Echo vom Anbeginn der Zeit: Methode "Hannibal" in Marzahn
Nachdruck der erweiterten Version mit freundlicher Genehmigung
Von Dr. René Gralla, Hamburg
Finden Sie Schach unübersichtlich? Und möchten Sie einfach weniger Stress bei
einem Partiechen Dame haben? Dann fragen Sie mal bei Micgael Römhild (52) aus
Berlin-Marzahn nach: Der Gründer der "Interessengemeinschaft Damespiel in
Deutschland" räumt mit verbreiteten Vorurteilen über das angeblich gemütliche
Spiel mit den weißen und schwarzen Chips auf. Mittlerweile träumen die Dame-Fans
sogar von olympischen Weihen, wie der Autor Dr. René Gralla erfahren hat.
Dr. René Gralla : Wofür brauchen wir eine "Interessengemeinschaft
Damespiel in Deutschland"?
Michael Römhild: Wir wollen durchsetzen, dass unser Spiel in Deutschland endlich
als Sport anerkannt wird, und zwar auf Augenhöhe mit Schach. Schließlich haben
wir ein ehrgeiziges Ziel: Dame soll olympische Disziplin werden.
Dame-Versteher: Michael Römhild (re.), Vorsitzender der "IG Damespiel in
Deutschland",
und Stellvertreter Jan Zioltkowski wollen ihr Hobby als olympische Disziplin
durchsetzen.
Dr. R. Gralla : Eine Vision, an der Ihr großer Konkurrent, der
Weltschachbund FIDE, wahrscheinlich gescheitert ist.
Römhild: Ich weiß nicht, was bei der FIDE schief gelaufen ist. Jedenfalls hat
unser internationaler Dachverband "Fédération Mondiale du Jeu de Dames" -
abgekürzt: FMJD - intensive Sondierungsgespräche geführt, die Anlass zu
Optimismus geben; mit einer Richtungsentscheidung ist 2009 zu rechnen. Um das
Olympia-Projekt voranzutreiben, arbeitet die FMJD hart daran, die mindestens 300
Dame-Versionen, die momentan weltweit bekannt sind, zu sichten und so weit wie
möglich zu vereinheitlichen. Als Hauptspielart ist mittlerweile "Dame 100"
festgelegt worden: das heißt, Dame auf einem Plan aus 10x10 Quadraten.
Immer voll auf die 100: Deutsche Meisterschaft "Dame 100" in Berlin 2002
Dr. R. Gralla: "Dame 100"?! Bisher haben wir angenommen, dass Dame dieses
Spiel mit hellen und dunklen Plättchen ist, die über die 64 Felder eines
handelsüblichen Schachbrettes geschoben werden.
Römhild: Ich weiß, das ist die Variante, die Sie noch von Opa und Oma kennen:
"Russisches Dame" in der Sprache der Fachleute und folglich nur eine Möglichkeit
von vielen.
Nicht so gemütlich wie Opas 64-Felder-Geschiebe: "Dame 100" auf 10x10 Quadranten
Dr. R. Gralla: Erklären Sie uns bitte - abgesehen von der größeren
Manövrierfläche - den Unterschied zwischen "Dame 100" und Opas Zeitvertreib.
Römhild: Bei "Dame 100" treten Schwarz und Weiß mit jeweils 20 Steinen an, beim
Russischen Dame mit jeweils einem Dutzend. Ganz wichtig: Nach den "Dame
100"-Regeln darf ein einfacher Stein, der sich noch nicht in eine Dame
verwandelt hat, auch rückwärts zuschlagen. Außerdem hat die Dame, insofern
gleichfalls anders als ihr russisches Pendant, die freie Wahl, ob sie, nachdem
sie über eine gegnerische Einheit gesprungen und jene einkassiert hat, das
unmittelbar dahinter liegende Feld besetzt oder doch lieber eine Position in
größerem Abstand zum gerade geräumten Diagonalquadrat.
Dr. R. Gralla: Die einschlägige Literatur erwähnt Dame-Exotika aus
Brasilien oder der Türkei ...
Römhild: ... in der türkischen Version ziehen die Steine nicht nur über die
Diagonalen, sondern auch senkrecht oder waagerecht. Ein Sonderweg, der
allerdings nicht in den allgemein verbindlichen Kanon der FMJD aufgenommen
worden ist; neben "Dame 100" und "Russischer Dame" werden offiziell nur noch die
brasilianische Version und das anglo-amerikanische "Checkers" zugelassen.
Dr. R. Gralla: Sehr verwirrend.
Römhild: Brasilianisches Dame läuft ab wie "Dame 100", bloß auf dem kleineren
8x8-Felder-Brett mit zweimal zwölf Steinen. Im "Checkers" sind die Damen
besonders privilegiert, weil sie tabu, sprich: unantastbar sind für einfache
Steine.
