Fast ein Weltmeister: Carl Schlechter (2. März 1874 – 27. Dezember 1918)

von Johannes Fischer
02.03.2019 – Heute vor 145 Jahren, am 2. März 1874, wurde der österreichische Schachmeister Carl Schlechter geboren. Berühmt ist Schlechter vor allem wegen seines Wettkampfs gegen Dr. Emanuel Lasker 1910, um den sich zahlreiche Legenden ranken, die oft allerdings ein verzerrtes Bild von Schlechter zeichnen. | Bild: Carl Schlechter, Wiener Schachzeitung, Januar-Februar 1907

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Die legendäre 10. Partie

1908, nach Laskers klarem Sieg im Weltmeisterschaftskampf gegen Dr. Siegbert Tarrasch, unternahm Schlechter nach Erfolgen bei großen internationalen Turnieren in Wien und in Prag, einen Anlauf auf den Weltmeisterthron: er forderte Lasker zum Zweikampf um die Weltmeisterschaft heraus. Lasker war einverstanden, aber der Wettkampf kam erst zwei Jahre später, 1910, zustande, und warf größere finanzielle Probleme auf, als Lasker und Schlechter erwartet hatten. Ursprünglich sollte der Wettkampf über 30 Partien gehen, aber da keine Geldgeber gefunden werden konnten, einigten sich Lasker und Schlechter schließlich darauf, zehn Partien gegeneinander zu spielen. Die ersten fünf Partien wurden in Wien gespielt, die zweiten fünf in Berlin.

Lasker war als klarer Favorit in den Wettkampf gestartet, aber hatte überraschend viel Probleme und nach neun Partien lag Schlechter  mit 5:4 in Führung und brauchte nur noch ein Remis in der letzten Partie, um neuer Weltmeister zu werden. Acht der neun Partien waren Remis ausgegangen, die fünfte Partie hatte Schlechter mit Glück gewonnen, nachdem Lasker eine ausgeglichene Stellung in eine Gewinnstellung verwandelt hatte, die er dann jedoch zum Verlust verdarb.

Doch Lasker konnte die zehnte und entscheidende Partie nach dramatischem Verlauf gewinnen und damit den Wettkampf Unentschieden halten und seinen Weltmeistertitel verteidigen.

 

Dr. Robert Hübner hat 1999 in einer Artikelserie in der Zeitschrift Schach, die später in überarbeiteter Form in dem Buch Der Weltmeisterschaftskampf Lasker – Steinitz 1894 und weitere Zweikämpfe Laskers erschienen ist, die Umstände und die Partien des Wettkampfs ausführlich analysiert und kommt in Bezug auf die Legenden, die sich um diesen Wettkampf ranken, zu folgendem Schluss:

Einige behaupteten, Schlechter habe den Wettkampf mit zwei Punkten Vorsprung gewinnen müssen, um Weltmeister zu werden, andere wieder, der Wettkampf sei gar nicht um die Weltmeisterschaft ausgetragen worden. In den ernstzunehmenden zeitgenössischen Quellen findet sich nicht der geringste Anhaltspunkt für solche Annahmen. J. Berger, der es als Schlechters Kollege bei der Herausgabe der Deutschen Schachzeitung und als Verwalter des Spendenfonds für den Wettkampf doch wissen sollte, hat die Bedingungen, unter denen der Wettkampf ausgetragen wurde, unzweideutig und unmißverständlich mitgeteilt. (Robert Hübner, Der Weltmeisterschaftskampf Lasker – Steinitz 1894 und weitere Zweikämpfe Laskers, Edition Marco, Verlag Arno Nickel, Berlin 2008, S. 232)

Über die Autoren, die sich über das Spiel Schlechters in der zehnten Partie, das für einen Spieler, der nur ein Remis brauchte, ungewöhnlich scharf schien, gewundert haben, schreibt Hübner:

[Sie gehen] von zwei Annahmen aus, die das schachliche Wirken Schlechters betreffen; einer allgemeinen: Schlechter sei ein Sicherheitsspieler gewesen, und einer speziellen: Schlechter habe die zehnte Wettkampfpartie gegen Lasker scharf auf Gewinn gespielt. Sie haben darin einen Widerspruch gesehen, der Erklärung erheische.
Beide Annahmen sind jedoch völlig falsch.
1. Schlechter liebte scharfes Spiel. [In einer Fußnote verweist Hübner dazu auf seine "Ausführungen" in Schach 11/1999, S.53-54.]
2. Schlechter hat keineswegs erklärt, daß er die letzte Partie auf Biegen und Brechen spielen, sondern nur, daß er sie nicht 'auf Remis anlegen' anlegen wolle – eine sehr vernünftige Haltung ... . In der Tat weicht Schlechter nirgendwo von seiner üblichen Art zu spielen ab, im Gegenteil: Es gibt kaum eine Partie in seiner gesamten Schachlaufbahn, die seine Stärken und Schwächen getreulicher widerspiegelt, als diese letzte Wettkampfpartie gegen Lasker. ...
Der Herausforderer hat nach besten Kräften gekämpft, wie er es im gesamten Wettkampf getan hat und wie es jeder andere an seiner Stelle getan hätte; er war nicht von überspannten Vorstellungen angekränkelt.“ (Hübner, Der Weltmeisterschaftskampf Lasker – Steinitz 1894, S. 231-232)

Somit gehört Schlechter wie David Bronstein (WM-Kampf gegen Botvinnik, Moskau 1951), Peter Leko (WM-Kampf gegen Vladimir Kramnik, Brissago 2004), Boris Gelfand (WM-Kampf gegen Vishy Anand, Moskau 2012), Sergey Karjakin (WM-Kampf gegen Magnus Carlsen, New York 2016) und auch Fabiano Caruana (WM-Kampf gegen Magnus Carlsen, London 2018) zu den WM-Herausforderern, denen ein halber Punkt in einer entscheidenden Partie gefehlt hat, um Weltmeister zu werden.

