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Ultimately chess is just chess - not
the best |
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thing in the world and not the
worst thing in
the world, but there is nothing quite like it.
W.C. Fields
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Ein großer Moment im
Schach (Teil 1)
Von Professor Dr. Christian Hesse
Nachmittags, sieben Minuten nach fünf, 17.
Juli 1972. Der Ort ist ein kleiner Raum hinter der Bühne im Laugardsholl in
Reykjavik auf der Insel Island, dem Spielort des Weltmeisterschaftskampfes
Fischer gegen Spassky. Es ist Partie drei ihres Titanenkampfes, den manche
den Wettkampf des Jahrhunderts genannt haben. Aber ich glaube, er war mehr
als das, mehr als der Wettkampf des Jahrhunderts: Es war der Wettkampf aller
Zeiten.
In dem geschilderten Moment hatte Fischer,
der mit Schwarz spielte, gerade seinen ersten Zug ausgeführt. Den donnernden
Applaus der mehr als 1.000 Zuschauer im Hauptsaal des Gebäudes konnte er
nicht hören. Das Match war gerettet worden. Warum das? Und warum wurde die
dritte Partie in dem kleinen Raum, abseits der Zuschauer, gespielt? Und
warum waren die Ereignisse, die dem unmittelbar vorausgingen, entscheidend
für den Ausgang des Wettkampfs? Werfen wir einen kurzen Blick auf das, was
zuvor geschehen war.
Während des Qualifikationszyklus hatte
Fischer die Großmeister Mark Taimanov, Bent Larsen and Tigran Petrosian in
den Kandidatenwettkämpfen besiegt. Die ersten beiden wurden mit 6:0
demoliert und Ex-Weltmeister Petrosian, von dem einmal gesagt wurde, er
würde zwei Mal hintereinander nur alle Tausend Jahre verlieren, wurde von
Fischer mit vier Siegen in Folge auseinander genommen. Die Größe von
Fischers Leistung wurde nicht nur von der Schachwelt, sondern von der Welt
im Allgemeinen, ehrfürchtig aufgenommen. Zudem war es das erste Mal, dass
ein Spieler aus dem Westen im Alleingang die Phalanx der sowjetischen
Supergroßmeister durchbrochen hatte, die den höchsten Schachtitel und alles,
was ihm nahe kam, seit dem Zweiten Weltkrieg fest in ihrer Hand gehalten
hatten. Nach seinem Sieg gegen Petrosian war Fischer nur noch einen Schritt
von der Weltmeisterschaft entfernt.
Das Fischer-Spassky-Match begann Samstag,
den 1. Juli, mit einer opulenten Eröffnungsfeier im Nationaltheater in
Reykjavik, bei der die Präsidenten Islands und der FIDE ebenso anwesend
waren wie die Botschafter und andere Würdenträger. Ein Platz blieb jedoch
frei, der Platz neben Spassky: Fischers Platz.
Fischer befand sich zu diesem Zeitpunkt
immer noch in Douglaston, New York, im Haus seines langjährigen Freundes, IM
Anthony Saidy, weil einige seiner Bedingungen für das Match nicht erfüllt
worden waren. Etwa zur gleichen Zeit verlangte die sowjetische Delegation,
die erste Partie als kampflosen Verlust für Fischer zu werten, da er nicht
erschienen war. Max Euwe, FIDE-Präsident und Ex-Weltmeister verlegte den
Beginn der ersten Partie unter Bruch der Regeln um zwei Tage und räumte
Fischer eine letzte Frist ein, bis zu der er erscheinen musste: 4. Juli, 12
Uhr Mittags, Reykjavik-Zeit.
