Ein Streifzug durch die Welt des (Problem)-Schachs

von Johannes Fischer
26.11.2020 – Die Welt des Schachs ist bunt und in seinem Buch "Anything but Average: Chess Classics and Off-Beat Problems" lädt Werner Keym zu einem Spaziergang durch diese Welt ein. Keym präsentiert 375 Schachklassiker: berühmte Partien der Schachgeschichte, Studien und Schachprobleme aller Art. Das ist amüsant, überraschend und unterhaltsam.

ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024 ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024

ChessBase ist die persönliche Schach-Datenbank, die weltweit zum Standard geworden ist. Und zwar für alle, die Spaß am Schach haben und auch in Zukunft erfolgreich mitspielen wollen. Das gilt für den Weltmeister ebenso wie für den Vereinsspieler oder den Schachfreund von nebenan

Mehr...

Werner Keym: "Anything but Average: Chess Classics and Off-Beat Problems" - Rezension

Das Buch wendet sich, so Keym, "an Partiespieler und Problemfreunde", doch während sich die meisten Schachspieler für das praktische Schach und den Kampf um Punkte, Titel und Elo-Zahl interessieren, schlägt Keyms Herz für das Problemschach. Das zeigt sich schon in der Aufteilung des Buches.

Den Anfang machen zehn bekannte und knapp kommentierte Klassiker der Schachgeschichte, von Anderssen – Kieseritzky, London 1851, über Byrne – Fischer, New York 1956 und Kasparov – Topalov, Wijk aan Zee 2005, bis hin zu Carlsen – Karjakin, New York 2016, die Keym auf etwa zehn Seiten vorstellt. Danach folgen etwa 15 Seiten mit Studien, doch den Rest des Buches widmet Keym, der selber viele und unterschiedliche Schachprobleme komponiert hat, den vielfältigen Formen des Schachproblems – Matt in so-und-so-viel Zügen, Allumwandlungen, retrograde Probleme, Matt in einem halben Zug, Probleme, bei denen man eine Figur hinzufügen oder das Brett drehen muss oder auch Probleme, bei denen der vorherige Spielverlauf konstruiert werden soll und noch vieles mehr.

Ein Reiz der ungewöhnlichen, der off-beat, Probleme (die Nummern 176 bis 350 im Buch) besteht darin, dass Computer sie nicht lösen können. Ein Beispiel dafür liefert eine berühmte Textaufgabe von Karl Fabel aus dem Jahre 1937:

"Mit den Königen und den beiden weißen Türmen soll eine Stellung konstruiert werden, in der Weiß auf vier verschiedene Arten Matt setzen kann."

Lösung

 

Weiß kann mit 1.Kd2#, 1.Ke2#, 1.Kf2# und 1.0-0# Matt setzen.

Im Vorwort schreibt Keym, "As so often in art: the greater your knowledge the greater your pleasure", und das trifft sicher auch auf die Welt der Schachprobleme mit ihrer eigenwilligen Schönheit zu. Dennoch fallen Keyms Erklärungen zu den Besonderheiten von Problemen wie Hilfsmatt oder retrograder Analyse in der Regel recht knapp aus und so wird man mit diesem Buch wahrscheinlich wirklich mehr Vergnügen haben, wenn man sich in der Welt der Schachprobleme bereits auskennt.

Doch auch wer bislang wenig Sinn für Schachprobleme oder Studien hatte, kann mit Hilfe von Keym amüsante und interessante Stellungen aus dem Gebiet der Studien und Probleme entdecken. Zum Beispiel die folgende Studie, die mit einem Bauernendspiel beginnt und in ein reizvolles Damenendspiel mündet:

 

Lösung

1.b6+ Kb8 2.h4 a5 3.h5 a4 4.h6 a3 5.h7 a2 6.h8D a1D 7.Dg8 Da2 8.De8 Da4 9.De5+ Ka8 10.Dh8 und Weiß gewinnt.

