Eröffnung der Lasker-Ausstellung in Berlin

von ChessBase
24.10.2005 – An diesem Wochenende führt die Lasker-Gesellschaft in Berlin ein großes Lasker-Wochenende mit einer Reihe von Veranstaltungen durch. Den Anfang machte am Donnerstag Abend die Eröffnung einer Ausstellung zu Ehren des einzigen deutschen Weltmeisters. Auf 450 qm sind zahlreiche Ausstellungstücke - Bücher, Spiele, Spieltische, Handschriften - zu sehen, die in Verbindung zu Dr. Emanuel Lasker und seiner Zeit stehen. Darunter befindet sich auch ein ganz besonders Schachspiel, dass kürzlich durch Zufall wieder entdeckt wurde und ebenso zufällig - oder vielleicht auch nicht, wenn man an schicksalhafte Fügungen glaubt - in die Ausstellung gelangte. Mit diesem spielten der spätere Oberbürgermeister von Berlin, Ernst Reuter ("Ihr Völker der Welt.., schaut auf diese Stadt..") und der Arbeiterführer Wilhelm Leuschner 1933 unter traurigen Umständen Schach. Unter anderem dessen gedachte zusammen mit vielen Gästen am Donnerstag Abend Ernst Reuters Sohn Edzard Reuter. Ansprache von Edzard Reuter anlässlich der Eröffnung der Lasker-Ausstellung (Video)...Bericht und Fotos von der Eröffnung...

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"Die Lust am Denken"
Von André Schulz
Fotos: Benjamin Bartels, André Schulz


Dr. Emanuel Lasker

Wer in einer immer komplexer werdenden Welt mit vielen Informations- und Unterhaltungsangeboten als Sport auf sein Angebote aufmerksam machen möchte, braucht leuchtende Aushängeschilder. Für das deutsche Schach, sogar für das Schach insgesamt, könnte diese Rolle die Lasker-Gesellschaft übernehmen, die seit ihrer Gründung vor vier Jahren bereits eine Menge für die deutsche - und nicht nur diese - Schach-Kultur bewegt hat.

Die Galionsfigur der Lasker-Gesellschaft ist ihr Namensgeber, der Mathematiker, Philosoph und langjährige Schachweltmeister Dr. Emanuel Lasker. Heute wäre Lasker ein absoluter Superstar, eine Art Über-Kasparov. Ebenso erfolgreich wie dieser im Schach, aber zusätzlich noch mit einem fundierten akademischen Hintergrund ausgerüstet. Und genau das war er zu seiner Zeit auch. Seine Schwägerin, Gattin seines ältesten Bruders Berthold, war die Dichterin Else Lasker-Schüler, der Expressionist Max Oppenheimer malte Portraits von ihn, Lasker spielte Schach mit Max Planck und zählte Albert Einstein zu seinen Freunden.

Als die Nationalsozialisten Deutschland gleichschalteten, störte der jüdische Schachweltmeister das gewünschte Bild und sie ließen seinen Namen aus den Schachwerken streichen. In den zertrümmerten Ruinen Nachkriegsdeutschlands gab es dann dringendere Probleme als eines Schachweltmeisters zu gedenken und später, als man wieder Muße hatte, sich zu erinnern, war sein Abbild schon ziemlich verblasst. Und zwischen ihm und heute liegt auch noch der Riegel, den die Nazis über den Juden gehängt hatten, und der den Zugang bis jetzt erschwert.

Vielleicht hat manch einer auch schon daran gedacht, aber Paul Werner Wagner war dann derjenige, der sich für die Gründung einer Lasker-Gesellschaft einsetzte, und diese 2001 zusammen mit Freunden und Gleichgesinnten im Rahme einer parallel organisierten Lasker-Konferenz realisierte.


Paul Werner Wagner ins einem Element

Schnell gesellten sich viele Schachfreunde hinzu, die Schach nicht nur als sportlichen Wettkampf, sondern vor allem auch als Teil menschlicher Kultur verstehen und denen dabei die Schachgeschichte, mit Lasker als wichtigem Bestandteil, am Herzen liegt. Berühmte Großmeister wie Viktor Kortschnoj, Yuri Averbach, Lothar Schmid, Wolfgang Unzicker oder Wolfgang Uhlmann waren von Anfang an dabei.


