Ein Jahrhundert Artur Brauner

von Dagobert Kohlmeyer
01.08.2018 – Artur "Atze" Brauners Firma CCC-Filmkunst war und ist eine der größten Filmproduktionsfirmen in Deutschland. Ihr Gründer Artur Brauner arbeitet dort noch lange mit Heute feiert der bekennende Schachfan, der seinerzeit mit Curd Jürgens um eine Filmrolle Schach spielte, seinen 100. Geburtstag.

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Schachfreund Artur Brauner zum 100. Geburtstag

Der Mann ist ein Phänomen. Berlins prominentester Filmemacher Artur „Atze“ Brauner wird heute 100 Jahre. Noch immer geht der passionierte Schachfreund jeden Tag in sein Büro, auch wenn er inzwischen die Geschäfte an seine Tochter Alice übergeben hat. Deutschlandweit bekannt wurde Brauners Schachleidenschaft durch sein Engagement als Botschafter der Olympiade 2008 in Dresden.

Schachbotschafter bei der Schacholympiade Dresden, Vaile und Artur Brauner
 
Brauner, der die deutsche Filmgeschichte wie kaum ein anderer prägte, ist das Urbild seiner Branche: weltmännisch, witzig und jede Chance witternd. Geboren 1918 in Lodz, einer industriell aufstrebenden Stadt, die ein Ort gemischter Völker war. Der Vater lieferte einem deutschen Fabrikanten das Holz für Tennisschläger und Skier. Bis die Deutschen plötzlich Uniformen trugen. Brauner: „Wir wussten, dass wir als Juden verfolgt, geschlagen, ausgestoßen würden. All das wussten wir. Aber nicht, dass wir industriell vernichtet würden. Wir sahen viel Not vor Augen, aber nicht den Tod.“ Nach Brauners Angaben fielen 49 seiner Verwandten dem Holocaust zum Opfer. Er selbst konnte entkommen und floh in die Sowjetunion.
 
Nach dem Krieg gründete Artur Brauner in West-Berlin seine Film-Produktionsfirma CCC. In dieser Traumfabrik des Wirtschaftswunders wurden Agfacolor-Schlagerfilme mit Caterina Valente und Peter Alexander gedreht, entstanden Melodramen mit Maria Schell, Curd Jürgens, wurde großes Gefühlskino mit O.W. Fischer oder Sonja Ziemann verwirklicht. Gleichzeitig knüpfte der Ort aber auch an eine glorreiche deutsche Kinogeschichte an. Brauner holte in den 1950er Jahren Hollywood-Emigranten, die vor Hitler flohen, zurück nach Berlin. Fritz Lang drehte hier „Der Tiger von Eschnapur“ und „Das indische Grabmal“. In Berlin-Spandau entstanden zahlreiche Karl-May-Verfilmungen Brauners sowie die sechs „Dr. Mabuse“-Krimis der CCC.

 
Über 300 Produktionen machten Atze Brauner reich. Die zahlreichen Kinohits ermöglichten auch die Finanzierung von Filmen, die die NS-Vergangenheit in Erinnerung riefen. 1990 sorgte Brauners Film „Hitlerjunge Salomon“ für Schlagzeilen: Die authentische Geschichte eines Juden, der den Holocaust überlebte, weil er sich als Nazi ausgab, war vor allem in den USA erfolgreich, wurde als Kandidat für den Oscar gehandelt. Die deutsche Auswahlkommission weigerte sich aber, den Film als Kandidaten einzureichen. Der Film ist heute bei Arte zu sehen.

Noch heute sind die CCC-Studios in Betrieb und werden von Artur Brauners Tochter Alice geleitet. Wo heute vor allem TV-Serien entstehen, hat Artur Brauner immer noch ein Büro. Seine Ehefrau Maria, mit der er 70 Jahre lang verheiratet war, starb im August 2017 im Alter von 92 Jahren. Sie war für ihr soziales Engagement bekannt.

Nach diesem Rückblick auf Brauners lange Lebensgeschichte nun etwas über seine Beziehung zum Schach. Ich lernte den Filmmogul 2006 bei einer Simultanveranstaltung von Viktor Kortschnoi in Fredersdorf am Berliner Stadtrand kennen. Brauner war prominentester Mitspieler. Der damals 88-Jährige durfte an diesem Abend als einziger mit Weiß spielen.

Artur Brauner, Viktor Kortschnoj

Er baute sich vorsichtig auf und wartete stets geduldig, bis Kortschnoi seine Runde gedreht hatte. Andere Simultanspieler wie der Politiker Dietmar Bartsch (Die Linke) strichen schon früh die Segel, da war Brauner noch im tiefen Mittelspiel. Er steckte seine Nase in die Figuren, die großen Augen huschten über das Brett. Aber sie erfassten nicht jeden Winkel. Kortschnoi brach am Damenflügel durch, eroberte am Ende einen Turm und drohte Matt. Brauner musste nach vier Stunden aufgeben. Er gratulierte dem Seniorenweltmeister in Russisch und lud Kortschnoi zur Revanchepartie nach Berlin ein.

Kortschnoj und Brauner

„Ich spielte mit Curd Jürgens Schach“

Obwohl in jener Woche die Berliner Filmfestspiele begannen und Brauner also wenig Zeit hatte, gab er hinterher gern Auskunft über seine Beziehung zum königlichen Spiel.

