Gut
gefritzt ist halb gewonnen
Kostenlose Überlebens-Tipps für das
16000-Dollar-Turnier
Intro
Hartgesottene Insider werden mit der Überschrift nicht ganz einverstanden sein.
"Gut gefischt...", muss es doch eigentlich heißen, seit unter den Schachengines
ein neuer Star Furore macht: Rybka 1.01 beta 13d, wie die letzte Version,
scheinbar spröde, lautet. Indes ist "Rybka" das tschechische Wort für "kleiner
Fisch". Programmautor IM Vasik Rajlich, der in den USA lebt, hat alles andere
als ein "sprödes" Programm auf den Markt geworfen. "Klein" mag ja sein, aber
eher ein Piranha als ein Zierfisch.
Falls
Sie an dem 16000-Dollar-Turnier für Jedermann teilnehmen möchten und kein
Computerschach-Experte sind, sollten Sie mir für diesen kostenlosen Rat zutiefst
dankbar sein. Ich habe Sie eventuell davor bewahrt, daß Ihnen eine Fingerkuppe
abgebissen wird, bevor Sie überhaupt wahrgenommen haben, gegen wen Sie da
spielen.
Schach-Engines
Fischers Fritze fischt..., halt! da war doch noch etwas - richtig, Shredder.
Letztes Jahr wurde rauf und runter geshreddert. Im Klartext: die Phalanx der
Enginespieler beim PAL/CSS-Freistil-Turnier setzte unisono auf Shredder 9, der
damals als der Überflieger galt. Programmautor Stefan Meyer-Kahlen sitzt derzeit
eifrig an Shredder 10, wenn man der Computerschachgerüchteküche glauben darf.
Wäre er denn damit schon draußen, würde sicherlich nicht so inszentiös gerybbt
werden im sogenannten Maschinenraum auf Playchess.com und folglich auch nicht
beim neuen Freistil-Turnier am 18./19. März, wo 16000 bugs an Land gezogen
werden wollen. Wenn Sie mich fragen: Fritz 9, Hiarcs 10, Fruit 2.2, Spike 1.1,
Junior 9 und ein gutes Dutzend andere Programme sind genauso gut als
Zugeinflüsterer geeignet, wenn Sie mit dem nötigen S(ch)achverstand zu Werke
gehen, das heißt als "Zentaur" spielen und sich nicht auf den Autopiloten
(sprich: Engine spielt allein) verlassen wollen. Und noch ein kostenloser Tipp:
Rybka ist oft sehr freigiebig mit seinen Bauern - oft liegt er damit richtig,
aber es mangelt ihm, was kein Geheimnis ist, in vieler Hinsicht noch an
elementarem Endspielwissen. Work in progress. Auch seine Königssicherheit ist
noch stark verbesserungswürdig, da gefällt mir persönlich sowohl im Angriff als
auch in der Verteidigung Fritz 9 um einiges besser.
Edel-Kiebitz Garri, "ZackS" und andere
Das mal
zur ersten Einstimmung. Garri wird wohl wieder als Kiebitz dabei sein, wenn er
Zeit hat. Letztes Jahr vermuteten ihn manche (zu Unrecht) hinter dem
geheimnisumwitterten Turniersieger "ZackS", der in den Play-Offs namhafte
Großmeister abkochte. Man konnte sich einfach nicht vorstellen, daß kein
starker Großmeister zum ZackS-Team gehörte, sondern dieses, wie sich später
herausstellte, aus zwei waschechten Computerfreaks mit einer Elo unter 2000
bestand. Nun bedurfte es laut Reglement keinerlei Erlärungen seitens der beiden
recht jungen US-Amateure, denn im Freistil ist ja alles erlaubt, aber sie waren
auf Anfrage gern bereit, ein wenig Einblick in das Geheimnis ihres Erfolges zu
geben (siehe Frederic Friedels Beitrag in CSS-Online 5/2005 - ein Link findet
sich in der nebenstehenden offiziellen Turnierausschreibung).
