25.09.2012 – Einem der Tagesordnungspunkte auf der FIDE- Generalversammlung in Istanbul wurde mit besonderem Interesse entgegen gesehen. Auf Antrag des türkischen Verbandspräsidenten und FIDE-Vizepräsidenten Ali Nihat Yacizi wurde darüber diskutiert, ob die Spieler aus sieben nationalen Verbänden von offiziellen FIDE-Turnieren ausgeschlossen werden sollten. Die Vertreter der Verbände von Deutschland, Frankreich, der Schweiz, der USA, der Ukraine, außerdem Englands und Georgiens hatten in zwei unabhängigen Prozessen die FIDE beim Sportgerichtshof verklagt. Dabei hatte die FIDE Rechtsanwaltskosten in Höhe von mehr als 900.000 Euro angehäuft. Dieses Geld möchte die FIDE von den genannten Verbänden zurück bekommen. Viele Einzelheiten aus dieser Angelegenheit sind offiziell nur unvollständig oder gar nicht kommuniziert. Kürzlich hat der DSB zum Ablauf der Versammlung einen kurzen Bericht veröffentlicht. Zuvor hatte DSB-Präsident Herbert Bastian sich in einem Interview Stellung geäußert. Noch weniger hört man von der Versammlung der ECU. Dabei soll es dort auch sehr lebhaft zugegangen sein. Gedanken und Materialien...
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Gedanken und Materialien zum FIDE-Kongress
Von André Schulz
Fotos: FIDE/ECU
Einer der spannendsten Punkte des letzten FIDE-Kongress in Istanbul, nicht nur aus deutscher Sicht, war der Antrag auf Ausschluss von Spielern aus insgesamt sieben Verbänden von allen offiziellen FIDE-Turnieren. Diesen Antrag hatte der türkische Verbandspräsident Ali Nihat Yazici, außerdem Vizepräsident der FIDE, gestellt.
Foto: FIDE
Zum zweiten Mal nach 2000 war der türkische Verband Gastgeber einer Schacholympiade. Schon eine geraume Zeit vor dem Beginn des Mannschaftsturniers hatte Ali Nihat Yazici für Aufsehen und erhobene Augenbrauen gesorgt, als er kund tat, dass Schiedsrichter aus diesen sieben Verbänden vom Veranstalter nicht eingeladen werden würden. Der Antrag auf Bestrafung auch der Spieler aus diesen Verbänden war ein zusätzliches Signal, dass den Verbänden der USA, Frankreichs, Deutschlands, der Schweiz, der Ukraine, Englands und Georgiens aus Richtung der FIDE ein rauer Wind ins Gesicht bläst.
Im Hintergrund dieser Aktionen stehen zwei Prozesse, die die FIDE gegen diese Verbände zu führen hatte. Im Zuge des sehr lebhaften Wahlkampfes zum FIDE-Präsidium 2010 hatten die Verbände der USA, Frankreichs, Deutschlands, der Schweiz und der Ukraine die FIDE beim Sportgerichtshof (CAS, Court of Arbitration for Sport) in Lausanne angeklagt. Die Rechtmäßigkeit der Kandidatur von Amtsinhaber Kirsan Ilyumzhinov wurde in Zweifel gezogen und verschiedene Statuten der FIDE zur Diskussion gestellt. Die fünf Verbände klagten zusammen mit der Karpov 2010 Inc., einer Firma, die Karpov eigens für seine Kandidatur gegründet hatte.
In seinem Urteil sah sich das Gericht als nicht zuständig für die Klage der Karpov 2010 Inc., aber als zuständig für die Klage der Verbände, wies die Klage jedoch im Wesentlichen zurück. Die Verfahrenskosten teilte das Gericht 65% zu 35% zugunsten der FIDE. Die fünf Verbände hatten 35.000 SFR an die FIDE zu zahlen. Die FIDE blieb dabei aber auf ihren Rechtsanwaltskosten sitzen, angeblich, weil die Kläger dem Gericht glauben machen konnte, die FIDE sein ein reicher Verband und könne ihre Kosten für Rechtsberatung leicht von ihren Mitgliedsverbänden zurück erhalten - so die Aussagen von FIDE-Vertretern.
Die Verbände Englands und Georgiens hatten in einem weiteren Fall dagegen geklagt, dass FIDE-Präsident Kirsan Ilyumzhinov nach der Wahl mehr seiner Parteigänger zu Vizepräsidenten machte, als die FIDE-Statuten vorsahen. Statt zwei ernannte er fünf Stellvertreter. Diese Klage wurde aus formalen Gründen von der CAS ebenfalls abgewiesen.
