Analysen zum Magnus Carlsen Invitational und FIDE Nations Cup von Giri, Duda, Firouzja, Adhiban u.a. CBM-Special Boobby Fischer! 11 Artikel mit neuen Ideen für Ihr Repertoire. Videos von Werle, King und Marin. Training pur: Taktik, Strategie und Endspiel!
Obwohl wir Königsindisch in jüngster Zeit nicht auf dem Kandidaten- und schon gar nicht auf dem Weltmeisterschaftsmatch-Niveau gesehen haben, bleibt es unter Normalgroßmeistern wie auch auf der Durchschnittsebene nach vor quicklebendig. Daher ist es auch für Elitespieler eine Notwendigkeit, gegen diese dynamische Eröffnung eine Waffe zu haben. Ein solches System hat in den letzten paar Jahren vom 2700+-Club eine Menge Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Obwohl es seit den 1950ern sporadisch angewendet wurde, stieg der Beliebtheitsgrad erst in jüngerer Zeit. Zunächst gab es eine ganze Reihe Partien (vor allem im Schnellschach) von Anatoly Karpov, was Kotronias in Teil 4 seiner Königsindisch-Monographie (2016) veranlasste, die Sache nach dem 12. Weltmeister zu benennen. Später nahm sogar Herausforderer Fabiano Caruana es in sein Repertoire auf, somit verlangt die Sache auf jeden Fall nähere Betrachtung. Ich rede von dem Abspiel 1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 Lg7 4.e4 d6 5.h3 0-0 6.Le3, welches das Thema unserer Übersicht sein wird. Die Stellung nach dem 6. Zug von Weiß bildet unseren Ausgangspunkt.
Das scheinbar bescheidene 5.h3 von Weiß verwehrt den schwarzen Kräften den Zugang zum Feld g4, und mit 6.Sf3 könnte er das Makogonov-System wählen (E90), welches mehr mit dem Klassischen Königsindisch verbunden ist. Dies ist in der Vergangenheit bereits ziemlich ausgiebig gespielt worden und kann seit geraumer Zeit als eine Hauptvariante gewertet werden. Mikhail Krasenkow hat sein Lieblingsabspiel in CBM 132-34 in einer Artikelreihe behandelt, und vor etwa 12 Jahren schrieb mein Freund Jan Markos "Beat the KID", wobei eines der Themen dieses Buches Makogonov/Krasenkow war (wie die Zeit vergeht!). Unsere Variante ist ein bisschen anders und womöglich flexibler. Im Gegensatz zu Sämisch behält Weiß noch die Option, seinen Springer nach f3 zu entwickeln, um an irgendeiner Stelle vielleicht sogar zu einer vorteilhaften Version von Makogonov überzuleiten. Doch vor allem in den Abspielen mit 6...e5 7.d5 nimmt der Springer in den meisten Fällen die Sämisch-Route über e2. Alles in allem ein anspruchsvoller positioneller Aufbau, welchen den weiteren Vorteil hat, nach wie vor relativ frisch, unerforscht und noch nicht ausanalysiert zu sein. Wir werden nacheinander die Haupterwiderungen von Schwarz untersuchen aus dem Blickwinkel heraus, wie und wann er das weiße Bauernzentrum attackiert.
A) Ziemlich untypisch beginnen wir mit der statistisch häufigsten Reaktion, nämlich dem Königsindisch-Standardvorstoß 6...e5 7.d5.
Doch obwohl die Stellung komplex bleibt, indizieren die guten Resultate von Weiß, dass diese geradelinige Lösung vielleicht nicht ideal ist. Das direkte Anstreben des typischen f5-Vorstoßes mittels 7...Se8 8.g4 f5 9.gxf5 gxf5 10.exf5 Lxf5 11.Sge2 ist zweifelhaft. Auch 7...Sh5, eine der recht wirksamen Methoden, gegen Makogonov Gegenspiel zu erlangen, wird hier gut beantwortet, mit 8.g3 gefolgt von Le2 mit Angriff auf den Nh5. Daher verzögert Schwarz meist Königsflügelaktionen und setzt darauf, erstmal seine Kräfte zu entwickeln und womöglich Damenflügel- oder (und) Zentrumsgegenspiel einzuleiten.
A1) In der Praxis lautet die üblichste Fortsetzung 7...a5. Nach 8.g4 (Der weiße Hauptzug, aber Karpov hat auch 8.c5!? erprobt. Dies ist auch interessant, der Nachteil des letzten schwarzen Zug ist ja, dass er einige Damenflügelschwächen schafft. Die beste Reaktion ist wahrscheinlich das energische 8...c6!?) 8...Sa6 9.Sge2 kennt man das Motiv 9...h5 10.f3 Sh7 aus der Sämisch-Variante.
