Efim Bogoljubow: Ein deutscher Spitzenspieler

von Johannes Fischer
14.04.2019 – Auf die Frage, welche deutschen Spieler im Laufe der Schachgeschichte einen Wettkampf um die Weltmeisterschaft spielen konnten, würden die meisten Schachspieler vermutlich Dr. Siegbert Tarrasch und Dr. Emanuel Lasker nennen. Aber es gibt noch einen dritten Deutschen, der um die Weltmeisterschaft gespielt hat: Efim Bogoljubow. Er wurde vor 130 Jahren, am 14. April 1889, in Stanislawtschik, in der heutigen Ukraine, geboren und 1927 deutscher Staatsbürger. | Foto: Screenshot aus einem Video des Bundesarchivs über das Turnier in Bad Pyrmont 1951.

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Efim Bogoljubow: Eine Schachkarriere

Efim Bogoljubow ist einer der besten Spieler der Schachgeschichte, doch die Regeln des Spiels hat er erst mit 15 gelernt, da sind manche Jugendliche heutzutage bereits Großmeister. Und ernsthaft gespielt hat Bogoljubov erst drei Jahre später, mit 18. Zunächst wollte er Priester werden und studierte im Priesterseminar von Kiew Theologie, doch dann zog es ihn zur Landwirtschaft und er wechselte zum Polytechnischen Institut, aber auch dieses Studium brach er ab, um sich auf das Schach zu konzentrieren.

Eine Reise mit Folgen

Nach einigen Erfolgen in Russland reiste er 1914 zum 19. DSB-Kongress nach Mannheim, um Erfahrungen in der internationalen Turnierarena zu sammeln. Ein folgenreicher Entschluss. Denn während des Turniers, am 1. August 1914, begann der Erste Weltkrieg und Bogoljubow wurde zusammen mit den zehn anderen russischen Turnierteilnehmern, zu denen auch Alexander Aljechin und Fedor Bogartyrchuk gehörten, von den Deutschen verhaftet. Bogoljubow landete nach Internierungen in Mannheim, Ludwigshafen und Rastatt schließlich in Triberg im Schwarzwald.

Die Bedingungen für die Internierten in Triberg scheinen allerdings nicht sehr streng gewesen zu sein, denn Bogoljubow und die anderen russischen Spieler konnten in dieser Zeit eine Reihe von Turnieren spielen, und Bogoljubow lernte während seiner Internierung sogar seine spätere Frau kennen: Frieda Kaltenbach, die Tochter eines Lehrers im Ort. Bogoljubow und Frieda heirateten 1920 und bekamen später zwei Töchter.

Aufstieg zur Weltspitze

Nach Krieg und Internierung setzte Bogoljubow seine Schachkarriere fort und entwickelte sich in den 1920er Jahren zu einem der besten Spieler der Welt. Sein erstes großes internationales Turnier gewann er 1922 in Bad Pistyan. Er wurde mit 15 Punkten aus 18 Partien alleiniger Erster, einen halben Punkt dahinter folgten Alexander Aljechin und Rudolf Spielmann. Zum geschlagenen Feld gehörten Spieler wie Grünfeld, Reti, Sämisch, Heinrich Wolf, Tartakower, Tarrasch und Euwe.

Das Preisgeld, das Bogoljubow in Bad Pistyan gewann, schickte er zu seiner Frau Frieda nach Triberg, die davon ein Haus kaufte. Eine kluge Investition in wirtschaftlich unsicheren Zeiten, die der Familie in den kommenden Jahren durch Vermietung von Zimmern stets ein sicheres Einkommen verschaffte.

Efim Bogoljubov | Foto: Wikipedia

Bogoljubow war mit einer Deutschen verheiratet und hatte Haus und Kinder in Deutschland, aber er war immer noch Sowjetbürger. Und Nikolai Krylenko, treibende Kraft der Förderung des Schachs in der Sowjetunion, seit 1922 Volkskommissar für Justiz und damit einer der mächtigsten und einflussreichsten Männer in der Sowjetunion, wollte den Weltklassespieler Bogoljubow wieder in die Sowjetunion zurücklocken. 1924, zehn Jahre nach seiner Reise nach Mannheim, kehrte Bogoljubow nach Russland zurück und nahm an den Sowjetischen Meisterschaften teil, die er auch gewinnen konnte. Im Jahr darauf, 1925, wiederholte er diesen Erfolg und im gleichen Jahr feierte er in Moskau auch den größten Erfolg seiner Karriere: er gewann das große Moskauer Turnier 1925 vor Lasker, Capablanca und Rubinstein.

