Frischer Wind mit ...Lf5

von ChessBase
17.04.2020 – In den letzten Jahren ist die Caro-Kann-Abtauschvariante mit 3.exd5 cxd5 4.Ld3 Sc6 5.c3 bei Weiß immer populärer geworden. Und es hat sich gezeigt, dass das gar nicht so zahnlos ist. Roven Vogel bietet mit seinem Beitrag im aktuellen ChessBase Magazin eine spannende Repertoireempfehlung für Schwarz: 6...g6 bereitet die Entwicklung des Läufers nach f5 vor, und danach strebt Schwarz die lange Rochade an!

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Frischer Wind mit ..Lf5

Roven Vogels Rezept gegen die Caro-Kann-Abtauschvariante

Heutzutage scheint es fast unmöglich, gegen einen gut vorbereiteten Gegner Vorteil aus der Eröffnung herauszuholen. Daher greift eine große Menge an Spielern auf Systeme zurück, in denen Verständnis und Erfahrung eine (meist) größere Rolle spielen, als das pure konkrete Eröffnungswissen. In der Folge dieses Trends wurde in den letzten Jahren gegen Caro-Kann eine Variante populär, die einst als ambitionslos und ungefährlich eingestuft wurde, nämlich 3.exd5 cxd5 4.Ld3 Sc6 5.c3.

 

Doch es hat sich gezeigt, dass Weiß gegen die klassischen schwarzen Antworten 5...Dc7 (verhindert Lf4) sowie 5...Sf6 nebst 6...Lg4 durchaus die ein oder andere unangenehme Frage stellen kann, und so konnte sich bisher noch kein Konzept durchsetzen, was gänzlich überzeugte (siehe dazu auch Igor Stohls Artikel "Ist die umgekehrte Karlsbader Struktur wirklich so harmlos?" aus dem CBM 185). Es gab sogar mittlerweile sehr radikale Versuche zu sehen, die Probleme nach 5...Sf6 6.Lf4 super konkret zu lösen:

 

Ich möchte daher einmal die Chance nutzen, um auf ein unterschätztes Konzept hinzuweisen, was eine Fülle von Vorteilen gegenüber den klassischen Antworten mit sich bringt und es verdient, mehr in der Praxis ausgetestet zu werden. Es handelt sich dabei um den Aufbau 5...Sf6 (bzw. 5...g6) 6.Lf4 g6, gefolgt von 7...Lf5, um den aktiven weißen Läufer d3 zu tauschen.

 

Ich werde dabei (fast) nur Varianten zeigen, in denen der Sg8 nach f6 entwickelt wird. Es ist allerdings auch sehr interessant, zunächst ...Sf6 zurückzustellen und mit 5...g6 anzufangen, um später nach dem Tausch auf f5 die Option ...Sge7/Sg6 zu haben.

Weiß hat ausgehend von der Diagrammstellung mehr oder weniger zwei Optionen: Entweder er lässt den Läufertausch zu und akzeptiert die Struktur nach Lxf5 gxf5, oder er wählt eine Vermeidungsstrategie mittels 7.Dc2, um Lf5 zu verhindern, bzw. nach 7.h3 Lf5 8.Le2, was beides energisch beantwortet werden kann.

Die Nachteile der 7.Dc2-Variante können sehr gut in der Partie Zanan,E - Rahul,S 0-1, Gibraltar 2019, nachvollzogen werden, in der Schwarz einen sehr kraftvollen Plan mit ...Sh5 wählt,

 

gefolgt von ...f6/...e5, um so das Zentrum an sich zu reißen.

Gegen 7.h3 Lf5 8.Le2

 

haben die beiden Russen Girya und Riazantsev in ihren Partien Shuvalova,P - Girya,O 0-1, Izhevsk 2019 und Svidler,P - Riazantsev,A ½-½, Isle of Man 2019, einen sehr kompakten Aufbau mit ...e6 und ...h5 gewählt, der einen sehr soliden Eindruck macht und Weiß keinerlei Angriffsfläche für Vorteil bietet.

Die kritischste Fortsetzung ist die Struktur nach 7.Sf3 Lf5 8.Lxf5 gxf5.

 

Schwarz schwächt durch diese Transformation seine Bauernstruktur am Königsflügel leicht, erhält allerdings mehr Einfluss auf das Zentrum, besonders auf das Feld e4. Außerdem kann Schwarz später eventuell über die halboffene g-Linie Gegenspiel generieren. Ich rate davon ab, den Lf8 nach g7 zu entwickeln, da er von dort aus etwas auf Granit (b2/c3) beißt und dem Turm auf g8 im Weg steht. Man müsste mit dem Läufer auf g7 wahrscheinlich kurz rochieren, was mir im Allgemeinen missfällt, da man dadurch die Vorzüge der besonderen Bauernstruktur nicht wirklich ausnutzen kann.

Viel gesünder erscheint mir der Aufbau mit ...e6,Ld6, Dc7, 0-0-0 und anschließenden Se4. Hierfür bietet die Partie Demchenko,A - Melkumyan,H 0-1, Riadh 2017, einen guten Ersteindruck.