Der
Erfolg des ZackS-Teams, das dieses Jahr übrigens wieder am Start ist, sollte
allen Mut machen, die sich kaum Chancen gegen die Konkurrenz der spielstarken
Titelträger ausrechnen. Der allgemeine Trend war zwar, dass sich die Kombination
Großmeister+Engine gegen die reinen Enginespieler und die schwächeren
Zentaur-Teams durchsetzte, doch Ausnahmen sind jederzeit möglich, und auch der
Einzug der GM Lanka, Kossyrew ("Tank 1") und Dobrow war keineswegs das
Zuckerschlecken, das diese Cracks von Openbegegnungen mit Schachluschen gewohnt
sind. Das war harte Arbeit, um in den Genuss von Petrodollars zu gelangen.
Elo 3000
Garri
Kasparow, der geistige Urheber des Advanced Chess (übrigens im Jahre 1996), sah
sich durch den Verlauf, wie er in seiner New In Chess-Kolumne (5/2005) schrieb,
in vieler Hinsicht bestätigt. Die schachliche Stärke guter Advanced Chess
Spieler dürfte in Elo-Zahlen ausgedrückt, irgendwo bei 3000 liegen. Völlig zu
Recht stellte Frederic Friedel daher in seinem Fazit vor einem Jahr fest:
"...Das Spielniveau war sehr hoch, möglicherweise das höchste, das je bei diesen
Zeitvorgaben gesehen wurde. Es dürfte klar sein, dass ein menschlicher Spieler,
auch wenn er zu den stärksten der Welt gehört, sich in einem solchen Feld kaum
Chancen ausrechnen könnte." (Es handelte sich übrigens um 60 Minuten-Partien mit
15 Sekunden Zeitzugabe pro Zug.)
Das
allein sollte Grund genug sein, einem solchen Turnier die nötige Beachtung zu
schenken, doch neue Ideen haben es manchmal schwer, sich auf breiter Front
durchzusetzen, zumal wenn sich noch kein griffiger Veranstaltungsmodus
herausgebildet hat. Die Ochsentour im vergangenen Jahr mit recht vielen
Spielterminen sollte dieses Jahr nicht wiederholt werden, weshalb ein in vieler
Hinsicht vereinfachtes Modell gewählt wurde, an dem mitzuwirken, in
Zusammenarbeit mit den Veranstaltern, inbesondere auch dem Sponsor, der PAL
Group in Abu Dhabi (Stichwort: HYDRA Projekt), ich die Ehre hatte.
Freestyle Grand Prix !!
Der
Kerngedanke, der in der bisherigen Ausschreibung wegen noch nicht ganz geklärter
Terminfragen ausgespart wurde, ist nun überaus dazu angetan, das Experiment
Freistil-Schach bzw. Advanced Chess zu verstetigen und zu popularisieren: eine
jährliche Grand Prix Serie mit insgesamt drei solchen Turnieren, wobei jeweils
die gleiche Preissumme zur Verfügung steht. Die nächsten Termine sind für Juni
und September angedacht. Im Dezember könnte es dann zu einem weiteren Highlight
kommen, wo die drei Turniersieger des Jahres aufeinander treffen, um den
Super-Freestyle-Champion auszuspielen, wobei der Phantasie für die zünftige
Ausgestaltung dieses Höhepunktes keine Grenzen gesetzt sind...
Wer ist
dieses Jahr dabei?
Zurück
zum 18./19. März. Bislang liegen Anmeldungen aus mehr als 20 Ländern vor, und es
steht zu erwarten, dass sich die Teilnehmerzahl für das Hauptturnier (8 Runden
Schweizer System, 45min+5sec Partien) gegenüber dem Vorjahr, als sich insgesamt
(mit Qualifikationsturnier) knapp 80 Teams gemeldet hatten, mindestens
verdoppeln wird. Allerdings halten sich die Titelträger mit Meldungen noch
ziemlich bedeckt. Handelt es sich hier um Nachwirkungen des ZackS-Schock vom
Vorjahr? Wie auch immer, das erhöht natürlich die Chancen der Amateure auf einen
Platz an der Sonne.
