Geschichten vom Pfalz-Open

von Thomas Marschner
01.03.2017 – Kirill Shevchenko und Niclas Huschenbeth lieferten sich beim Pfalz-Open einen spannenden Zweikampf um den Turniersieg. Am Ende entschied die Feinwertung zugunsten des Ukrainers. Während des Turniers passierten zahlreiche kleine Geschichten. Thomas Marschner erzählt sie und bereichert die Eröffnungstheorie zudem mit einem sensationellen Turmopfer - wenn auch als Leidtragender.

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Geschichten vom Pfalz-Open

Ein Turmopfer in Zug 6, geopferte Kaffeebecher und ein 14-jähriger Sieger

Von Thomas Marschner

Das Pfalz-Open hat sich über die Jahre zum zweitgrößten deutschen Open nach dem Grenke-Open in Karlsruhe entwickelt. Über 500 Anti-Karnevalisten fanden über die tollen Tage den Weg ins beschauliche Neustadt an der Weinstraße, etwa 220 davon spielten im A-Open, der Rest im B- und C-Open.

Turnierdirektor Dirk Hirse eröffnet das 8. Pfalz Open

Es ist angerichtet: der Turniersaal kurz vor der ersten Runde

12 Großmeister, angeführt von dem für Deizisau startenden Zdenko Kozul, und eine Vielzahl internationaler Meister und weiterer Titelträger nahmen den Kampf um den Siegespreis von 1688,-€ auf. Auch alle weiteren Preisgelder endeten mit einer „8“ aufgrund der 8. Auflage des Turniers.

Zdenko Kozul (Kroatien / Deizisau) war Topgesetzter und wurde am Ende Dritter

Neben den Ergebnissen sind natürlich besonders die kleinen Geschehnisse während des Turniers interessant. So stand der Rumäne Bogdan-Daniel Deac, mit 15 Jahren einer der jüngsten Großmeister der Welt, gegen IM Aljosha Feuerstack in Runde 4 total auf Verlust und wollte offenbar die Partie einfach aufgeben. Aber: sein Gegner war weit und breit nicht zu sehen, er hatte seinen Zug gemacht und war erstmal vom Brett verschwunden. Der Rumäne schaute sich mehrfach fragend um, wo denn sein Gegner bleibe, wartete einige Minuten und pfefferte dann erkennbar wutentbrannt einen Zug aufs Brett und verließ gut hörbar die Bühne, auf der jeder Schritt sowieso schon sehr laut vernehmbar war (die Bühne der Aula im Berufsbildungszentrum in Neustadt ist doch schon etwas in die Jahre gekommen, obwohl die Spielverhältnisse insbesondere platztechnisch hervorragend waren). Danach spielte er nach Rückkehr seines Gegners dann doch noch 5 oder 6 Züge und gab schließlich doch auf.

Bogdan-Daniel Deac, einer der jüngsten Großmeister, belegte am Ende Platz 14

Ein weiterer amüsanter Vorfall ereignete sich zu Beginn der 5. Runde. Nach etwa 15 Minuten war plötzlich das Brett der Partie Ekterina Atalik – Fatih Baltic verschwunden und wurde kurze Zeit darauf an anderer Stelle im Raum lokalisiert. Was war geschehen? Hatte sich eine Spielerin / ein Spieler über Probleme mit Licht, Zugluft oder Platz beklagt? Konnte eigentlich nicht sein, die Bedingungen waren nicht anders als in den Runden zuvor. Die Erklärung war dann eine völlig andere: Auf dem Brett erschien nach ca. 10 Zügen in einem Bogo-Inder exakt die gleiche Stellung wie am Nachbarbrett in der Partie Giso Jahncke – Christopher Noe. Die Spieler hatten offenbar Angst, dass der eine vom anderen etwas „abschauen“ könnte. Daher musste ein Brett weichen. Übrigens entwickelten sich beide Stellungen danach schnell auseinander, erstere Partie endete remis, die zweite Partie gewann Giso Jahncke.

