El Pais: Interview mit Ding Liren

von André Schulz
03.05.2023 – Nach dem Gewinn des Weltmeistertitels musste sich der eher schüchterne Ding Liren den Fragen der Journalisten stellen. Leontxo Garcia interviewt den neuen Weltmeister für El Pais und erfuhr, wie Ding Liren schon seine Titelverteidigung plant. | Foto: Stev Bonhage (FIDE)

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Ding Liren ist ein eher schüchterner und scheuer Mensch und hat es bislang geschafft, obwohl er schon lange zu den besten Spielern der Welt gehört, unter dem Radar der Medien hindurch zu fliegen. Doch damit kommt er als Weltmeister nicht mehr durch. Nach Dings Titelgewinn  hat es nun der bekannte spanische Schachjournalist Leontxo Garcia als einer der ersten geschafft, aus dem neuen Weltmeister ein paar persönliche Informationen herauszulocken - nach dem Ansturm der chinesischen Journalisten und Medien natürlich.

Ding Liren wurde am 24. Oktober 1992 in Wenzhou geboren. Seine Mutter arbeitete als Krankenschwester, sein Vater als Elektroingenieur. Schon seit seinem vierten Lebensjahr spielt Ding Liren Schach und zeigte dort bald großes Talent. Nach der Schulausbildung begann er ein fünfjähriges Jurastudium und schloss dieses auch auf Wunsch seines Vaters auch ab, obwohl er eigentlich überhaupt kein Interesse daran hatte und im Schach schon große Erfolge feierte.

Auch sonst ist Ding Liren durchaus belesen. Als er in der 14. Partie des Wettkampfes mit dem Rücken zur Wand stand und ums Remis kämpfen musste, gingen ihm die Gedanken von Albert Camus durch den Kopf. "Ich erinnerte mich daran, wie Albert Camus über das Konzept des Widerstands sprach. Wenn man merkt, dass man nicht gewinnen kann, muss man alles in seiner Macht stehende tun, um Wiederstand zu leisten. Und diese Erinnerung gab mir die Entschlossenheit, die ich brauchte."

Ding Liren sieht durchaus Analogien zwischen Philosophie und Schach, denn "beides ist abstrakt!" Schach habe aber auch eine starke sportliche Komponente, weiß der kulturinteressierte Ding Liren: "Ich bin sowohl sehr emotional als auch rational. Und ich bin auch ein Kunstliebhaber. In meinem normalen Leben schaue und höre ich gerne dem Regen zu und spiele auch Basketball. Aber wenn ich zu einem Turnier komme, muss ich diese Gefühle vergessen, um strenger und professioneller zu sein."

Ding sieht sich im Schach jedoch eher als Wissenschaftler, der sein Wissen über das Schach im Studium des Spiels immer weiter vervollkommnen möchte. 

Im Wettkampf mit Ian Nepomniachtchi sei er zweimal in einen Kamikaze-Modus gewechselt. In der siebten Partie inszenierte Ding mit sehr wenig Zeit auf der Uhr einen erfolgversprechenden Angriff und verlor. Schlauer wäre es gewesen, erst die Zeitkontrolle abzuwarten und dann mit mehr Zeit anzugreifen. "Ich war mir einfach nicht bewusst, wie unter Zeitdruck ich stand", erklärte Ding sein Verhalten. Mehr Erfolg hatte der neue Weltmeister mit seiner Risikobereitschaft in der vierten und letzten Stichkampfpartie. "Nepo war der Favorit im Schnellschach und noch mehr im Blitzschach. Also habe ich die letzte Schnellschachpartie auf Gewinn gespielt."

Wie geht es nun für Ding Liren als Weltmeister weiter? "ich muss ein starkes Team aufbauen, mit guten Trainern und leistungsstarken Computern. Ich muss professioneller werden", hat sich Ding vorgenommen. Beim Sieg gegen im WM-Kampf gegen Ian Nepomniachtchi sei Dings Sekundant Richard Rapport ein wichtiger Faktor gewesen: "Er hat all die Kreativität eingebracht, die mir bei meinen Eröffnungen bisher gefehlt hat." Mit einem starken Team sieht Ding Liren sich auch gerüstet, in zwei Jahren eine erfolgreiche Titelverteidigung zu spielen, gegen Carlsen, wenn dieser noch einmal antreten will, oder gegen die junge Generation, die nach den Sternen greift.

Interview von Leontxo Garcia mit Ding Liren in El Pais (englische Fassung)...


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.