Erinnerung an Tony Miles

von André Schulz
23.04.2025 – Anthony Miles war in den 1980er Jahren einer der besten Spieler in der Welt. 2001 starb er mit erst 46 Jahren an einem Herzinfarkt, Folge einer Diabetes. Heute hätte er seinen 70sten Geburtstag gefeiert. | Foto: Britisch Chess News

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Tony, eigentlich Anthony Miles, wurde am 23. April 1955 in Birmingham geboren, am Georgstag oder St. George's Day, wie es in England heißt, wo der Hl. Georg seit Richard Löwenherz der Schutzpatron des Landes ist. 

Tony Miles lernte das Schachspiel von seinem Vater im Alter von fünf Jahren und spielte dann jeden Abend Schach, drei Jahre lang. Dann langweilte ihn das Spiel und er wandte sich anderen Dingen zu. Als er neun Jahre alt war, brach in seiner Schule ein Schachfieber aus und auch Tony Miles wurde wieder angesteckt. Es stellte sich bald heraus, dass er das Spiel sehr gut beherrschte und jeden in der Schule besiegen konnte, die Lehrer eingeschlossen. 

Mit elf Jahren begann Tony Miles mit dem Wettkampfschach und spielte nun mehrere Partien in der Woche. Tony Miles betätigte sich auch mit Begeisterung in anderen Sportarten, Rugby, Krickett, Schwimmen und Leichtathletik, doch seine besondere Begabung lag im Schachspiel. Als Elfjähriger gewann er die Grundschulmeisterschaften von Birmingham und trat in den örtlichen Schachclub ein, wo er auf stärkere Schachspieler traf. 

1967 wurde der nun Zwölfjährige schon Zweiter bei den Schnellschachmeisterschaften von Birmingham für Erwachsene. Bei den Englischen U14-Meisterschaften belegte Tony Miles im gleichen Jahr ebenfalls den zweiten Platz und verlor nur gegen den Sieger, John Nunn. Im folgen Jahr gewann Miles die Britische U14-Meisterschaft, obwohl er wieder gegen Nunn verlor. Ein Jahr später konnte er Nunn bei den Britischen U18-Meisterschaften schlagen. Beide teilten den zweiten Platz.

Miles feierte weitere Erfolge bei regionalen Turnieren in England und dann auch bei internationalen Jugendturnieren. 1971 wurde der 16-Jährige Britischer U21-Meister. Ein Jahr später nahm er an den erstmals an den Britischen Landesmeisterschaften teil und holte dort 50%. Im gleichen Jahr wurde erstmals für einen Länderkampf gegen die Niederlande in die Englische Nationalmannschaft berufen.

Nachdem der Schachmäzen Jim Slater 1972 durch die Verdoppelung des Preisgeldes schon die Weltmeisterschaft Fischer gegen Spasski gerettet hatte, lobte er beim Weihnachtsturnier 1972/73 in Hastings eine Prämie von 5000 Pfund (vergleichbar mit heute etwas 100.000 Pfund) für den britischen Spieler aus, der als erster den Großmeistertitel gewinnen würde. Zu dieser Zeit war der Titel weit schwieriger zu erhalten als heute. Die Prämie brachte viele junge Engländer dazu, sich mit Schach zu beschäftigen.

Der junge Tony Miles feierte weiter große Erfolge bei internationalen Jugendturnieren, aber auch mehr und mehr ebi Turnieren für Erwachsene. Bei der Jugendweltmeisterschaft 1973 gewann Miles Silber hinter Alexander Beliavsky. Während des Turniers, das im englischen Teeside stattfand, wurde jedoch sein Gepäck gestohlen.

Am Ende des Jahres traf Miles beim Christmas Congress in Hastings auf Spieler der Weltelite, darunter Szabo, Tal und Gligoric, belegte aber nur einen Platz im hinteren Bereich der Tabelle. Im Laufe des Jahres hatte er sich als Student für Mathematik in der Universität von Sheffield eingeschrieben. 