Bei der Sitzung des Executiv Boards der FIDE 2011 erklärte FIDE- Schatzmeister Nigel Freeman das Defizit im vergangenen FIDE-Haushaltsjahr mit hohen Ausgaben, die die FIDE für ihre Schweizer Rechtsanwälte Zusammenhang mit den Prozessen aufgewendet hatte.
Foto: FIDE
Die FIDE habe allein für den ersten Fall nicht weniger 900.000 Dollar für juristische Beratung ausgegeben. Als Grund für die ungewöhnlich hohen Kosten gab Nigel Freeman an, dass die von Kasparov und Karpov beauftragte Kanzlei White and Case den Sportgerichtshof in Lausanne mit einer Unmenge an Dokumentation überschwemmt habe. Studium der Dokumente und Abfassung von Entgegnungen hätten enorme Zeit und Arbeitskraft beim Gericht, bei den Rechtsanwälten, aber auch bei der FIDE gekostet. Zu diesem Zeitpunkt befürchtete die FIDE noch weitere Klagen, bei denen Kasparov im Hintergrund stehen könnte. Und obwohl die FIDE die Prozesse vielleicht allesamt gewönne, könnten sie dennoch eine Menge Geld kosten.
Da die FIDE von der CAS keinen finanziellen Ausgleich ihrer Rechtsanwaltskosten durch die Kläger zugesprochen bekam, versucht das Präsidium nun, durch Druck auf die Klägerverbände doch zu ihrem Geld zu kommen.
Nachdem Ali Nihat Yazici den Antrag auf Ausschluss der Spieler dieser Verbände von FIDE-Turnieren auf die Tagesordnung der Generalversammlung hat setzen lassen, wurde dieser Schachverhalt unter dem Titel "Legal matters" in diesem großen Rahmen noch einmal diskutiert.
Foto: FIDE
Das Präsidium und der routinierte Vizepräsident Georgios Makropoulos - nach vielen Kongressen, die der Grieche schon geleitet hat - lenkten die Diskussion dabei geschickt in die gewünschte Richtung und machten "Stimmung" bei den Delegierten.
Foto: FIDE
So berichtete FIDE-Präsident Ilyumzhinov im Verlauf der Versammlung, dass der Schach-in-den-Schulen-Sponsor Rosneft, der das Projekt im letzten Jahr mit einer Million Dollar unterstützt hatte, abgesprungen sei, da er im Zusammenhang mit dem Verfahren bei der CAS gelesen habe, dass die FIDE ein "reicher Verband" sei.
Die Kläger hätten der FIDE durch ihre überflüssigen Klagen also in mehrfacher Hinsicht Schaden zugefügt. Das Geld fehle der FIDE, weshalb sie nun auch nicht mehr für alle Schachentwicklungsländer die Kosten für die Anreise zur Schacholympiade finanzieren konnte (Die Mittel für die Anreise der Präsidiumsmitglieder waren zum Glück noch vorhanden.).
Natürlich standen einige Delegierte aus Schachentwicklungsländern auf und drückten in Wortbeiträgen ihr Missfallen über das Verhalten der "reichen Verbände", darunter auch der Deutsche Schachbund, aus. Die Schachentwicklungsländer hätten sowieso immer die höchsten Reisekosten zu zahlen, meinte ein Delegierte aus Afrika, da die Schacholympiaden zumeist in Europa stattfinden würden.
Verschiedene Strafen wurden gefordert, als kleinste zumindest eine offizielle Entschuldigung. Es wurde zudem vorgeschlagen, dass die sieben Verbände Geld an die CACDEC (Verband der Schachentwicklungsländer) überweisen sollte. Ein konkreterer Vorschlag in dieser Richtung war die Forderung einer jährlichen "Reparationszahlung" von 5000 Euro pro Verband an die CACDEC über 40 Jahre, bis die Schuld beglichen sei. Außerdem stand immer noch der Ausschluss im Raum.
In einem Video, das bei Youtube eingestellt wurde, kann man die Diskussion verfolgen. Der Ton ist nicht besonders gut und die Wortbeiträge sind auch sprachlich nur schwer verständlich. Immerhin gibt es das Dokument, so dass sich jeder ein Bild davon machen kann, wie die Diskussion verlaufen ist.