Doch Bogoljubow war in diesem Jahr nicht nur in der Sowjetunion erfolgreich. 1925 gewann er auch die Offenen Deutschen Meisterschaften in Breslau (vor Rubinstein und Nimzowitsch), und ist damit der einzige Spieler der Schachgeschichte, der im gleichen Jahr Deutscher und Sowjetischer Meister wurde. Aber 1926 kehrte Bogoljubow der Sowjetunion den Rücken und beantragte die deutsche Staatsbürgerschaft, denn als Sowjetbürger musste Bogoljubow für alle Turniere, die er mitspielen wollte, eine Erlaubnis des Sowjetischen Schachverbands einholen – ein ernstes Hindernis für seine schachliche Entwicklung und sein Leben als Schachprofi. Nach diesem Bruch erklärte der Sowjetische Schachverband Bogoljubow zur "Unperson – selbst die Erwähnung seines Namens war verboten. ... Nach kommunistischem Brauch wurde Bogoljubows Name aus allen Listen gestrichen, selbst die Einträge seiner Turniererfolge wurden gelöscht." (André Schulz, Das große Buch der Schach-Weltmeisterschaften, New in Chess 2015, S. 88).

Bogoljubow wird Deutscher und spielt um die Weltmeisterschaft

Die deutsche Staatsbürgerschaft erhielt Bogoljubow 1927 und er konnte seine Schachkarriere weiter fortsetzen. In den Jahren 1928 und 1929 spielte und gewann er zwei Wettkämpfe gegen Max Euwe, die vom 1924 in Paris gegründeten Weltschachbund FIDE organisiert worden waren, und bei denen es um die "Meisterschaft der FIDE" ging. Doch die WM-Kämpfe wurden damals noch nicht von der FIDE organisiert, sondern der amtierende Weltmeister konnte selbst entscheiden, ob und gegen wen er spielen wollte. 1928 schickte Bogoljubow deshalb seinem alten Rivalen und ehemaligem Landsmann Aljechin, gegen den er während ihrer Internierung unzählige Blindpartien gespielt hatte, eine Herausforderung zu einem Kampf um den Titel. Aljechin, der 1927 nach einem Sieg im WM-Kampf gegen Capablanca in Buenos Aires überraschend Weltmeister geworden war, akzeptierte die Herausforderung, und als Bogoljubow in seiner neuen Heimat Deutschland und in den Niederlanden genug Sponsoren gefunden hatte, die bereit waren, einen solchen Wettkampf zu finanzieren, traten die beiden 1929 gegeneinander an.

Doch der Wettkampf verlief einseitig: Bogoljubow verlor chancenlos mit 9,5:15,5 (+5, =9, -11) wodurch sich Kritiker bestätigt sahen, die Aljechin vorwarfen, mit diesem und dem zweiten WM-Kampf gegen Bogoljubow, der 1934 gespielt wurde, und den Aljechin mit 15,5:10,5 (+8, =15, -3) ebenso klar gewann, hätte Aljechin vor allem einen WM-Kampf gegen Capablanca vermeiden wollen.

Bogoljubow und Aljechin während der 13. Partie ihres WM-Kampfs von 1934 | Foto: De Gronwet 13. Juni 1934

Aber trotz der klaren Niederlagen in den beiden WM-Kämpfen gegen Aljechin gehörte Bogoljubow weiter zu den besten Spielern der Welt, der beste Spieler in Deutschland war er sowieso. 1931 gewann er die deutsche Meisterschaft in Swinemünde und auch zwei Jahre später, bei der deutschen Meisterschaft 1933 in Pyrmont, blieb Bogoljubow Sieger. Bei der Schacholympiade 1931 in Prag spielte er für Deutschland am ersten Brett und erzielte mit 12,5 aus 17 (+9, =7, -1) das zweitbeste Ergebnis am ersten Brett und war nur eine Gewinnpartie schlechter als Aljechin, der 13,5 Punkte aus 18 Partien holte (+10, =7, -1).

Bogoljubow und die Nazis

Doch nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 durfte Bogoljubow, der nach nationalsozialistischer Denkart zwar deutscher Staatsbürger, aber nicht „deutschen Blutes“ war, nicht mehr an deutschen Meisterschaften und Olympiaden teilnehmen. Als Trainer und Turnierspieler gab dem Bogoljubow dem Schach allerdings weiter Impulse. Unter anderem trainierte er die deutschen Nationalmannschaften vor der inoffiziellen, von den Nationalsozialisten organisierten, Olympiade in München 1936 und vor der Schacholympiade 1939 in Buenos Aires.