Foto: via Douglas Griffin

1974 gewann Miles als erster Brite die U20-Weltmeisterschaft, die in Manila ausgetragen wurde. Eine seiner schärfsten Waffen war lange zeit die Sizilianische Drachenvariante. Sein Sieg über seinen Konkurrenten Alexander Kochyev gehörte zu Miles' Lieblingspartien. 

Im Jahr 1974 erhielt Miles den IM-Titel und mit Blick auf die Prämie von Slater für den ersten britischen Großmeister eilte Miles von Turnier zu Turnier. Allerdings gab es in Raymond Keene einen ernsthaften Mitbewerber für die Slater-Prämie. Miles gewann jedoch 1975 das London International Tournament vor den etwas älteren Spielern Timman und Adorjan und überfüllte seine erste GM-Norm deutlich. Im folgenden Jahr wurde er zu einem GM-Turnier in die Sowjetunion nach Dubna eingeladen und schaffte hier gegen starke osteuropäische Konkurrenz seinen zweiten GM-Norm, was ihm den Großmeistertitel und die Prämie von Jim Slater einbrachte. Damals waren nur zwei GM-Normen für den Titel nötig. 1976 war Tony Miles mit seinen 21 Jahren der jüngste Großmeister der Welt. Auch die Beobachter in der Sowjetunion waren vom Spiel des jungen Engländers beeindruckt, im Besonderen von seinen Endspielfähigkeiten.

Miles spielte nun starke Open in Las Vegas und Lone Pine mit, war einer der Teilnehmer bei den Dortmunder Schachtagen 1976 und gewann zusammen mit Viktor Kortschnoj, zu der Zeit Nummer zwei hinter Karpov in der Weltrangliste, das IBM Turnier in Amsterdam.

Bei der Schacholympiade in Haifa holte England die Bronzemedaille. Tony Miles gewann an Brett eins ebenfalls Bronze. 1977 gewann Miles das IBM-Turnier, ebenso das GM-Turnier in Biel und wurde dann in Tilburg Zweiter hinter Weltmeister Karpov. 

1978 war für Miles jedoch kein gutes Schachjahr. Er blieb ohne Turniersieg. In diesem Jahr heiratete er die vormalige tschechoslowakische Nationalspielerin Jana Malypetrova. Sie war zuvor mit William Hartston verheiratet gewesen. Die Ehe mit Miles hielt nur drei Jahre. Später heiratete Jana Malypetrova Robert Bellin.

1979 war ein besseres Jahr. Miles konnte sich unter anderem für das Interzonenturnier in Riga qualifizieren. Wegen seiner vielen Turniere zuvor, war er jedoch schlecht vorbereitet und belegte nur einen enttäuschenden Platz im Mittelfeld. Beim Clarin International in Buenos Aires erreichte er hinter Bent Larsen jedoch einen versöhnlichen geteilten zweiten Platz.

Im folgenden Jahr zeigte sich Anthony Miles in Bestform und spielte bei der Mannschaftseuropameisterschaft im englischen Team gegen Karpov seine berühmteste Partie. Miles hatte Schwarz und antwortete auf Karpovs 1.e4 mit 1...a6, was erlaubt ist, aber besonders gegen den Weltmeister einer Beleidigung gleichkam.

Foto: Unbekannt

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Karpov unterschrieb nach der Partie seinen Notationszettel nicht persönlich, sondern ließ ihn vom sowjetischen Mannschaftskapitän unterschreiben.

Beim sehr stark besetzten Phillips & Drew Turnier 1980 in London teilte Miles den ersten Platz mit Kortschnoj und Andersson. Auch in Las Palmas belegte Miles den geteilten ersten Platz. Eine Einladung zum Zonenturnier lehnte Miles jedoch ab. 1982 gewann er seinen einzigen Titel bei den Britischen Landesmeisterschaften. 

Seit Anfang der 1980er Jahre produzierte die BBC ihr legendären TV-Turniere. Miles war immer dabei und 1983 gelang ihm dort ein weitere Sieg über Karpov, gegen den er aber in den meisten Turnieren keinen guten Stand hatte. Der Weltmeister revanchierte sich auch wieder im nächsten Jahr bei einem Turnier in Oslo.