Herr Brauner, was bedeutet Ihnen Schach?

Es ist ein hochinteressantes Spiel mit großer Vielfalt, das niemals langweilig wird. Für mich ist es das intelligenteste Spiel auf der Welt.

Seit wann spielen Sie Schach?

Mit ungefähr vier Jahren habe ich damit begonnen. Mein Vater brachte es mir bei. Schon mit fünf Jahren habe ich an 22 Tischen simultan gespielt. Das war im Grand Hotel meiner Heimatstadt Lodz. 18 Partien habe ich gewonnen, zwei wurden remis und nur zwei verlor ich.

Schach fördert definitiv Gedächtnisleistungen. Wie ist es bei Ihnen?

Ich glaube, das stimmt. Zum Beispiel kann ich sehr schnell rechnen. In meiner Glanzzeit schaffte ich es, mir 700 verschiedene Telefonnummern zu merken!

Hat Ihnen das Spiel im Krieg geholfen, die schwere Zeit zu überstehen?

Mir ist bekannt, dass Menschen in Konzentrationslagern aus Brot Figuren geformt und damit gespielt haben oder auch im Gefängnis. Ich selbst habe im Krieg kein Schach gespielt.

Stefan Zweigs Schachnovelle ist grandios verfilmt worden, mit Curd Jürgens in der Hauptrolle. Gibt es in einem Ihrer Filme eine berühmte Schachszene?

Nicht im Film, aber mit Curd Jürgens habe ich selbst einmal Schach gespielt. Die Sache hat mich allerdings sehr viel Geld gekostet.

Wieso das?

Jürgens sollte „Peer Gynt“ spielen und hatte keine rechte Lust dazu. Ich sagte zu ihm: „Lass uns eine Partie Schach spielen. Wenn ich gewinne, dann musst du die Rolle annehmen“. Als Anzahlung bekam er 50 000 DM. Das war damals, Ende der 1950er, Anfang der 960er Jahre eine Menge Geld.

Wie ging das Spiel aus?

Ich habe die Partie gewonnen, und er sagte zu, den jungen Peer Gynt zu spielen. Vorher musste er aber noch einen anderen Film drehen. Erst nach einem knappen Jahr kam er zurück und sah, seinem Lebenswandel entsprechend, schrecklich aus. Er hatte dicke Tränensäcke unter den Augen. Den jugendlichen Peer Gynt konnte er nicht mehr geben.

Was passierte dann?

Nichts. Er fragte mich: Willst du noch, dass ich ihn spiele? Lass mich doch den alten Gynt spielen! Das könnte ich mit meinem Gesicht sogar sehr gut. Ich musste ihm Recht geben und habe das Geld aber nie mehr wieder gesehen. Das ganze Projekt fiel ins Wasser, und ich war um 50 000 Mark ärmer.

Könnten Sie sich vorstellen, das Leben von Viktor Kortschnoi zu verfilmen?

Das wäre vielleicht interessant. Ich kenne Herrn Kortschnois Biographie nicht so genau, aber weiß natürlich, dass er in den 70er Jahren nach einem Turnier im Westen geblieben ist und nicht mehr in die Sowjetunion zurückkehrte.

Hilft Ihnen Schach im Geschäftsleben?

Weniger, wie die Episode mit Curd Jürgens zeigt. Ich betrachte es nur als Hobby. Eigentlich spiele ich nur ein- bis zweimal im Jahr. Mehr Zeit habe ich nicht. Aber zwischen Weihnachten und Neujahr gönne ich mir ein paar freie Tage. Ich habe zwei menschliche Gegner, mit einem Computer spiele ich nicht.

Schach erhält jung und den Kopf frisch. Es gibt keinen Großmeister, der Alzheimer hat…

Das glaube ich Ihnen. Wenn man den Kopf immer gebraucht, werden die Gehirnzellen viel mehr aktiviert. Sie bleiben aber nur frisch, wenn man permanent arbeitet und nicht aufgibt. Deshalb bemitleide ich diejenigen, die so früh in Pension gehen und nicht mehr aktiv sind.

Arbeiten Sie heute immer noch 12 Stunden am Tag?

Mehr! Ich arbeite 16 Stunden, und zwar jeden Tag, also sieben Mal in der Woche. Fragen Sie meine Sekretärinnen. Ich mache auch keinen Urlaub.

Warum das denn?

Weil ich Angst habe, wenn ich zurückkomme, erwartet mich ein solcher Stoß auf dem Schreibtisch, dass ich einen Nervenzusammenbruch bekomme. Deshalb fahre ich nicht weg. Ich möchte dieses Workoholic-Leben weiter führen und bin damit zufrieden.

Was ist Ihre Lebensmaxime?

Immer tätig sein, immer weitergehen. Wenn der liebe Gott es erlaubt, würde ich gern mit 100 Jahren noch arbeiten. Mein Motto lautet: „Man soll mit dem Anfangen nicht aufhören und mit dem Aufhören nicht anfangen“.

P.S. Wie seine Lebensgeschichte zeigt, hat der Mann recht behalten. Happy birthday, Herr Brauner! Und nehmen Sie sich jetzt mehr Zeit zum Schachspielen!

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Dagobert Kohlmeyer gehört zu den bekanntesten deutschen Schachreportern. Über 35 Jahre berichtet der Berliner bereits in Wort und Bild von Schacholympiaden, Weltmeisterschaften und hochkarätigen Turnieren.

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