Schlechters Schachkarriere

Aber Schlechters Schachkarriere hat mehr zu bieten als nur die verlorene zehnte Partie im WM-Kampf gegen Lasker. Geboren wurde der spätere WM-Herausforderer am 2. März 1874 in Wien. Der Vater war Schauspieler und Schriftsteller und Schlechters Großvater väterlicherseits schrieb unter dem Pseudonym Carl Haffner das Libretto zur berühmten Operette Die Fledermaus von Johann Strauß. Darauf bezieht sich auch der Titel des Buches Carl Haffners Liebe zum Unentschieden, der Debütroman des österreichischen Schriftstellers Thomas Glavinic, der eine stark fiktionalisierte und verzerrte Darstellung des Lebens von Carl Schlechter erzählt. Glavinic war in seiner Jugend übrigens selbst ein starker Schachspieler.

Schach lernte Schlechter im Alter von 13 Jahren, sein Schachlehrer war Dr. Samuel Gold, ein in Wien lebender ungarischer Mediziner, Journalist und Problemkomponist. Auch Schlechter interessierte sich sein Leben lang für das Problemschach und komponierte selber gerne Zwei- oder Dreizüger und "1890 veröffentlichte das Deutsche Wochenschach erstmals einen Zweizüger von Schlechter", (André Schulz, Das große Buch der Schachweltmeisterschaften, New in Chess Verlag, Alkmaar 2015, S. 59).

Nach seiner Schulzeit machte Schlechter eine Setzerlehre, danach besuchte er die Handelsschule und arbeitete anschließend kurze Zeit in einem Handelshaus, bis er schließlich seiner Leidenschaft folgte und Berufsschachspieler wurde. In Turnieren und Wettkämpfen erzielte er eine Reihe von Erfolgen gegen zeitgenössische Meister und laut dem von David Hooper und Kenneth Whyld herausgegebenen Oxford Dictionary of Chess zählte er ab 1900 bis zu seinem Tod 1918 stets zu den zehn besten Spielern der Welt.

Außerdem arbeitete Schlechter als Autor und Redakteur. Von 1892 bis 1918 betreute er die Schachrubrik in der Wiener Allgemeinen Sportzeitung, von 1893 bis 1914 war er Redakteur der Schachecke in der Wiener Hausfrauen-Zeitung und ab 1899 war er Mitherausgeber und Redakteur der Deutschen Schachzeitung. Von 1912 bis 1916 betreute er, wie Hooper und Whyld im Oxford Dictionary schreiben, "die achte, letzte und beste Auflage von Bilguers Handbuch, ein Klassiker von über 1.000 Seiten", und damals das Standardwerk zur Schachtheorie.

Schlechter selbst leistete zahlreiche Beiträge zur Schachtheorie und ist unter anderem Namensgeber der Schlechter-Verteidigung im Offenen Spanier (1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 a6 4.La4 Sf6 5.0-0 Sxe4 6.d4 b5 7.Lb3 d5 8.a4 Sxd4!?) und der Schlechter-Variante (1.d4 d5 2.c4 c6 3.Sf3 Sf6 4.e3 g6) in der Slawischen bzw. der Grünfeld-Verteidigung.

Schlechter starb am 27. Dezember 1918 in Budapest an Lungenentzündung und Entkräftung und wurde damit eines der vielen Opfer der katastrophalen Versorgungslage in Österreich und Deutschland nach Ende des Ersten Weltkriegs.

Partien

Seine Reputation als friedfertiger Spieler verdankt Schlechter dem Umstand, dass er zu Beginn seiner Karriere in vielen Wettkämpfen oft Remis spielte, zum Beispiel in seinem Wettkampf gegen Georg Marco 1893, der mit zehn Remis 5:5 Unentschieden endete. Aber Schlechter hat im Laufe seiner Karriere auch einige sehr scharfe und bemerkenswerte Angriffspartien gespielt.

Ein Opfer von Schlechters Angriffskunst war Wilhelm Steinitz.

 

Gegen Aaron Nimzowitsch probierte es Schlechter einmal mit einem positionellen Qualitätsopfer – mit Erfolg.

 

Schlechters bekannteste Partie mag seine Niederlage gegen Lasker sein, aber Schlechters bekannteste Angriffspartie ist sein Sieg gegen Philipp Meitner: Schlechter krönte einen positionellen Angriff mit einem hübschen Damenopfer.

 

Johannes Fischer, Jahrgang 1963, ist FIDE-Meister und hat in Frankfurt am Main Literaturwissenschaft studiert. Er lebt und arbeitet in Nürnberg als Übersetzer, Redakteur und Autor. Er schreibt regelmäßig für KARL und veröffentlicht auf seinem eigenen Blog Schöner Schein "Notizen über Film, Literatur und Schach".

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