Fischer gegen Kasparov!

von ChessBase
30.01.2002 – Viele Schachfreunde würden sich wohl einen Wettkampf der vermeintlich besten Schachspieler der Geschichte wünschen. Es ist klar, dass dieser auf dem Brett niemals zustande kommen wird und wohl auch sehr einseitig verlaufen würde. Auf indirekte Weise kam es jedoch zu einem Wettkampf der Meinungen zwischen den beiden Ex-Weltmeistern. Zwei aktuelle Artikel beschäftigen sich mit den Folgen der Anschläge vom 11.September 2001. Ein Artikel ist von Kasparov selbst geschrieben, im zweiten wird Fischer mit einer sehr extremen und zu Kasparov konträren Auffassung zitiert. Mehr...

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Fischer gegen Kasparov!

Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges kam es zu dem wohl berühmtesten Wettkampf um eine Schachweltmeisterschaft 1972 im isländischen Reykjavik zwischen dem US-Amerikaner Bobby Fischer und dem Sowjetbürger Boris Spassky. Hier wurde auf 64 Feldern stellvertretend der Krieg zwischen den Ideologien und Kulturen des "demokratischen" Westens und des "kommunistischen" Ostens ausgetragen.


Spassky gegen Fischer, 1972

Fischer gewann damals den Wettkampf und auch seinen langjährigen persönlichen Kampf gegen die Sowjet-Großmeister, die durch Absprachen auf Turnieren untereinander jahrelang verhindert hatten, dass der spielerisch eigentlich haushoch überlegene Fischer die entsprechenden Erfolge erringen konnte. Ob dies auch tatsächlich der Fall war oder nur in der Einbildung von Fischer, wird sich nicht klären lassen.


Fischer wird Weltmeister 1972

Nach dem Gewinn des Titels legte Fischer die Figuren aus der Hand und verschwand aus der Öffentlichkeit, um höchstens noch ab und zu als Mythos oder Gespenst aufzutauchen. Kürzlich glaubte sogar der englische GM Nigel Short, er hätte im Internet gegen Fischer gespielt. Tatsächlich hatte er eine Partie nach der anderen gegen einen kanadischen Netzwerkspezialisten verloren, der auf sehr geschickte Weise Blitzpartien mit Computerhilfe spielt.

In Wirklichkeit war Fischer niemals der Kämpfer für die Werte des Westens gewesen, wie es 1972 in seine Person hinein interpretiert wurden. 1992 tauchte er noch einmal auf spektakuläre Weise auf, als er von jugoslawischen Schachfreunden mit viel Geld dazu überredet wurde, eine Art Revanche-Match gegen Spassky zu spielen.


Fischer gegen Spassky, 1992

Jugoslawien befand sich 1992 im Bürgerkrieg, Serbien war vom Westen mit einem Wirtschaftsboykott belegt und Fischer hatte es mit seinem medienträchtigen Auftritt unterlaufen. Die amerikanische Regierung drohte mit Strafmaßnahmen und Fischer spuckte vor laufender Kamera auf ein Schreiben des US-Schatzministeriums. Das kam in den USA nicht gut an.

Spätestens seit dieser Zeit konnte Fischer nicht mehr zurück in die USA, aber seine Beziehung zu seiner Heimat war vorher schon zerrüttet. Vor 1992 lebte er zeitweise in Deutschland, später in Jugoslawien, dann in Ungarn, in Österreich, und nun angeblich in Japan.

Robert Fischer ist vaterlos aufgewachsen. Er ist Halbjude, seine dominante jüdische Mutter hat offenbar seine persönliche Entwicklung in starkem Maße geprägt.


Wunderkind Fischer, 1956

Anfangs war er stolz auf seine jüdische Herkunft, später hat sich dies in einen starken Antisemitismus gewandelt, gepaart mit einem ebenso starken Antiamerikanismus.

Als am 11.September die islamistischen Terror-Anschläge auf die USA hat auch Fischer sich in einem Radiointerview zu Wort gemeldet und seinen Hass auf die USA zum Ausdruck gebracht: "Das sind wunderbare Nachrichten. Es ist Zeit, die USA ein für alle Mal zu erledigen; all die Verbrechen, die sie begangen haben. Die USA und Israel haben seit Jahren Palästinenser abgeschlachtet. Jetzt rächt sich das alles." Und dies sagt der Mann, der 1972 von der amerikanischen Öffentlichkeit (unfreiwillig) zum Volks-Helden des Kalten Krieges gemacht worden.


