Fischer-Petrosian 1971: Warum wechselte Petrosian seine Eröffnungen?

von ChessBase
28.07.2022 – Im Juli jährte sich das legendäre WM-Match Fischer gegen Spasski zum 50sten Mal. Auf dem Weg ins Finale räumte Fischer Larsen und Tajmanov mit leichter Hand aus dem Weg. Im Kandidatenfinale gegen Petrosian war das etwas anders. Warum wechselte Petrosian nach gutem Beginn seine Eröffnungen? Roger Lorenz hat das Match untersucht.

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Fischer – Petrosian 1971

Warum hat Petrosian seine erfolgreichen Eröffnungen nicht wiederholt?

Vor einiger Zeit hat John Sanders sich mit den von Petrosian im zweiten Matchabschnitt des WM Kampfes 1969 gewählten Eröffnungen beschäftigt und sich gefragt, warum Petrosian aufgehört hatte, die russisches Verteidigung zu spielen (Sanders, 2021). Statt der russischen Verteidigung, mit der er in der 13. und 15. Partien einfach Remis gehalten hatte, spielte Petrosian in der 17. und 19. Partie des Matches Sizilianisch, verlor beide Partien und somit auch die WM Krone an Spassky. Nach Alexej Suetin, der in dem Kampf als Sekundant diente, ignorierte Petrosian dabei zu mindestens in der 19. Partie die Empfehlung seiner Trainer (Suetin, 1997).

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Als ich vor kurzem in Jan Timmans neuen Buch „The Unstoppable American“ (Timman, 2021) das Kapitel über das Match Fischer gegen Petrosian las, stellte sich mir eine ähnliche Frage. In den ersten Partien hatte Petrosian – auch wegen seiner Eröffnungen – klar die Initiative. Statt seine erfolgreichen Eröffnungen in späteren Partien zu wiederholen, spielte Petrosian auf einmal passiv, wurde dann in der sechsten Partie bestraft und verlor am Ende klar mit wenig Gegenwehr. Mein Eindruck ist, dass wenn Petrosian seine Eröffnungen aus den ersten Partien weitergespielt hätte, er zu mindestens eine deutliche bessere Chance gehabt hätte.

Schauen wir uns die Partien des Wettkampfs genauer an.


1. Akt (Partien 1-3): Bobby am Abgrund

Petrosian konnte direkt in der ersten Partie seine beste Eröffnungsüberraschung anbringen. Fischer hatte die folgende Stellung schon in Partien mit Taimanow und Najdorf auf dem Brett. Diese spielten jeweils 11…Sd4 und verloren beide. Petrosian spielte mit 11…d5 eine deutliche Verbesserung.

Fischer verfiel nicht in Panik und spielte weiter aktiv. Im 16. Zug hätte Petrosian mit 16… Txg2 eine deutlich bessere Stellung erreichen können (Timman hält die Stellung nach seinen neuen Analysen sogar für Schwarz gewonnen). Laut eigener Angabe hatte Petrosian den Zug sogar in seiner Vorbereitung untersucht. Anscheinend konnte er sich aber trotz halbstündigen Nachdenkens nicht mehr erinnern. Nachdem er diese Chance nicht nutzte, war die Partie ausgeglichen. Fischer gab sich aber nicht mit Remis zufrieden, kämpfte weiter und kurz vor der Zeitkontrolle verlor Petrosian den Faden und die Partie.

In der zweiten Partie überraschte Petrosian Fischer wieder in der Eröffnung mit einer starken Neuerung (8. cxd5) und stand nach 13 Zügen schon klar besser. Beiden Parteien unterliefen in der Folge einige Ungenauigkeiten, aber am Ende gewann Petrosian die Partie souverän nach 32 Zügen. Der Applaus nach der Aufgabe von Fischer soll lauter und länger gewesen sein als nach der ersten Partie (Kasparov, 2004). Timman führt das auf die große Gemeinde der Exil-Armenier in Argentinien zurück.

In der dritten Partie wählte Petrosian die Rubinstein Variante der französischen Partie. In (Petrosian, 1988) beschreibt er wie er sich u.a. anhand der Partie Fischer – Minev auf diese Variante vorbereitet hatte. Als Grund für diese Eröffnungswahl gibt er an, dass Fischer wenig Erfahrungen mit dieser Variante hatte.

Der Verlauf der Partie gab Petrosian Recht. Fischer versuchte in einer Nebenvariante mit zunächst einem Bauernopfer und dann einem Qualitätsopfer Angriffschancen zu erhalten, konnte aber keinen Vorteil erlangen. Petrosian nahm den Bauern, lehnte dann aber die Qualität ab. In einem scharfen Mittelspiel hatte Fischer etwas Kompensation für den Bauern, holte sich dann aber den Bauern zum falschen Zeitpunkt zurück und landete in einem schlechter stehenden Endspiel. In der folgenden Stellung erfolgte dann ein Blackout von Petrosian.