Yury Averbach


Wolfgang Unzicker dankte für die Ehrung zum 80sten Geburtstag

Anatoly Karpov ist kürzlich bei getreten. Ebenso der Schachhistoriker Isaak Linder, der 1935 gegen Lasker in Moskau im Simultan gespielt hat und dem Lasker anschließend zur guten Partie gratuliert hat (Jeder, der ihm die Hand schütteln darf, ist nur ein Handschlag von Emanuel Lasker entfernt!) . Außerdem viele Wissenschaftler, Schachistoriker, die Chess Collectors um den Sammler Dr. Thomas Thomsen, Journalisten, Schachfreunde.


Averbach, Linder, Kortschnoj an dem Tisch, an dem 1910 die Weltmeisterschaft Lasker gegen Schlechter gespielt wurde.




Issak Linder überbrachte die Grüße des Russischen Verbandes

Mit dem Beitritt des Geschäftsführers der Berliner Werbeagentur Dorland Stefan Hansen zum Präsidium der Lasker-Gesellschaft eröffneten sich nun neue Möglichkeiten, denn Dorland bzw. Stefan Hansen konnte Räumlichkeiten in dem seinem weiträumigen Sitz seiner Agentur zu Nutzung bereit stellen, wodurch die Idee einer Lasker-Ausstellung, aus vielleicht einmal ein Schachmuseums erwachsen könnte, aus den Träumen in die Wirklichkeit versetzt werden konnte.

Nach langer und harter Arbeit war es dann am letzten Donnerstag soweit. Im Rahmen eines Lasker-Wochenende wurde die Ausstellung unter dem Titel "Die Lust am Denken", einem Zitat aus Laskers Handschriften, im Dorland-Gebäude in Berlin Kreuzberg eröffnet (Besuch der Ausstellung nur nach telefonischer terminvereinbarung mit Susanna Poldauf: 030 22 488858).

Die Lasker-Gesellschaft versteht diese Ausstellung als ersten Schritt eines Vorhabens, in dessen Verlauf in Berlin ein deutsches, vielleicht sogar europäisches Schachzentrum entstehen soll. Für dieses stünden die großen Sammlungen an Büchern - von Lothar Schmid -  und Spielen - von Dr. Thomas Thomsen - zum Erwerb bereit, doch wäre dies ohne öffentliche Gelder nicht realisierbar. Nun hofft man, mit dieser ersten Ausstellung - weitere sollen folgen - der Öffentlichkeit, genau genommen: der öffentlichen Hand, das Kulturgut Schach in angemessener Weise zu präsentieren und für das Kulturgut Schach zu werben. Eine Werbeagentur ist eigentlich der beste Platz dafür.


Dr. Thomas Thomsen (re.) erläutert Matthias Wüllenweber seine Ausstellungsstücke

Die Person Emanuel Laskers bietet beste Voraussetzungen, die manchmal divergierenden Kräfte im Schach zu einigen, denn es gibt für viele, vielerlei Gründe, warum man sich mit Lasker identifizieren und ihn zu seinem Idol erheben kann. Geboren wurde er als Sohn des Kantors Adolf Lasker und seiner Ehefrau Rosalie Israelssohn in dem pommerschen Örtchen Berlinchen, das heute Barlinek heißt. Damals gehörte Pommern zu Deutschland, heute zu Polen und damit haben beide Nationen Grund, Lasker zu feiern. In Barlinek wird von dieser Möglichkeit auch eifrig Gebrauch gemacht und Polen entsandte 2001 zur Lasker-Konferenz seinen Botschafter. Lasker war außerdem einer von vielen deutschen Juden, die so nachhaltig an dem dynamischen Aufschwung und der Kultur des jungen deutschen Staates beteiligt waren, dass man die Ursache der folgenden Feindseligkeit mit seinen grausamen Konsequenzen rational nie begreifen wird. Auf seinem Lebensweg machte er in vielen Städten Station - u.a. Berlin, London, Moskau und New York. Die russische Delegation mit Yuri Averbach und Isaak Lindner, regelmäßiger Gast auf allen Veranstaltungen der Lasker-Gesellschaft, betont immer wieder den bedeutenden Einfluss, den der deutsche Weltmeister mit seinen Turnierteilnahmen und seinem Aufenthalt in Moskau auf die Entwicklung des Schachs in Russland hatte.

