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Vincent Keymers Schachkarriere ist in Deutschland ohne Beispiel. Mit fünf lernte er das Schachspiel. Mit sechs Jahren spielte er erfolgreich bei den deutschen U10-Meisterschaften mit. Mit elf Jahren ging er in der Oberliga auf Punktejagd für seinen Verein. Jetzt spielt er für die SF Deizisau in der Ersten Bundesliga.
Vincent Keymers Erfolgsliste kann sich sehen lassen: Vierter bei der Jugendeuropameisterschaft, Sechster bei der Jugend-Weltmeisterschaft und mit zehn Jahren schon U18-Europameister mit der deutschen Jugendmannschaft. Dazu kam der sensationelle Gewinn des Grenke Opens im letzten Jahr, mit 13 Jahren, verbunden mit einer Einladung zu den Grenke Classic in diesem Jahr, bei dem die absolute Weltspitze, inklusive Weltmeister Magnus Carlsen, mitspielte.
En passant sammelte Vincent Kemyer Großmeisternormen, jetzt die dritte und letzte beim FIDE chess.com Grand Swiss auf der Isle of Man. Sie machte ihn zum jüngsten deutschen Großmeister aller Zeiten. Mit gerade einmal 14 Jahren steht Vincent Keymer nun im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Wie geht man als jugendlicher Schachspieler damit um?
Vincent Keymer beim Grand Swiss auf der Isle of Man | Foto. John Saunders
Herzlichen Glückwunsch zur dritten GM-Norm! Wie hast du das Turnier auf der Isle of Man erlebt?
Es war super, bei diesem Turnier dabei zu sein. So viele der allerstärksten Spieler in einem Turnier hat es ja noch nie gegeben. Und für die jungen Spieler wie mich ist es eine tolle Chance zu erfahren, wie sie dabei mithalten können und was es zu verbessern gibt.
Hast du zwischen den Runden auch Kontakt zu einigen Spitzenspielern bekommen?
Ich habe als Wild-Card-Spieler nicht in dem Spielerhotel wohnen können. Deswegen hatte ich zwischen den Runden nicht so viel Gelegenheit, Spieler zu treffen. Nach den Partien bei der Analyse hat man schon manche getroffen. Da kam dann schon mal im Vorübergehen ein Tipp eines Supergroßmeisters, wie ich im Spiel besser hätte spielen können.
Hat dir das Turnier angesichts der vielen starken Gegner noch Spaß gemacht oder war es doch mehr "Arbeit"?
Es war ein hartes, anstrengendes Turnier für alle, auch für mich. Aber wenn einem Schach so wichtig ist wie mir, dann macht auch das anstrengendste Spiel und hartes Training Spaß. Insofern ist das für mich kein Gegensatz. Es ist für mich völlig normal, den ganzen Tag mit Schach zu verbringen. Die einen würden das vielleicht einseitig nennen, die anderen fokussiert.
Konnte dein Trainer Peter Leko dir helfen? Er hat ja selber mitgespielt...
Ja, Peter hat mir geholfen obwohl er selber gespielt hat. Das ist wirklich nicht selbstverständlich und zeigt, wie sehr er mich unterstützt. Wir haben uns jeweils kurz über die Spielanlage meiner nächsten Partie verständigt. Nach inzwischen fast zwei Jahren gemeinsamer Arbeit gibt es natürlich gemeinsam erarbeitetes Repertoire und gemeinsame Ideen, auf die ich dann zurückgreifen kann.
Nach deinen tollen Erfolgen mit zwei GM-Normen hat es mit der 3. Norm etwas länger gedauert. Aber du bist ja mehrfach nur millimeterweit vorbei geschrammt. Wie kam das?
Es stand ja die Entscheidung an, ob ich die Grenke Chess Classic spiele oder nicht. Ziel war also seit letztem Sommer vor allem, mein Spiel so zu verbessern, dass ich gegen Weltklassespieler überhaupt eine Chance habe. Diese Arbeit kostet sehr viel Zeit. Leider macht sie, auch wenn es für Außenstehende nicht leicht zu verstehen ist, einem nicht unbedingt sofort das Spiel gegen mittelstarke Spieler in Open leichter.