Petrosian spielte Td5 und erlaubte Fischer Remis wegen dreifacher Stellungswiederholung zu reklamieren. Objektiv mag die Stellung vielleicht nicht gewonnen sein für Schwarz. Aber er hätte den Weißen noch lange ohne jedes Risiko quälen können.

Nach 3 Partien stand es 1,5 – 1,5. Aber es hätte auch leicht 3-0 für Petrosian stehen können. Fischer war klar angeschlagen.

 

 

 

2. Akt (Partien 4-6): Petrosian spielt passiv und wird bestraft

In den ersten 3 Partien hatte Petrosian es geschafft, große Löcher in die Vorbereitung Fischers zu reißen. Ich hätte jetzt erwartet, dass er darauf aufbaut und sich von Fischer zeigen lässt, wie er diese Löcher zu füllen gedenkt. Aber plötzlich schaltet Petrosian in einen passiven Modus und wiederholt seine erfolgreichen Eröffnungen nicht mehr.

In der vierten Partie eröffnet Petrosian mit 1.c4 und wiederholt eine seiner Partien aus seinem WM Kampf mit Spassky aus dem Jahr 1969. Remis nach 20 Zügen, ohne dass ein neuer Zug gemacht wurde. Einfacher kann man es einem angeschlagenen Gegner nicht machen.

In der fünften Partie wählt Petrosian die russische Verteidigung und in dieser dann – mit dem Zurückstellen von d6-d5 – eine sehr passive Variante. Am Anfang der Partie hatte Fischer sicherlich etwas Vorteil, den er dann aber nicht ausbauen konnte. Danach hatte Petrosian eine gute Stellung, vielleicht sogar etwas Vorteil, aber die Schlussstellung nach 38 Zügen war komplett ausgeglichen. An sich ist das sichere Remis mit Schwarz ein gutes Ergebnis für Petrosian. Aber man fragt sich, ob an Stelle der sehr passiven Eröffnungswahl eine Wiederholung der Varianten aus der ersten und dritten Partie nicht mehr Druck auf Fischer ausgeübt hätten.

In der sechsten Partie folgte dann der Absturz. Petrosian wählte wiederum nicht 1.d4 und zog stattdessen 1.Sf3. In der folgenden Stellung unterlief ihm dritten (!) Zug mit 3.Lb2 (besser ist 3.e3) eine Ungenauigkeit, die meiner Meinung zeigt, dass diese Variante nicht vorbereitet war.

Es folgte ein langer Kampf, in dem Fischer die ganze Zeit am Drücker war und Petrosian sich verteidigen musste. Die Bewertung der Abbruchstellung war lange Zeit umstritten. Karsten Müller kam bei seinen Untersuchungen (Müller, 2020) zu dem Schluss, dass die Stellung zu retten war. Petrosian unterliefen aber nach Wiederaufnahme eine Ungenauigkeit mit 46.f3 und anschließend ein Fehler mit 48.Ta2+. Auf russischer Seite kam es nach der Partie zu heftigen Schuldzuweisungen. Frau Petrosian soll sogar Alexei Suetin geschlagen haben (Timman, 2021). Natürlich war die nicht optimale Analyse beim Abbruch ein Faktor, aber die Eröffnungswahl Petrosians hatte auch ihren Anteil an der Niederlage.

 

 

3. Akt (Partien 7-9): Petrosian stellt die Gegenwehr ein

Die nächste Überraschung folgte dann vor der siebten Partie. Petrosian hätte die Möglichkeit gehabt, ein Timeout zu nehmen. Aber er nutzte diese Möglichkeit nicht.

Auch die Eröffnungswahl Petrosian überrascht. Grundsätzlich hätte er zwei Möglichkeiten gehabt, entweder solide auf Remis oder aktiv zu spielen. Bei der ersten Option wäre Russisch wohl die beste Wahl gewesen, bei der zweiten Option hätte ich die Wiederholung einer der Varianten aus der ersten oder dritten Partie erwartet. Petrosian wählte die aktivere Option, spielte dann aber eine andere Variante im Sizilianer mit 4… a6. Da er diese Variante bereits früher gespielt hatte, war Fischer vorbereitet und konnte im zwölften Zug selbst eine Neuerung anbringen. Trotzdem schnell die Damen getauscht wurden, konnte Fischer in der gesamten Partie Druck ausüben. Petrosian fand sich in der Stellung überhaupt nicht zurecht und verlor in 32 Zügen.

Nach dieser Partie nahm dann Petrosian das Timeout; aber da war es schon zu spät. Seine Eröffnungswahl in der achten Partie empfinde ich als enttäuschend. Zwar spielte er jetzt wieder 1.d4, versuchte aber nicht aktiv gegen die von Fischer gewählte Semi-Tarrasch Verteidigung zu spielen. Er verzichtet auf cxd5, stellte mit 9.Lb2 seinen Läufer hinter die eigenen Bauern c3 und d4 und war bald darauf in der Defensive.

Fischer spielte wieder aktiv und der demoralisierte Petrosian machte einfache Fehler. Fischer gewann nach 40 Zügen.

