Andrea Pirlo und Xavi Hernández – Richtige Partieanlage
Zwei Strategen der Fußballwelt am Ende eines langen Weges
Von Redaktion Magath & Fußball
Wie Spieler der Schachelite besitzen einige Fußballer die Gabe, wesentliche Punkte einer komplexen Materie innerhalb eines Moments zu erfassen. In Berlin werden zwei dieser seltenen Spezi sich noch einmal begegnen. Der Italiener Andrea Pirlo hat im Fußball alles erreicht, mit Mitte Dreißig den Zenit seines Könnens überschritten. Dennoch ist er ein unverzichtbarer Baustein des neuen Aufschwungs von Champions League Finalist Juventus Turin. Zehn Jahre diente er dem AC Milan, seit 2011 ist er zentraler Spielgestalter bei Juve. In Italien trägt er diverse Spitznamen, die durchaus als Gradmesser von Anerkennung herhalten können. „Architekt“, „stiller Anführer“ und „Maestro“ sind dabei die geläufigsten Respektbekundungen. Wer seinem Spiel und seiner Karriere folgt, denkt an einen langfristigen Plan, an Eröffnung, Mittelspiel und Endspiel. Nichts wird dem Zufall überlassen, ob nächster Pass, Spielzug oder Karriereschritt, immer wirkt alles vorausgedacht, hat Sinn und zieht in den meisten Fällen Erfolg nach sich. Das von ihm gelenkte Spiel gibt seiner Strategie stets ein Ziel vor, welches erreichbar ist, wenn das Team dem eingeschlagenen Weg folgt. Darin ist Pirlo vergleichbar mit dem genialen Spielmacher Xavi Hernández, der im 35. Lebensjahr ebenfalls den Ausklang seiner Karriere erlebt. Ein Jahrzehnt war Xavi strategischer Kopf von zwei der besten Teams der Fußballwelt, dem FC Barcelona und der Spanischen Nationalmannschaft. Zwei Ausnahmespieler und Maßstab für jeden, der berufsbedingt gegen den Ball tritt.
Wenn sich Mitspieler und Trainer auf das Spiel dieser Könner einließen, nahm der überstrapazierte Begriff vom Rasenschach lebendige Form an. Fußball mit Verstand in seiner herausragenden Form. Auffällig ist bis heute die Ausstrahlung beider Spieler, die eher zu den stillen Zeitgenossen ihrer Zunft gehören, durch Ruhe wirken und führen. Das schrille Element des Fußballs entspricht nicht ihrem Stil, raubt ihnen nur die Konzentration auf den Moment und den nächsten Zug. Von Emotionen ließen sie sich nicht berauschen. Bei einem Tor das Trikot vom Leib und die Eckfahne aus dem Boden reißen war ihre Sache nie. In ihrem Handeln waltet bis heute das tiefe Bewusstsein vom Dienen im Mannschaftssport.
Pirlo wie Xavi verloren in ihrer langen Laufbahn kaum die Kontrolle über das Spiel, welchem sie oftmals ihren persönlichen Stempel aufdrückten. Wie Schachspieler konnten sie sich von Lärm und Ablenkungen des Umfelds loslösen, sich dabei auf das Geschehen konzentrieren, in ihre für den Erfolg nötige Welt eintauchen. Als Schachspieler wären sie Jahr für Jahr Kandidaten für den Schach-Oscar, Weltfußballer wurden beide mit ihrer Spielauffassung nie. Diese Nichtwürdigung gilt unter Experten und Liebhabern des Spiels als ausgemachte Schande. Der aktuelle Weltfußballer Cristiano Ronaldo schießt Tore wie am Fließband, seine Statistiken sind Jahr für Jahr staunenswert. Große Spiele entscheidet er jedoch nur selten, im Mannschaftssport Fußball ist er zentral auf den persönlichen Erfolg bedacht. Ronaldo bedient als Projektionsfläche allerdings hervorragend die bunte Marketingwelt des Fußballs, genießt den Hollywoodcharakter seines Sports. So etwas mündet in die Wahl zum Weltfußballer. Persönlichkeiten im Gefüge einer Mannschaft, mit eigener Vorstellung vom Spiel, wie Pirlo und Xavi, bleiben bei solchen Maßstäben außen vor. Beide registrierten es mit stoischer Ruhe. Charisma auch neben dem Platz.
Wie Pirlo hat auch Xavi die Vitrine längst voller erspielter Titel. Am 6. Juni 2015 soll ein weiterer hinzukommen, beider Karriere final krönen. Juventus gegen Barca lautet das Champions League Endspiel im Berliner Olympiastadion. Letztmalig werden sich die zwei Granden gegenüberstehen, um ihre Kräfte zu messen. Xavi, die Jahre fordern ihren Preis, wird vielleicht erst im Verlauf des Spiels in sein Team kommen. Wenn dies geschieht, steht sich im Mittelfeld urplötzlich auch geistige Kraft gegenüber. Beweisen müssen diese Köpfe dabei nichts mehr. Champions League Siege haben beide längst im Köcher. Als Hirn und Herz ihrer Teams wurden sie auch Weltmeister, Pirlo 2006 mit Italien, Xavi 2010 mit Spanien. Zwei leuchtende Sterne des Fußballs am Ende einer großen Erfolgsgeschichte. Die Partieanlage war richtig.
Redaktion Magath & Fußball
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