Dr. R. Gralla: Eine echte Herausforderung für Ihren Weltverband, in dieses
Chaos eine Linie zu bringen. Und wir haben immer gedacht, dass Dame etwas
Relaxtes ist für Leute, die weder Lust noch Zeit haben, sich stundenlang den
Kopf zu zerbrechen beim vertrackten Schach.
Römhild: Ich kenne das Vorurteil, dass Dame angeblich leichter sei als Schach.
Hier möchte ich den einstigen deutschen Schachweltmeister Dr. Emanuel Lasker
zitieren: "Das Damespiel ist die Mutter des Schachspiels - und zwar die beste
Mutter, die es gibt." Schach ist lediglich ein Ableger von Dame.
Dr.
R. Gralla: Eine interessante These. Für die immerhin die Existenz des zur
römischen Kaiserzeit äußerst populären "Latrunculi" sprechen könnte. Das war das
Spiel der Legionäre: eine Schlacht zwischen zwei Armeen aus schwarzen und weißen
Steinen unter jeweils einem General mit dem Ziel, die gegnerischen Truppen
entweder aufzureiben oder zu blockieren und deren Kommandeur den letzten
Fluchtweg zu versperren. Vielleicht ist "Latrunculi" das Bindeglied zwischen
Dame und Schach?
Rekonstruiertes Latrunculi-Brett mit Startposition:
Der schwarze und der weiße Spitzkegel vor der Front sind die gegnerischen
Feldherren.
Das Schach der römischen Legionäre: Latrunculi
Römhild: Eine Frage, die weitere Forschungen beantworten müssen. Sicher ist
aber: Schon in den Gräbern der Pharaonen wurden Dame-ähnliche Spiele entdeckt.
Wir Dame-Freunde pflegen ein Kulturgut der Menschheit, darauf sind wir stolz.
Von 1000 Hunden gehetzt ...: "Hunde und Schakale" der Pharaonen - im abstrakten
Design
Dr. R. Gralla: Lässt sich die Ur-Form von Dame datieren?
Römhild: Seit dem Beginn der Zeitrechnung wird Dame gespielt.
Urform des Damespiels aus dem Ägypten der Pharaonen
Dr. R. Gralla: Der lange Atem der Geschichte. Ähnlich wie beim Schach
blickt auch die Gemeinde der Dame-Anhänger auf eine mittlerweile stolze
Tradition regulärer Turniere zurück. Weltmeisterschaften inklusive: Der erste
inoffizielle World Champion war der französische Doktor A. Dussaut von 1885 bis
1895, der erste offizielle Titelträger der Landsmann Isidore Weiss von 1899 bis
1912. Die weltweite Nr. 1 ist momentan der Weißrusse Andrej Valjuk - und
dennoch: Dame kennt bloß zwei Figurentypen. Sind Ihre Mitstreiter und Sie, Herr
Römhild, nicht doch eben Menschen, die, weil Ihnen Schach zu komplex ist, auf
das simple Dame ausweichen?
Römhild: Ganz im Gegenteil. Das sehen Sie bereits daran, dass viele Mitglieder
unserer Interessengemeinschaft engagiert sowohl Dame als auch Schach spielen.
Dame verlangt strategisches Denken und taktisches Geschick.
Dr. R. Gralla: Was ist der beste Plan für die Eröffnung: zunächst
blitzartig Außenposten besetzen und von der Peripherie aus den Gegner in die
Zange nehmen? Oder mutig - mit entsprechender Deckung durch rückwärtige Verbände
- einen Angriffskeil gegen das Zentrum richten?
Römhild:
Das ist eine Frage des Charakters. Erfahrungsgemäß schneiden aber die am besten
ab, die in der Mitte vorgehen und frontal angreifen. Das ist die "Hannibal"-Methode.
Dr. R. Gralla: Auf wie viele Aktive stützt sich die Dame-FIFA, sprich: Ihr
FMJD, Herr Römhild?
Römhild: Rund fünf Millionen; in Deutschland sind das zwischen 75 und 100
Fans.
Dr. R. Gralla: Dieser bescheidenen Zahl stehen hierzulande vermutlich
Millionen Menschen gegenüber, die sich im privaten Kreis zu Dame-Partien treffen
...
Römhild: ... und die sollten sich sofort an mich wenden.
In Berlin zum Beispiel treffen sich die Dame-Fans mindestens einmal im Monat im
Haus "Pro-social" am Blumberger Damm 12 bis 14. Einfach bei mir anrufen, dann
erfahren Sie den nächsten Termin.
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Infos zu Dame-Abenden in Berlin und anderswo: bei Michael Römhild, Telefon
030/809 366 43.