Eine Stunde investieren und alle Gegner überraschen: Svitlana Demchenkos Opening Surprises

von Stefan Liebig
29.12.2024 – Das WM-Finale zwischen Gukesh Dommaraju und Ding Liren hat eindrucksvoll gezeigt, wie wichtig es sein kann, den Gegner in der Eröffnung auf dem falschen Fuß zu erwischen. Svitlana Demchenko zeigt in ihrem 60-Minutes-Kurs, wie dies mit beiden Farben und wenig Theoriebüffeln gelingen kann. | Fotos: Nils Rohde

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Die mehrfache kanadische Meisterin Svitlana Demchenko ist mit ihrer Serie „Svitlana´s Smart Moves“ regelmäßiger Interviewgast des rasenden ChessBase-Reporters Arne Kähler und hat bereits einige Fritz Trainer erstellt. In der neuen Kooperation des etablierten Gespanns geht es um einfach vorzubereitende Eröffnungen, die sich nicht am Repertoire des Gegners orientieren, sondern ihn vor allem überraschen sollen.

Kostenloses Video: Intro

Skandinavisch mit Schwarz

Der Einstieg ist gleich eine Waffe, die viele Weißspieler auf dem falschen Fuß erwischen könnte: Die portugiesische Variante des Skandinaviers. Charakteristisch dafür ist die folgende Stellung mit dem Bauernopfer auf c6:

Die kanadische WIM verspricht viele spannende und aktive Partien mit dieser Variante. Schwarz opfert einen Bauern, um Kontrolle über das Zentrum zu erhalten. Oft ist sogar ein Bauernvorstoß nach e4 mit schnellem Damentausch und Übergang ins Endspiel vorteilhaft für Schwarz. Will Weiß gleich aufs Ganze gehen und mit dem Läufer auf b5 Schach geben im dritten Zug, empfiehlt Demchenko dem Schwarzen das Blocken mittels des weißfeldrigen Läufers, der dann entweder getauscht wird oder später auf g4 bzw. f5 auftaucht. Gibt Weiß den Bauern beispielsweise mit Sc3 mehr oder weniger schnell zurück, entstehen gut spielbare solide Stellungen.

Zwar erhält Schwarz in einigen Varianten eine leicht schlechtere Stellung, doch die Autorin setzt auf die bessere Kenntnis der Stellungstypen, wenn Schwarz diese Waffe häufiger nutzt. In den meisten Fällen wird Weiß aber überrascht sein und muss sehr aufmerksam sein, um nicht in Nachteil zu geraten.

Wer wilde Stellungen mag, kann diese Variante anstreben – auf die Weiß aber auch erst einmal eingehen muss …

Damengambit mit Schwarz

Für alle, die – wie die Autorin – als Schwarze im Damengambit von der Fesselung des Königsspringers auf f6 durch den weißen Läufer genervt sind, empfiehlt Demchenko die Variante 1.d4 d5 2.c4 e6 3.Sc3 h6 und schon sind alle Theorieberge zur Seite geschoben und es entsteht ein Spiel, in dem der weiße Damenläufer ganz sicher nicht auf g5 aufschlagen wird. Es folgen viele Tipps für die verschiedenen weißen Aufbauten, wie etwa in der Abtauschvariante auf …Se7 nebst …Lf5 zu setzen, um den oft auf d3 auftauchenden, noch verbliebenen weißen Läufer abzutauschen.

Das Schottische Gambit mit Weiß

Dem Gegner gleich die Faust zeigen: Mit dem Schottischen Gambit sofort um die Initiative kämpfen.

Wie üblich in Gambits setzt Weiß hierbei besonders auf die schnelle Entwicklung der Figuren. Schwarz steht vor dem Dilemma, ob er sich um den Mehrbauern auf d4 kümmern oder ihn opfern soll. In letzterem Fall landet der Nachziehende aber schnell in sehr gedrückten Stellungen. In jedem Fall muss Schwarz viel rechnen, um nicht in eine der für dieses Gambit typischen, tödlichen Taktiken zu laufen. Oft sind bei korrektem Spiel sogar Übergänge in italienische Varianten möglich. Für Abwechslung ist also in jedem Fall gesorgt.

Königsindisch angreifen

Abschließend widmet sich die Autorin der King´s Indian Attack als multifunktionelle Antwort für e4-Spieler, die sich in Caro-Kann, Sizilianisch oder Französisch nicht auf gewagte Theoriedebatten einlassen möchten. Der Plan basiert darauf, als Weißer e4, d3, g3, Lg2, Sf3 und 0-0 zu spielen und so eine königsindische Stellung mit vertauschten Farben aufzubauen. Besonders geeignet ist dies natürlich für Spieler, die mit Schwarz ohnehin königsindisch spielen. Und die Referenzliste für den königsindischen Angriff ist lang: Nicht nur Bobby Fischer und Tigran Petrosian spielten diese Eröffnung gerne. Sicher ist es sinnvoll sich einige dieser Partien und auch ein paar aktuellere Beispiele anzuschauen.

Einer der vielen nützlichen Tipps: Neben den Schablonenzügen, sollte Weiß gegen den französischen Aufbau frühes d3 einschalten, um so mit Sd2 den Damentausch nach einem Bauerntausch im Zentrum zu vermeiden. – Dasselbe gilt im Übrigen für Caro Kann.

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Fazit

Mit über 70 statt der versprochenen 60 Minuten Videospielzeit plus Zusatzmaterial liefert Svitlana Demchenko in den jeweils etwas mehr als viertelstündigen Videos viele inspirierende Abspiele. Sie eignen sich vor allem für angriffsfreudige und opferbereite ambitionierte Amateure. Oft wird es tatsächlich gelingen, die unvorbereiteten Gegner damit zu überraschen. Gerade, wenn im Turnier Zeit und Energie zur Vorbereitung fehlen, bieten die vorgeschlagenen Varianten viel Raum für abwechslungsreiche und erfolgreiche Partien. Wer so auf neue Lieblingsvarianten stößt, die regelmäßig aufs Brett kommen sollen, sollte sich dann noch mit Zusatzmaterial versorgen, die Autorin selbst plant bereits vertiefende Videokurse …

Die Autorin

WIM Svitlana Demchenko, geboren 2003, ist eine in der Ukraine geborene kanadische Schachspielerin. Sie war mehrfache kanadische Meisterin bei den Mädchen und zweimalige nordamerikanische Meisterin bei den Mädchen in verschiedenen Alterskategorien. Svitlana ist seit 2018 Mitglied des kanadischen Frauen-Olympiateams und hat Kanada bei der Frauen-Weltmeisterschaft vertreten.


Stefan Liebig, geboren 1974, ist Journalist und Mitinhaber einer Marketingagentur. Er lebt heute in Barterode bei Göttingen. Im Alter von fünf Jahren machten ihn seltsame Figuren im Regal der Nachbarn neugierig. Seitdem hat ihn das Schachspiel fest in seinen Bann gezogen. Höhenflüge in die NRW-Jugendliga mit seinem Heimatverein SV Bad Laasphe und einige Einsätze in der Zweitligamannschaft von Tempo Göttingen waren Highlights für den ehemaligen Jugendsüdwestfalenmeister.
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