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Neben dem Netflix-Märchen The Queen´s Gambit wirkt ernüchternd, wie das Schach in den Sechzigerjahren tatsächlich aussah. Keine schicken Klamotten, keine glamourösen Spielorte, weit und breit keine Frau, die gegen die Weltklasse bestehen konnte, dafür unverhohlener Sexismus. Wie die fiktive Beth Harmon auf ihrer Reise in die Sowjetunion von Fans belagert wurde, ist aber durchaus realistisch.
In der Netflix-Serie erwähnt ein Reporter den Namen Nona Gaprindashvili und dass sie nur gegen Frauen spiele. Die echte Nona Gaprindashvili trat durchaus gegen Männer an. Den Spielerinnen ihrer Generation war sie ja haushoch überlegen. Und die ehrgeizige Georgierin wollte den Großmeistertitel, den sie als erste Frau dann auch tatsächlich erreichte. Als Gaprindashvili 1962 nach ihrem WM-Sieg in Tiflis eintraf, erwarteten sie Hunderte begeisterte Landsleute am Bahnhof. Jemand hielt ein Plakat mit der Aufschrift, der dem Dokumentarfilm den Namen gab.
Archivaufnahmen wie diese bietet „Glory to the Queen“ reichlich. Die glorreiche Zeit des georgischen Frauenschachs liegt auch schon einige Jahrzehnte zurück. Ihr größter Moment war die Schacholympiade 1982 in Luzern, als Nona Gaprindashvili, Maia Chiburdanidze, Nona Alexandria und Nana Ioseliani Gold für die Sowjetunion gewannen.
Für ihren Film hat Tatia Shkirtladze die vier zusammen- und vor die Kamera geholt. „The Encounter“, das Treffen, lautete ihr Arbeitstitel. Daraus wurde „Glory to the Queen“, was auf die stärkste, einzige weibliche Figur auf dem Brett verweist. Warum es ausgerechnet Frauen aus Georgien - einem Land, in dem sich die Männer in allem vordrängeln, außer wenn es ums Arbeiten geht - im Schach so weit gebracht haben, wird nicht ausdrücklich erklärt. Aber wer den Film gesehen hat, versteht es. Nona Gaprindashvili hat ihnen allen den Weg geebnet. Sie ist die Mutter des georgischen Schachs und immer noch ein Energiebündel. Während die anderen drei dem Turnierschach längst entsagt haben, spielt sie als einzige noch. Dabei ist sie die älteste, im Mai wird sie achtzig.
Bei der letzten Schacholympiade 2018 in Batumi hörte ich von dem Filmprojekt. Tatia Shkirtladze begegnete ich einige Wochen später beim WM-Match Carlsen – Caruana in London, wo sie als Neuankömmling im Presseraum gleich einmal zwei der zu wenigen Plätze belegte, während wir täglichen Berichterstatter uns abwechselten. Entspannter lief dann unser zweites Treffen in einem Wiener Caféhaus.
Tatia, die zum Studieren nach Wien zog, ist eigentlich Künstlerin. Und sie ist wie Nona Gaprindashvili. Hartnäckig. Wenn sie sich etwas in den Kopf setzt, zieht sie es durch. Warum gab es keinen Film über diese großartigen Frauen, von denen sie schon als kleines Mädchen gehört hatte? Wenn das sonst niemand machte, dann eben sie.
Mit Karin Berghammer begeisterte sie eine Produzentin, die für das Projekt gleich vier österreichische und zwei europäische Förderfonds anzapfte. Vorher hatte Tatia schon eine serbische Koproduktionsfirma aufgestellt. Die georgische Regisseurin und Produzentin Anna Khazaradze stieß dazu. Dass Tatia keine Filmausbildung und wenig Filmerfahrung hatte, fiel so nicht ins Gewicht.
In Wien wurde beim Rathaus Open gedreht, und Schachhistoriker Michael Ehn beriet. Belgrad steuerte ein Interview mit der Großmeisterin und Schachjournalistin Milunka Lazarevic bei. Geführt wurde es kurz vor ihrem Tod im Herbst vor zwei Jahren. Rauchend vor abgedunkeltem Hintergrund meldet sich die damals 85jährige mehrmals einordnend zu Wort. Der größte Teil des Films entstand freilich in Georgien.
Während der Dreharbeiten war ich, weil es für mich auf dem Weg zu einer Schulschachkonferenz nach Armenien lag, in Tiflis und sah, wie das Filmteam Nona Gaprindashvili im Schachpalast traf, der ihren Namen trägt und außer dem Verbandsbüro Turniersäle und Studierzimmer mit Computern und Bibliothek beherbergt. Im früheren Pionierpalast waren die Kamera und ich Zeugen, als Nana Alexandria mit Buben und Mädchen in Schachkostümen eine Siegerehrung inszenierte.
Welch ein Gegensatz! Nona die Erste ernst und bedächtig, dagegen lächelnd und ständig in Bewegung Nana die Zweite. Nennen wir sie so, auch wenn ihr Maia Tschiburdanidze, die praktisch noch ein Teenager war, 1978 die Königinwürde als Weltmeisterin wegschnappte. Ein sowjetischer Fernsehmoderator führte damals Nana Alexandrias Tränen vor und formulierte dazu, als ob er Trostworte direkt an sie richtete: “Nitschewo, nitschewo! Das Wichtigste ist doch, dass der Weltmeistertitel in der Sowjetunion bleibt, in der georgischen Sowjetrepublik.”
Ihre Trainer, wie der außerhalb Georgiens fast vergessene Vakhtang Karseladze oder Eduard Gufeld, kommen im Film übrigens ebenso wenig vor wie die Polgars. Aber die direkte Konfrontation fand ja nicht statt: Als die Polgar-Schwestern 1988 die Schacholympiade vor der sieggewohnten sowjetischen Auswahl gewannen, war nur noch Chiburdanidze aufgestellt.
Erstmals zu sehen waren Sequenzen aus „Glory to the Queen“ bei der letzten London Chess Conference im Dezember 2019 passend zu unserem Thema „Chess and Female Empowerment“. Weil Tatia gerade ihr erstes Kind bekam, hatte sie eine in London lebende Freundin beauftragt, den Film zu präsentieren und Fragen zu beantworten.
Als der Schnitt im Frühjahr fertig war, wirbelte Covid19 alle Festivalpläne über den Haufen. Seine verspätete Premiere hatte „Glory to the Queen“ im September im Beisein von drei Protagonistinnen beim Filmfestival in Tiflis.
Foto: Giorgi Shengelia
Dort wurde er als Abschlussfilm gleich noch ein zweites Mal gezeigt. Im Oktober gastierte der Film bei CinEast in Luxemburg und im November beim serbischen Festival Slobodna Zone. Dort wurde er nun mit dem Publikumspreis ausgezeichnet.