"Eine irrwitzige Stellung!"

von ChessBase
01.11.2021 – Im ChessBase Magazin gibt es eine noch junge Tradition, aus den vielen kommentierten Partien einer Ausgabe "Die Analyse" zu küren. Nicht immer eine leichte Aufgabe, auch bei der aktuellen Ausgabe. Das veranschaulicht ein Blick in die Liste der Autoren , die für das CBM #204 Analysen beigesteuert haben: Anton Demchenko, Romain Edouard, Viktor Erdos, Alireza Firouzja, Daniel Fridman, Anish Giri, Nils Grandelius, Niclas Huschenbeth, Maxime Lagarde, David Navara, Peter Heine Nielsen, Alexey Sarana, Ivan Saric, Hedinn Steingrimsson, Rasmus Svane und Vidit Santhosh Gujrathi! Die Wahl fiel auf die Partie Mamedov-Lagarde von der Europäischen Einzelmeisterschaft 2021. Wenn Sie einen Blick auf das Diagramm nach 14...Ke6 werfen, wissen Sie warum! Wie konnte es dazu kommen, und wie ging die Partie weiter? Schauen Sie rein!

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„Special“ zu Judit Polgar mit Partieanalysen und Videos zu Strategie und Endspiel. Demchenko, Svane, Huschenbeth, Fridman, Sarana, Grandelius u.v.a. kommentieren Partien von der Einzel-EM. Eröffnungsvideos von Ragger, King und Marin. 11 Eröffnungsartikel

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„Zeig deinem Gegner, dass dein König wirklich Mumm hat!“

Maxime Lagarde kommentiert seine Schwarzpartie gegen Nidjat Mamedov von der Europäischen Einzelmeisterschaft 2021

Nidjat Mamedov – Maxime Lagarde (Europäische Einzelmeisterschaft 2021)

Trotz der bösen Erinnerungen, die ich an diese Partie habe, ist sie meines Erachtens aufgrund der vielen scharfen Varianten und proaktiven Ideen sehr interessant zu analysieren.

1.e4 c5 2.Sf3 Sc6 3.Sc3 e6 4.Lb5 Eine Überraschung für mich, da mein Gegner sonst oft Offene Sizilianer spielte. 4...Sa5!?

Selbstredend ist dieser Zug bei weitem nicht der beste an dieser Stelle, aber zumindest ermöglicht er, nicht-theoretische Stellungen zu bekommen. Tatsächlich muss Weiß, wenn er hier Vorteil erlangen will, ziemlich präzise agieren.

5.a4?! Unnötig, Weiß musste aktiver spielen, um meinen letzten Zug auszunutzen. 5.d4! ist die richtige Fortsetzung: 5...cxd4 6.Sxd4 a6 7.Ld3 b5 8.0–0 Lb7 9.Te1

5...a6 6.Le2 d5! Es ist wichtig, schnell zu reagieren, um den schlechten a5–Springer zu rechtfertigen.

7.exd5 exd5 8.d4 8.0–0!? war die interessanteste Spielweise. Vielleicht hatte mein Gegner Angst vor 8...d4 , aber Weiß hat den starken Zwischenzug 9.Te1! Le6 (9...dxc3?? 10.Lb5#!) 10.Se4

8...c4!

Natürlich will Schwarz hier keine Isolanistellung spielen, da er ja bereits in der Entwicklung zurückhinkt. 8...c4 ist hier sinnvoll, da Weiß nach 5.a4 das Feld b4 für den Läufer freigegeben hat.

9.Se5! Dies ist die kritische Stellung. Schwarz hat zwei Möglichkeiten: entweder solide spielen, indem er einfach die Figuren entwickelt, oder den Gegner provozieren, indem er ihm scharfe Varianten aufzwingt ... Natürlich macht es immer mehr Spaß, scharfe Stellungen zu spielen, daher wählte ich letztere Möglichkeit! – 9.0–0 Lb4! 10.Te1 Se7 und Schwarz steht bereits absolut ordentlich (sogar leicht besser).

