Glanzvoller Saisonausklang in Niedernhausen

von Klaus Besenthal
19.06.2017 – In der Taunusgemeinde Niedernhausen wurde am langen Fronleichnamswochenende die Finalrunde der Deutschen Schach-Amateurmeisterschaft (DSAM) gespielt, auch bekannt unter dem griffigeren Namen "Ramada-Cup". In der A-Gruppe siegte mit Derek Gaede vom Hamburger SK (auf dem Foto links) ein Newcomer, der erst ein einziges Mal an einem Vorturnier teilgenommen hatte. Parallel wurde die Endrunde der Deutschen Pokaleinzelmeisterschaft ausgetragen; hier gewann IM Hagen Poetsch. Unser Autor Klaus Besenthal war ebenfalls vor Ort - lesen Sie in seinem Bericht, welche Höhepunkte die Veranstaltung über das reine Turniergeschehen hinaus noch zu bieten hatte.

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Für meine Teilnahme am Vorturnier des Ramada-Cups im Januar musste ich täglich zweimal 60 Kilometer mit dem Auto fahren – eine zu kurze Strecke, als dass ich mir ein Zimmer im Ramada-Hotel Hamburg-Bergedorf hätte nehmen wollen. Dieses Mal wären es 600 Kilometer gewesen, und so musste ich natürlich zeitgleich mit der Anmeldung zur Endrunde ein Zimmer im H+ Hotel Niedernhausen buchen. Das war Anlass genug, mir über Sinn und Unsinn einer längeren Reise Gedanken zu machen: 600 Kilometer Autobahnfahrt, um fünf Schachpartien zu spielen – lohnt sich das?

Das H+ Hotel in Niedernhausen; im Hintergrund ist das mit dem Hotel baulich verbundene "Rhein-Main-Theater" zu erkennen

Mit sinnlosen Reisen kenne ich mich bestens aus. Vor knapp 30 Jahren bin ich zum Beispiel monatelang jeden Montag von Hamburg nach Frankfurt geflogen, um dort die ganze Woche über in einem Büro zu sitzen und mich zu langweilen. Es gab einfach nichts zu tun. Das Büro gehörte aber einem wichtigen Kunden meines Arbeitgebers, und dieser Kunde war bereit Geld dafür auszugeben, dass ich Woche für Woche in seinen Räumlichkeiten erschien. Erinnerungen an diese Zeit kamen in mir hoch, als ich am vergangenen Mittwoch nach mehr als fünf Stunden Fahrt von der Autobahn aus die Skyline von Frankfurt in den Blick bekam – damit wissen Sie nun ungefähr, wo Niederhausen liegt: in Südhessen nämlich, einige Kilometer westlich von Frankfurt.

Ich war also zunächst in mich gegangen, um zu sehen, ob ich diese Reise wirklich würde machen wollen. Herausgekommen ist dabei genau ein Kriterium, anhand dessen ich mittlerweile zu beurteilen pflege, ob ich gerne an einem Schachturnier teilnehmen möchte: Am besten gefällt es mir, wenn ich der Underdog bin, wenn ich also als Besitzer einer schlechteren Elozahl stärkere Spieler ärgern (oder dies zumindest versuchen!) kann. Ich will dies kurz an einem Gegenbeispiel illustrieren: Vor ein paar Monaten nahm ich an einem Open direkt vor meiner Haustür teil (keine Reise!) und hatte am Ende einen Score von 5,0/7 erreicht. Hätte ich einen halben Punkt mehr geholt (was in der letzten Runde sogar möglich gewesen wäre), dann wäre ich mit einem der teilnehmenden Großmeister punktgleich gewesen. Das wäre dann des Guten zu viel gewesen, aber es zeigt, dass ich in diesem Turnier am oberen Rand der persönlichen Leistungsstärke agiert hatte. Und nun kommt’s: Der "Lohn" für all diese Mühen bestand im Verlust von zehn Elopunkten, weil die Elozahlen meiner Gegner noch deutlich schlechter gewesen waren als meine eigene! Der Ramada-Cup 2017 hat mein Kriterium somit nur zur Hälfte erfüllt: Ich hatte dort keine Gegner, die deutlich schlechter waren als ich, aber auch keine deutlich besseren – jedenfalls galt das für die B-Gruppe, wo ich angetreten war. Dass es perfekt wäre, irgendwann den Aufstieg in die A-Gruppe zu schaffen, versteht sich von selber: Ganz im Sinne meiner Strategie wäre ich dort elomäßig einer der schlechtesten Teilnehmer!