Das folgende Beispiel stammt aus dem Buch 100 Classics of the Chessboard von A.S.M Dickins und H. Ebert und ist vielleicht ein guter Test, um herauszufinden, ob man Sinn für die Ästhetik des Problemschachs besitzt. Dickins und Ebert schreiben über diese Stellung:

"Geschmack ist bekanntlich verschieden und Humor zeigt sich ganz besonders in unterschiedlicher Ausprägung – aber jeder, der diese bemerkenswerte gefängnisartige schwarze Aufstellung und das unvergessliche Doppelopfer gesehen hat, muss ein Anflug von Heiterkeit verspürt haben, und angesichts der Lösung wird es ihm schwer gefallen sein, ein Lächeln zu unterdrücken."

 

Lösung

1.Dh3+ Ke2 2.Df1+ Kxf1 3.Lh3+ Ke2 4.Lf1+ Kxf1 5.Sf5 und Weiß setzt im nächsten Zug mit 6.Sg3# Matt.

Also: Wer hier nicht gelächelt und auch keinen Anflug von Heiterkeit verspürt hat, sollte, wenn man Dickins und Ebert glaubt, vielleicht doch besser beim Turnierschach bleiben.

Doch findet man dieses Beispiel amüsant, dann hat man vielleicht auch Sinn für den Humor der folgenden Aufgabe:

 

Lösung

1.Tb1 a4 2.Txb2 b4 3.Tc2 c4 4.Td2 d4 5.Te2 e4 6.Tf2 f4 7.Tg2 g4 8.Th2 h4 9.Txh4 a3 10.Th5 a2 11.Ta5#

Dieses Beispiel demonstriert, wie anfällig Bauern sein können, und hat damit vielleicht noch einen Bezug zum praktischen Schach, aber das folgende Beispiel ist reine Spielerei und zeigt, in welche Richtung die enorme Kreativität von Schachkomponisten gehen kann:

 

Lösung

Auf den ersten Blick scheint dieses Problem trivial zu sein. Weiß setzt mit 1.Ta4# prosaisch und trivial Matt. Aber die Pointe dieses Problems zeigt sich erst, wenn man genauer hinschaut und überlegt, wie diese Stellung überhaupt entstehen konnte. Irgendwann kommt man dabei zu der Erkenntnis, dass es keine legale Möglichkeit gibt, bei der Schwarz den letzten Zug gemacht hat. Aber wie ist das möglich, wenn laut Problemstellung Weiß am Zug ist?

Dafür gibt es nur eine Erklärung: das Diagramm zeigt eine Stellung, in der Weiß noch nicht vollständig lang rochiert hat: Er hat, so die Idee, seinen König erst von e1 nach c1 gestellt, der zweite Teil der Rochade, Ta1-d1, folgt danach. Doch wenn Weiß diesen Zug ausgeführt hat, dann wird er von Schwarz mit 1...Db2# einzügig Matt gesetzt.

Schachpraktiker, denen vor allem die sportlichen Aspekte des Schachs wichtig sind, mögen solche Beispiele belächeln, aber Keyms Leidenschaft für Schachprobleme wirkt ansteckend, und so besteht durchaus die Möglichkeit, dass sich auch Schachspieler, die Schachproblemen bislang skeptisch gegenüber gestanden haben, durch Keyms Ausflüge in die Welt des Problemschachs verzaubern lassen.

Was nicht zuletzt an der spürbaren Leidenschaft und dem Humor liegen könnte, mit der Keym seine Beispiele präsentiert. Beides zeigt sich auch in den gut ausgewählten Zitaten, mit denen Keym seinen Text garniert. Zum Beispiel mit dem hübschen Ausspruch von Ashleigh Brilliant "I have no solution, but I admire the problem", der auch das Motto dieses unterhaltsamen Streifzugs durch die Welt des Schachs sein könnte.

Werner Keym: Anything but Average – Chess Classics and Off-beat Problems. Kuhn/Murkisch Serie Nr. 47, Göttingen 2020, viii+190 Seiten. 375 Partien, Studien, Probleme von 240 Autoren. Englischer Text.

Links


Johannes Fischer, Jahrgang 1963, ist FIDE-Meister und hat in Frankfurt am Main Literaturwissenschaft studiert. Er lebt und arbeitet in Nürnberg als Übersetzer, Redakteur und Autor. Er schreibt regelmäßig für KARL und veröffentlicht auf seinem eigenen Blog Schöner Schein "Notizen über Film, Literatur und Schach".

Diskutieren

Regeln für Leserkommentare

 
 

Noch kein Benutzer? Registrieren