. Auch weil man dann raus muss aus den vier Wänden. Und jedesmal vor dem Spiel erst die Figuren aus ihren Kästen fischen muss.
Macht man aber gerne!
Schach in der echten Welt: Jan-Krzysztof Duda - Ilja Schneider, Blitz-EM 2021
Olaf SteffensOlaf Steffens, Diplom-Handelslehrer, unterrichtet an einer Bremer Berufsschule. FIDE-Meister seit 1997, ELO um die 2200, aufgewachsen in Schleswig-Holstein. Spielte für den Schleswiger Schachverein von 1919, den MTV Leck, den Lübecker Schachverein, die Bremer Schachgesellschaft und nun für Werder Bremen. Von 2012 bis 2021 Manager des Schachbundesliga-Teams des SV Werder Bremen. Bloggt seit 10 Jahren auf www.schach-welt.de und VeganeSchachkatzen.de.
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