ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024
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Fotos: Jurriaan Kien
Totale Schließung des internationalen Flugverkehrs aus Russland? Von wegen. Zehn Jugendspieler und vier erwachsene Begleiter sind am Montag aus Murmansk über Moskau nach Paris zurückgekehrt. Zwei Wochen später als geplant. Erst fiel ihr Rückflug aus, dann mussten sie in Quarantäne, nachdem es beim Jugendturnier Chessmates erst einen Verdacht und dann eine bestätigte Covid19-Infektion gab. Einer von ihnen, Chessmates-Gründer Jurriaan Kien, berichtet.
Es hieß, wir hätten gar nicht erst reisen dürfen. Am Abend des 11. März mussten wir entscheiden. Standen alle Eltern noch hinter der Reise? Ja. Würde das irische Team kommen? Ja. War unser Rückflug bestätigt? Ja. Also los. Mein Sohn und ich sind an dem Abend von Nizza nach Paris geflogen. In aller Früh flogen wir mit dem Rest der Gruppe weiter nach Russland. Im Lauf des 12. März gab die Regierung viel weitergehende Maßnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus bekannt. Aber da waren wir schon unterwegs. Wären wir einen Tag später dran, vielleicht nur einige Stunden später dran gewesen, wären wir nicht gereist.
Vor dem Turnier, vorne mit Ehrengast Valentina Gunina
Es hieß, unser Turnier hätte gar nicht stattfinden dürfen, weil Veranstaltungen ab hundert Teilnehmern verboten gewesen seien. Wäre das so gewesen, wäre der Bürgermeister von Murmansk nicht zur Begrüßung gekommen. Unser Turnier begann am 13. März und endete am 15. März. Am 16. März wurde in Jekaterinburg das Kandidatenturnier mit um die 2000 Gästen eröffnet. Wir hatten auch keine hundert Teilnehmer. Jugendspieler, Betreuer und Schiedsrichter zusammen waren wir ungefähr siebzig.
IM Loic Travadon, links, Nummer eins der französischen Mannschaft
Es hieß, dass wir vorher gewarnt worden seien. Niemand hat uns gewarnt. Es gab auch keine vorgeschriebenen Sicherheitsvorkehrungen. Aber wir haben von selbst einiges getan. Die Spieler gaben sich nicht die Hand, hielten einen Meter Abstand. Alle wurden ermahnt, sich regelmäßig und gründlich die Hände zu waschen.
Ein Hinweis, dass doch nicht alles normal lief, kam am Abend des zweiten Tags. Für den nächsten Morgen kündigten sich Mitarbeiter der Sanitätsbehörde an, um uns auf Coronaviren zu testen. Das kam mir merkwürdig vor, weil wir, bis die Testergebnisse vorlagen, Russland eigentlich schon verlassen haben sollten. Aber Air France strich unseren Flug, so dass wir schon wussten, dass unsere Gruppe - zehn Jugendliche und vier Begleiter - ein paar Tage länger bleiben musste.
Die nächste Merkwürdigkeit war, dass am nächsten Morgen ein Fernsehteam anrückte und Aufnahmen von den Tests machte.
Test mit Fernsehteam
Komisch war auch, dass nur die irische Gruppe und wir uns Speichelprobe und Nasenabstrich unterziehen mussten. Weder die Esten noch die Murmansker und St. Petersburger wurden getestet. Wir witzelten noch, dass alles ein genialer Trick war, um unsere Konzentration zu stören und unseren Turniersieg zu verhindern. Wir lagen vor der letzten Runde in Führung. Dann verloren wir tatsächlich gegen Murmansk und mussten uns mit Platz zwei begnügen. Der Corona-Test wurde nachmittags nochmal wiederholt, weil etwas bei der Etikettierung schiefgegangen war.
Noch am Abend fuhr das irische Team zum Flughafen. Dort wurde ihr ältester Spieler, Alex Goss, ausgesondert, weil er hustete. Während der Rest seines Teams nach Hause flog, wurde er zur Untersuchung ins Krankenhaus gebracht. Wir erfuhren im Hotel, dass unsere Gruppe unter Quarantäne gestellt war.
Inzwischen hatte unser Gastgeber uns eine andere Unterkunft besorgt. Am Montag nach dem Turnier konnten wir in ein Feriendorf, etwa 45 Kilometer von Murmansk entfernt. Offiziell hätten wir im Hotel Meridien bleiben müssen, aber ich habe einfach nach den Pässen gefragt und allen gesagt, schnell in den Bus, bevor sie es sich anders überlegen. Am Dienstag bekamen wir eine Bestätigung, dass wir die Quarantäne im Feriendorf verbringen durften.
Es war für alle ein Traum. Skifahren und Waldspaziergänge bei dreißig Zentimeter frischem Pulverschnee.
Winter in Murmansk
Ein weißer Traum
Eine echte russische Sauna. Abends Schach und Musik. Die besten Ferien, die man sich denken kann. Bis Donnerstagabend die Sanitätsbehörde anrückte. Einer unserer Jugendspieler kann etwas Russisch und übersetzte. Alex hatte Corona. Wir sollten unverzüglich ins Krankenhaus. Ich schaffte es gerade, etwas Aufschub auszuhandeln mit dem Argument, dass wir noch abendessen konnten, in Wahrheit aber vor allem, um einen russischen Anwalt zu verständigen. Der setzte sich sofort ins Auto und fuhr ins Feriendorf. Als er die Papiere der Sanitätsbehörde geprüft hatte, riet er, dass wir uns fügen. Die Alternative lautete, dass wir am nächsten Morgen von der Polizei abgeholt würden. Ich handelte noch aus, dass wir unbedingt alle gemeinsam untergebracht bleiben müssten. Dann ließen wir uns mitnehmen.
