Erinnerungen an
Bobby Fischer
Von Dagobert Kohlmeyer
Die Emanuel Lasker
Gesellschaft in Berlin hatte am Donnerstag zu einer besonderen Veranstaltung
eingeladen. An dem Abend unter dem Thema „Erinnern an Bobby Fischer“ führte
Paul Werner Wagner auf dem Podium ein Gespräch mit Großmeister Lothar Schmid
und dem Regisseur Andreas Goldstein, der an einem Dokumentarfilm über Bobby
Fischer arbeitet.
Viel Prominenz hatte
sich eingefunden, als der Karl-May-Verleger und „Schachschiedsrichter des
Jahrhunderts“ über seine persönlichen Begegnungen mit dem amerikanischen
Schachgenie berichtete, die in dem WM-Match Fischer - Spasski 1972 in
Reykjavik gipfelten. Unter den Gästen waren der Präsident des Deutschen
Fernschachbundes, Exweltmeister Fritz Baumbach, der Präsident des Berliner
Schachverbandes Matthias Kribben, der Historiker Professor Hans Holländer
sowie viele Mitglieder der Lasker-Gesellschaft
Kennen gelernt hatte
Schmid den Amerikaner beim WM-Kandidatenturnier 1959 in Bled, wo er
Augenzeuge wurde, wie der damals 16-jährige Fischer nach einer
Weiß-Niederlage gegen Paul Keres mit Tränen in den Augen ins Hotel stürmte.
„Er zeigte schon damals viele Emotionen, was ich als durchaus menschliche
Geste empfand“.
Ein Jahr später setzten
die beiden ihre Bekanntschaft bei der Schacholympiade in Leipzig fort, wo
Fischer erstmalig am Spitzenbrett der USA spielte. Lothar Schmid lud den
jungen Großmeister anschließend zu sich nach Hause nach Bamberg ein, wo
Fischer sich etwa eine Woche aufhielt. „Bobby schlief jeden Tag bis zum
Mittag und nahm dann sein Frühstück ein. Er aß täglich acht Spiegeleier!“,
verriet Schmid dem erstaunten Auditorium.
Bei der Rückfahrt zum
Flughafen nach Frankfurt am Main machten beide im Spielcasino von Bad
Homburg Station. Bobby war noch nicht volljährig, so dass sich Schmid als
sein Onkel ausgab, damit der Amerikaner eingelassen wurde. „Bobby spielte
sehr vorsichtig. Er setzte immer nur auf Rot oder Schwarz. Schon damals
zeigte sich, dass er das Risiko nicht übertrieb, genau wie in seinen
Schachpartien“, schilderte Schmid seine damaligen Beobachtungen.
Dann berichtete der
Bamberger über die Begleitumstände, warum und wie er WM-Schiedsrichter
wurde. Er hatte schon 1971 in Buenos Aires das schwierige
WM-Kandidatenfinale zwischen Tigran Petrosjan und Bobby Fischer zur
Zufriedenheit geleitet, was ihn nach Auffassung der FIDE-Oberen und auch der
WM-Finalisten Fischer und Spasski, die ihn beide gut kannten,
prädestinierte, auch den brisanten Job des Unparteiischen in Reykjavik zu
tun.
Breiten Raum in den
Schilderungen von Lothar Schmid nahmen dann die dramatischen Ereignisse in
der isländischen Hauptstadt ein, die der interessierten Schachöffentlichkeit
ja in den Grundzügen bekannt sind. Fischer kam erst eine Woche später,
nachdem der englische Bankier Slater den Preisfonds kräftig aufgestockt
hatte. Bobby verlor die erste Partie, weil er Spasskis Bauern auf h2 schlug
und seinen Läufer verlor. Zur zweiten Partie trat er nicht an und wurde
genullt.
Das Match drohte zu
kippen, „es hing am seidenen Faden“, so Lothar Schmid. Der Schiedsrichter
hatte, wie er uns erzählte, viele schlaflose Nächte. Die Spannung war zu
Beginn der dritten Partie fast unerträglich, als Fischer, den die
Kameras störten, in einem Extraraum spielen wollte. Würde das WM-Duell
platzen?