Viele Teilnehmer waren auch in diesen beiden auf der Rückseite des Hotels gelegenen Appartementhäusern untergebracht

Die B-Endrunde war also kein Turnier, für das ich mich angemeldet hätte, wenn es einfach irgendein Open gewesen wäre (oder vielleicht doch, wenn die Teilnahme ohne die lange Anreise möglich gewesen wäre). Ich fand dann aber noch ein zweites Kriterium: Es war immerhin die Endrunde einer deutschen Meisterschaft, für die ich mich qualifiziert hatte. Die Teilnahme war somit auch irgendwie einfach Ehrensache.

Ruhe vor dem Sturm: der große Festsaal des H+ Hotels. Das Organisationsteam hat auch an diesem Wochenende wieder phantastisch gute Arbeit geleistet, die höchste Anerkennung verdient hat.

"Wenn Sie um 6 fliegen, dann sind Sie um 8 im Büro." So nüchtern hat es ein Kollege aus Hamburg einmal auf den Punkt gebracht, als wir, mit dem Frühflieger angereist, in München auf die einheimischen (!) Teilnehmer einer Besprechung warteten. Eine Weile hatte ich mit dem Gedanken gespielt, auf diese Weise auch nach Niedernhausen zu reisen, das ja ganz in der Nähe des Frankfurter Flughafens liegt. Es war mir dann aber zu riskant vorgekommen. Man hätte zwar bis 9.30 Uhr Zeit gehabt, doch man weiß ja nie: Es hätte schon gereicht, wenn die S-Bahn irgendwo steckengeblieben wäre. Ich musste also einen Tag vor Turnierbeginn anreisen und hatte somit jede Menge Zeit, die Gegend zu erkunden.

Mein erster Eindruck vom Spielort war der einer Oase in der Wüste. Die Oase: das Hotel und das mit diesem baulich verbundene "Rhein-Main-Theater". Die Wüste: die dem Komplex vorgelagerte Durchgangsstraße sowie die parallel dazu verlaufende Autobahn 3 einerseits, die auf der Rückseite des Hotels verlaufende Bahntrasse andererseits. Bestätigt wurde dieser Eindruck am nächsten Tag durch den Bürgermeister von Niederhausen höchstpersönlich, als er in seiner Eröffnungsansprache die "verkehrsgünstige Lage" seiner Gemeinde als einen ihrer größten Vorzüge anpries. Unverdrossen versuchte ich dennoch das zu tun, was ich an einem neuen Ort immer tue: die Erkundung der Gegend zu Fuß. Ich machte mich auf den Weg Richtung Ortskern, scheiterte aber nach wenigen hundert Metern daran, dass ich die unablässig mit hohem Tempo an mir vorbeirasenden Autos nicht mehr ertragen konnte. Auf einer Bahnüberquerung machte ich kehrt. Von Jens-Erik Rudolph, einem Bekannten aus Hamburg (sie kennen ihn vielleicht als Verleger, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, lange vergriffene Schachbücher aus früheren Zeiten als Neuausgaben herauszubringen), erfuhr ich dann im Gespräch, dass es jenseits der Brücke "Leben" geben würde: Penny und Aldi, einen Thailänder, einen Italiener. Weil es im Herbst schon wieder ein Vorturnier in Niedernhausen geben wird, verrate ich Ihnen jetzt, wie sie zu Fuß und dennoch stressfrei in dieses kleine Einkaufsgebiet gelangen können – das habe ich nämlich herausgefunden, nachdem ich mit dem Spazierengehen eisern am Ball geblieben war. Also: Nehmen Sie die Feuerwehrzufahrt, die an der Rückseite des Hotelkomplexes bei den beiden Appartementhäusern beginnt (aber nicht bei Feueralarm und auch nicht in kurzen Hosen!), an der Hauptstraße gehen Sie rechts und biegen dann sofort wieder rechts auf den kleinen Friedhof ab. Wenn Sie den Friedhof der Länge nach durchquert haben, dann gehen Sie mutig weiter in die Feldmark hinein: Nach kurzer Zeit knickt der Weg links ab, und sie finden sich unvermittelt in der oben beschriebenen Zivilisation wieder!