1983 teilten sich Miles und Nunn den ersten Platz beim GM-Turnier in Biel. 1984 gewann Miles schließlich als erster Spieler aus dem "Westen" das Interpolis Superturnier von Tilburg, mit anderthalb Punkten Vorsprung vor Robert Hübner  uf Platz zwei. Bei der Schacholympiade 1984 in Thessaloniki holte England Silber, mit einem Überragenden John Nunn an Brett zwei. 

In dieser Zeit hatte Miles mit starken Formschwankungen zu kämpfen. Es konnte sein, dass er stark an Gewicht verlor und sich über Wochen nicht recht konzentrieren konnte. Das machte sich auch in seinen Ergebnissen bemerkbar. 

Das Interzonenturnier in Tunis 1985 beendete er im hinteren Mittelfeld und verlor einige Partien kläglich. Beim Turnier in Tilburg 1985 hatte er starke Rückenschmerzen, durfte das Turnier aber gegen den Protest einiger Spieler bäuchlings auf einer Liege liegend fortsetzen.

Foto: British Chess News

Bei den Mannschaftweltmeisterschaften in Luzern 1986 war Miles wieder in guter Form und half beim Gewinn der Silbermedaille. Inzwischen war er mehr oder weniger nach Deutschland umgezogen und lebte in Porz, wo er seit 1981/82 für Wilfried Hilgerts Mannschaft spielte. Im Mai 1986 kam es zu einem Match gegen den neuen Weltmeister Garry Kasparov. Miles war zu der Zeit die Nummer 20 in der Weltrangliste und hinter Nunn, Hübner und Andersson der viertbeste Spieler aus dem "Westen". Kasparov vernichtete Miles allerdings mit 5,5:0,5. "Ich habe nicht gegen einen Weltmeister gespielt, sondern gegen ein Monster mit 22 Augen, das alles sieht", kommentierte Miles seine Niederlage. 

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Die heftige Niederlage markiert den Wendepunkt in Tony Miles Karriere. Bei der Olympiade in Dubai gewann England mit einem halben Brettpunkt weniger als die UdSSR Silber, was aber vor allem der Leistung von Nigels Short zu verdanken war. Miles lieferte an Brett eins ein sehr schlechtes Ergebnis ab und wurde auch bald von Short als bester britischer Spieler abgelöst.

Beim Interzonenturnier 1987 in Zagreb schnitt Miles ebenfalls sehr schlecht ab. Danach kam es zu einem heftigen Streit mit Raymond Keene und dem Britischen Schachverband. Keene reklamierte, als Sekundant für Miles gearbeitet zu haben. Miles stritt das ab. Die öffentliche Auseinandersetzung nahm Miles sehr mit. Er konnte nicht schlafen, wurde krank und konnte über Monate nicht spielen. Im Streit mit dem BCF trat Miles aus der englischen Nationalmannschaft zurück und schloss sich dem US-Verband an.

In Australien lernte Miles 1989 seine zweite Frau Jeannie kennen. Doch auch diese Ehe hielt nicht lange und wurde 1991 geschieden. 1991 kehrte Miles in den Britischen Schachverband zurück und lebte wieder in Birmingham, wo er auch als Schachtrainer aktiv war. Miles spielte nun vor allem in Open mit, gewann aber auch noch einige Einladungsturniere, darunter 1994 das Capablanca Memorial in Kuba.

Erst 1999 wurde bei Tony Miles Diabetes diagnostiziert. Sein letztes Turnier spielte er 2001 mit den Britischen Meisterschaften, musste aber eine Runde vor Schluss wegen Krankheit zurückziehen. Er spielte danach aber noch einige Mannschaftskämpfe in der 4NCL. 

Am 12. November 2001 war er tagsüber noch mit Freunden unterwegs. Am Abend starb Tony Miles an einem Herzinfarkt, Folge seiner Diabetes. Tony Miles wurde 46 Jahre alt. Heute ist sein 70ster Geburtstag.


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.
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