Dr. Paul Tröger (1913-1992)
Dr. Paul Tröger gehörte in den frühen Nachkriegsjahren zu den besten Schachspielern in Deutschland. In seiner Heimatstadt Augsburg und später in Köln war er lange die unangefochtene Nummer Eins. Zwischen 1948 und 1976 nahm Paul Tröger zehnmal an den Finalrunden der Deutschen Meisterschaften teil. 1949 wurde er Zweiter. 1957 gewann er den Titel. 1958 und 1962 spielte er für Deutschland bei den Schacholympiaden. Als ausgebildeter Sportjournalist konnte Tröger unterhaltsam schreiben und trug mit seinen zahlreichen Schachartikeln und einer Reihe von Schachbüchern zur Verbreitung des Schachspiels in Deutschland bei.
"Großmeister der Freude am Schach"
Paul Tröger wurde am 28. Juni 1913 in Augsburg geboren. Schach lernte er von seinem Onkel Karl, der mit zerrütteter Gesundheit aus dem Ersten Weltkrieg zurück gekommen war, arbeitslos wurde und sich zur Beschäftigung dem Schach zuwandte - vor allem, weil es nichts kostete. Auf der Suche nach einem Schachpartner fand er 1927 seinen Neffen Paul Tröger. Dieser ließ sich aber nur bei schlechtem Wetter zum Schach überreden, ansonsten stand der Fußball an erster Stelle. Onkel Karl war sicher kein besonders guter Schachspieler, hatte aber viel Freude am Schachspiel. Er hätte den Titel "Großmeister der Freude am Schach" verdient gehabt, verriet sein gelehriger Schüler später in einer seiner vielen Schachglossen.
Mit 15 Jahren, 1928, trat Paul Tröger dem SK Augburg von 1873 bei. Seine ersten Schachübungen und Turniere wurden allerdings nicht für die Nachwelt festgehalten. 1932 findet man seinen Namen aber beim Meisterschaftsturnier des Bayrischen Schachverbandes, wo er eine der Vorgruppen gewann. 1933 spielte er als Gast bei den Berliner Meisterschaften mit und belegte dort einen Platz im Mittelfeld. Friedrich Sämisch und Carl Ahues beendeten das Turnier punktgleich als Sieger. In den 1930er Jahren war Paul Tröger der beste Schachspieler von Augsburg und gewann 1936 zum dritten Mal die Stadtmeisterschaft. In diesem Jahr nahm er auch an einem Sichtungslehrgang für die (nicht offizielle) Schacholympiade 1936 in München teil, wurde aber nicht in die zehnköpfige Nationalmannschaft berufen.
Studium der Journalistik
Paul Tröger studierte in der ersten Hälfte der 1930er Jahre zunächst in der Deutschen Abteilung der Karls-Universität von Prag, dann in München, Journalistik und promovierte im März 1936 mit seiner Arbeit zur Geschichte der Stuttgarter Nachrichten. Wegen einer Elephantiasis-Erkrankung, die ihn im Laufe seines Lebens öfters behinderte und zu gelegentlichen Krankenhausaufenthalten zwang, entging Tröger im Zweiten Weltkrieg dem Militärdienst. Er arbeitete in der Zeit unter anderem bei der "Deutschen Zeitung Oslo", danach beim Nürnberger "8.00-Uhr-Blatt!" und auch schon beim 1920 gegründeten Fußballmagazin "Kicker". 1944 wurde das "Kicker"- Magazin allerdings eingestellt.
Kicker-Redakteur
Als das Heft nach dem Zweiten Weltkrieg 1951 als "Der Kicker" wiedergegründet wurde, war Dr. Paul Tröger einer der Mitgründer und bis 1955 auch Chefredakteur des Fußball-Magazins. Die Artikel für den Kicker, der mit seiner Hauptausgabe am Montag erschien, wurden zumeist am Sonntag geschrieben und die Ausgabe bis tief in die Nacht in recht familiärer Atmosphäre zusammengestellt. Die Mitredakteure bewunderten Paul Tröger wegen dessen organisatorischen Talents, wegen seiner Entschlussfähigkeit und auch wegen seines phänomenalen Gedächtnisses, das ihn in die Lage versetzte, die aktuelle Ausgabe noch kurzfristig umstellen zu können, da er die komplette Artikelanordnung im Kopf hatte. Tröger wurde als nach außen hin ruhiger Zeitgenosse beschrieben, der aber mitunter auch aufbrausend und temperamentvoll sein konnte. Nach getaner Arbeit wechselten die Fußball-Redakteure noch in ihre Stammkneipe und Tröger zeigte beim Würfeln oder Skat seine Leidenschaft für das Spiel.