Unter
den Schachprofis genießt Advanced Chess immer noch vorwiegend den Status von
Showkämpfen, bestenfalls mit Experimentalcharakter. Ansonsten ist es anrüchig,
mit Computerhilfe zu spielen, was sicherlich auch durch den Mißbrauch per
elektronischem Doping bei menschlichen Turnieren verursacht wurde. Pikanterweise
sind es ja längst nicht mehr nur Amateure, die beim Mogeln ertappt wurden,
sondern nach und nach tragen sich auch Titelträger in die Schwarzen Listen ein.
Nicht zu verkennen ist andererseits der Trend hin zum Advanced Chess
Analysieren. Hier gibt es durchaus schon eine etablierte Kultur. Immer
häufiger zitieren Kommentatoren getreu dem Kasparow'schen Vorbild Fritz
mit seinen Variantenvorschlägen und geben damit unfreiwillig zu erkennen, dass
es "ohne" nicht mehr geht... Warum dann nicht auch einmal das Experiment
Advanced Chess wagen, meine Herren? Oder ist Ihr Laptop etwa zu schwach auf der
Brust?
Hardware
und Nutzungstechniken
Nun,
zugegeben, um im Freistil-Turnier zu bestehen, bedarf es auch einer möglichst
leistungsstarken Hardware. Mit einem Pentium 3 und heutzutage schlappen 800 MHz,
werden Sie Mühe haben, einen halben Punkt zu ergattern, auch wenn Sie eine
FIDE-Elo von mehr als 2400 haben. Optimal ist ein Team mit zwei bis drei
Rechnern. Auf dem Internetrechner schalten Sie eine "Kiebitz"-Engine ein, die
brauchen Sie nicht zu bedienen, denn sie schaltet automatisch auf die aktuelle
Stellung um. Hier können Sie nicht analysieren, sondern nur ablesen, entweder im
Ein-Variantenmodus oder in einem Mehr-Variantenmodus. Behalten Sie diesen
Kiebitz immer im Auge, denn er bewahrt Sie vor Fehleingaben auf Ihrem Zweit-
oder Drittrechner. Dort analysieren Sie vermutlich mit einem anderen Programm,
und gehen zur Klärung und Beschleunigung der Analyse in kritische Varianten
hinein. In der Hektik kann es Ihnen passieren, das Sie nicht wieder zur
richtigen Partiestellung zurückkehren. Deshalb, Obacht, immer ab und zu einen
Kontrollblick zum Internetrechner.
Tablebases und Team-Aspekte
Auf
mindestens einem (wenn nicht allen) Rechner(n) sollten Sie die
Fünfsteiner-Endspieldatenbanken installiert haben. Spezialisten haben teilweise
schon Festplatten mit ausgewählten Sechsteinern parat. Wenn Sie ohne
Fünfsteiner-Tablebases spielen, wird Sie das mit Sicherheit Punkte kosten. In
Zeitnot ließ ich mich im vergangenen Jahr gegen einen starken US-Großmeister auf
eine Abwicklung ein, die uns ein Endspiel 2 Springer (er) gegen einen Bauern
(ich) bescherte. Es war für mich ein Schock, als mir meine Tablebases ein Matt
in 79 Zügen ankündigten. Ich fragte mich noch, wann im Zuge dieser Abwicklung
ein Bauer gezogen oder ein Stein geschlagen wird (50 Züge Regel...). Das alles
war aber unnötige Aufregung, denn mein Gegenüber hatte keine Tablebases
installiert und tappte 50 Züge vergeblich mit seinen Springern übers Brett, um
hernach frustriert aus dem virtuellen Turniersaal zu flüchten. Er hatte mein
innigstes Mitgefühl, wenngleich ich mich über diesen halben Punkt natürlich
außerordentlich gefreut habe.