Hier allerdings ist es nicht sonderlich beeindruckend, in Aleksandrov,A - El Taher,F ½-½ schaffte Schwarz nach 11.Qd2 erst nach langwierigen Defensivbemühungen ein Remis. Die Anmerkungen zeigen, dass eine radikale Vorgehensweise mit 11.gxh5!? vielleicht sogar noch gefährlich sein könnte. Eine andere geläufige Aufstellung ist 9...Sd7 10.Dd2 Sdc5 11.Sg3 c6 12.Le2 cxd5, hier hat Weiß eine Wahl.
13.exd5!? ist definitiv weniger typisch, führte aber in Grandelius,N - McShane,L ½-½ zu interessantem Kampf. Ich habe das Gefühl, dass unterwegs eher das Spiel von Weiß verbessert werden kann. Es gibt auch das automatische Zurückschlagen 13.cxd5, wobei man sich vom Endresultat in Caruana,F - Nakamura,H 0-1 nicht täuschen lassen sollte - Weiß ruinierte seine mächtige Angriffsstellung in einer Blitzpartie.
A2) Eine ähnliche, aber eher flexiblere Fortsetzung lautet 7...Sa6 8.g4 Sc5 9.f3 (9.Dc2!? ist eine passable Alternative), wonach Schwarz seinerseits vor einer wichtigen Entscheidung steht.
9...a5 tritt in die Fußstapfen der Variante A1), aber in Kashlinskaya,A - Guichard,P 1-0 setzte Weiß die Verteidigung auf beiden Flanken unter Druck und gewann überzeugend. 9...h5 10.Dd2 gab Weiß ein Plus in Caruana,F - Jones,G ½-½, während das schärfere 10.g5 dem gleichen Zweck ebenso gut dienen könnte. Die vernünftigste Option scheint weitere Entwicklung mit 9...c6 10.Dd2 cxd5 11.cxd5 Ld7 zu sein, nach 12.Sge2 h5 konnte Schwarz in Grandelius,N - McShane,L 0-1 später seine Eröffnungsprobleme adäquat lösen. Der Computer ist allerdings nicht sonderlich überzeugt, die Anmerkungen zeigen, dass vielleicht schon 13.Sc1 keine ideale Fortsetzung war.
B) Als Nächstes konzentrieren wir uns auf die Benoni-Methode mit 6...c5, welche sowohl in dem erwähnten Buch von Kotronias als auch etwas später im Jahr 2017 von Bologan als beste Fortsetzung für Schwarz empfohlen wird.
B1) Weiß steht hier am Scheideweg und hat mit drei Zügen versucht, um Vorteil zu kämpfen. Nach 7.dxc5 Da5 8.Ld3 dxc5 9.e5 führte das überraschende 9...Sh5!? (9...Sfd7 könnte mit energischem Spiel ebenfalls zu rechtfertigen sein) zu einem taktischen Handgemenge in Fressinet,L - Golod,V ½-½, bei dem Schwarz die Balance hält.
B2) 7.Sf3 war Karpovs übliche Wahl, nach 7...Da5 8.Ld3 Sfd7 9.0-0 kann Schwarz die Zentralspannung nicht mehr wirklich vorteilhaft aufrechterhalten. Daher spielt er weitaus häufiger 7...cxd4 8.Sxd4.
Weiß strebt einen Maroczy-Aufbau an, die Nützlichkeit von 5.h3 nach dem natürlichen Entwicklungszug 8...Sc6 wurde in der Partie Cheparinov,I - Amin,B 1-0 schön demonstriert. Sowohl Kotronias als auch Bologan plädieren für 8...b6. In igelähnlichen Stellungen nach 9.g3 und 9.Ld3 bekommt Schwarz ordentliches Gegenspiel, aber weit gefährlicher ist das direkte 9.Dd2 Bb7 10.f3, gefolgt von 0-0-0 und einem Bauernsturm am Königsflügel.
B3) Ein weiteres prinzipielles Abspiel aus der Sicht von Weiß ist die Zentrumsexpansion mit 7.d5 e6 8.Ld3.
Nach dem verdunkelnden 8...Sa6 leiten die logischen Züge 9.Sf3 Te8 über zu Adhiban,B - Ponomariov,R ½-½; der indische GM zeigt in seinen Anmerkungen, wie Weiß die Eröffnungsinitiative hatte bewahren können. 8...exd5 9.exd5 geschieht häufiger, nun führt 9...Te8 10.Sf3! zu einer Stellung, die vor allem über die Makogonov-Zugfolge entsteht und nach 10...Lh6 11.0-0 seit langem als angenehm für Weiß gilt. Die Alternative 9...Sa6 10.Sf3 Sb4 11.Le2 aus Cuenca Jimenez,J - Amin,B ½-½ führte zu für Weiß günstigen Komplikationen - später spielte der ägyptische GM die Variante sogar mit entgegengesetzten Farben. Die Anmerkungen zeigen außerdem, Wie weiß nach dem benkömäßigen 7...b5 um einen Vorteil kämpfen kann.
