Interview mit Adrian Mikhalchishin: Großmeister, Autor und Schachtrainer
Von Özgür Akman
Bitte erzählen Sie uns etwas über Ihre Karriere als Spieler.
Ich hatte großes Glück, in die berühmte Lvov Chess School zu kommen. Gegründet
wurde sie von dem berühmten Trainer Viktor Kart, einem engen Freund von Leonid
Stein, der regelmäßig zu unseren Trainingssitzungen kam, um seine neuesten Partien
zu zeigen. Er war unser Held und wir wollten sein wie er. Wir, das waren: die
späteren GMs Marta Litynska, Oleg Romanishin, Alexander Beliavsky, Iossif Dorfman
und ich. Dann kamen Zoya Lelchuk und Vassily Ivanchuk, später Andrei Volokitin,
die Muzychuk-Schwestern und eine Gruppe junger GMs.
Wir hatten jede Menge Kampfgeist - in jeder Partie gegeneinander spielten wir
auf Gewinn und kamen rasch an die Spitze. Ich war Jugendmeister der UdSSR und
wurde 1984 Vierter bei den Sowjetmeisterschaften, mein bestes Ergebnis. Ich
habe auch in vielen Mannschaften gespielt, die bei Mannschaftsmeisterschaften
in der Sowjetunion, in der Ukraine, in Slowenien und Jugoslawien erfolgreich
waren. Wir wurden mehrfach Jugendweltmeister, außerdem noch Europapokalsieger
1984. Ich meine, wir - immer wir - spielten zusammen: Romanishin, Beliavsky,
Dorfman und ich.
1980 wurde ich von Igor Zaitsev eingeladen, Mitglied in Karpovs Team zu werden.
Da habe ich bis 1986 mitgearbeitet und viele Erfahrungen gesammelt. Das waren
großartige Zeiten und der Austausch mit solch Schachtitanen wie Efim Geller
war eine unglaubliche Erfahrung für mich. Seit 30 Jahren habe ich auch eine
enge Beziehung zu Vasily Smyslow, von dem ich viel gelernt habe.
Mikhalchishin, Romanishin, Beliavsky
1998 wurde ich Mitglied im slowenischen Team und Trainer der Frauenmannschaft.
Mit Beliavsky am ersten Brett feierte die slowenische Mannschaft großartige
Erfolge - die Mannschaft aus diesem kleinen Land belegte ein paar Mal den vierten
Platz bei der Europamannschaftsmeisterschaft. Jetzt lebt der große Trainer Victor
Kart in Hannover und niemand braucht seine Erfahrung als Trainer! Die Schachwelt
ist manchmal seltsam!
Und wie verlief Ihre Laufbahn als Trainer?
Meine ersten Schritte als Trainer waren vollkommen normal - GM Oleg Romanishin
lud mich Mitte der 70er ein, bei den sowjetischen Meisterschaften und den Interzonenturnieren
sein Sekundant zu sein. Danach habe ich manchmal anderen Freunden wie GM Alexander
Beliavsky und Marta Litynska geholfen. Bei der Arbeit mit ihnen habe ich enorm
viel Erfahrung gewonnen.
Der Wendepunkt meiner Karriere als Trainer war die Zusammenarbeit mit Iosif
Dorfman in Lvov 1986. In den Wettkämpfen zwischen Karpov-Kasparov hatten wir
auf unterschiedlichen Seiten gearbeitet und dadurch viel Erfahrung gewonnen.
Unsere Zusammenarbeit, bei der wir zusammen analysiert und uns ausgetauscht
haben, erwies sich als sehr produktiv. Ein paar der Schüler, mit denen wir damals
gearbeitet haben, wurden später selber Trainer, zum Beispiel Vitali Golod, der
Trainer der israelischen Olympiamannschaft; oder Alex Sulypa, Trainer der polnischen
Frauenmannschaft und Andrei Maksimenko, der als Trainer in Polen arbeitet.
Später trainierte ich die Nationalmannschaft der Sowjetunion von 1989, die Welt-
und Europameister wurde. Dann begann ich, Bücher zu schreiben, vor allem über
das Endspiel. Meine Bücher wurden in England, Italien, Polen, der USA und Spanien
veröffentlicht. Ich schrieb Themenbücher, Eröffnungsbücher und Mittelspielbücher.