War der schnelle Erwerb des GM-Titels überhaupt wichtig? Wie wählst du deine Turniere aus?
Ich habe in der ersten Hälfte dieses Jahres drei stark besetzte Einladungsturniere und die Herren-Europameisterschaft gespielt.Wäre es das wichtigste Ziel gewesen, möglichst schnell die dritte Norm zu erreichen, hätte ich ganz andere Turniere ausgewählt, beispielsweise sogenannte Normenturniere, und mein Training anders ausgerichtet.
Wie gehst du mit Niederlagen um: Tut das sehr weh? Lässt du dir nichts anmerken? Motiviert dich das, noch mehr zu arbeiten?
Niederlagen hat keiner gern, das gilt auch für mich. Aber während eines Turniers ist es wichtig, gesammelt und konzentriert zu bleiben und sich keine emotionalen Berg- und Talfahrten zu leisten. Klar, die wichtigsten Fehler werden sofort analysiert, damit man ins nächste Spiel mit einem guten Gefühl gehen kann. Jeder Schachspieler weiß aber, dass es ein großer Fehler wäre, sich Ärger anmerken zu lassen, das gilt für einzelne Züge und für ganze Partien. Was in andren Sportarten völlig normal ist, Jubel über gelungene Aktionen oder lautstarkes Lamentieren über Fehler, ist im Schach eben unmöglich. Durch Ärger denkt man nicht mehr objektiv und wird in seinen Entscheidungen zu sehr von Gefühlen geleitet. Nach dem Turnier kann ich dann in Ruhe mein Spiel analysieren und daraus Schlüsse für das weitere Training ziehen.
Wie sehr trifft dich denn Kritik?
Konstruktive Kritik ist wichtig und sinnvoll. Sie ist ja wichtiger Bestandteil des Trainings und nötig, damit ich mich verbessern kann. Unsachliche Kritik, die auf Vermutungen oder Unwissen basiert ist wenig hilfreich. Generell sollte man in jedem Fall versuchen, darauf zu achten, dass das Umfeld unterstützend ist. Schon eine leichte Unruhe, wie es sie zuletzt um den Rückzug von Hans-Walter Schmitt aus meinem Team gegeben hat, bindet Gedanken und kostet Energie, die ich besser für andere Dinge gebrauchen könnte.
Du bist ja noch Schüler und musst dort auch Leistungen bringen. Wie bekommst du das unter einen Hut?
Meine Schule, das Gymnasium Nieder-Olm, ist sehr großzügig mit Befreiungen. Lehrer und Mitschüler helfen mir dabei, Versäumtes nachzuholen. Letztlich muss ich aber selbstverständlich den Schulstoff lernen, egal, wie viel Zeit ich dafür brauche. Dafür gibt mir die Schule auch ein Stück Normalität, die junge Schachspieler aus anderen Ländern, die nicht mehr zur Schule gehen, nicht haben.
Bekommen deine Mitschüler mit, was du machst?
Schach ist nicht so ein wichtiges Thema in der Schule. Natürlich haben mir jetzt manche Schüler und Lehrer zum GM-Titel gratuliert. Aber dann wird wieder zur Tagesordnung übergegangen.
Du stehst als "Deutschlands größtes Schachtalent" und jetzt "Jüngster deutscher Großmeister" im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, und das mit 14 Jahren. Nervt das? Stört dich das? Wie gehst du damit um?
Es ist schön, wenn ich Menschen für Schach begeistern kann. Natürlich ist das nicht mein Hauptziel. Aber wenn ich mit dem, was ich erreiche und gerne tue auch noch etwas Gutes bewirken kann, ist das um so besser. Interviews, Fotos, all das kostet natürlich auch Kraft und Zeit. Während eines Turniers würde mich das zu sehr ablenken. Zwischen den Turnieren versuche ich, mir wenigstens etwas Zeit dafür abzuzweigen. Aber natürlich freue ich mich auch, wenn ich persönliche Ermutigungen und Anfragen über meine Homepage bekomme.
Was sind deine nächsten Pläne?
Bald startet die Bundesliga. Ich freue mich schon darauf wieder in meiner Mannschaft, den SF Deizisau zu spielen.
Vielen Dank!
Die Fragen stellte André Schulz.
Vincent Keymer- offizielle Webseite...