Für die Zusammenstellung der Lasker-Ausstellung ist Susanna Poldauf verantwortlich, die sich als Kuratorin auch um die Beschaffung der Exponate gekümmert hat.


Susanna Poldauf


Rainer Wosin (ChessBase) bewundert die Ausstellungsgegenstände


Alte und neue Bücher


Modell des geplanten Wiederaufbaus des Laskerhauses in Tyhrow


Das Laskerhaus


Die Familie Lasker in Berlinchen, heute Barlinek


Gedenkmünzen


Schachkunstwerk mit einer handschriftliche Äußerung von Albert Einstein über seinen Freund Lasker

Dabei hat schon diese Ausstellung einige neue Erkenntnisse gebracht, denn es wurden bisher unbekannte Korrespondenzen Lasker gesichtet, aus denen hervor geht ,dass der einzige deutsche Schachweltmeister Deutschland nicht erst mit der Machtergreifung der Nazis verlassen hatte, sondern schon vorher wegen der Weltwirtschaftskrise, die ihm in Deutschland die materielle Lebensgrundlage entzogen hatte. Bereits 1929 war Lasker nicht mehr in Deutschland.

Die Ausstellung zeigt eine Reihe von Gegenständen, die direkt in Verbindung mit Lasker stehen: von ihm geschriebene Bücher über Schach, Bridge oder sogar Skat. das von ihm erdachte Lasca-Spiel oder Handschriften aus seiner Korrespondenz. Ein Nebenthema der Ausstellung ist "Schach in Krieg und Gefangenschaft". Hierzu war u.a. ein Spiel zu sehen, an dem sich eine bewegte, teils tragische Geschichte knüpft, die der Ehrengast Edzard Reuter in bewegenden Worten erläuterte.


Ehrengast Edzard Reuter mit Gastgeber Stefan Hansen


Petra Kortschnoj

Petra Kortschnoj, die 1946 in Wien von den Russen als vermeintliche Anhängerin eines Leipziger katholischen Studentenführers verschleppt wurde und 10 Jahre in sibirischen Lagern verbrachte, hatte Zeugnisse ihrer Gefangenschaft - ein Buch als Preis für ein gewonnenes Schachturnier und eine Urkunde, im sibirischen Workuta ausgestellt - zur Verfügung gestellt.


Johannes Fischer, Autor und Übersetzer, u.a. für "Karl"

Die Gäste der Eröffnung wurden gleich von der besonderen Atmosphäre der Ausstellung gefangen genommen, durch viele liebevoll gestaltete Details erzeugt. Dabei stand ein Schreibtisch im Mittelpunkt, der als "interaktives Element" (Poldauf) Laskers Schreibtisch darstellte.


Blick über den nachempfundenen Schreibtisch Laskers


Figuren aus dem besitz von Dr. Thomas Thomsen


Alte Bücher

Auf diesem herrschte eine furchtbare Unordnung um eine alte Schreibmaschine herum, in die noch ein Blatt Papier mit zahlreichen korrigierten Tippfehlern - gleich ist der Autor dadurch jedem sympathisch, der selber schreibt - eingespannt war. Überall lagen alte Bücher zu allen möglichen Themen herum. Neben der Schreibmaschine wartete eine dicke Zigarre darauf, angezündet und verbrannt zu werden, was gottlob nicht geschah, aber wahrscheinlich sogar erlaubt gewesen wäre. An einer gegenüber liegenden weißen Wand hatte man die Handschrift aus einem von Laskers Briefen in riesiger Schrift auf die Wand übertragen.



So wurde die Ausstellung von den Gästen entsprechend begeistert aufgenommen. Stefan Hansen dankte in seiner Ansprache allen, die bei der Realisierung geholfen hatten, darunter den Mitarbeitern seines Hauses, die wegen der Inanspruchnahme durch das Projekt bald schon "dachten, sie seien in einem Schachklub und nicht in einer Werbeagentur angestellt".