„Die Situation war
eskaliert, nachdem Fischer die 2. Partie kampflos verloren hatte. Er wollte
unbedingt in diesem separaten Raum spielen. Dem wurde entsprochen, aber vor
dem dritten Spiel machte er wieder Theater. Spasski und ich waren empört. Da
packte ich die beiden Kampfhähne, die etwas größer als ich waren, bei den
Schultern, drückte sie in ihre Sessel und sagte: „Spielt jetzt!“. Spasski
machte daraufhin wie automatisch den ersten Zug. Es war der schwerste
Augenblick, aber das WM-Match gerettet.“
Moderator Werner Wagner
ließ im Gespräch mit Lothar Schmid Fischers Leben weiter Revue passieren,
wobei sich der Bamberger im Laufe der Unterhaltung an immer mehr Details
erinnerte. Gedächtnislücken gab es sehr wenige, (Lothar Schmid wird im Mai
80 Jahre!) einige konnten mit Hilfe des fachkundigen Auditoriums gefüllt
werden.
Allein über das
WM-Match des Jahrhunderts in Reykjavik sind etwa 150 Bücher erschienen, die
Lothar Schmid als weltbekannter Sammler natürlich alle besitzt. „Das beste
Turnierbuch hat Großmeister Svetozar Gligoric geschrieben“, sagt der
Karl-May-Verleger.
Der Abend in der Lasker
Gesellschaft hatte mit einer Filmsequenz begonnen, wo Regisseur Andreas
Goldstein Originalaufnahmen vom Match in Reykjavik zeigte: die Ankunft von
Spasski und seinen Begleitern, den rauchenden Großmeistern Nikolai Krogius
und Jefim Geller; Fischers Ankunft und die Fotografenmeute, die beiden
Protagonisten am Brett, Fischer in seinem riesigen Drehstuhl.
„Keiner der 13
isländischen Sessel, die wir ihm zeigten, war Bobby gut genug. Also musste
einer aus Amerika herbeigeschafft werden“, erinnerte sich Lothar Schmid.
Andreas Goldstein
arbeitet seit drei Jahren an dem Filmprojekt über Bobby Fischer und war
schon weltweit unterwegs, um Schauplätze von dessen Wirken zu besuchen und
mit Zeitzeugen zu reden.
Zu Beginn verblüffte er
die Gäste mit der Bemerkung: „Ich wusste vorher mehr über Fischer, als ich
jetzt weiß! Fischer ist ein Mythos. Und die Eigenschaft eines Mythos besteht
darin, dass Erzählungen und Wirklichkeit verschwimmen. Am Anfang hatte ich
eine viel klarere Vorstellung. Mit zunehmender Beschäftigung löste sich das
irgendwie auf.“
Dies sei deshalb so,
weil jeder Gesprächspartner seine eigene Sicht der Dinge einbringe. Deshalb
will der Filmemacher noch weiter recherchieren und – wenn möglich - noch
mehr Filmmaterial beschaffen.
Goldstein: „Was Sie
hier gesehen haben, sind nur wenige Minuten von dem Originalmaterial, aber
den damaligen Umständen geschuldet nicht so viel (Fischer wollte keine
Kameras mehr). Wir sind auf der Suche nach weiterem Filmmaterial. Es muss
noch mehr existieren. Aber es gibt auch Gerüchte, dass Teile vernichtet
sind.“
Nach Goldsteins Worten
wird es noch cirka ein Jahr dauern, bis der Dokumentarfilm fertig ist. Das
sei für ein so anspruchsvolles Projekt keine besonders lange Zeit.
Der Regisseur ist noch
jung, aber kein heuriger Hase seines Fachs. 2006 hat der Verband der
deutschen Filmkritik „Detektive oder die glücklosen Engel der inneren
Sicherheit“ von Andreas Goldstein auf dem Filmfest Dresden als besten
Kurzfilm des Jahres ausgezeichnet. Die Komödie über die "Zeit, als in der
DDR staatstragende und subversive Aktivitäten nicht mehr auseinander zu
halten waren“ (Andreas Goldstein) wurde voriges Jahr im 3sat erstmalig
ausgestrahlt.
Zwei Stunden vergingen
an diesem Abend in der Lasker-Gesellschaft am Leuschnerdamm in
Berlin-Kreuzberg wie im Fluge. Bei Schnittchen und Rotwein war hinterher
noch Zeit zu angeregten Gesprächen.
Text und Fotos: Dagobert Kohlmeyer