Als Sportredakteur kannte Paul Tröger die Großen des Fußballsports und war einer der Gratulanten bei der Feier von Sepp Herbergers 80stem Geburtstag im Mannheimer Schloss. Tröger philosophierte vor dem Bundestrainer der Weltmeistermannschaft von 1954 über die Wesensverwandtschaft von Schach und Fußball, zum Beispiel beim Konter: "Das Kontern im Fußball (wie im Schach) setzt die Störung des Gleichgewichts voraus: Der Angreifer muß sich Blößen geben. Der Gegenangriff stößt in die 'Lücken' hinein, in das entbößte Hinterland."
Sepp Herberger antwortete auf Trögers tiefschürfende Gedanken: "Ich kann zwar kein Schach spielen, aber ich verstehe Sie!" "Er hatte die Übereinstimmung der Erscheinungen intuitiv erfasst", freute sich Paul Tröger.
Paul Tröger und Sepp Herberger | Fotoquelle: Tröger: Mein Schachlesebuch
Vielleicht wollte der Altbundestrainer aber auch nur zum Büffett...
Tröger zog 1954 nach Köln um und trat dem Kölner Schachklub von 1861 bei. 1955 wechselte er vom Kicker als freiberuflicher Chefredakteur zum Kölner "Fußballsport" (Verlag Kurt Stoof). Außerdem beteiligte er sich als Redakteur bei den "Deutschen Schachblättern" und war dort schließlich bis 1978, dem Jahr seiner Pensionierung, für die redaktionelle Gesamtleitung verantwortlich. Die "Deutschen Schachblätter" waren noch vor dem Ersten Weltkrieg als Presseorgan des Deutschen Schachbundes ins Leben gerufen worden und existierten mit Unterbrechungen bis 1943. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es 1962 in der Bundesrepublik eine Neugründung, wieder als Presseorgan des Deutschen Schachbundes. 1987 gingen die "Deutschen Schachblätter" im "Schach-Report" auf.
Schachkolumnist
Als Autor führte Paul Tröger über einige Jahrzehnte eine Kolumne, die er "bei Durchsicht meiner Bücher nannte". Er begann sie 1960 in der "Süddeutschen Schachzeitung", aus der die "Deutschen Schachblätter" hervorgingen, und führte sie bis 1990 auch noch im "Schach-Report" fort. In der "Europa-Rochade" veröffentlichte Tröger von 1983 bis 1987 Artikel in einer weiteren Kolumne, die er "Dr. Paul Tröger blättert im Tagebuch eines Schachkönigs" nannte. Sammlungen seiner Beiträge erschienen später auch in Buchform. Als Gastautor schrieb Paul Tröger zudem Beiträge für diverse Tageszeitungen und berichtete auf unterhaltsame Weise über verschiedene Vorgänge beim Schach.
1957 hatte Paul Tröger als Moderator sogar einen Auftritt beim noch jungen Fernsehen in der WDR-Quizsendung "Das ist mein Steckenpferd". Der dreifache Deutsche Meister Georg Kieninger trat in einer Vorrunde gegen den dreifachen Deutschen Blindenschachmeister Wilhelm Würtz an. Typische Fragen waren: "Gab es schon mal einen deutschen Schachweltmeister?" (Emanuel Lasker) oder: "Von wem stammt das Lob "Dieses Spiel ist ein Probierstein des Geistes"?" (Goethe). In der Finalrunde kam Wolfgang Unzicker dazu und die Fragen wurden schwieriger, z.B.: "In welchem berühmten Theaterstück gibt einer der Hauptfiguren eine für ihn gewonnene Schachpartie auf?" (Nathan der Weise). Am Ende ging Unzicker aus dem Quiz knapp als Sieger hervor. Unzicker und Lothar Schmid spielten zur Verblüffung des Publikums eine Blindschachpartie.
1985 erhielt Paul Tröger für seine Verdienste als Schachjournalist den Medienpreis des Deutschen Schachbundes.
Die Turniere nach dem Krieg
Paul Tröger gehört zu der Generation, deren schachlicher Zenit in die Zeit des Zweiten Weltkrieges gefallen wäre, aber wegen des Krieges ausblieb. Nach Ende des Krieges war Tröger 31 Jahre alt. Vor dem Krieg hatte er schon einige Turniere gespielt, aber seine eigentliche Schachkarriere begann mit einer Verzögerung von mindestens sechs Jahren. In den Jahren nach dem Krieg wurden in Deutschland allerdings eine Reihe von recht stark besetzten Turnieren organisiert, an denen sich neben den besten deutschen Schachspielern auch einige "displaced persons", Schachspieler aus Osteuropa, zumeist aus dem baltischen Raum wie Elmars Zemgalis, Lucius Enzelins, Povilas Taitvaisas, Fjodor Bohatirchuk oder der berüchtigte Karlis Ozols, beteiligten. Paul Tröger war in der zweiten Hälfte der 1940er schachlich ausgesprochen aktiv und nahm an einer Vielzahl von Turnieren teil: Regensburg 1946 (2. hinter Unzicker), Augsburg 1946 (8./9.), Kirchheim-Teck (Turniersieger mit Niephaus), Kassel 1947 (Geteilter Vierter mit Unzicker), Riedenbrück 1947 (9.-10.), Weidenau 1947 (2.-3.), Stuttgart 1947 (4.-5.), Schwäbisch Hall 1947 (2.), Bad Nauheim 1948 (6.-8.), Stuttgart 1948 (Qualifikation zur Deutschen Meisterschaft, Sieger) und die Deutschen Meisterschaften in Essen 1948 (7.).