Der Deutsche Schachbund hat seine Mitglieder auf seiner Webseite über den FIDE-Kongress informiert und schreibt: "Die sieben betroffenen Föderationen haben sich weitestgehend nicht an einer Diskussion beteiligt." Vielleicht hatten sich die Verbände in dieser Richtung abgesprochen, oder vielleicht eine Absprache versäumt. Auf das Gros der sicher schlecht informierten Delegierten aus den Schachentwicklungsländern machte dies keinen guten Eindruck. Das Präsidium hatte die sieben Verbände auf das "arme Sünderbänklein" gesetzt und dort saßen sie unwidersprochen. Nach dem Verständnis der sieben Verbände, in der Mitteilung des Deutschen Schachbundes explizit formuliert, handelte es sich bei der Klage um keinen rechtswidrigen Schritt, weshalb auch keine Entschuldigung notwendig gewesen sei. Die Kostenentscheidung der CAS sei voll umgesetzt worden.
Der entscheidende Punkt in dieser Angelegenheit kam jedoch auf der Generalversammlung gar nicht zur Sprache: Wie kommen diese immens hohen Rechtsanwaltskosten der FIDE zustande? Wo sind die Belege? Und wer ist dafür verantwortlich? Die Diskussion in diese Richtung zu lenken, wurde von den Delegierten der beschuldigten sieben Verbänden versäumt.
Schließlich meldete sich doch noch Leo Battesti, Präsident des Französischen Verbandes zu Wort und beantragte einen Aufschub der Debatte, um mit den Beteiligten zu sprechen und dann mit dem FIDE Executive Board zu einer Einigung zu kommen.
Foto: FIDE
Ali Nihat Yazici zog seinen Antrag auf Ausschluss der Spieler der Kläger-Verbände zurück, die Abstimmung darüber fiel damit aus und die Angelegenheit wurde tatsächlich auf die FIDE-Sitzung im nächsten Jahr verschoben.
Zuvor hatten das FIDE- Präsidium und Garry Kasparov den Schulterschluss demonstriert. Kasparovs Rechtsberater White and Case hatten die FIDE-Statuten analysiert und Verbesserungen ausgearbeitet. Diese wurden von der Vollversammlung angenommen. Kasparov saß auf dem Podium des Präsidiums, erhielt Rederecht, und erklärte, dass es keine Unstimmigkeiten mehr zwischen ihm und dem FIDE- Präsidium gäbe.
Foto: FIDE
Da das Präsidium, wie oben berichtet, neue Klagen des Exweltmeisters fürchtete, war dies ein wichtiger politischer Erfolg, auch im Hinblick auf die nächste Präsidiumswahl 2014.
Der Vertrag mit Andrew Paulsons AGON über die Vermarktung des kommenden FIDE-Zyklus wurde von der Vollversammlung ebenfalls abgesegnet. Hier war die Vergabe des nächsten Kandidatenturniers nach London dem bulgarischen Verband sauer aufgestoßen. Silvio Danailov hätte das Kandidatenturnier gerne selber ausgerichtet. Er kündigte an, dass der bulgarische Schachverband in dieser Angelegenheit gegen die FIDE klagen werde.
Foto: FIDE
Die Schiedsrichter-Kommission hat neue Gebühren (Stipendien) für die Schiedsrichterleistungen vorgeschlagen, die deutlich über den bisherigen Vergütungen liegen. Dieser Vorschlag kam bei der Vollversammlung jedoch nicht gut an und wurde abgelehnt.
Als Austragungsort für den Worldcup 2015 und die Schacholympiade 2016 wurde Baku ausgewählt. Die Schachfreunde in Aserbaidschan profitieren vom hohen Ansehen, das Schach dort hat - Kasparov wurde in Baku geboren, die aserische Nationalmannschaft ist Weltspitze mit drei Spielern über 2700 Elo. Durch die Ölwirtschaft ist zudem genug Geld im Land. Wegen des immer noch schwelenden Konfliktes mit dem Nachbarland Armenien ist die Wahl von Baku als Austragungsort allerdings problematisch. Bisher haben die armenischen Schachspieler nie in Aserbaidschan gespielt. Und inoffiziell hat der zweifache Goldmedaillengewinner und Titelverteidiger bereits erklärt, auch diesmal nicht in Baku teilnehmen zu wollen. 1996 war die Schacholympiade übrigens in Jerewan (Armenien). Aserbaidschan hat dort auch nicht teilgenommen.
Noch vor der General Assembly der FIDE wurden während der Schacholympiade in Istanbul die Vollversammlungen der Kontinentalverbände abgehalten.