Andreas Kaulich sorgte für alles mögliche, u.a für stabile Internetleistung


Die fleißigen Dorland -Mitarbeiter, Andreas Kaulich, Stefanie Krause und viele anderes, hielten sich bei der Eröffnung im Hintergrund und freuten sich, dass alles wie geplant funktionierte

Ein besondere Dank ging an Susanna Poldauf, die mit immensem Engagement der Ausstellung ein faszinierendes Gesicht gab und in ihrer Rede vor allem der Hoffnung Ausdruck gab, "die Vitrinen mögen bitte nicht zusammen krachen". Gedankt wurde den Geldgebern: neben dem Dorland waren dies u.a. ChessBase und Raj Tischbiereks Excelsior-Verlag. Paul Werner Wagner würdigte die Person Laskers und erzählte, wie alles begann.



Dr. Matthias Kribben sprach als Vertreter des Berliner Schachverbandes und Isaak Lindner verlas ein Grußwort des Russischen Schachverbandes, der, wie bereits erwähnt zu Lasker eine besondere Beziehung hatte. Schließlich sprach Ehrengast Edzard Reuter über die Rolle des Schachs als bleibendes Gedankengut in einer Welt, in der Globalisierung und neoliberaler Kapitalismus nur vorüber gehende Eposiden sein werden. Und er erzählte, wie eines der Ausstellungsstücke, ein kleines Spiel, seinen Weg hierher fand.


Foto unten: Wilhelm Leuschner

Das kleine trotz hübscher Holzfiguren kaum besonders wertvolle Schachspiel hätte auch schon gleich in den dunklen Jahren bis 1945 abhanden kommen können, besonders da einer seiner Besitzer, Wilhelm Leuschner, 1944 infolge des Attentats vom 20. Juli hingerichtet wurde. Stattdessen wurde es innerhalb der Familie von den Erben Leuschners bewahrt und von Generation zu Generation weiter gereicht. Irgendwann verschwand es wohl in einer Umzugskiste und damit zunächst aus den Augen. Schließlich fand eine Urenkelin Leuschners das Spiel beim Aufräumen auf ihrem Dachboden. Und als sie die als Brett verwendbare Holzkiste öffnete fand sie darin neben den Figuren die Namen von Ernst Reuter und Wilhelm Leuschner und rief den Sohn von Ernst Reuter, Edzard Reuter, an.

Unmittelbar nachdem die Nationalsozialisten an die Macht kamen, begannen sie anders Denkende  - Politiker, Künstler, Intellektuelle - zu verhaften und in Lager einzusperren. Die beiden verhafteten Arbeiterführer und Sozialdemokraten Reuter und Leuschner trafen sich im KZ Lichtenburg. Leuschner war schon vorher mehrfach von den Nazis verhaftet und misshandelt worden. Im KZ wurde ihnen zugestanden, Schach zu spielen. Zum Nachweis wurden ihre Namen auf dem Brett vermerkt. Beide kamen 1934 frei. Reuter ging mit seiner Familie, darunter sein Sohn, der sechsjährige Edzard, ins Exil in die Türkei während. Leuschner blieb in Deutschland. Als Inhaber einer Aluminiumfabrik mit einigen kriegswichtigen Patenten bekam Kontakt zum Widerstandkreis um Stauffenberg. 1944 wurde Leuschner nach dem missglückten Attentat auf Hitler am 29. September in Berlin Plötzensee hingerichtet. Reuter kehrte 1946 nach Deutschland zurück und nahm seine politische Arbeit auf. Er wurde Oberbürgermeister von West-Berlin und war die Symbolfigur des Durchhaltewillens der Berliner Bürger in der Zeit der Blockade. Berühmt ist seine Rede vor der Ruine des Reichstags , in der er die Westmächte auffordert, an Berlin festzuhalten: ("Ihr Völker der Welt.., schaut auf diese Stadt..."). Als er 1953 64-jährig überraschend an den Folgen einer Grippeinfektion stirbt, stellen die Berliner spontan Kerzen in ihre Fenster. Eine Million Menschen geben ihm das letzte Geleit.

Ernst Reuter war dem Schach sehr zugetan und in der für ihn schweren Zeit im KZ Lichtenburg hat das Schach für ihn eine ganz besondere Rolle gespielt. Sein Sohn Edzard, von 1987 bis 1995, Vorstandvorsitzender der Daimler Benz AG, hat selber nur in frühester Jugend Schach gespielt, aber immer eine Beziehung zur Jugendliebe gehabt ("Wie das so ist: Die erste Liebe vergisst man nie, aber man hat sie nicht mehr."). Über seinen Freund Dr. Thomas Thomsen war er aber zur Lasker-Gesellschaft gekommen und wusste auch von den Plänen Paul Werner Wagner für eine Ausstellung "Schach in Krieg und Gefangenschaft".