Danach beschränkte sich Paul Tröger bei Einzelturnieren mit ein paar Ausnahmen im Wesentlichen auf die Teilnahmen an den Deutschen Meisterschaften, was wohl mit seinem zunehmenden beruflichem Engagement zu tun hat. Mitte der 1950er Jahr wurde er dann wieder aktiver.
Robert Hübner über Paul Tröger
Robert Hübner, der Paul Tröger persönlich kannte, mit ihm in Porz in einer Mannschaft spielte und offenbar auch schätzte, hat dessen Turnierlaufbahn ausführlich in einem Beitrag anlässlich von Trögers 100sten Geburtstag im Schachkalender 2013 gewürdigt und auch persönliche Erinnerungen notiert:
"Als wir Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre in einer Mannschaft spielten, pflegte er persönlich einige Mannschaftsmitglieder in seinem alten Volkswagenkäfer abzuholen und zum Spielort zu fahren. Beinahe stets kannte er eine verborgene Abkürzung - so daß wir manches Mal erst weit nach Spielbeginn am Bestimmungsort eintrafen." Aber auch: "Er war eine markante Persönlichkeit; in vielen Dingen konnte man von ihm lernen."
Die Mannschaft der SG Porz: Robert Hübner, Matthias Gerusel, Paul Tröger, Bodo Schmidt, Vlastimil Hort | Foto: Heinz-Josef Ullrich
Hübners Analyse von Paul Trögers Spielstil ist gewohnt präzise und ehrlich:
"Seine besten Leistungen sind beeindruckend. Er liebt das Handgemenge; hier ist er unermüdlich beim Aufspüren von Ideen und taktischen Witzen. Er versteht es vorzüglich, eine einmal errungene Initiative festzuhalten und auszubauen. Da er gewohnt ist, stets konkret zu denken, reagiert er bei schnellem Wechsel der Lage besonders geistesgegenwärtig. In gedrückten Stellungen verteidigt er sich zäh und hält unermüdlich nach überraschenden Gegenschlägen Aussicht.
Solche Vorzüge sind geeignet einen Spieler zur Weltspitze emporzutragen. Aber es stehen einige schwerwiegende Mängel gegenüber. Dr. Trögers Partieaufbau ist unsicher, bisweilen fehlerhaft, bestenfalls harmlos. Seine Eröffnungswahl ist dabei sehr begrenzt, so daß ihm manche Stellungstypen fremd bleiben; insbesondere dürfte er in seinem ganzen Leben keine sizilianische Stellung auf dem Brett gehabt haben. Auch im Mittelspiel begeht er bisweilen grobe strategische Missgriffe, weil er von seinen originellen Einfällen mitgerissen wird und die Gesamtstruktur der Stellung wenig berücksichtigt. Da er hauptsächlich die Entfaltung der eigenen Pläne im Auge hat, können ihm leicht taktische Schläge und andere Möglichkeiten entgehen, die dem Gegner zur Verfügung stehen."
(Robert Hübner: "Dr. Paul Tröger", in: Schachkalender 2013, S. 112-139)
Umgekehrt hatte sich auch Paul Tröger mit den Erfolgen in Robert Hübners Karriere und seinen Rückschlägen bei einige Kandidatenwettkämpfen journalistisch beschäftigt, nicht unkritisch, aber väterlich wohlwollend. Seit Fazit: "... ein hochbegabter Wissenschaftler, ein genialer Schachspieler, der zum Profi wurde, weil er nicht ein halbes Leben lang auf einen Lehrstuhl warten wollte... ich hoffe, ... daß er eines Tages zur Wissenschaft zurückkehrt."
Neben seinem Erfolg bei den Deutschen Einzelmeisterschaften gewann Dr. Paul Tröger mit der Mannschaft des Münchner SC 1836 zweimal den Titel eines deutschen Mannschaftsmeisters, 1952 und 1953. Mit der SG Porz gelang ihm dies dreimal: 1967, 1979 und 1982. Bis 1988 spielte Paul Tröger noch in der Bundesliga.
Foto: Heinz-Josef Ullrich
Sein letztes Turnier war 1990 das 7. Leutascher Seniorenturnier, bei dem er den geteilten ersten Platz belegte und nach Wertung Zweiter wurde.
Paul Tröger starb am 20. Januar 1992 in Köln.