Ekaterina Atalik (Türkei / Schwäbisch Hall) gewann den Damenpreis

Ausnahmsweise möchte ich jetzt hier nicht eine Partie der Spitzenleute, sondern eine eigene (Verlust)partie des Autors aus dem Turnier zeigen, der Verlauf war zu erstaunlich. Normalerweise erwartet man ja in der heutigen Zeit kaum noch frühe Eröffnungsneuerungen, aber in meiner Partie in der 4. Runde war es soweit. Ich spielte gegen den Belgier Martijn Maddens (Elo 2238) und dachte zunächst an ein Versehen, als mein Gegner im 6. Zug scheinbar einen Turm einstellte. Die gespielte Eröffnung, eine Untervariante des c3-Sizilianers, wurde gerade erst im Chessbase Magazin Nr.172 (Sizilianisch Alapin mit Lf5) analysiert, möglicherweise sollte man den Artikel um die gespielte Variante ergänzen.

Jedenfalls fraß ich den Turm, geriet danach nach und nach in einen starken Angriff und verlor am Ende die Partie nach wilden Verwicklungen und dem Auslassen einer Remis-Chance ganz am Ende. Während der gemeinsamen Analyse der Partie mit meinem Gegner eröffnete dieser mir, dass ein Vereinskollege die gleiche Variante spiele, und er die gespielte Variante am Computer gefunden hatte. Und in der Tat: nach etwa 1 Minute Rechenzeit zeigte der Computer trotz eines glatten Turms weniger leichten Vorteil (+0.9) für Weiß an. In der Mega-Datenbank gibt es keine Vorgängerpartie zu dieser Variante, zumindest nicht mit der Idee eins bewussten Turmopfers. Die Partie kann unten nachgespielt werden, ich habe die neue automatische taktische Analyse aus Chessbase 14 um einige wenige eigene Kommentare ergänzt.

 

Zu den Ergebnissen des Turniers: der erst 14-jährige internationale Meister Kirill Shevchenko legte mit 6/6 los wie die Feuerwehr und war, obwohl etwas erkältet, kurz vor Schluss des Turniers mit 6,5/7 klar auf Kurs Turniersieg und Großmeister-Norm. In den letzten beiden Runden ließ er nichts mehr anbrennen und spielte zweimal remis, wobei er gegen Niclas Huschenbeth nochmal bis zum Schluss kämpfen musste. Der Hamburger versuchte alles, um zum vollen Punkt zu kommen und selber die Führung zu übernehmen.

Turniersieger Kirill Shevchenko (links) gegen Niclas Huschenbeth in Runde 8, das Remis sicherte dem für Emmendingen spielendem Ukrainer den Turniersieg, Huschenbeth wurde Zweiter.

In der letzten Runde musste Shevchenko dann nicht mal mehr die Jacke ausziehen, mit Gegner IM Andrey Ostrovskiy wurde direkt remis vereinbart. Letzterer sicherte sich damit auch einen Anteil am Preisgeld. Nach Wertung war damit schon klar, dass Shevchenko selbst bei Punktgleichheit der Turniersieg nicht mehr zu nehmen war. Niclas Huschenbeth konnte durch einen Sieg gegen Aleksandr Karpatchev noch aufschließen. Platz zwei ist für den Hamburger Großmeister, noch nicht so lange von seinem USA-Studium zurückgekehrt, ein schönes Geschenk zu seinem heutigen (oder morgigen?) 25. Geburtstag. Er wurde nämlich am 29. Februar geboren, den es nur alle 4 Jahre gibt. Daher war er wohl den Turnier-Organisatoren bei ihren täglichen Gratulationen an die anwesenden Geburtstagskinder entgangen.