9...f6!? Da ich am Vortag verloren hatte, war ich entschlossen, hier auf Gewinn zu spielen und hatte keine Angst, mich auf richtig scharfe Stellungen einzulassen. 10.Lh5+ g6 11.Sxg6 hxg6 12.Lxg6+ Kd7 13.Sxd5?! So überraschend es wirken mag, dieser logische Zug ist bereits eine große Ungenauigkeit. 13.Df3! Se7 14.Lf7 Lh6 15.Lxh6 Txh6 16.0–0 Die Stellung von Schwarz ist richtig schwer zu spielen, da sich sein König nirgendwo richtig verstecken kann.

13...Se7! Die beste Verteidigung hier ist, Gegenspiel zu suchen, ungeachtet des Materials, das wir zurückgeben. 14.Sxf6+ Ke6!

Zum Angsthaben ist es sowieso zu spät, also zeig deinem Gegner, dass dein König wirklich Mumm hat! Selbstredend erforderte dieser Zug präzise Berechnung, um sicherzustellen, dass man nicht mattgesetzt wird.

15.Dg4+ Die natürlichste Fortsetzung. – 15.Le4!? war ebenfalls sehr interessant: 15...Kxf6 16.Df3+ Kg7 17.Lg5 Kg8 18.Dg3 Lg7 19.0–0–0 Th5 20.The1

15...Kxf6 16.Dg5+ Ke6 Und natürlich nicht 16...Kg7?? 17.Le8+ Kh7 18.Dh5+ Kg8 19.Df7#

17.De5+? Zu überhastet, Weiß musste die Tatsache, dass der schwarze König nach wie vor in der Brettmitte steht, dazu nutzen, die Initiative zu steigern. Besser war 17.Lf4! Sxg6 18.Dxg6+ Kd5 19.0–0 mit einer irrwitzigen Stellung, in der Weiß noch immer eine starke Initiative erlangt, wobei die Türme bald in den Angriff eingreifen werden.

17...Kd7 Das war das Ende meiner Berechnung, nachdem ich 9...f6 spielte. Intuitiv dachte ich dabei, dass meine Stellung hier nicht verloren wäre - tatsächlich ist sie bei präzisem Spiel fast für Schwarz gewonnen.. 18.Lf7

18.Le4! Th4 19.f3 Obwohl Schwarz es geschafft hat, nicht matt zu werden, behält Weiß einige Initiative und kann überlegen, mit den Königsflügelbauern zu spielen.

18...Th4!? 18...Sec6! gewann auf der Stelle: 19.Dxh8?? Lb4+–+ 20.c3 Dxh8

19.d5!

Der beste praktische Versuch, der König d7 soll festgehalten werden. 19...Db6?? Und da haben wir den Salat! Ein einziger Fehler kann die Stellungseinschätzung komplett ändern, und ich machte ihn. Ich war in dieser Stellung wahrscheinlich zu gierig und glaubte, den weißen Angriff bewältigen und meine zwei Mehrfiguren behalten zu können. Dabei vergaß ich eine einfache taktische Idee, die mich die Partie kostete. – 19...Sac6! war der Gewinnzug, was eine Figur zurückgibt, aber Weiß jegliche Angriffsperspektive nimmt.

20.Le3!

Dieser Zug schien mir nicht möglich, da ich meinte, 20...Dd6 spielen zu können. Mir wurde schnell klar, dass ich mich irrte, und das war ein großer Schock. Die schwarze Stellung ist jetzt komplett verloren.

20...Db4+ (20...Dd6 21.Le6+ Kc7 22.Lb6+!+– mit Damengewinn!) 21.c3 Db3 (21...Dxb2 22.0–0+–) 22.De6+ Kc7 (22...Kd8 23.Lb6++–) 23.d6+ Kc6 24.Le8+

Ein schreckliches, aber schönes Matt folgt im nächsten Zug. 1-0

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