Emanuel Lasker III: "Labors and Legacy - Chess, Philosophy, and Psychology"

von André Schulz
28.07.2022 – Im Exzelsior Verlag ist nun der dritten Band der englischsprachigen Ausgabe der Lasker-Biografie erschienen, herausgegeben von Richard Forster, Michael Negele und Raj Tischbierek. Wie die beiden ersten Bände ist auch der Schlussband sehr lesenswert und öffnet dem Leser mit Hilfe von Laskers Gedankenwelt, die hier in vielen Aspekten vorgestellt wird, neue Horizonte.

ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024 ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024

ChessBase ist die persönliche Schach-Datenbank, die weltweit zum Standard geworden ist. Und zwar für alle, die Spaß am Schach haben und auch in Zukunft erfolgreich mitspielen wollen. Das gilt für den Weltmeister ebenso wie für den Vereinsspieler oder den Schachfreund von nebenan

Mehr...

Emanuel Lasker: "Labors and Legacy - Chess, Philosophy, and Psychology"

Der Berliner Exzelsior Verlag hat nun den dritten und letzten Band der englischsprachigen Biografie zum einzigen deutschen Schachweltmeister Emanuel Lasker veröffentlicht. 2015 erschien eine erste großformatige Lasker-Biografie in deutscher Sprachen, die seit Langem gründlich vergriffen ist. Die neue englische Ausgabe wurde nun auf drei handlichere Bände verteilt und um eine Reihe von neuen Aspekten und Erkenntnissen inhaltlich erweitert. Herausgeber der Biografie sind die Schachhistoriker Robert Forster und Michael Negele und der Verleger Raj Tischbierek. In jedem der drei Bände stellen kompetente Autoren in ihren Aufsätzen verschiedene Themen und Aspekte rund um Emanuel Laskers Leben und Schaffen vor.

Der dritte Band trägt den Titel: "Labors and Legacy - Chess, Philosophy, and Psychology" und enthält neun Kapitel auf 453 Seiten plus einen 15-seitigen Anhang. Der Band beginnt mit dem dritten Teil eines "Biografischen Kompasses", der von Richard Forster verfasst wurde. Er reicht auf über 100 Seiten zeitlich vom Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 bis zu Laskers Lebensende 1941. Der Beginn des Ersten Weltkrieges bedeutete eine dramatische Zäsur in Laskers Leben. Er musste unter anderem sein Schachmagazin "Der Schachwart" einstellen und konnte seine Schachkolumne in der New York Evening Post nicht fortführen.

Als deutscher Patriot gehörte er zu einer Gruppe von Wissenschaftlern, die sich für das Reichsheer mit möglichen Verbesserung der Artillerie befassten. Zu Anfang des Kriegs schrieb Lasker politische Kolumnen und hielt patriotische Vorträge vor dem "Vaterländischen Frauenverein".  Später wandte er sich wieder mehr mathematischen Untersuchungen, der Philosophier und dem Schach zu. Das eigentliche Schachleben war durch den Krieg allerdings völlig zum Erliegen gekommen, mit wenigen Ausnahmen, und sollte auch nach dem Krieg noch einige Zeit brauchen, bis es sich neu formieren konnte. In den Kriegsjahren verlor Lasker zudem einen Großteil seiner Einkünfte. Seine Ersparnisse hatte er wie viele andere auch in Kriegsanleihen angelegt, die nach dem Krieg aber wertlos waren.

1920 ging Lasker in die Niederlande, das für ihn zu einer zweiten Heimat wurde. Inzwischen hatte Capablanca die Verhandlungen über einen WM-Kampf wiederaufgenommen. Dieser fand dann bekanntlich 1921 auf Kuba statt. Lasker gab ihn bei schlechter Gesundheit vorzeitig auf, nachdem er 27 Jahre lang Weltmeister gewesen war. Zum alten Eisen gehörte Lasker aber noch lange nicht, wie er drei Jahre später beim Turnier in New York 1924 bewies, als der 57-Jährige die übrige Weltelite in Grund und Boden spielte.

Ein weiterer bitterer Wendepunkt in Lasker Leben war die Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland. Lasker befand sich in Berlin als Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde. Im Februar 1933 reiste er ohne seine Frau Martha nach Paris, traf ein paar Freunde und begab sich dann in die Niederlande. Nach Deutschland kehrte er nicht mehr zurück. Martha Lasker blieb in Berlin, da hier viele ihrer Familienangehörigen lebten. Finanziell ging es Lasker inzwischen immer schlechter. Als Jude wurden ihm in Deutschland nach und nach die Kolumnen gekündigt.

1934 verließ Lasker die Niederlande und zog nach London. Seine Frau Martha besuchte ihn dort für einige Wochen, kehrte dann aber wieder nach Berlin zurück. 1935 spielte Lasker ein Turnier in Moskau - Martha begleitete ihren Mann auf dieser Reise - und beantragte bei Nikolai Krylenko, dem Chef der sowjetischen Schachsektion, für sich und seine Frau eine permanente Aufenthaltsgenehmigung in der Sowjetunion, die bewilligt wurde. Nach dem Turnier kehrten die Laskers noch einmal in in ihre Wohnungen nach London und Berlin zurück und Martha liquidierte die Wohnung in Berlin. Das Paar traf sich in Warschau und reisten von dort gemeinsam zu ihrer neuen Wahlheimat, nach Moskau.