Doch welche Einstellung Bogoljubow den Nationalsozialisten gegenüber hatte, ist unklar. Dazu schreibt André Schulz: "Bogoljubow wurde stets eine zu große Nähe zu den Nationalsozialisten vorgeworfen. Beim Turnier 1936 in Zandvoort bestand Bogoljubow [laut Hans Kmoch in seinem Buch Grandmasters I Have Known] gegenüber den niederländischen Organisatoren sogar auf der Aufstellung einer Hakenkreuzflagge als Landesfahne an seinem Tisch." (André Schulz, Das große Buch der Schachweltmeisterschaften, S. 95)

Dem hält Bogoljubows Biograph Sergei Soloviov ein Zitat von Fedor Bogartyrchuk entgegen, der behauptet hat, dass Bogoljubow das Parteiabzeichen der Nazis nur sehr ungern getragen hätte.

Während einer Simultanveranstaltung von Bogoljubow in einem Lazarett hat ein verwundeter Soldat Bogoljubow einmal angewidert das Abzeichen mit dem Hakenkreuz von der Brust gerissen. Danach hat Bogoljubow das Abzeichen nicht mehr getragen, um einen solchen Vorfall nicht zu wiederholen. Ich kann versichern, dass er nur formell Parteimitglied war. ... Es war kein Geheimnis, dass E.D. die Bolschewiken nicht mochte, aber ich glaube, nur wenige Leute wussten, dass er die wilden Ideen Hitlers mit mindestens genauso viel Ekel und Widerwillen betrachtete. (zitiert in Sergei Soloviov, Bogoljubow: The Fate of a Chess Player, Chess Stars 2004, S. 242)

Allerdings trat Bogoljubow 1938 in die NSDAP ein, seinem Biographen Sergei Soloviov zufolge, weil seine beiden Töchter andernfalls nicht hätten studieren können. (Vgl. Soloviov, Bogoljubow: The Fate of a Chess Player, S. 207). Und 1935, ein Jahr nach Bogoljubows zweitem WM-Kampf gegen Aljechin 1934, veröffentlichte Bogoljubow ein Buch über diesen Wettkampf und im Vorwort dankt er Nazi-Größen wie Hans Schemm und Dr. Hans Frank im typischen Tonfall der Zeit:

Es muß dabei erwähnt werden, daß die ... Schwierigkeiten, ... die der Organisation und selbst der Durchführung des Wettkampfes sich in den Weg stellten, nicht hätten überwunden werden können, wenn nicht der Gauleiter der Ostmark, Staatsminister und Bayerische Kultusminister Hans Schemm sowie der Reichsjustizkommissar, Staatsminister Dr. Hans Frank, beide begeisterte Anhänger des königlichen Spiels, ihre maßgebliche Unterstützung und Hilfe bei der Organisation in Bayern und Berlin zugesagt hätten. ... Das Jahr 1934 ist in diesem Zusammenhang noch besonders bemerkenswert, da die Herren Ministerialrat H. Kraft und Kultusminister H. Schemm dem Schach Eingang in die Schulen Badens und Bayerns verschafft haben. Durch diese Großtaten werden ihre Namen unlöslich mit dem Aufstieg des deutschen Schachs verknüpft bleiben, denn die Jugend wird dem deutschen Wehrspiel bestimmt treue Gefolgschaft leisten.

Möge unser königliches Spiel mehr und mehr dazu beitragen, die sozialen Unterschiede zu überbrücken und dadurch der deutschen Volksgemeinschaft zu dienen. Nie werden im Dienste oder bei der Arbeit Standesunterschiede so beiseite gestellt werden können, wie es bei dem Spiel geschieht, das sich Schach nennt!“

(Efim Bogoljubow, Schachkampf um die Weltmeisterschaft, Karlsruhe 1935, S. 5, zitiert in Edward Winter, chesshistory.com, Chess Note 4820.)

Hans Frank, der mit Weltklassespielern wie Aljechin und Bogoljubow auch gerne privat verkehrte und mit ihnen Beratungspartien spielte, wurde während des Zweiten Weltkriegs Generalgouverneur in Polen. Er lud Bogoljubow ein, nach Krakau zu ziehen, um dort Schach zu spielen und als Übersetzer zu arbeiten. Nach dem Krieg wurde Frank bei den Kriegsverbrecherprozessen in Nürnberg am 1. Oktober 1946 wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Tode verurteilt und am 16. Oktober 1946 hingerichtet.

