"Schach ist sexy!" Zumindest in dem Roman Check & Mate: Zug um Zug zur Liebe der amerikanischen Erfolgsautorin Ali Hazelwood. Ganz besonders sexy ist dort der Schachweltmeister, Nolan Sawyer - 20 Jahre alt, gutaussehend, intelligent, schlagfertig, mit hintergründigem Humor, erfolgreich, cool. Ein Traumprinz. Das findet auch die 18-jährige Mallory Greenleaf, Ich-Erzählerin und Hauptfigur des Romans. Allerdings will sie sich nicht eingestehen, wie attraktiv sie den Schachweltmeister wirklich findet, denn trotz überragender Intelligenz ist Mallory für einige Dinge in ihrem Leben blind. Früher war sie eine erfolgreiche Schachspielerin, aber nach dem Tod ihres Vaters, der ebenfalls ein starker Schachspieler war, hat sie das Spiel aufgegeben. Doch eines Tages lässt sich Mallory durch ihre beste Freundin Easton widerwillig dazu überreden, an einem Wohltätigkeitsturnier mitzumachen, an dem, da es einer guten Sache dient, auch einige der besten Spieler der Welt teilnehmen, unter anderem der amtierende Weltmeister Nolan Sawyer.
Check & Mate ist eine moderne Version des Märchens von Aschenputtel und so geschehen bei diesem Turnier märchenhafte Dinge: Mallory, die vier Jahre nicht gespielt und nicht trainiert hat, besiegt den Weltmeister! Wenig später steht die Leiterin des New Yorker Schachvereins "Zugzwang" vor ihrer Tür und bietet der plötzlich aufgetauchten Nachwuchshoffnung ein Stipendium an, das Mallory die Möglichkeit geben würde, ein Jahr lang nichts anderes zu tun, als Schach zu trainieren und Turniere zu spielen.
Doch Mallory ist bockig – sie lehnt dieses Stipendienangebot ab, genau wie sie schon drei Stipendienangebote von Universitäten abgelehnt hat, da sie glaubt, sie müsste sich um ihre beiden kleineren Schwestern und ihre kranke Mutter kümmern und als Automechanikerin Geld in einer Autowerkstatt verdienen. Aber als sie dort herausgeworfen wird, weil sie sich weigert, eine Kundin zu betrügen, nimmt sie das Schachstipendium widerwillig an. Und macht in kurzer Zeit steile Karriere.
Obwohl sie national nur wenige und international gar keine Erfolge vorzuweisen hat, darf sie dennoch bald an einem Turnier teilnehmen, in dem der Herausforderer – oder eben die Herausforderin – des Weltmeisters ermittelt wird. Im Finale dieses K.o.-Wettbewerbs unterliegt Mallory dann allerdings einem Spieler namens Koch, einem sexistischen Widerling, der nach seinem Sieg gegen Mallory gegen Sawyer um den WM-Titel spielen darf. Mallory wird dafür Teil des Teams, das Sawyer auf den Wettkampf gegen Koch vorbereitet und im Laufe dieser intensiven Zusammenarbeit erkennt sie, was Leser und Leserin des Buches von Anfang an geahnt haben: Sie liebt Sawyer, er liebt sie und die beiden werden ein Paar. Doch bevor sie glücklich und zufrieden bis ans Ende ihrer Tage zusammenleben und Schach spielen können, muss Mallory noch ein paar Aufgaben bewältigen.
So steht sie bald vor einer Herausforderung, die es in der Geschichte des Schachs noch nie gegeben hat: Denn nachdem der Widerling Koch des Cheatings überführt wurde, wird Mallory zur neuen Herausforderin von Sawyer und muss gegen ihren Freund und Geliebten um die Weltmeisterschaft spielen. Außerdem erfährt sie, dass es Sawyer war, der ihr nach seiner Verlustpartie gegen Mallory beim Wohltätigkeitsturnier das Schachstipendium finanziert hat.