Fischer, 1992

Sehr viel amerikanischer als dieser amerikanische Schachweltmeister ist ein anderer Schachweltmeister, aber der lebt in Moskau. Auch er hat sich gerade erst zum gleichen Thema zu Wort gemeldet. Aber erst sollten wir unbedingt einen Blick auf seine Biografie werfen.

Gary Kasparov wird 1963 als Gary Weinstein in der Hauptstadt Aserbeidschans, in Baku geboren. Sein Vater ist deutschstämmiger Jude (Fischers Vater war ein aus Deutschland stammender Physiker).


Gary Weinstein
(später Kasparov), ca. 1965

Seine Mutter Klara ist Armenierin und stammt aus Berg-Karabach, einer armenischen Enklave in Aserbeidschan. Gary Weinstein verliert früh seinen Vater, der an Krebs stirbt und wächst vaterlos auf (wie Fischer). Seine Persönlichkeit wird in starkem Maße von seiner dominanten Mutter geprägt (wie bei Fischer).


Mutter Klara

Diese ändert wegen antisemitischer Vorbehalte im sowjetischen Schach den Namen in Kasparov. Kasparov wird ein sehr starker Schachspieler und muss sich auf dem Weg an die Spitze gegen großen organisierten Widerstand durchsetzen (wie Fischer). Hier enden die Parallelen.


Kasparov, 1975

Fischer zerbricht an seinem Erfolg und wird zum antisemitischen Anti-Amerikaner, Kasparov macht sich den Erfolg zunutze. Er sieht sich als russischen Kosmopolit, ohne jemals seine jüdischen Wurzeln zu verleugnen. Er ist Vertreter der westlichen Kultur. Mit ihm wurde in den Zeiten von Glasnost und Perestroika die alte Garde des Sowjetschach entmachtet. Er sieht sich als Vertreter des neuen Russlands. Seine Ansichten kann man in seinem Buch "Politische Partie" nachlesen.

 

Kasparov ist nicht nur auf Turnieren gefragter Gast, häufig schreibt er als Kolumnist in amerikanischen Zeitungen. Unter dem Titel "Den Terrorismus schachmatt setzen" erschien kürzlich im Handelsblatt eine deutsche Übersetzung eines Beitrags, den Gary Kasparov im Wall Street Journal veröffentlicht hatte. Kasparov analysiert dort den islamischen Terror als Angriff auf die westlichen Demokratien, gesteuert und finanziert von Regierungen in den islamischen Ländern, deren Macht auf der Unterdrückung ihrer Völker beruhe und für die eine Demokratie nach westlichem Verständnis eine Gefährdung ihres Machtanspruchs bedeute.

"Aber viele Probleme mit dem Fundamentalismus, denen wir heute gegenüberstehen, sind erst durch saudische Unterstützungen von wahhabitischen Sektierergruppen überall in die Welt gekommen. Ironischerweise hat ja Osama bin Laden gerade deshalb mit seinem noch viel weiter gehenden Fundamentalismus so viel Erfolg gehabt, weil er das saudische Königshaus stets verteidigt hat."

Dabei ist Israel, der einzige demokratische regierte Staat im Nahen Osten Hauptfeind Nummer Eins. Aber laut Kasparov "ist auch Israel für militante Islamisten ein viel zu kleines Spielfeld, um ihren Kampf auszutragen. Der militante Islam braucht einen „Dschihad“ gegen den ultimativen Feind, den großen Satan, die Vereinigten Staaten."

Der Sieg in Afghanistan sei ein Erfolg gewesen, aber nur ein erster Schritt. Ein gründlicherer Angriff auf den Terrorismus mache einen Angriff auf dessen größten Unterstützer notwendig, aber die Koalition, die Bush in der Region gegen die verhasste El Kaida, habe schmieden können, würde sofort auseinander fallen, wenn man z.B. den Irak angreifen würde.