Meine letzten Bücher behandeln die Petrosian-Variante und Mittelspielstrukturen
wie den isolierten Damenbauern und die hängenden Bauern. Bücher über Mittelspielthemen
sind sehr lehrreich, aber es ist sehr schwer, das Material zu gewichten.
Anfang der 90er wurde ich als einer der produktivsten Schachautoren und aufgrund
meiner Erfolge als Trainer eingeladen, die Polgars zu trainieren. Ich arbeitete
vor allem mit Zsusa und Zsofia, und das war eine phantastische Erfahrung. Wir
haben täglich acht Stunden Schach trainiert und außerdem noch zwei Stunden am
Tag Tischtennis gespielt, um fit zu bleiben.
Nach meiner Zusammenarbeit mit Karpov und den Polgar-Schwestern arbeitete ich
für den legendären Verein Agrouniverzal Belgrad. Der Clubchef konnte Alisa Maric
und Alisa Galliamova überzeugen, zu spielen. Ich habe vor allem mit Alisa Maric
gearbeitet, sechs Jahre lang. Sie hat im Halbfinale des Kandidatenturniers gespielt
und gehörte damals zu den fünf besten Frauen der Welt. Unsere Zusammenarbeit
war produktiv und ich glaube, sie hatte alles, was man braucht, um um den Weltmeistertitel
zu kämpfen.
Mit der Frauenmannschaft wurden wir drei Mal Europapokalsieger, aber mit der
Herrenmannschaft wurden wir 2000 nur Zweiter. Aber die Mannschaft war phantastisch:
Karpov, Anand, Kramnik, Beliavsky, Short und Gelfand! Wundervolle und starke
Persönlichkeiten - ich war ihr Kapitän und seitdem sind wir gute Freunde. Anand
und Kramnik haben mir hinterher erzählt, dass sie in keiner anderen Mannschaft
gespielt haben, in der die Atmosphäre so gut war wie bei Agrouniverzal. Und
das traurige Abendessen nachdem wir verloren hatten, werde ich nie vergessen:
dort meinte Vlady zu mir: "Eh, Captain, Du hättest selbst am sechsten Brett
spielen sollen!"
Dann wurde ich Mitglied des polnischen Schachverbands. Ihr legendärer Präsident
Zemantovski wollte eine polnische Schachakademie aufbauen, um die besten Jugendspieler
nach vorne zu bringen. Die Entwicklung des polnischen Schachs verlief dank harter
Arbeit rasch und erfolgreich und brachte etliche viel versprechende junge Spieler
hervor, zum Beispiel Macieja und Kempinski sowie später dann Bartel, Miton,
Wojtaszek und Gajewski.
Zusammen mit Alexander Beliavsky habe ich mit Arkadij Naiditsch gearbeitet,
der zum besten deutschen Spieler wurde. Dann habe ich mit jugendlichen holländischen
Spitzenspielern gearbeitet und die Frauenmannschaft trainiert. Zhaoqin Peng
und Tea Lanchava (Bosboom) wurden europäische Vizemeisterinnen und bei der Schacholympiade
2006 in Turin wurde die Mannschaft Siebte, was ein großer Erfolg war.
Beim Training mit den türkischen Spielerinnen Kübra Öztürk (mitte) und
Betül Cemre Yildiz (rechts)
Heute verbringe ich viel Zeit mit der türkischen Frauenmannschaft, genau wie
mit den jungen türkischen Spielern. Ich halte Kübra Öztürk für ein großes Talent,
aber die Mannschaft braucht noch eine Menge Arbeit. Kübra Öztürk und Betül Cemre
Yildiz können bei den Frauen an die Spitze kommen, aber vor allem die Jüngeren
müssen noch viel arbeiten. Hier ist viel Entwicklungspotenzial vorhanden, aber
zugleich ist noch eine Menge Training notwendig. Ihr größtes Problem ist das
schlechte Programm zum Trainieren der körperlichen Fitness, die auch im Schach
sehr wichtig ist.