Mallory fühlt sich durch diese großzügige Geste hintergangen – sie bricht den Kontakt zu Sawyer ab und zieht sich wieder in den Schmollwinkel zurück. Aber in dieser Krise kommen Mallory in Form ihrer Schwestern, ihrer Mutter, ihrer Freundin, ihrer Trainerin und ihres Trainingspartner gute Feen zu Hilfe, mit deren Unterstützung sie innerlich reift: Sie überwindet das Trauma, das der Tod ihres Vaters ausgelöst hat, sie kann den zwanghaften Gedanken, sich um ihre Familie kümmern zu müssen, loslassen, und sie schafft es, zu sich selbst zu finden und das zu tun, was sie liebt: Schach spielen.
Ali Hazelwood, Check & Mate, Heyne 2023, 18,00 Euro
So weit, so romantisch, so unrealistisch. Allerdings wollte Hazelwood auch keinen realistischen Roman über die Schachwelt schreiben, sondern eine Geschichte über weibliche Selbstfindung und Selbstverwirklichung erzählen. So erklärt Hazelwood in einem kurzen Nachwort nicht ohne ironische Spitze:
"Um es ganz offen zu sagen: Wenn es um Schach geht, habe ich mir viele (SEHR VIELE) dichterische Freiheiten genommen, um die Geschichte voranzutreiben (Plot vor Realismus?), und wenn ihr das gemerkt habt ... dann tut es mir sehr, sehr leid. Ich hoffe, ihr habt Mallorys und Nolans Reise trotzdem genossen." (Meine Übersetzung)
In ihrem Nachwort verrät Hazelwood auch, wie sie auf die Idee zu dem Roman gekommen ist:
"2008 habe ich nach einer Idee für meine Bachelorarbeit gesucht und in einer meiner Vorlesungen hörte ich vom Konzept des ‚Stereotype Threat‘: Wenn Menschen in Situationen geraten, in denen ihre soziale Gruppe als minderwertig stereotypisiert wird, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass sie schlechte Leistungen erbringen. ... Diese Idee hat mich sofort fasziniert und ... [ich] stieß auf eine Studie, die das Konzept am Beispiel des Schachs veranschaulicht. … Die Idee, eine Geschichte zu schreiben, die in der Welt des Schachs spielt, ging mir dann jahrelang durch den Kopf - bis 2021." (Meine Übersetzung)
Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Frage, warum viel weniger Frauen als Männer Schach spielen und es außer Judit Polgar noch keine Frau unter die Top Ten der Welt geschafft hat, liefert Check & Mate allerdings nicht. Dafür ist Check & Mate ein mit leichter Hand geschriebener Roman, der sich in Sprache und Figurenzeichnung vor allem an ein junges Publikum richtet und in dem vor allem die Selbstironie der Ich-Erzählerin amüsiert. Bemerkenswert ist jedoch, dass Hazelwood das Schach gewählt hat, um ein modernes Märchen von der Selbstfindung einer jungen Frau zu erzählen.
Vielleicht hat sich Hazelwood durch den Erfolg der Netflix-Serie The Queens Gambit dazu inspirieren lassen, aber in jedem Fall zeigen sowohl die Serie als auch dieser Roman, dass sich das Image des Schachs in den letzten Jahren geändert hat und weiter ändert. Denn im Gegensatz zu vielen älteren Büchern und Filmen über Schach sind die Hauptpersonen in Check & Mate keine introvertierten Nerds, die am Rande des Wahnsinns balancieren und auch keine hochintelligenten Psychopathen, bei denen sich kriminelle Energie mit Schachbegabung mischt, sondern um begabte Jugendliche, die im Schach ihr Glück und durch Schach zueinander finden.
Über die Autorin
Ali Hazelwood | Foto: Offizielle Webseite der Autorin
Der Name "Ali Hazelwood" ist ein Pseudonym, aber im Autorinnenporträt auf der Webseite des Heyne-Verlags liest man mehr über die Frau, die sich dahinter verbirgt:
Ali Hazelwood ist die Autorin des internationalen Bestsellers "The Love Hypothesis" ("Die theoretische Unwahrscheinlichkeit von Liebe") und Verfasserin von Fachartikeln über Hirnforschung, die leider nicht immer ein Happy End vorweisen können. Ursprünglich stammt sie aus Italien und lebte in Deutschland und Japan, bevor sie in die USA zog, um in Neurowissenschaften zu promovieren. Seit Kurzem ist sie Professorin, was ihr eine Heidenangst einjagt. Wenn Ali nicht arbeitet, geht sie joggen, isst Cake Pops oder sieht sich Science-Fiction-Filme an.
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