Diese Perspektive auf das Rhein-Main-Theater vom verwaisten Parkplatz aus erinnert wirklich ein wenig an eine Oase

Als ich im Hotelfoyer Frederik Svane begegnete, einem in Deutschland mittlerweile nicht mehr ganz unbekannten Jugendlichen, den ich durch meine Mitgliedschaft im Lübecker Schachverein kenne, befiel mich bereits eine böse Vorahnung: Ich würde mit ihm spielen müssen und das würde für mich übel ausgehen. So kam es auch in Runde 2, und ich hatte wenigstens etwas, worauf ich stolz sein konnte: meine seherischen Fähigkeiten.

 

Frederik wurde am Ende Zweiter in der B-Gruppe, konnte aber nicht an der abschließenden Siegerehrung teilnehmen (weswegen er auch auf dem Foto fehlt). Den Grund kennen Sie bereits: die 600 Kilometer!

Und meine eigenen Leistungen? 2,5/5 waren es am Ende – wieder mal etwas zu wenig, um Elo und DWZ auf dem Stand von vor dem Turnier halten zu können. Aber es war eine Endrunde, und „die Gegner haben auch das Recht mitzuspielen“ (ein Bonmot von Dr. Tartakower). In der Eröffnung war ich meistens besser, wenn es etwas zu rechnen gab, dann drohten jederzeit Aussetzer – da waren dann die Gegner besser. So führte ich einige harte, verbissene „Kämpfe“ (so formulierte es einer meiner Gegner nach knapp fünf Stunden Spielzeit), die alle remis endeten. Das ist gehobenes Amateurschach: Die Elozahlen sind nicht die besten, aber die Spieler sind äußerst hartnäckig in der Verfolgung ihrer Ziele. Solche Partien sind enorm anstrengend und außerordentlich befriedigend zugleich. Und die Sache mit den Elozahlen liegt ein Stück weit vielleicht auch an den nicht immer optimalen Spielgelegenheiten der Amateure (davon wird später noch in anderem Zusammenhang die Rede sein). Einer der Altvorderen in meinem ersten Schachverein sagte es immer so: Wenn man eine bessere Zahl haben wolle, dann müsse erst einmal jemand da sein, an dessen Zahl man sich „bereichern“ könne – siehe oben meine Vorstellungen vom optimalen Turnier.

Martin Fischer (links) hatte auch dieses Mal wieder einen ChessBase-Stand aufgebaut. Rechts der im Artikel erwähnte Jens-Erik Rudolph. Auch Martin musste 600 Kilometer fahren - in einem bis unter das Dach mit Ware vollgepackten Kombi. Parallel zum Turnier konnten die Teilnehmer im Rahmen der "ChessBase"-Challenge Taktik-Aufgaben lösen. Es wurden in den drei Tagen weit mehr als tausend Aufgaben gelöst. Bei der Siegerehrung musste Martin dann ebenfalls mit ran: ChessBase hatte viele Sachpreise zur Verfügung gestellt.