Als Edzard Reuter den Anruf von Leuschners Enkelin entgegen nahm und von dem Fund erfuhr, war er sofort elektrisiert. Da man keinen sofortigen Termin für die Übergabe fand, vertagte man sich auf später. In seiner Aufregung notierte Edzard Reuter weder Namen noch Adresse oder Telefonnummer. Nachdem einige Zeit vergangen war, traf er einen Bekannten, der in der Nähe des Ortes wohnte, wo die Leuschner-Enkelin wohnte und erzählte ihm die Geschichte. Dieser hatte sofort eine Idee, um wen es sich handeln könnte und tatsächlich konnte er innerhalb weniger Tage den Kontakt wieder herstellen.

So kam dieses Schachspiel, um das sich viel deutsche Geschichte rankt, mit Hilfe vieler Zufälle in den Besitz von Edzard Reuter und über ihn in zur Lasker-Gesellschaft und die Lasker-Ausstellung. Doch ein Zufall fehlt noch.

Als sich Edzard Reuter und Stefan Hansen trafen, um einige Details zu besprechen, und Hansen die Geschichte des Spiels erfuhr, holte er eine Visitenkarte hervor und forderte Reuter auf, sich die Adresse anzuschauen. Die Lasker-Ausstellung befindet sich nämlich im Haus der Dorland-Werbeagentur. Und dieses, ein altes Senatsdepot, befindet sich im ... Leuschnerdamm.


Dorland-Haus am Leuschnerdamm

Zum Ausklang des offiziellen Teils der Eröffnung der Lasker-Ausstellung wurde in dem Teil der Ausstellung, der von ChessBase mit einer kleinen Computerschachretrospektive bestückt wurde, ein Schachkampf über das Internet gespielt.


Der Computerteil der Ausstellung




Matthias Wüllenweber (ChessBase) testet die Internetanbindung

Dazu nahm in Berlin der Freiburger Kabarettist Matthias Deutschmann Platz, in New York zu gleichen Zeit die vierfache Weltmeisterin Zsuzsa Polgar, die älteste der berühmten Polgar-Schwestern. So wurden auf zeitgemäße Weise zwei Orte miteinander verbunden, die Lebensstationen Lasker waren: In Berlin hatte er lange Zeit verbracht, New York war Schauplatz großer Turnierserfolge und dort starb er am Ende seines Lebensweges.


Zsuzsa Polgar

Matthias Deutschamnn war in seiner Jugend ein sehr starker Spieler, gehörte zum deutschen Jugendkader und spielte für Zähringen in der Bundesliga. Dann machte er Karriere als Kabarettist, ohne dabei jedoch die Verbindung zum Schach je zu verlieren. Als das Schachprogramm Fritz sprechen lernte, tat es das mit der Stimme Deutschmanns und mit dessen bissigem Spott. Es kommt vor, dass sich Menschen im Supermarkt erstaunt umdrehen, wenn sie hinter sich Deutschmanns prägnante Stimme hören, und ihn fragen, ob er möglicherweise etwas mit einem Schachprogramm zu tun habe.

Als er gefragt wurde, ob er als prominenter Gast und Internet geschulter Mausspieler - "Rasumovski" ist auf dem Fritzserver ein gefürchteter Bulletspieler - nicht vielleicht gegen Zusuzsa Polgar in einer Schnellpartie antreten wolle, hätte er eigentlich absagen müssen. Tags darauf hatte er einen Auftritt im Bonner Pantheon und ein hektischer Umweg, noch dazu mit seiner ständigen Requiste, einem Cello, im Gepäck, über Berlin, passte nicht in den Terminplan. Andererseits: "Gegen Zsuzsa Polgar ...? Und sie hat tatsächlich schon zugesagt?"

Nachdem er sich bereit erklärt hatte, befiel ihn in den folgenden Tagen eine gewisse Nervosität: Hier der ausgebuchte Kabarettist und nur noch Hobbyschachspieler, da die vierfache Weltmeisterin, die nach einer Mutterschaftspause bei der Schacholympiade in Calvia ein grandioses Comeback gefeiert hatte.