Die nächsten zehn Tage und Nächte verbrachten wir in einem Murmansker Krankenhaus.
In Quarantäne
Wir hatten Zwei- und Dreibettzimmer direkt nebeneinander. Viermal täglich wurde jeder von uns untersucht. Dreimal wurde jeder von auf den Coronavirus getestet.
Das Personal in Schutzanzügen
Alles negativ, krank war niemand. Essen wurde gebracht. Manchmal gab es Internet. Wir konnten duschen, aber trinkbar war das Wasser aus dem Hahn nicht. Ich organisierte den Tagesablauf: 9 Uhr aufstehen, Gymnastik, Duschen, Frühstück, dann drei Stunden jeder für die Schule und eine Stunde Englischunterricht. Nachmittags schauten wir Kandidatenturnier. Vorm Abendessen ein Französisch-Diktat.
Inzwischen mussten auch russische Teilnehmer in Quarantäne, inklusive Artem Kuzmin und Andranik Musatian, die alles in Murmansk organisierten. Einige von ihnen waren in unserem Krankenhaus. Abends kamen sie mit uns essen und Schach spielen. Am letzten Abend im Krankenhaus gab es noch einen Höhepunkt. Jeder durfte online mit Laurent Fressinet blitzen.
Irgendwie gelang es uns, dass keiner durchdrehte und alle die Reise als Abenteuer betrachteten.
Jurriaan und Clovis Kien
Durch Schach andere Länder kennenzulernen und dort Freunde zu finden, ist die Idee hinter Chessmates. Angefangen hat alles vor neun Jahren, als mein älterer Sohn Clovis in seiner Schule einen Schachkurs begann. Nach ein paar Wochen bekam ich eine Nachricht: „Mein Name ist Emmanuel Neiman, ich bin der Schachlehrer Ihres Sohns, und er ist sehr begabt.“ Ich verstand von Schach nicht viel mehr als die Regeln. Der Schachspieler in meiner Familie war mein Großvater. Er hatte als einer der ersten Niederländer einen Mephisto-Schachcomputer. Daran habe ich mich erinnert und Clovis einen Schachcomputer besorgt. Manchmal hat er schon in der Früh, wenn er als erster wach war, damit gespielt. Da war Clovis fünfeinhalb. Eines Tages sagte er: Papa, man kann nicht acht Damen gleichzeitig haben. Warum nicht? Dann zeigte er mir, dass kein Feld übrig war, auf dem der gegnerische König nicht im Schach stand.
Drei Jahre später danach las ich von einem Schachturnier auf einem Schiff in Rotterdam, zu dem Schachspieler aus Murmansk eingeladen wurden. Das brachte mich auf die Idee, uns vom gleichen Sponsor zu einem Turnier mit Jugendmannschaften aus Holland, Frankreich und Russland einladen zu lassen. Ich habe den Organisator angeschrieben, und meine Idee gefiel ihm. Basamro, eine Firma, die Containertransporte abwickelt, wurde unser Sponsor.
2015 spielten wir unser erstes Turnier im Meeresmuseum Rotterdam. 2016 trafen wir uns in Murmansk. Die folgenden Jahre haben André Rasneur, der Präsident des Regionalverbands Ile de France, und ich die Turniere in Frankreich organisiert. Einmal spielten wir bei der UNESCO, einmal im Chateau d´Asnières und voriges Jahr im edlen Hotel de Lauzan in Paris. Bei der Gelegenheit haben wir Chessmates gegründet. Chessmates organisiert jedes Jahr ein internationales Jugendturnier und Schachcamp, und wir freuen uns über weitere Mitglieder.
Durch den Glorney Cup hatte ich Kontakte nach Irland, das dieses Jahr dazugestoßen ist. Weil ein paar ihrer Spieler kurzfristig wegen Corona nicht anreisten, sprangen ein paar russische Kids an den hinteren Brettern ein. An Irlands Spitzenbrett saß Alex. Der musste die letzten zwei Wochen völlig allein in einem anderen Krankenhaus durchstehen. Mehr als Husten hatte er nicht. Aber entsetzliche Langeweile.
Weil er inzwischen negativ getestet war, durfte auch er am Sonntagabend entlassen werden. Das Ende unserer Quarantäne wurde von zwei lokalen Fernsehteams dokumentiert. Nachher trafen wir Alex und unsere Gastgeber zur Abschiedsparty. Auch der französische Konsul Hughes de Chavagnac war aus St Petersburg angereist. Nur Andranik kam nicht mit. Während er in Quarantäne war, wurde er Vater und wollte nichts dringender, als seinen Sohn und seine Frau sehen. Wir feierten, bis wir zum Flughafen mussten, um 2.50 Uhr früh von Murmansk nach Moskau zu fliegen. In Moskau haben wir uns von Alex verabschiedet. Wir konnten gleich weiterfliegen. Sein Flug nach Dublin wurde gestrichen. Er ist noch immer in Scheremetjewo.“
Aufgezeichnet von Stefan Löffler
Jurriaan Kien ist Präsident und Gründer von Chessmates und Jurist in Monaco.
Alle Fotos und Videos: Jurriaan Kien
http://chessmates.info