Ein aufstrebendes Talent: Ein Interview mit Alice Lee

Die 2009 in den USA geborene Fide-Meisterin Alice Lee hat mit ihren beeindruckenden schachlichen Leistungen bereits große Aufmerksamkeit erregt. Nachdem sie die schwierige Zeit der Pandemie gestärkt überstanden hatte, glänzte sie beim American Women's Cup 2022 und 2023, wo sie gegen die Turnierfavoritin GM Irina Krush gewann. Lee hat ihr Können auch im Online-Schach unter Beweis gestellt und konnte Spieler wie Matthias Blübaum und Bogdan-Daniel Deac in der jüngsten Pro Chess League 2023 besiegen.

Lee ist dreimalige Jugendweltmeisterin, gehört in ihrer Altersgruppe zu den Besten der Welt und wird rasch immer besser. Aber sie geht auch gerne zur Schule und fühlt sich in ihrer Familie wohl, die sie unterstützt.

Gibt es Spieler und Spielerinnen, zu denen Sie aufschauen oder die Sie inspirieren?

Ich schaue zu vielen Spielern und Spielerinnen auf, aber mein größtes Vorbild ist definitiv Judit Polgar. Ich bewundere, wie sie spielt. Doch sie spielt nicht nur phantastisch, sondern hat auch sonst sehr viel erreicht.

Wie werden Ihre Schacherfolge in der Schule und im Alltag aufgenommen?

Ja, in der Schule versuche ich normalerweise, nicht aufzufallen, also wissen viele Leute nicht wirklich, was ich mache. Einige Leute wissen, dass ich Schach spiele - vor allem ein paar aus der Schach-AG - und das ist cool! Aber die meisten wissen es nicht. Was meinen Alltag betrifft, so weiß ich, dass meine Eltern sehr zufrieden mit meinen bisherigen Fortschritten sind, aber ich habe noch einen langen Weg vor mir und werde mich hoffentlich weiter verbessern.

2022: Lee genießt zwischen den Runden ein Eis mit ihrem älteren Bruder.| Foto: mit freundlicher Genehmigung von Alice Lee.

Wollen Sie eines Tages Profi werden und mit Schach Ihren Lebensunterhalt verdienen?

Es ist auf jeden Fall eine Option, die ich in Betracht gezogen habe, aber ich habe mich noch nicht entschieden, zumal ich nicht sicher bin, wie weit ich kommen werde. Ich denke, dass die nächsten Jahre für meine Entscheidung ausschlaggebend sein werden, denn dann kann ich besser sehen, wie gut ich bin und ob ich Schach zu meinem Beruf machen möchte oder es nur nebenbei betreibe.

Mit wem trainieren Sie und wie lernen Sie am liebsten Schach?

Hmmm (lacht). Ich kann nicht wirklich sagen, wer meine Trainer sind, aber ich trainiere regelmäßig mit ihnen, und sie haben mir in den letzten Jahren sehr geholfen, mich zu verbessern, und ich weiß ihre Hilfe wirklich zu schätzen. Ich habe auch mit der Kasparov Chess Foundation trainiert. Zurzeit nehme ich an einem Training im Rahmen ihres Young-Stars-Programms teil und freue mich sehr darauf!

Was waren bislang die größten Hindernisse, die Sie in Ihrer bisherigen Schachkarriere überwinden mussten?

Nun, die Zeit der Pandemie war definitiv schwierig für mich, vor allem, weil ich eineinhalb Jahre eingesperrt war und kein Schach am Brett spielen konnte... Es ist ziemlich schwer, motiviert zu bleiben, wenn man nur virtuelle Turniere spielen. Aber ich bin sehr froh, dass ich danach wieder zum Spiel am Brett zurückkehren konnte, und dass ich mich weiter verbessert hab.

Was waren Ihre denkwürdigsten Turniere und Partien?

Ich glaube, mein denkwürdigstes Turnier war wohl der American Cup. Genauer gesagt, der American Cup 2022, der im April letzten Jahres stattfand. Es war das erste Turnier auf Top-Niveau, an dem ich teilgenommen habe. Das war eine wirklich gute Erfahrung, weil ich zum ersten Mal in diesem Turnier gespielt habe. Ich war sehr froh, dass ich mich dafür qualifizieren konnte, vor allem, weil ich gegen viele meiner Idole spielen musste, und das war super cool.

Ein klarer Sieg für FM Alice Lee gegen IM Stavroula Tsolakidou beim American Cup 2022.

Wie fühlen Sie sich, wenn andere Sie kritisieren, Ihre Schachkenntnisse kommentieren oder darüber diskutieren, ob Sie jemals ein GM werden?

Ich versuche, nicht zu lesen, was die Leute über mich sagen, um mich nicht unter Druck zu setzen, etwas zu erreichen, von dem jemand sagt, ich sollte es tun oder nicht tun. Andererseits freue ich mich über positive Kommentare. Ja, ich vermeide es normalerweise, Kommentare zu lesen, aber ich schätze die Unterstützung, die mir viele gegeben haben.

Wann (oder in welchem Turnier) rechnen Sie damit, Ihre letzte IM-Norm zu machen und die neun Elo-Punkte zu bekommen, die Ihnen noch fehlen, um Internationaler Meister zu werden? (Zum Zeitpunkt des Interviews hatte Lee eine Elo-Zahl von 2391).

Im letzten Turnier, das ich letzten Monat gespielt habe und das noch nicht gewertet wurde, habe ich ein Live-Rating von 2400 erreicht. Von Ende Mai bis zum Sommer spiele ich ein paar Turniere, und ich hoffe, dass ich bei einem dieser Turniere meine letzte Norm mache.

Gibt es etwas, das Sie eines Tages im Schach erreichen möchten?

Ich würde definitiv sagen, dass ich GM werden möchte, vor allem, weil ich denke, dass ich dieses Ziel erreichen kann, wenn ich mich weiter verbessere. Aber der GM-Titel ist ein wirklich großes Ziel, das ich vielleicht erst in drei Jahren erreichen kann, also versuche ich mich im Moment auf kleinere Ziele zu konzentrieren und mein Schach zu verbessern. Im Moment hoffe ich, den IM-Titel zu bekommen, der in Reichweite ist und mich nicht so sehr unter Druck setzt, aber ich habe noch andere Ziele, die ich erreichen möchte.

Nach der zweiten GM-Norm lächelt Alice Lee stolz. | Foto: Mit freundlicher Genehmigung von Alice Lee.