Der Islam selber würde zwar keinen Krieg gegen den Westen, vertreten durch USA führen, aber Kräfte innerhalb des Islams würden die Religion ausnutzen, um zum Krieg gegen die USA aufzurufen. "Wenn fünfmal am Tag in Moscheen in Teilen der islamischen Welt Mullahs mit den Worten „Tod Israel, Tod den USA“ zum Gebet aufrufen, kommt es am Ende unweigerlich zu solchen Erscheinungen wie Selbstmord-Attentätern. Und auch nach dem 11. September hat es in Kreisen islamischer Geistlicher, aber auch in westlichen muslimischen Gemeinschaften keine nennenswerten Anstrengungen gegeben, diesen Hass in den eigenen Reihen zu bekämpfen."

Die Anstifter zum Heiligen Krieg sind laut Kasparov die scheinbar moderaten Staaten, die den Terrorismus heimlich mit ihren Ölmilliarden sponsern.

Im Kampf gegen den Terrorismus müssen alle Länder genannt werden, die diesen unterstützen, zum Beispiel der Iran, der sich vor langer Zeit durch Aufruf der "Fatwa" gegen Salman Rushdie, einen britischen Staatsbürger, als terroristischer Staat zu erkennen gegeben hat.

Kasparov nennt die Türkei als Beispiel eines demokratischen islamischen Staates. Er nennt eine Reihe von offenen Fragen, die nicht im Einklang mit dem westlichen Demokratieverständnis stehen, so das geleugnete Massaker an den Armeniern 1915, das Zypern-Problem, die Menschenrechtsverstöße und die fehlende Autonomie der Kurden. Aber er meint, es müsse möglich sein die Probleme zu lösen, denn erst durch die Integration dieses großen islamischen Staates in den Westen werde es möglich sein, den islamistischen Terror wirkungsvoll zu bekämpfen.

Es ist interessant zu lesen, wie Kasparov eindeutig für Israel und die USA Partei ergreift. Ob er wegen seiner Abstammung Sympathien für Israel hegt oder wegen seiner Geschäftsverbindungen über kasparov.com, die in Israel gemacht wird, mit dem Empfinden der Menschen in Israel vertraut ist, ist nicht bekannt.

In seinem Artikel formuliert Kasparov den amerikanischen Meinungs-Mainstream. Er gehört zu dem, was man in US-Amerika "Political Correctness" nennt, eine Denkschablone, die manchmal extreme oder lächerliche Blüten treibt und andere Meinungen als den Mainstream nicht gestattet. Kasparow vertritt zudem die Meinung des republikanischen Amerikas. Die Frage: Wie kommt es, dass die Islamisten Amerika so hassen, dass sie es zerstören möchten, stellt sich gar nicht, sondern nur: Wie kann man die Islamisten am besten bekämpfen. Mit den Worten Kasparows: "Wann immer westliche Medien oder Politiker ihre Sympathie für die Sache der Palästinenser zeigen, leisten sie PR-Arbeit für Selbstmordattentäter, die Israel angreifen und letzten Endes mit Israel auch die westliche Zivilisation als Ganzes."

In der Welt-online erschien ein Beitrag von Uwe Schmidt, in dem dieser die Schwierigkeiten beschreibt, die das öffentliche US-Amerika hat, wenn es um Selbstkritik geht.: "Nichts ist ärgerlicher im alltäglichen Umgang des Lebens als dieser reizbare Patriotismus der Amerikaner", heißt es dort. Diese Zitat stammt von Alexis de Tocqueville, der seinen Satz  jedoch schon am 4. Juli 1831 notierte, nach der Parade zum Unabhängigkeitstag in Albany (New York). Und vom gleichen Autor: "Seit 50 Jahren wurden den Einwohnern der Vereinigten Staaten wiederholt und ständig gesagt, dass sie das einzig fromme, aufgeklärte und freie Volk seien. Sie ... haben eine immens hohe Meinung von sich selbst, und es fehlt nicht viel, dass sie glauben, eine Art von Species jenseits der menschlichen Rasse zu sein."

In diesem Artikel findet auch das obige Zitat Fischers zum Anschlag vom 11.9.2001 seine Erwähnung. Allerdings wird Fischer hier mit linken Intellektuellen US-Amerikas wie Bill Maher, Susan Sonntag oder Norman Mailer in eine Reihe gestellt, zuviel der Ehre für den sonderlichen Ex-Weltmeister.

André Schulz/30.1.2002

 

 

 


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