Grundsätzlich ist ein Team von zwei Spielern, wenn es gut harmoniert -
technisch, schachlich, menschlich, wo immer die Schwerpunkte liegen -, im
Vorteil gegenüber einem Einzelspieler. Das war wohl auch ein Aspekt des
ZackS-Erfolges. Wenn Sie erst lange diskutieren müssen mit Ihrem Partner über
einfachste Dinge, dann haben Sie etwas falsch gemacht. Klare Strukturen, klare
Prioritäten, sonst bringt die Zusammenarbeit angesichts des großen Zeitdrucks
nichts, sondern schadet nur.
Umgang
mit der Bedenkzeit
Wir
haben in diesem Jahr eine etwas kürzere Bedenkzeit: 45 Minuten plus 5 Sekunden.
Auf dieses Weise sollte es ermöglicht werden, 8 Partien an einem Wochenende zu
spielen, ohne dass es in zu großen Stress ausartet. Man muss bei den
Rundenansetzungen davon ausgehen, dass angesichts der hohen Genauigkeit des
Spiels immer die eine oder andere Partie dabei ist, die mehr als 100 Züge
dauert. Das sind oft interessante Endspiele, und es wäre kein guter Stil, sie zu
früh durch einen Verzicht auf Zeitzugabe pro Zug abzuwürgen.
Wie dem
auch sein, die psychologische und praktische Einstellung auf diese
Zeitbedingungen ist außerordentlich wichtig, um erfolgreich zu spielen. Ich
vermute, daß diese Zeitbedingungen (im Unterschied zu 60 Minuten-Partien) ein
klein wenig den reinen Enginespielern entgegenkommen, denn sie erzielen meistens
einen gewissen Zeitvorsprung aus der Eröffnung heraus, wenn sie denn mit einem
großen Eröffnungsbuch spielen, was meistens der Fall ist. Der Zeitfaktor spielt
also eine ganz große Rolle im Vergleich Zentaur gegen Engine. Wenn der Zentaur
in deutlichen Zeitnachteil gerät und außerdem mit seiner Stellung Probleme hat,
dann ist dies bereits der Keim seiner Niederlage. Andererseits haben die
automatisch spielenden Engines häufig das Problem, dass sie bei
selbstverständlichen Zügen Zeit verplempern. Das kann der Zentaur systematisch
ausnutzen, weshalb wohl viele Engingespieler - zumindest als ein Grund - auf
Playchess.com das Spiel gegen Zentauren von Haus aus per Formel ablehnen. Wird
ein Zug ausgespielt, den die automatische Engine erwartet hat, wird sie in der
Regel entweder sofort oder relativ schnell antworten. Spielen Sie deshalb, wenn
Sie die Wahl eines gleichwertigen, aber weniger wahrscheinlichen Antwortzuges
haben, lieber diesen, um das Programm zum Neuberechnen zu zwingen.
Good
luck!
Es gibt
viele kleinere technische Hinweise, die den Umgang mit dem Playchess-Server
betreffen, die hier unerwähnt bleiben müssen. Am besten sammeln Sie im
Maschinenraum ein paar Erfahrungen, bevor es losgeht. Und, mein letzter Tipp,
sorgen Sie für eine angenehme Atmosphäre in Ihrem Schachlabor, denken Sie an
geeignete Verpflegung, Getränke, Musik, je nach dem, was Sie brauchen, um gut
drauf zu sein. Und - nehmen Sie es nicht zu ernst, erfreuen Sie sich auch
am guten Spiel des Gegners, kiebitzen Sie bei den anderen Partien, wenn Ihre
früher beendet sein sollte, und fühlen Sie sich als Mitglied einer world wide
Advanced Chess community. Garris Segen haben Sie bereits.
Arno
Nickel
(Fernschach-GM und Schachverleger in Berlin)