Die Lebensumstände in der sowjetischen Hauptstadt waren aber weit weniger angenehm, als die Laskers es sich gewünscht hatten. Der ehemalige Schachweltmeister wurde zwar nicht nur von den Schachfans bejubelt, aber das gesellschaftliche Leben, auch in der sowjetischen Schachwelt, war von der politischen Atmosphäre in der stalinistischen Sowjetunion völlig vergiftet. Die Zeit der Schauprozesse und "Säuberungen" begann, denen schließlich auch Krylenko zum Opfer fiel. Lasker spielte 1936 seine beiden letzten Turniere, in Moskau und in Nottingham. Im September 1937 reisten Emanuel und Martha Lasker nach Chicago, um eine Enkeltochter zu besuchen. Nach Moskau kehrten sie nicht zurück. In den USA gab er in den folgenden Jahren noch einige Simultanvorstellungen. 1941 starb Emanuel Lasker im Mount Sinai Hospital in New York.

Laskers Lebensweg wird von Richard Forster mit vielen Details nachgezeichnet und durch viele zeitgenössische Fotos, nicht nur von Lasker und seiner Frau in bisher unbekannten Aufnahmen, sondern auch von vielen anderen Personen, denen Lasker auf seinem Weg begegnet ist, Schachspieler, Organisatoren und andere Persönlichkeiten, illustriert. Die qualitativ sorgfältig aufbereiteten Fotos und Porträts sind in großer Zahl auch in den anderen Kapiteln eingefügt und rücken das Lebensbild des einzigen deutschen Weltmeisters näher an die Gegenwart heran. Sie zeichnen zudem ein Bild der damaligen Zeit.

Lasker demonstriert die Saavedra-Studie. Ihm gegenüber sitzt Ossip Bernstein

Laskers intensive Beziehung zu Russland wird in einem eigenen gut 70 Seiten umfassenden Kapitel vom russischen Journalisten und Schachhistoriker Sergey Vorokov vorgestellt. Zu Russland hatte Lasker eine besonders positive Beziehung, denn viele seiner Erfolge feierte er in Russland, später in der Sowjetunion. Hier spielte er bei sechs großen Turnieren mit, 1895/96, 1909 und 1914 in St. Petersburg, 1925,1935 und 1936 in Moskau.

Die fünf Finalisten des Turniers St. Petersburg 1914, sitzend von links: Lasker, Aljechin, Capablanca, Marshall und Tarrasch

Drei dieser Turniere gewann er, einmal wurde er Zweiter, einmal Dritter. Nur bei seinem letzten Turnier, im Alter von 67 Jahren, belegte er keinen der vorderen Plätze. 1896 spielte Lasker in Moskau seinen Revanchekampf gegen Wilhelm Steinitz, der aber kein gleichwertiger Gegner mehr war und zum Ende des Matches einen Nervenzusammenbruch erlitt. 1899 besuchte Lasker Moskau für einige Simultanvorstellungen, Beratungspartien und kleinere Wettkämpfe.

Foto von Lasker und Capablanca, Moskau 1925 in einer russischen Zeitung.

Vorokov berichtet en detail von Laskers Reisen und Turnieren nach Russland und in die Sowjetunion und den Umständen, unter denen die Turniere dort organisiert wurden. Bisweilen begleitet Vorokov den deutschen Weltmeister so minutiös, als wäre er selber bei Laskers Aktivitäten dabei gewesen.

Die beiden Schachgroßmeister und Philosophie-Experten Marco Baldauf und Dr. Jan Sprenger, Marco Baldauf studierte Philosophie in München und Berlin, Dr. Jan Sprenger studierte Mathematik und Philosophie in Bonn und ist Professor für Logik und Philosophie der Wissenschaft in Turin, befassen sich in ihrem Beitrag mit Lasker philosophischen Bemühungen. Lasker veröffentlichte mehrere größere Schriften zur Philosophie, "Kampf" (1907), "Das Begreifen der Welt (1913)" und "Philosophie des Unvollendbar" (1919), und einige weitere Essays. Lasker selber schätzte seine Beiträge zur Philosophie als hoch ein, wurde aber von der akademischen Welt nicht wahrgenommen. Baldauf und Sprenger geben einen Überblick über die philosophischen Strömungen zu Anfang des vergangenen Jahrhunderts und ordnen Laskers Ideen und Gedanken ein. Ihr Fazit fällt kritisch aus. Lasker mangele es in seinen philosophischen Schriften nicht an originellen Ideen, aber an Klarheit.