Mikhalchishinbei der Arbeit mit türkischen Talenten
Ich gebe jungen talentierten GMs immer noch Privattraining und ich möchte Mateusz
Bartel und Luka Lenic helfen, Weltklassespieler zu werden. Ich unterstütze auch
ein interessantes Jugendprogramm in Slowenien, wo ich die Hälfte meiner Zeit
verbringe. Meine Familie lebt lieber im wunderschönen Lvov, in der westlichen
Ukraine. Dort leitet meine Frau ein Hotel, mein Sohn hat ein Doktortitel in
Politikwissenschaften und meine Tochter studiert Jura.
Sie wurden kürzlich zum Vorsitzenden der FIDE-Trainerkommission ernannt.
Welche Pläne haben Sie mit der Kommission?
Früher war das ein Komitee, aber nach dem Treffen des Vorstands in Istanbul
wurde sie zur Kommission. Es gab etwa 30 Kommissionen in der FIDE, aber nicht
alle davon waren effektiv. Als Yuri Razuvaev, der als Vorsitzender eine Menge
geleistet hat, das Trainerkomitee gründete, haben wir Fortschritte gemacht,
aber es gibt noch eine Menge zu tun. Jetzt hat die FIDE die Zahl der Kommissionen
auf zehn reduziert - und die müssen jetzt ernsthafter arbeiten.
Wir müssen die Rolle des Trainers im Schach verbessern, denn im Vergleich zu
anderen Sportarten wird Schachtrainern weniger Respekt entgegen gebracht. Wir
verfügen bereits über ein Titelsystem für Trainer, was nützlich für die Verbesserung
des Lizenzsystems ist. Das ist notwendig, weil Trainer kontrolliert werden müssen.
Mit Ausnahme der Länder der ehemaligen Sowjetunion haben viele Länder große
Probleme in Bezug auf das Schachtraining. Die meisten der Trainer, die es gibt,
sind nicht ausgebildet. Ich meine nicht nur eine richtige pädagogische Ausbildung,
sondern sogar eine richtige Schacherziehung.
Kursus der FIDE-Trainingsakademie mit Adrian Mikhalchishin (links), Horst Metzing
(rechts) und GM Uwe Bönsch (rechts)
Wir müssen das Trainingssystem im Schach kontrollieren und verbessern. Zum Beispiel
gibt es im Fußball einen umfassenden Ansatz zum Spielertraining. Es gibt bereits
Standards, welche Arbeit in einer bestimmten Trainingssitzung geleistet werden
sollte. Im Schach haben wir keine wirklichen Standards oder auch nur eine systematische
Tradition. In Berlin, Singapur und New York gibt es bereits entsprechende Seminare,
aber wir wollen mehr Trainerakademien ins Leben rufen, angefangen in Moskau,
Indien, den arabischen Ländern und vielleicht im Iran. Diese Seminare sind nicht
nur für die Lizenzvergabe nützlich, sondern vermitteln Trainern auch Informationen
zu einem umfassenden Verständnis des Schachtrainings.
Wir brauchen Sommercamps für junge Schachspieler; in den USA sind sie sehr beliebt.
In der Vergangenheit wurde bereits ein dreistufiger Plan zum Schachtraining
entwickelt, der jedoch nicht umgesetzt werden konnte. Wir müssen die Zusammenarbeit
mit den jeweiligen Landesverbänden und der FIDE verbessern, um das Training
besser beaufsichtigen zu können und Trainingsmaterialien in viele Länder der
Welt schicken zu können.
Warum müssen Trainer lizenziert werden?
Manche Spieler mit einer bestimmten Spielstärke glauben, sie könnten trainieren.
Manche sind qualifiziert, aber manche sorgen für Chaos in der Trainingswelt,
weil sie für ein falsches Image sorgen. Es gibt selbst ernannte "Großmeister",
die Training anbieten ohne das notwendige pädagogische oder sogar Schachwissen
zu haben, denn manche dieser selbst ernannten "Großmeister" haben nicht einmal
FM-Niveau. Das ist ein Skandal und wir müssen die Zusammenarbeit mit den Landesverbänden
verbessern, um dieses Problem in den Griff zu bekommen. Meistens überprüfen
die Landesverbände nicht, wer Training anbietet. Das schadet der Zukunft des
Schachs und der Entwicklung der Kinder, die sich für das Schach interessieren.