Schach sorgte in der ganzen Welt für
Schlagzeilen. Die Ereignisse rund um die Begegnung zwischen Fischer-Spassky
beherrschten die Weltpresse und verdrängten in Amerika bedeutende politische
Themen wie den Vietnam-Krieg und die Nominierungen zur Präsidentenwahl auf
Seite zwei. Es schien jedoch keine Hoffnung zu bestehen, dass Fischer kommen
und spielen würde. Dann, am frühen Nachmittag des 3. Juli, arrangierte
US-Staatssekretär Henry Kissinger einen Telefonanruf bei Fischer. “Hier
spricht einer der zwei schlechtesten Schachspieler der Welt mit dem besten.
(…) Amerika will, dass du darüber fliegst und die Russen schlägst”, schrieb
Gudmundur Thorarinson, Präsident des Isländischen Schachverbands, später
über dieses Telephongespräch. ”Fischers Anwälte haben mir erzählt, dass sie
dabei waren. (…) Es war unmöglich, ihn nach Island zu kriegen .(…) Er war
fest entschlossen (…), aber als Kissinger mit ihm sprach und ihm sagte, dass
er gegen die Russen kämpfen müsste, sagten sie, änderte sich sein
Gesichtsausdruck. (…) Er war wie ein junger Mann, der wie ein Soldat in den
Kampf zog, und er erklärte: ”Ich werde gegen die Russen kämpfen.””
Später am gleichen Tag wurde Fischer zum
John F. Kennedy Flughafen gefahren. Dort wurde heimlich zu einem kleinen Bus
von Loftleidir Icelandic Airlines gebracht und an Bord von Flug 202A,
Richtung Reykjavik, geschmuggelt. Das Flugzeug startete vom JFK 22:04
nachts, mit etwa drei Stunden Verspätung. Fischer hatte die Welt so lange
aufgehalten und alle anderen Passagiere warten lassen, wobei manche sogar im
letzten Moment aus dem Flugzeug genommen wurden, um Platz für Fischers
Begleiter zu schaffen. Der Geheimhaltung zum Trotz wusste das
Außenministerium in Moskau davon und informierte die russische Delegation in
Reykjavik, dass der amerikanische Herausforderer unterwegs war. Fischer kam
in den frühen Morgenstunden des 4. Juli auf Islands Flughafen Keflavik an,
etwa zehn Stunden bevor die Frist, die Euwe gesetzt hatte, um gegen Spassky
anzutreten, ablief.
(wird fortgesetzt)
Lösung der Aufgabe in der Kolumne vom
letzten Monat Humor im Schach
Lowcki-Tartakower
Jurata, 1937
Stellung nach dem 33. Zug von Weiß
Während er analysierte,
um die richtige Fortsetzung zu finden, entdeckte Tartakower den einzigen
Gewinnweg. Wie lautet er?
Lösung: 33…Dc5+ 34. Kh1 Dc4 35. Kg1 Dd4+ 36. Kh1 De4 37. Dc1 Dd3 38. Kg1
Dd4+ 39. Kh1 Dd2 0:1
Über den Autor
Christian Hesse hat
an der Harvard University promoviert und war bis 1991 Fakultätsmitglied der
University of California in Berkeley. Seitdem ist er Professor für
Mathematik an der Universität Stuttgart. Nachfolgend war er Gastprofessor
und Gastdozent an Universitäten in der ganzen Welt, von der Australian
National University in Canberra bis zur Universität in
Concepcion-Universität in Chile. Vor kurzem veröffentlichte er das Buch
“Expeditionen in die Schachwelt” ISBN 3-935748-14-0), eine Sammlung von
ungefähr 100 Essays, die der Wiener Standard eines “eines der geistreichsten
und lesenswertesten Bücher, die je über das Schachspiel verfasst wurden”
nannte.
Christian Hesse ist verheiratet, hat eine sechs Jahre alte Tochter sowie
einen zwei Jahre alten Sohn und lebt in Mannheim.
Ihm gefällt Voltaires Antwort, als sich jemand einmal bei ihm beklagte: ”Das
Leben ist hart.” - “Verglichen womit?”