Junger Deutscher überflügelt die Weltelite
Von Conrad Schormann
1924 hatte zuletzt ein deutscher Schachspieler ein Turnier vor der versammelte
Weltelite gewonnen. 81 Jahre nach Emanuel Laskers Sieg in New York ist dem 19-jährigen
Dortmunder Arkadij Naiditsch ein vergleichbarer Triumph geglückt. Der Außenseiter,
Lokalmatador und nominell schwächste Spieler im Feld gewann die Dortmunder Schachtage.
Die Veranstalter der drei jährlichen "Grand-Slam-Turniere des Schachs" (Linares,
Wijk an Zee und Dortmund) laden ausschließlich die Allerbesten ein. In Dortmund
2005 warteten einige dicke Brocken auf Naiditsch, mit Elo 2.612 die Nummer 112
der Weltrangliste: Veselin Topalow, mit Elo 2.788 die Nummer eins, Vladimir
Kramnik, Weltmeister und sechsfacher Dortmund-Gewinner, und weitere Top-Ten-Spieler
stritten um den Sieg.
Arkadij Naiditsch profitierte vom wechselhaften Spiel der Favoriten. Weil sich
weder Kramnik noch sein WM-Gegner Peter Leko noch Topalow vom Feld absetzten,
führte eine Runde vor Schluss plötzlich der Deutsche. Mit Schwarz gegen Peter
Swidler, Nummer sieben der Welt und einen halben Punkt hinter Naiditsch, zementierte
er seine Führung. Ohne unter Druck zu geraten, rang er dem Russen ein Remis
ab und gewann das Turnier mit 5,5 Punkten aus neun Partien, frenetisch beklatscht
von einigen hundert Zuschauern im Dortmunder Schauspielhaus, die dem jungen
Mann aus der Nachbarschaft die Daumen gedrückt hatten.
Vor neun Jahren kamen Naiditschs von Lettland nach Deutschland. Seitdem fördert
die Dortmunder Schachszene insbesondere Filius Arkadij, das größte Talent des
deutschen Schachs, der ohne die Dortmunder Schachtage nicht gegen Kramnik, Topalow&Co.
spielen könnte. Jetzt hat sich der 19-Jährige in die Top 100 der Welt und an
die Spitze der deutschen Rangliste geschoben. Das Verhältnis zwischen ihm und
dem Deutschen Schachbund (DSB) ist angespannt. Für die Nationalmannschaft war
Naiditsch nie nominiert, obwohl der Mannschaft auf dem Weg zur Schacholympiade
2008 in Dresden das Aushängeschild fehlt. Bundestrainer Uwe Bönsch hat gesagt,
Naiditsch stehe die Tür offen, aber der DSB nahm vom größten Erfolg eines deutschen
Spielers seit Jahrzehnten keine Notiz. Auf der Internetseite des Verbands stand
bis gestern kein Wort über Naiditschs Sieg.