Daran anschließend möchte ich einmal kurz auf die wichtigsten Motive/Thematiken zu sprechen kommen:

1) Die angestrebte Traumaufstellung für Schwarz lautet: ...Ld6, ...Dc7, ...0-0-0, ...Se4, ...Thg8, ...h5 (...Kb8, ...Tc8).

2) Die Manöver ...Sce7/Sg6 und ...Sa5/Sc4 sind gerade im Endspiel sehr effektiv.

3) Auch in dieser besonderen Karlsbad-Struktur ist ein weiteres "Traumfeld" für den Springer d6, von wo aus er den Minorätsangriff (b5-a5-b4) unterstützt und jederzeit auf e4 oder c4 auftauchen kann.

4) ...Tg8-Tg4-Te4 kann besonders stark sein, wenn Weiß beschließt, die Struktur mit ...c4 zu verändern.

5) Falls Weiß nach ...Tg8 den Zug g3 spielt, lohnt es sich, darüber nachzudenken, mit h5-h4-hxg3 eine potentielle Schwäche (h-Bauer) aufzulösen.

6) f6/e5 ist ein sehr typischer Bauernvorstoß im Zentrum, der Schwarz die Initiative geben kann.

7) Falls Weiß die Stellung mit c4 öffnet, bevor Schwarz es geschafft hat, lang zu rochieren, kann sich der schwarze König auch gut hinter seinem Bauernwall f7/e6/f5 auf f8 oder g8 verstecken.

8) Frühes ...Tg8/...Sh5 (Laznicka-Plan) zwingt Weiß, konkret zu handeln.

9) Endspiele sind wegen der Flexibilität, die die Zentrumsbauern mit sich bringen, oft gut für Schwarz.

10) Schwarz muss sich vor einem weiteren Doppelbauern, der auf der b-Linie nach dem Damentausch entstehen könnte, nicht fürchten, da er anschließend auch über die a-Linie Druck ausüben kann und b4 als Hebel besitzt.

Weiterhin sollte man einmal einen Blick darauf werfen, welche Vor- und Nachteile entstehen, wenn der auf e5 eingenistete Springer, meistens ein Trumpf der weißen Stellung, so beseitigt werden kann, dass Weiß zwangsweise irgendwann mit dem Bauern auf e5 wiederschlagen muss, wie in der Partie

 

Zuyev,I - Sumets,A ½-½, Heusenstamm 2018: 13...Lxe5!?

Eine sehr interessante Idee für Schwarz kann man zwei Partien von Viktor Laznicka entnehmen (Ponizil,C - Laznicka,V ½-½, Pardubice 2016 und Rapport,R - Laznicka,V 0-1, Deizisau 2014), der es vorzieht, früh ...Tg8 zu spielen, um Weiß zur kurzen Rochade zu provozieren und dann mit ...Sh5 fortsetzt, um den Lf4 zu vertreiben und so mehr Einfluss über e5 zu erhalten.

 

11...Sh5!? (Rapport,R - Laznicka,V 0-1)

Besonders in der Partie gegen Rapport wird deutlich, wie sehr Weiß aufpassen muss, nicht zu viel Zentrumskontrolle abzugeben, da er sonst einfach überrannt wird.

Aber auch Weiß hat einige interessante Konzepte. Eines ist es, den Lf4 gegen den Sf6 zu tauschen, um anschließend die Stellung mit zwei Springern gegen Springer und Läufer zu spielen. Rein prinzipiell betrachtet, sollte dies keine besonders furchterregende Strategie sein, weil alle schwarzen Zentrumsbauern auf weißen Feldern (d5, e6, f7, f5) stehen und der Läufer so die schwarzen Felder gut kontrolliert. Trotzdem muss Schwarz genau agieren, um nicht von Plänen, wie Sb3-Sc5 und dem Bauernsturm am Damenflügel überrannt zu werden. Nähere Erläuterungen zu diesem Abspiel kann man in der Partie Larsen,K - Fier,A ½-½, Riga 2012, finden.

Abschließend sollen die Vorteile dieses Aufbaus gegenüber den klassischen Varianten hervorgehoben werden:

1) Weiß hat keinen einfachen Standardplan, wie oft in den klassischen Varianten der Fall.

2) Der Stellungstyp ist komplex und etwas ungewöhnlich.

3) Der Stellungstyp ist noch wenig erforscht und bietet daher mehr Raum für neue kreative Ideen.

Fazit: Das Konzept mit ...g6 und ...Lf5 gegen die Caro-Kann-Abtauschvariante bietet Schwarzspielern die Möglichkeit, ein Terrain zu betreten, was voller interessanter Ideen steckt. Meines Erachtens sollte man Stellungen mit langer Rochade, ...Ld6 und ...Dc7 anstreben, es gibt aber auch noch viele weitere spannungsreiche Aufbauten, z.B. mit ...Sge7-Sg6 und kurzer Rochade. Auf jeden Fall ist eine zunehmende Popularität dieser Variante zu erwarten, da die klassischen Antworten nicht unbedingt vollständig zufriedenstellend sind.

Den kompletten Artikel mit allen Partien und Analysen von Roven Vogel finden Sie im aktuellen ChessBase Magazin #194!

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ChessBase Magazin #194 (März/April 2020)

 


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