Ulrich Sieg, Professor für Neuere Geschichte in Marburg, stellt in seinem Beitrag "Lasker and Judaism" Laskers Beziehung zur Welt des Judentums vor. Wie andere bedeutende deutsche Schachspieler seiner Zeit, Mieses oder Tarrasch beispielsweise, entstammte Lasker einer jüdischen Familie und war sich den Traditionen dieses Kulturkreises bewusst. Sie waren selbstverständlicher Bestandteil seines Lebens. Aber er war zumindest bis nach dem Ersten Weltkrieg mehr deutscher Patriot als Jude. Erst im aufkommenden Antisemitismus nach dem Ersten Weltkrieg wurde Laskers Identifikation mit seinen jüdischen Wurzeln intensiver.

 

Laskers Beitrag zur "Psychologie des Spiels" wird von Dr. Fernand Gobet, Internationaler Meister und Kognitionspsychologe, derzeit an der London School of Economics tätig, vorgestellt. Ein von Richard Reti ins Leben gerufener Mythos ist Laskers angebliche "psychologische Spielweise", mit der er auf die Schwächen der Gegner spiele und immer den unangenehmsten Zug mache. Lasker selber und beispielsweise auch Dr. Robert Hübner haben dem widersprochen. Lasker hat sich indes mit der allgemeinen Psychologie des Spiels eingehend beschäftigt und lange an einer Veröffentlichung zu diesem Thema gearbeitet. Sein Werk "The Psychology of the Game – A Compass for Business and Living" wurde jedoch nicht gedruckt. Dr. Fernand Gobet stellt Laskers Ideen zu Stärken und Schwächen von Spielern in seinem Kapitel ausführlich vor.

Laskers handschriftliche Notizen in zwei Sprachen

Für alle Schachfreunde sind Lasker Kolumnen und Veröffentlichungen zum Schach naturgemäß am interessantesten. Lasker war auch hier ausgesprochen produktiv und seine Kolumnen werden von Richard Forster vorgestellt. Neben seinen vier Schachmagazinen, die Lasker zwischen 1892 und 1914 herausgab oder betreute, veröffentlichte er regelmäßig Schachkolumnen, die täglich, wöchentlich oder monatlich erschienen. Richard Forster listet nicht weniger als 16 Zeitungen und Magazine auf, für die Lasker regelmäßig schrieb, Publikationen in Deutschland, den USA, der UdSSR und einigen weiteren Ländern.

Eine Bibliographie von Lasker Veröffentlichungen liefert Egbert Meisenburg. Laskers Bücher wurden in unzählige Sprachen übersetzt. Sein Werk "Common Sense in Chess" (1896, dt. Gesunder Menschenverstand im Schach") erschien beispielsweise auch in Tschechisch, Französisch, Italienisch, Russisch, Isländisch, Serbisch, Spanisch, Schwedisch und Bengali (!).

Herbert Bastian beleuchte Laskers Rolle als Schachlehrer und stellt Laskers Lehrbücher vor und die dort formulierten Grundsätze zu Eröffnung, Mittelspiel und Endspiel. Lasker orientiert sich natürlich an seinem eigenen Spielverständnis, aber er formuliert auch einige gängige Regeln, z.B. "Ziehe deinen Läufer nicht nach g5 (g4), bevor der Gegner rochiert hat." Lasker untersuchte aber auch den Spielstil verschiedener Schachmeister seiner Zeit und versuchte den Begriff des "Stils" zu klassifizieren, was ihm recht treffend gelang. Da gibt es beispielsweise den "Automaten", der jeder Situation den passenden Zug parat hat, diesen ohne großen Aufwand findet und in gleichen Stellungen den gleichen Zug spielt. Die große Meisterschaft sieht Lasker im Kampf zweier großer Geister. Herbert Bastian bringt auch einige Beispiele der Rezeption. Der australische Meister Purdy war ein großer Lasker-Anhänger, Botvinnik war es nicht.

Im letzten Kapitel gibt es auch noch Schachpartien von Emanuel Lasker. Mihail Marin stellt einige herausragende Partien aus Laskers letzten Turnieren vor, Zürich 1934, Moskau 1935, Nottingham 1936 und Moskau 1936, und analysiert sie in der von ihm gewohnten großen Sorgfalt.

Der dritte Band der englischen Lasker-Biographie macht großen Spaß und funktioniert auch ohne Kenntnis der ersten beiden Bände, aber die Freude am Stoff ist mit den anderen Bänden natürlich noch größer. Lasker war sicher nicht überall gleichermaßen kompetent und erfolgreich, bisweilen überschätzte er sich, aber auf jeden Fall war er in seinem Schaffen nicht aufs Schach alleine reduziert, wie die meisten anderen großen Schachmeister.

Der Leser wird in die Welt der 1920 und 1930 Jahre zurückgebeamt und sieht sie hier mit den Augen von Emanuel Lasker. Ein lesenswertes Buch und auch ein sehr schönes Buch!

RICHARD FORSTER / MICHAEL NEGELE / RAJ TISCHBIEREK (HRG.)
Emanuel Lasker Volume III
Labors and Legacy: Chess, Philosophy, and Psychology

64,- Euro

 

Leseprobe beim Exzelsior Verlag...

Bestellseite des Exzelsior Verlags...

Lasker III bei Niggemann bestellen...

Emanuel Lasker Online...

Emanuel-Lasker-Gesellschaft...


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.