Um den Frauenpreis gab es den erwarteten Dreikampf zwischen Ekaterina Atalik, Sarah Hoolt und Filiz Osmanodja. Filiz rettete in der vorletzten Runde gerade so ein Remis gegen den stark aufspielenden Heilbronner Enis Zuferi, am Ende hatte Enis zwar noch Randbauer und Läufer, aber es war halt der falsche. Dies musste man dem Offiziellen noch kurz erklären, der das Partieformular einsammelte. Er war ganz überrascht, dass die Schlussstellung remis war und nicht gewonnen. Am Ende hatten alle 3 Damen 6 Punkte, nach Wertung war aber Ekaterina Atalik klar vorne vor Sarah Hoolt knapp gefolgt von Filiz Osmanodja.

Filiz Osmanodja (rechts am Brett stehend) rettete in der 8. Runde noch ein Remis und konnte sich durch einen Sieg in der letzten Runde noch Platz 3 in der Damenwertung sichern.

Deutsche Nachwuchstalente: Ruben Gideon Köllner (13 Jahre) gegen Annmarie Mütsch (14 Jahre), die Heilbronnerin gewann die Partie.

In der letzten Runde zeigten die Spieler ungefähr an Tisch 10 noch eine alternative Möglichkeit, auf die Bühne mit den drei Spitzenbrettern zu kommen: Weiß „opferte“ einen Becher Kaffee, dieser fiel nämlich um, und der Inhalt verteilte sich übers Brett. Da ja Brett 1 schon verwaist war, war der Platz an der Sonne noch frei, wurde die Partie kurzentschlossen dort fortgesetzt, während die Reinigungsarbeiten unten noch im Gange waren.
 

Endstand:

Rg. Name Pkt.  Wtg1 
1 Shevchenko Kirill 7,5 2475
2 Huschenbeth Niclas 7,5 2384
3 Kozul Zdenko 7,0 2375
4 Kunin Vitaly 7,0 2362
5 Fridman Daniel 7,0 2355
6 Milanovic Danilo 7,0 2354
7 Solodovnichenko Yuri 7,0 2324
8 Ostrovskiy Andrey 7,0 2305
9 Pap Misa 6,5 2432
10 Nestorovic Nikola 6,5 2424
11 Karpatchev Aleksandr 6,5 2407
12 Baklan Vladimir 6,5 2390
13 Danin Alexandre 6,5 2320
14 Deac Bogdan-Daniel 6,5 2307
15 Noe Christopher 6,5 2298
16 Feuerstack Aljoscha 6,0 2462
17 Annaberdiev Meilis 6,0 2383
18 Krause Benedict 6,0 2376
19 Yankelevich Lev 6,0 2370
20 Atalik Ekaterina 6,0 2359
21 Perske Thore 6,0 2359
22 Dann Matthias 6,0 2356
23 Fuchs Florian 6,0 2356
24 Jahncke Giso 6,0 2326
25 Carow Johannes 6,0 2289
26 Hoolt Sarah 6,0 2278
27 Ionescu Doru-Alexandru 6,0 2271
28 Osmanodja Filiz 6,0 2267
29 Schröder Kevin 6,0 2265
30 Podat Vladimir Dr. 6,0 2252
31 Stark Lars 6,0 2242
32 Colpe Malte 6,0 2238
33 Lagunow Raphael 6,0 2197
34 Meißner Felix 6,0 2189
35 Becker Dirk 6,0 2154
36 Saraci Nderim 6,0 2134
37 Martin Julian 6,0 2095
38 Keller Peter 6,0 2092

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Dr. Thomas Marschner, Jahrgang 1967, ist Physiker und arbeitet in der Technologieentwicklung für die Herstellung von Solarmodulen. Er spielt seit fast 40 Jahren Schach, hat eine Elo von 2000 und spielt für seinen Heimatverein aus Eppstein im Taunus in der hessischen Verbandsliga. Er lebt in Schwäbisch Hall und berichtet bevorzugt aus der Schachbundesliga und der Frauenbundesliga. Außer Schach spielt er ebenfalls auf Verbandsebene Tennis, fotografiert gerne und betreibt unter www.thomas-marschner.de seine eigene Webseite.

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