André Schulz, Matthias Deutschmann

Noch Minuten vor der Partie studierte er auf einem Notebook alle möglichen Eröffnungen und Varianten, untersuchte noch ein paar Spitzfindigkeiten im Aljechin-Chatard-Angriff - falls das aufs Brett kommt - und schaute sich noch dies und das an.


Vorbereitung am Notebook: Edzard Reuter will wissen, ob man mit Computerschach die Jugendlichen erreicht. Rechts. Matthias Wüllenweber


Industriemanager und Kabarettist: Edzard Reuter und Matthias Deutschmann

Und dann war es soweit. Gespielt wurde mit 15 Minuten Bedenkzeit. Deutschmann hatte Weiß und machte das, wofür er auf der Bühne, aber auch auf dem Schachbrett bekannt ist: die Dinge mit großer Schärfe und Bissigkeit anzupacken.

Er wählte das Blackmar-Diemer-Gambit und brach bald alle Brücken hinter sich ab. Die Weltmeisterin in New York hatte mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen und musste sich umsichtig gegen Deutschmann verteidigen, wobei sie sich aber noch die Zeit nahm, Deutschmann darauf hinzuweisen, dass sie ihre Schülern lehrt, möglichst rasch zu rochieren.



Deutschmanns König war in der Mitte geblieben, Polgars allerdings auch. Fast jeder der knapp 200 Gäste war in den Computerteil der Ausstellung gekommen, um sich das Spektakel anzusehen, das mit Helmut Pfleger einen wie immer launigen Kommentator hatte.


Juliane Mieke von der Hochschule für Film und Fernsehen, Potsdam, die gerade einen Schachfilm gedreht hat.


Horst Metzing (Deutscher Schachbund) und Helmut Pfleger

Ganz am Ende lief Deutschmann schließlich der Angriff und auch die Zeit weg und er verlor die überaus spannende Partie. Zsusza Polgar hat sie kommentiert und meinte, dass Deutschmann immer viel Kompensation für seinen Bauern hatte und es permanent schaffte, Polgars König zu beunruhigen.


Dr. Helmut Pfleger

Schon während der Partie wies Helmut Pfleger auf eine mögliche verpasste Chance hin mit dem Vorstoß g4-g5 den Angriff weiter zu führen. Also nahm Matthias Deutschmann einen kurzen Imbiss, schnappte sich das dann nächst beste Schachbrett - ein Schachtisch, übrigens kein geringeres Möbel als der Originaltisch, an dem 1910 der Weltmeisterschaftskampf zwischen Emanuel Lasker und Carl Schlechter gespielt wurde - und analysierte zusammen mit einigen andern Schachenthusiasten die vielleicht verpassten Angriffsmöglichkeiten.

Matthias Deutschmann gegen Zsuzsa Polgar mit Anmerkungen von Zsusza Polgar...

Matthias Deutschmann gegen Zsuzsa Polgar mit ausführlichen Analysen von Matthias Deutschmann...

An den Tagen nach der Eröffnung der Ausstellung gab es in Berlin eine Reihe weiterer Veranstaltungen. Wer beim Lesen dieser Zeilen bedauert, dass er nicht selber dabei war, kann leicht dafür sorgen, dass es beim nächsten Mal anders ist, indem er das der Lasker-Gesellschaft beitritt. und Firmen, die glauben, dass das Motto "Lust am Denken" bzw. die Aura des Schachs sich sehr gut in der Nähe ihrer Produkte machen würden, können durch Kontaktaufnahme mit dem Vorstand der Lasker-Gesellschaft sehr leicht dafür sorgen, dass sie und nicht der Mitbewerber bei der Eröffnung eines möglichen Lasker-Museums oder gar europäischen Schachzentrums im richtigen Licht erscheinen.

 

Links:

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Ernst Reuter: "Ihr Völker der Welt..." bei berlin.de...

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Edzard Reuter: "Die Welt wächst zum Dorf". Gespräch mit Günter Gaus in freitag.de...

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Rede des Ministerpräsidenten Brandenburgs Manfred Stolpe zur Eröffnung der Lasker-Konferenz 2001 in Potsdam...

 

 

 

 


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