Die ECU-Versammlung (Foto: ECU)
Das Präsidium (Foto: ECU)
Prominenz in der ersten Reihe (Foto: ECU)
Laut Augenzeugenbericht muss es auf der Versammlung der ECU recht turbulent zugegangen sein. Der ausführliche 12-zeilige Bericht auf der Seite Webseite der ECU gibt dies allerdings nicht so recht wieder. Für Diskussionsstoff sorgten die Bezüge ("Stipendien"), die das Präsidium sich selber für seine Arbeit zugestanden hat, z.B. 36.000 Euro p.a. für den ECU-Präsidenten Silvio Danailov, 18.000 Euro p.a. für die Generalsekretärin Sava Stoisavljevic und weitere Zuwendungen für andere Funktionsträger. Kontrovers diskutiert wurde auch ein Sponsorenvertrag mit einem spanischen Reiseunternehmen, das für 25.000 Euro Vermarktungsrechte erworben hatte. Die ECU-Versammlung nahm z.T. einen chaotischen Verlauf und Generalsekretärin Sava Stoisavljevic hatte Mühe, sie ordnungsgemäß zu Ende zu bringen.
Noch einmal zurück zur FIDE.
Der Weltschachbund leidet unter einem Konstruktionsfehler. 1924 wurde die FIDE von fünfzehn Verbänden, Argentinien, Belgien, Großbritannien, Finnland, Frankreich, Italien, Jugoslawien, Kanada, Niederlande, Polen, Rumänien, Schweiz, Spanien, Tschechoslowakei und Ungarn in Paris gegründet. Der DSB ist seit 1927 dabei. Schach wird traditionell vor allem in Europa, Amerika und den Ländern der früheren Sowjetunion gespielt. In den entsprechenden Verbänden sind viele Mitglieder organisiert, in Deutschland ca. 90.000. Seit den Siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts hat die FIDE sich um neue Mitgliedsländer bemüht und diese vor allem in Asien und Afrika gefunden. Das ist für die verbreitung des Schachspiels sicher gut. In den Verbänden vieler dieser Länder sind bisher jedoch nur sehr wenige Schachspieler organisiert. Trotzdem haben diese Verbände in der Vollversammlung der FIDE dass gleiche Gewicht. Dieser Umstand wurde vor einigen Jahren bereits kontrovers diskutiert - natürlich ohne Ergebnis. "One Man, one Vote!", lautet die plakative Parole, mit der dafür gekämpft wurde, die Verhältnisse so zu lassen, wie sie sind. Die Delegierten repräsentieren die Mitglieder ihres Verbandes. In einem Land sind es 100 Mitglieder, in einem anderen Land 90.000. Aber in der FIDE-Generalversammlung spielt der Unterschied keine Rolle. Auf die Zahl der Mitglieder gerechnet, ist es eben nicht 100 Man, 100 Votes und 90.000 Man, 90.000 Votes. In diesem System werden 90.000 Schachfreunde zu einer Stimme herunter gerechnet und 100 Schachfreunde zu einer Stimme herauf gerechnet. Die großen Verbände sind weitestgehend ohne Einfluss und bleiben mit ihren Bedürfnissen auf der Strecke.
Natürlich ist diese Fehlkonstruktion irreversibel, denn die auf diese Weise "mächtig" gewordenen Mitglieder-Zwergstaaten würden ihre Macht niemals in einer Abstimmung zur Änderung der Statuten abgeben. Wer also die zahlreichen Schachentwicklungsländer auf seiner Seite hat, kann sich des Sieges bei einer FIDE-Präsidiumswahl sicher sein.
Die Auftragsklage gegen die FIDE war im Nachhinein gesehen sicher keine schachpolitische Meisterleistung, trotzdem zeigt sich in der Diskussion über die Kostenfrage einmal mehr die Verteilung der Macht in der FIDE. Die großen Verbände stehen isoliert da. Wie soll man darauf reagieren? Im Interview zeigt sich Herbert Bastian in dieser Frage eher resignativ. Dem deutschen Schachbund fehlten die personellen Mittel, in der FIDE durch ein Amt an Einfluss zu gewinnen. Die Arbeit dort sieht der DSB-Chef auch eher als nachrangig an und will die Kraft lieber im eigenen Verband einsetzen. In seiner Mitteilung zum FIDE-Kongress berichtet der DSB zudem von einem Arbeitskreis der großen Verbände G 15. Vielleicht ist das teilweise Ausscheren aus dieser FIDE tatsächlich der richtigere Weg.
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