Deutsche Schachzeitung, November 1941, S. 162, Quelle: Edward Winter, "Hans Frank and Chess", chesshistory.com

Über Franks Zeit als Generalgouverneur erfährt man in der Wikipedia unter anderem Folgendes:

Als Oberverwaltungschef und Generalgouverneur war Frank mitverantwortlich für die Ermordung Hunderttausender Polen, für die Beschlagnahmung ihres Eigentums und die Deportation etwa einer Million polnischer Zwangsarbeiter in deutsche Fabriken sowie für die Einweisung der polnischen Juden in Ghettos. In einer Rede vor Mitarbeitern vom 25. November 1939 bezeichnete er es offen als eine „Freude, endlich einmal die jüdische Rasse körperlich angehen zu können. Je mehr sterben, desto besser.“ Zur Versorgung der polnischen Bevölkerung im Kriegswinter bemerkte er lakonisch: „Der Winter wird hier ein harter Winter werden. Wenn es kein Brot gibt für Polen, soll man nicht mit Klagen kommen.“ Mittels der von Frank erlassenen Durchführungsverordnungen wurde innerhalb von sechs Monaten der gesamte staatliche, private und kirchliche Kunstbesitz in Polen konfisziert. Polnische Juristen, Ärzte, Priester, Lehrer, Künstler und Wissenschaftler wurden als sogenannte „Geiseln“ erschossen, jüdische Schauspieler, Schriftsteller, Journalisten und Maler wurden in Ghettos verschleppt. Im Sommer 1940 wurden im Zuge der „AB-Aktion“ (Außerordentliche Befriedungsaktion) über 7000 mögliche politische Gegner und Widerstandskämpfer sowie verurteilte Kriminelle und inhaftierte Polen, aber auch Intellektuelle liquidiert. (Wikipedia-Eintrag über Hans Frank, abgerufen am 14. April 2019)

Nach vor Kriegsende war Bogoljubow nach Deutschland zurückgekehrt und nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft durfte er auch wieder an Deutschen Meisterschaften teilnehmen – 1949 holte er in Bad Pyrmont seinen vierten Titel. Aber die Nähe zu den Nationalsozialisten hatte seinen Ruf beschädigt. So verlieh die FIDE 1950 einer Reihe von Spielern den Großmeistertitel, doch Bogoljubow wurde dabei übergangen, da man ihn als politisch kompromittiert ansah. Allerdings erhielt er den Großmeistertitel ein Jahr später, 1951. Doch genießen konnte er diese Ehrung nur kurz, denn ein weiteres Jahr später, am 18. Juni 1952, starb Bogoljubow in Triberg, wo er auch begraben ist.

In einem Video der Wochenschau "Welt im Film", des Bundesarchivs sieht man Bogoljubow beim Turnier in Bad Pyrmont 1951. Der Bericht über dieses Schachturnier beginnt nach ca. sieben Minuten. Zu sehen sind außerdem Wolfgang Unzicker und Svetozar Gligoric.

Screenshot aus Welt im Film, 25. Mai 1951

"Zeitgenossen", so André Schulz, "beschreiben Bogoljubow als jovialen und freundlichen Charakter von etwas grobschlächtigem Humor." (André Schulz, Das große Buch der Schachweltmeisterschaften, S. 96). Oft erwähnt wird auch Bogoljubows Optimismus. So lautet das bekannteste und selbstbewusste Bogoljubow-Zitat dann auch: "Wenn ich Weiß habe, gewinne ich, weil ich Weiß habe, wenn ich Schwarz habe, gewinne ich, weil ich Bogoljubow bin."

Doch Bogoljubow stand trotz seiner zahlreichen Erfolge im Laufe seiner Karriere stets im Schatten von Aljechin, Capablanca und Lasker, was man auch daran sieht, dass Garry Kasparov im ersten Band seiner Great Predecessors Serie, in dem er sich mit Steinitz, Lasker, Capablanca und Aljechin beschäftigt, zehn Partien von Bogoljubow vorstellt, allerdings ausschließlich Verlustpartien. In Band 2 der Serie folgt dann im Beitrag über Max Euwe noch eine weitere Bogoljubow-Partie, aber auch hier zieht Bogoljubow den Kürzeren.

In der folgenden Partie gewinnt jedoch Bogoljubow – weil er optimistisch spielt und Bogoljubow ist.

 

Johannes Fischer, Jahrgang 1963, ist FIDE-Meister und hat in Frankfurt am Main Literaturwissenschaft studiert. Er lebt und arbeitet in Nürnberg als Übersetzer, Redakteur und Autor. Er schreibt regelmäßig für KARL und veröffentlicht auf seinem eigenen Blog Schöner Schein "Notizen über Film, Literatur und Schach".

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