Adrian Mikhalchishin unterrichtet [Foto: FIDE]
Andererseits müssen wir zugleich in vielen Ländern das Trainingsniveau anheben,
denn in vielen Ländern ist dieses Niveau unannehmbar niedrig. Unsere neue Kommission
hat zwölf Mitglieder. Efstratios Grivas ist Geschäftsführer und leistet eine
Menge Arbeit. Peter Long, der bei der Asean Chess Academy arbeitet, hat uns
geholfen, eine Webseite aufzubauen, die Informationen, Trainingsmaterialien
und Online-Training von Spitzentrainern zur Verfügung stellt. Die Seite findet
man unter:
www.Getchesstraining.com.
Natürlich müssen wir das Niveau der Trainer weltweit verbessern. Viele Trainer
reden zu viel, aber haben wenig Erfolge vorzuweisen. Die Qualität eines Trainers
zeigt sich an seinen Schülern und nur dadurch - und nicht daran, wie viel öffentliche
Aufmerksamkeit der Trainer bekommt.
Was sind Ihrer Meinung nach die grundlegenden Eigenschaften eines guten
Trainers?
Natürlich ist ein gewisses Schachverständnis notwendig, aber pädagogische Fähigkeiten
und Kenntnisse sind mindestens ebenso wichtig. Dazu kommt noch eine Ausbildung
in Sport- und Jugendpsychologie. Ein weiterer entscheidender Aspekt ist die
Fähigkeit, auf jeden Schüler individuell eingehen zu können. Gruppenarbeit ist
gut, aber Trainer müssen auch mit jedem Schüler einzeln arbeiten. Das ist anstrengender,
aber individuelles Training ist für jeden Schüler nützlich. Im Allgemeinen neigen
die Trainer hier zur Faulheit und analysieren die Partien ihrer Schüler einfach
mit dem Computer. Das ist eine Todsünde, denn wenn der Schüler die Züge nicht
selber ausführt, dann entwickelt er sich womöglich nicht weiter. Im Tennis gibt
es ein ähnliches Phänomen - wenn man lernt, wie man einen bestimmten Schlag
ausführt, dann gibt es die Tendenz, sich intuitiv richtig zu bewegen.
In der sowjetischen Schachschule hat sich die Ausbildung der Trainer nicht
nur auf das reine Schachtraining beschränkt. Man könnte also sagen, dass Ihre
wesentliche Strategie in einer "Übertragung des gesammelten Wissens der sowjetischen
Schachschule" besteht?
Ja. Zwar gibt es auch Stimmen, die meinen, so etwas wie eine Schachschule gibt
es nicht, oder das jeder eine Schachschule ist. Sogar Spassky hat das kritisiert
und bestritten, dass es etwas wie die "Sowjetische Schachschule" gibt. Tatsächlich
gab es viele Schulen in der ehemaligen Sowjetunion, wie zum Beispiel die in
Moskau, Leningrad oder den baltischen Ländern, Georgien und der Ukraine - sie
haben ihre Schüler unterschiedlich beeinflusst und deshalb haben Schüler einer
Schule auch anders Schach gespielt als die Schüler der anderen Schulen.
Aber sie haben alle etwas gemeinsam, bei Botvinnik und Dvoretsky angefangen.
Die Analyse der eigenen Partien ist entscheidend für die Verbesserung im Schach.
Um vom Wissen der Sowjetischen Schachschule so gut wie möglich zu profitieren,
habe ich auch den berühmtesten Jugendtrainer von damals in die FIDE-Trainingskommission
eingeladen: Anatoly Bykhovsky. Er war von der Zeit Karpovs bis zur Zeit Kramniks
aktiv - genauer gesagt, von 1964 bis 1990. Er hat auch mit Alexander Grischuk
gearbeitet und kritisiert das heutige Schachtraining: Da das Eröffnungsstudium
heutzutage sehr leicht ist, interessiert sich niemand für das Mittelspieltraining,
was im Schach am schwersten ist.
Secret Weapons of the Champions: ChessBase training DVD with Adrian Mikhalchishin
Beispielvideo (Petrosian-Schweber,
1962)...,
Ausschnitt
aus der Trainings-DVD...,
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