Eine andere Strategie als in den Abspielen A) und B) lautet, einen Angriff auf das Bauernzentrum solange zu verzögern, bis Weiß sich selbst auf einen bestimmten Aufbau festgelegt hat. Dies hat auch seine Nachteile, da Weiß seinen Springer in der Regel doch noch nach f3 entwickeln und damit eine vorteilhafte Versionen von Makogonov anstreben kann. Und nicht zuletzt kompliziert es auch das Leben Ihres Kommentators, da die möglichen Überleitungen wirklich zahlreich sind :).
C) Beginnen wir mit dem weniger logischen 6...c6, denn nunmehr wird Schwarz kaum mit c5 fortsetzen, was ein volles Tempo verlöre. Zwar gibt ihm das expansive 7.g4 a6 wohl genug Gegenspiel, aber vernünftiger ist 7.Sf3. Jetzt leitet 7...Sa6 über zu Wei,Y - Adhiban,B ½-½, wo Adhiban erklärt, wie man Schwarz das Leben hätte schwer machen können.
D) Nach 6...Sbd7 7.g4 lautet eine gute Reaktion 7...c5!
Mit dem weißen Aufmarsch am Königsflügel werden Benkö-Gambit-Ideen attraktiver für Schwarz. Dies wurde ziemlich eindrucksvoll gezeigt in Repka,C - Amin,B 0-1, wo Weiß seinem Gegner fast alles erlaubte. Umsichtiger ist allerdings 7.Sf3. Der Sd7 ist nicht ideal platziert nach 7...c5 8.d5, und 7...e5 8.d5 Sc5 (ausgezeichnete Ergebnisse hat Weiß nach 8...Sh5 9.Sd2!?) 9.Sd2 a5 10.g4 leitet zum echten Makogonov über.
Ich werde hier nicht weiter ins Detail gehen und lediglich Anand,V - Ponomariov,R 1-0 als Musterpartie aus weißer Sicht erwähnen. Auch heutzutage hat Schwarz in diesem Zweig offenbar zu kämpfen.
E) Flexibler platziert ist der Springer nach 6...Sa6. Nun gab 7.g4 c5 8.Sge2 b6!? 9.e5 Se8 Schwarz in Caruana,F - Adhiban,B ½-½ ausreichendes Gegenspiel, aber das simple 9.Lg2 verdient mehr Aufmerksamkeit. Einmal mehr ist die häufiger gespielte Alternative natürliche Entwicklung mit 7.Sf3. Nach 7...c5 glich Schwarz in Bluebaum,M - Carlsen,M ½-½ mühelos aus, aber Weiß verschmähte die prinzipiellste Reaktion 8.d5. Dies kann nach 8...e6 9.Ld3 zu Stellungen führen, die wir in Abspiel B3) geprüft haben. Vorzuziehen ist allerdings 7...e5, nun führt uns 8.d5 genau wie oben zu Makogonov (E92), aber einer verbesserten Version von Abspiel D), denn jetzt trifft 8...Sh5!? mit der Idee 9.Sd2 De8 eher den Kern; in der Praxis hat Schwarz in dieser Untervariante gute Ergebnisse gehabt.
F) Es gibt noch einen weiteren Ansatz, das provokative 6...Sc6!? zwingt Weiß, sich sofort mit 7.d5 (7.Sf3 e5 8.d5 Sd4! führt zu sterilem Ausgleich) festzulegen. Nach 7...Se5 8.f4 Sed7
spielt Schwarz mit der Idee Shund kann das weiße Zentrum von beiden Seiten (c6 oder/und e6) unterminieren. In gewisser Hinsicht ähnelt die Stellung Aljechin, die Folge 9.g4 c6 10.Sf3 cxd5 11.cxd5 in Verbindung mit der Neuerung 11...b6!? führte in Caruana,F - Firouzja,A 1-0 zu einem komplexen Kampf. Die Anmerkungen erwähnten ein paar Partien, die danach im Jahr 2020 gespielt wurden. Dort hielt sich Schwarz, mögliche Verbesserung für Weiß sind 12.Sd4 Sc5 13.Lc6 oder Timman 12.Lg2!?.
Fazit: Meines Erachtens verspricht das Bekämpfen des Systems 5.h3 & 6.Le3 mit sofortiger Zentrumsaktion 6...e5 oder 6...c5 Weiß ordentliche Chancen, um Vorteil zu kämpfen. Aktuell scheint es, dass Schwarz flexibler sein sollte und 6...Sa6 womöglich objektiv die beste Wahl ist. Ich gestehe, mir gefällt das herausfordernde 6...Sc6!?, und erwarte auch hier weitere Entwicklungen. Doch mehr Tests sind sicherlich erforderlich, z.B. wurden 12.Lg2 oder der Computervorschlag 13.Sc6 in Caruana,F - Firouzja,A 1-0 noch nicht in der Praxis versucht.
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