Abgerundet wurde die Veranstaltung mit einer Gala (womit wir zu dem in der Überschrift angedeuteten "Glanz" kommen), deren zentrales Element natürlich die Siegerehrung war. "6 hoch 3" heißt der Ramada-Cup auch. Wer schon immer einmal wissen wollte, was das bedeutet, der erfährt es jetzt hier: Die Teilnehmer an der Endrunde qualifizieren sich im Rahmen von sechs Vorturnieren, die wiederum aus sechs nach Spielstärke gesonderten Gruppen bestehen. Aus jeder Gruppe qualifizieren sich die sechs besten Spieler für die Endrunde. 6 hoch 3 also – nach Adam Riese macht das idealerweise 216 Endrundenteilnehmer. Und was es bei der Gala erst ganz am Ende zu hören gab, das füge ich bereits hier an: Im nächsten Jahr gibt es mit München einen siebten Austragungsort für ein Vorturnier. Aus 6 hoch 3 wird dann 7 hoch 3. Die Zahl der Teilnehmer an der Endrunde 2018 (in Leipzig!) wird also noch einmal deutlich steigen. Falls Sie jetzt an dieser Stelle eine Liste aller Preisgewinner erwarten sollten, so muss ich Sie aber enttäuschen – es wäre zu viel Arbeit, alles auflisten zu wollen. Einen Überblick finden Sie aber in unserer Galerie; sämtliche Details gibt es auf der Homepage des Ramada-Cups (Link am Ende dieses Artikels). Vielleicht noch dies: Im Rahmen der Endrunde wurde auch die Finalrunde des Dähnepokals ausgetragen. Sieger hier wurde IM Hagen Poetsch vom Landesverband Hessen, der einen "Ersatzpokal" überreicht bekam. Das Original wäre als "Mordstrumm" nicht zu transportieren gewesen. Wer eine Runde verloren hatte, durfte hier übrigens trotzdem weiterspielen - so konnte man auch bei frühzeitigem Ausscheiden noch um Elopunkte kämpfen.

Beim Ramada-Cup geht es immer auch um große Zahlen: An diesem Wochenende wurde der 30.000ste Teilnehmer symbolisch geehrt. Links im Bild Derek Gaede, Deutscher Amateurmeister in der A-Gruppe.

Moderiert wurde die Gala, ebenso wie das gesamte lange Wochenende (für alle Nordlichter: Der Donnerstag war ein Feiertag in Hessen) auch dieses Mal wieder von Dr. Dirk Jordan. Als Conférencier spielt dieser Mann definitiv in der A-Klasse. Er ist charmant und humorvoll, er formuliert flüssig und geschliffen, er geht dabei immer wieder mit Wärme auf das Publikum ein, er hat zu jedem (auch nicht-schachlichen) Thema etwas Intelligentes zu sagen – mit einer anderen Frisur und vielleicht in einem Gehrock mit goldenen Revers könnte man ihn sich auch noch in ganz anderen Rollen vorstellen...  Sie wissen, woran bzw. an wen ich da denke, nehme ich an. Auf jeden Fall wurde es so die gesamten vier Stunden über nie langweilig. Zwischendrin eröffnete Dirk Jordan dann auch das Buffet (das Gala-Buffet, sollte ich besser sagen) bei dem das Hotel sich noch einmal von seiner allerbesten Seite zeigen konnte. Zum Abschluss wurde von einem Hotelbediensteten bei gedimmten Lichtern ein Objekt durch den Saal getragen, dessen Bezeichnung mir zwar geläufig war, die ich aber bestimmt seit dreißig Jahren nicht mehr gehört hatte. Ob die jüngere Generation noch weiß, was eine Eisbombe ist? Dirk Jordan hat es allen Anwesenden noch einmal ins Gedächtnis gerufen.

Das wunderbare Organisationsteam könnte eine Sache vielleicht doch noch verbessern, um den (Amateur-) Fotografen die Arbeit zu erleichtern: Beamer aus, Spot an!