In der neunten Partie versuchte Petrosian mit einer ungewöhnlichen Eröffnung (3… Sc6) Fischer zu überraschen. Dieser spielte einfach, baute wieder Druck auf und stand nach 14 Zügen schon auf Gewinn. Danach konnte sich Petrosian noch einmal fangen und kämpfte bis zum 46. Zug. Dann musste er aufgeben und der Kampf war beendet.

Nach dem Gewinn dieser Partie war Fischer ein gefragter Gast in den US Talkshows. In der Dick Cavett Show (Cavett, 1972) erläuterte er dabei auch die letzten Züge der neunten Partie. Die auf Youtube verfügbare Aufzeichnung der Show ist sehenswert.

 

 

Zusammenfassung

In den ersten drei Partien war Petrosian klar am Drücker. Der erste Wendepunkt war dann seine Eröffnungswahl in der 4. Partie. Anstatt weiter aktiv zu spielen, erlaubte er Fischer ein einfaches Remis. Diese wurde schon von zeitgenössischen Kommentatoren wie Spassky und Kortchnoi kritisiert. Salo Flohr gab an, dass Petrosian sich vor der Partie nicht wohl gefüllt hatte und deshalb ein schnelles Remis angestrebt hatte (Flohr, 1971). Das klingt für mich nicht überzeugend, da Petrosian in diesem Fall die Möglichkeit gehabt hätte, ein Timeout zu nehmen.

Die Wahl der russischen Verteidigung in der fünften Partie ist schwierig zu bewerten. Auf der eine Seite hat Petrosian damit ein sicheres Remis geholt, auf der anderen Seite hätte er prüfen können, wie Fischer die Lücken aus der ersten oder dritten Partie zu schließen gedachte.

In der sechsten Partie wieder eine passive Eröffnung mit Weiß und mit 3.Lb2 schon eine grobe Ungenauigkeit im dritten Zug. Laut Pachman (Pachman, 1975) war damals schon lange bekannt, dass 3.e3 gespielt werden muss.

Auch die Eröffnungswahl Petrosians in der siebten Partie ist nicht so einfach zu verstehen. In den ersten beiden Schwarzpartien hatte Petrosian Fischer unter Druck setzen können und jeweils die bessere Stellung erreichen können. Robert Byrne, der als Sekundant Fischers vor Ort war, hätte erwartet, dass Petrosian die Variante aus der ersten Partie wiederholt hätte. Er wurde übrigens von Fischer nicht in die Eröffnungsvorbereitung einbezogen und wusste daher auch nicht, wo Fischer von der ersten Partie abgewichen wäre (Byrne, 1971). Mit Blick auf Fischers Statistiken, die gegen Französisch nicht so überzeugend war, hätte ich persönlich eine Wiederholung der Variante aus der dritten Partie erwartet. Petrosian wählte aber wieder eine andere Variante, wurde in der Eröffnung mit einer Neuerung konfrontiert, geriet in die Defensive und verlor.

Die größte Enttäuschung ist die Eröffnungswahl und Spielweise Petrosians in der achten Partie. Man hat an keiner Stelle der Partie den Eindruck, dass er in einer Must-Win-Situation irgendetwas versucht hätte. Es wiederholt sich das Muster aus den vorangegangenen Partien. Petrosian spielt passiv, gerät in die Defensive und verliert.

In der neunten Partie versuchte er dann noch eine Nebenvariante. Aber auch damit konnte er Fischer nicht überraschen.

Klar ist es einfach im Nachhinein, wenn man das Ergebnis kennt, Entscheidungen zu kritisieren. Aber die von Petrosian ab der vierten Partie gewählten Eröffnungen waren meiner Meinung nach nicht die richtigen. Hätte Petrosian weiter Druck in der Eröffnung gemacht, dann wären seine Chance gegen Fischer deutlich besser gewesen.

Verwendete Quellen

Byrne, R. (1971). Anmerkungen zu der 7. Partie. Schachecho 1971, Seite 323.

Cavett, D. (1972) Bobby Fischer Gives Dick Cavett A Chess Crash Course | The Dick Cavett Show https://youtu.be/NhOZ1VFK4qo?t=160

Flohr, S. (1971). Bobby gegen Bobby. Schach Echo 1971, Seite 340-341.

Kasparov, G. (2004). My great Predecessors (Part III). London: Everyman Chess.

Müller, K. (2020). It was a Draw! https://en.chessbase.com/post/petrosian-could-have-held.

Pachman, L. (1975). Entscheidungspartien. Düsseldorf: Rau Verlag.

Petrosian, T. (1988). Die Schachuniversität. Zürich: Olms.

Sanders, J. (2021). Why did Petrosian stop playing the Petroff . https://en.chessbase.com/post/why-did-petrosian-stop-playing-the-petroff.

Suetin, A. (1997). Tigran Petrosjan: Die Karriere eines Schachgenies. Berlin: Verlag Bock & Kübler.

Timman, J. (2021). The Unstoppable American. Alkmaar: New in Chess.

 

 

 


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