Als ich früher am Abend mit einem Buch (nicht über Schach – "The Nest" von Cynthia D’Aprix Sweeney) und einer Tasse Kaffee auf der schönen Terrasse des Hotelrestaurants gesessen hatte, war plötzlich ein dunkler Schatten an den Rand meines Blickfeldes getreten, in dem ich schließlich den zu diesem Zeitpunkt seit 21 Tagen amtierenden Präsidenten des Deutschen Schachbundes erkannte. Ullrich Krause (wir kennen uns vom Lübecker SV – am Tresen des Klubheims kann man den Präsidenten gelegentlich leibhaftig treffen), war soeben eingetroffen, und zwar hatte er die 600 Kilometer mit dem ICE bewältigt. Diese Art zu Reisen ist vermutlich die mit dem größten Zeitaufwand verbundene und zugleich die bequemste – wer schon einmal mit so einem komfortablen Zug eine längere Strecke gefahren ist, wird mir vielleicht zustimmen. Wir vereinbarten, dass ich Ullrich am nächsten Morgen zur S-Bahn nach Niederhausen fahren würde (2,5 km auf der Schnellstraße!). Bei dieser Gelegenheit verriet er mir dann, dass er (der Komfort, s.o.!) 1. Klasse reisen, die Mehrkosten aber natürlich selber tragen würde. Ich schreibe das hier, weil ich mir denken könnte, dass dieses Thema die Leser interessiert. Ein Teil Ihrer Mitgliedsbeiträge wird für Reisespesen der DSB-Funktionäre ausgegeben. Finden Sie das gut oder schlecht? Ich möchte eine Lanze für diese Praxis brechen und dafür ein wenig ausholen. Ich denke, dass spätestens seit der Gründung des deutschen Nationalstaats durch Otto von Bismarck im Jahre 1871 jeder Vertreter einer großen Organisation – sei es die Regierung, ein großes Unternehmen oder eben der Schachbund – praktisch gezwungen war, häufig quer durch eben diesen Nationalstaat zu reisen. Der Präsident des Schachbundes hat ja einen politischen Posten – dieser Mann ist von Ihnen und mir im Rahmen eines dreistufigen Verfahrens demokratisch bestimmt worden. Sie wählen Ihren Vereinsvorstand, der wählt den Vorstand seines Landesverbands (in großen Flächenländern gibt es, anders als in Hamburg, vielleicht noch ein Gremium dazwischen), und der wählt den DSB-Präsidenten. Der Präsident könnte seine Arbeit gar nicht machen, wenn er nicht ständig irgendwo in der Republik auch an der Basis auftreten würde. Dort hört er sich die Meinungen seiner Wähler an und versucht umgekehrt diese Wähler für seine Ideen zu begeistern. Man kann sich nicht vorstellen, dass dies ohne physische Nähe, zum Beispiel ausschließlich "online", funktionieren könnte. Die Reisekosten der DSB-Funktionäre sind gut angelegtes Geld – ohne diese Praxis gäbe es keinen Dialog zwischen Führung und Basis, gäbe es keine Zusammenarbeit der vielen Funktionäre auf den unteren Ebenen mit der DSB-Spitze. Über die damit verbundenen physischen Strapazen will ich mich lieber nicht auslassen. Nur soviel: Ich könnte das nicht!

Ullrich Krause

Im Rahmen der Gala stellten sich Ullrich Krause und Klaus Deventer, seines Zeichens "Vizepräsident Sport", einer Fragestunde. Zuvor hatte der neue Präsident seine wichtigsten Ziele umrissen. Das sind zwar nur vier an der Zahl, aber sie sind offenbar so gut durchdacht und so klar formuliert, dass ich beim Schreiben dieses Berichts eine absolut erstaunliche Feststellung an mir selber mache: Ich kann mich an Krauses vier Punkte noch erinnern, ohne dies noch einmal recherchieren zu müssen – manch richtiger Politiker könnte sich da glatt eine Scheibe abschneiden. Die vier Punkte: 1. Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den Landesverbänden und dem DSB-Präsidium, 2. Bekanntmachung bewährter Schulschachkonzepte in den Landesverbänden, die in diesem Bereich noch Nachholbedarf haben, 3. Bindung der "Generation 20-40" an die Vereine (Krauses Idee: Online-Spielmöglichkeiten, wie sie ChessBase schon lange anbietet), 4. Verbesserung der Öffentlichkeitsarbeit.

In der Fragestunde schilderte dann ein Mann aus dem Publikum sehr plastisch, wie unattraktiv es sei, sich in den Landesverbänden über die Ochsentour für die „richtige“ Deutsche Meisterschaft qualifizieren zu müssen. Für mich ist das der Punkt, wo sich der Wert von Ullrich Krauses kurzer, weiter Reise am besten offenbart: Eine Meinung von der Basis, mit der ich (der ich selber nichts gefragt habe) mich voll identifizieren kann, und ich bin sicher, dass das auch für einen Großteil der anderen Spieler im Saal gilt. Und das ist eben nichts, was der Präsident sich kurz anhören und dann sofort wieder vergessen kann. Mehr als 200 Leute haben es live mitbekommen, jetzt wird es über diesen Artikel noch viel weiter verbreitet. Einige der 200 Leute werden es in ihren Heimatvereinen erzählen. Es ist vielleicht schlicht so, dass Ullrich Krauses Präsidentschaft in drei oder vier Jahren daran gemessen werden wird, was aus seinen Modernisierungsbestrebungen geworden ist. Der Mann steht einerseits unter hohem Druck und scheint andererseits total motiviert zu sein – man könnte denken, er sei wie geschaffen für diese Aufgabe.

Ullrich Krause, Dirk Jordan, Klaus Deventer (v.l.n.r.)

Um "Modernisierung" ging es immer wieder an diesem Abend. Und das sprach mir aus der Seele. Eine Hamburger Meisterschaft, für die man eine Woche Urlaub nehmen muss, wenn man mitspielen möchte? Nur, weil das schon immer so war? Warum kann man nicht an sieben Sonntagen spielen? Oder sich irgendetwas anderes ausdenken, was für Berufstätige um die 40 funktioniert? Warum muss ich mich in einem Kandidatenturnier für die Meister-Endrunde qualifizieren? Für ein Schachturnier will man sich ja kurzfristig anmelden und nicht etwa einen Antrag stellen müssen oder gar einen mehrjährigen Qualifikationsmarathon durchlaufen. Warum ist Schach in Deutschland kein Schulfach? Warum war kein Reporter der Frankfurter Allgemeinen bei dieser Gala (oder war etwa doch einer da!?)? Der Schachbund ist konservativ (das sieht man schon an den schwarzen Anzügen!) und zugleich (vielleicht gerade deswegen?) funktioniert die von den zahlreichen Funktionären geleistete Arbeit regelrecht perfekt – diese Endrunde legt davon Zeugnis ab. Es gibt Leute, die wollen, dass sich etwas ändert, es gibt Leute, die wollen, dass sich nichts ändert. Ich beneide Ullrich Krause nicht um seinen neuen Job!

Direkt mit mir nach Lübeck fahren wollte der Präsident dann doch nicht – mit der Aussicht auf einen bequemen Sessel in der 1. Klasse des ICE vor Augen hatte er auf fünf Stunden "Gokart-Feeling" in meinem "Adam" verständlicherweise keine Lust. Also verabschiedeten wir uns am Bahnhof. Nachdem ich den Motor wieder gestartet hatte, sah ich ein irritierendes "CodE 82" aufleuchten. Nach einer Schrecksekunde drückte ich das einfach weg und machte mich auf den Weg zur Autobahn. Als ich viel später vor dem Dreieck Walsrode im Stau stand, nahm ich das Handbuch aus dem Handschuhfach: "Baldiger Ölwechsel empfohlen" – harmlos! Um 9 hatte ich Ullrich Krause an der S-Bahn abgesetzt, kurz vor halb drei war ich wieder in meiner Wohnung in Lübeck. Deutlich früher als der Präsident vermutlich, dafür hatte er aber hoffentlich keine Verspannungen am unteren Rücken.

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Klaus Besenthal ist ausgebildeter Informatiker und ein begeisterter Hamburger Schachspieler. Die Schachszene verfolgt er schon seit 1972 und nimmt fast ebenso lange regelmäßig selber an Schachturnieren teil.

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