Das Interview erschien in
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung
Für Go hätte Weltmeister Emanuel Lasker am liebsten das Schach
aufgegeben:
In fünf Minuten das Spiel des
Universums lernen
Erst
die Steine schlau setzen und dann nach Tokio abheben: Deutschlands
Go-Spieler haben sich am
ersten Dezemberwochenende in Düsseldorf versammelt,
um den "1. Japanischer Generalkonsul-Pokal Düsseldorf" auszuspielen. Mit
dem Organisator HORST TIMM (51), im
Hauptberuf Gesamtschullehrer in Castrop-Rauxel, sprach
DR. RENÉ GRALLA, Autor der
Tageszeitung "Neues Deutschland" (ND).
ND: Der
erste Preis für den Turniersieger war
ein Flug nach Japan, den die Airline
JAL gesponsort hat.
Das überrascht: Ist ein auf den ersten
Blick sprödes Brettspiel für Japan
derart wichtig?
HORST TIMM:
Aber ja! Für Japaner ist Go viel wichtiger, als wir Europäer
uns das vorstellen können. Deswegen
hat auch der Generalkonsul hier in Düsseldorf, Herr Shin Maruo, angeregt,
dieses Turnier zu veranstalten. Go ist tief verwurzelt in der
japanischen Kultur, neben der Teezeremonie und der japanischen
Schachvariante Shogi.
ND: Aber
eigentlich ist das Spiel doch von den Chinesen erfunden worden?
TIMM:
Das stimmt, trotzdem empfinden die Japaner das Go schon lange als Teil des
eigenen kulturellen Erbes. Persönlichkeiten,
die eine herausgehobene Stellung bekleiden in Politik und Wirtschaft,
werden in der Regel auch Go spielen können.
ND: Die frühzeitige Beschäftigung mit
Denkspielen lässt Kinder in der Schule besser lernen. Da sind uns die
Japaner offenbar um einiges voraus.
TIMM: Go ist sicher kein Allerheilmittel,
trotzdem ist klar, dass die Japaner die richtigen Dinge fördern.
ND: Angeblich geht Go zurück auf
Chinas mythischen Urkaiser Yao, der vor mehr als 4000 Jahren regiert haben
soll. Gesicherte Hinweise auf die Existenz des Spiels stammen aus der Zeit
der Streitenden Reiche vor rund 2500 Jahren, ungefähr
900 Jahre später ist Go nach Japan
gekommen.
TIMM: Seine erste
Blütezeit erlebt hat Go am japanischen Hof der Heian-Periode von
794 bis 1185 nach Christus. Damals hat sich das Spiel entwickelt zu dem
Go, das wir heute kennen.
ND: Zu Beginn des 17. Jahrhunderts
wurde mit Honinbo Sansa der erste professionelle Go-Spieler vom Staat
besoldet.
TIMM: Heute gibt es annähernd 200 Profis.
Japan betrachtet die Förderung des Go als öffentliche Aufgabe. So hält
sich der Ehrengast unseres Düsseldorfer Turniers, die Weltklassespielerin
Frau Kobayashi Chizu, derzeit als Kulturbotschafterin Wien auf, um für
Japan zu werben. In Deutschland dagegen sind die Schachspieler gerade mal
froh, dass sie Mitglieder im Sportbund sind.

Horst Timm, mit seiner Go-Schülerin Miho Komatsu
ND: Go
ist ein strategisches Spiel mit dem Ziel, ein möglichst großes Territorium
zu erobern.
TIMM: Eine
gewisse Parallele zum Schach, allerdings mit
einem grundsätzlichen
Unterschied: Beim Schach stehen zu Beginn alle Figuren auf dem Brett, das
Go-Brett ist anfänglich
leer. Erst im weiteren Verlauf
einer Go-Partie werden von den Gegnern die weißen und schwarzen Steine
nacheinander über den
Spielplan verteilt.
ND: Auf
diese Weise versuchen die Kontrahenten,
Felder und gegebenenfalls feindliche Steine einzuschließen ...
TIMM: ... und
die eingekesselte Steine werden vom Brett entfernt.
ND: In
der Schlussabrechnung wird saldiert, wie viele Felder und wie viele
feindliche Steine ich erobert habe ...
TIMM: ...
wobei in manchen Partien kein
einziger Stein geschlagen wird.
ND: Die
Herausforderung des Go: Die Regeln sind in fünf Minuten gelernt,
anschließend kann ich mich ein Leben lang damit beschäftigen, die Tiefe
des Spiels zu ergründen. Der Grund?
TIMM: Weil
Sie die Freiheit haben, jeden der 361 Schnittpunkt des Go-Brettes zu
besetzen. Entsprechend groß ist die Zahl der möglichen Züge.
ND: Computer besiegen inzwischen
Schachweltmeister, im Go sind die Menschen den Rechnern weiterhin
überlegen. Warum?
TIMM: Das Problem ist die Bewertung von
Material und Position. Tausche ich im Schach einen Turm gegen einen
Springer, kann ich nach bestimmten Maßstäben einschätzen, ob sich das
Kräfteverhältnis auf dem Brett danach verschoben hat; denn ich weiß, dass
die schwere Turmeinheit grundsätzlich stärker ist als das Pferd. Im
Go gibt es keine vergleichbaren Kriterien: Um die Kraft von Gruppen zu
bewerten oder das Gebiet, was sie abstecken, benötige ich viel Wissen und
Intuition. Es ist äußerst schwierig, das einem Programm zu implementieren.
ND: Einer der Go-Pioniere in
Deutschland war der ehemalige Schachweltmeister Emanuel Lasker. "Wenn es
im Universum noch irgendwo intelligente Lebewesen gibt, dann kennen sie
vielleicht Schach, höchstwahrscheinlich jedoch Go", hat er gesagt.
TIMM: Lasker hat sogar bekannt: "Wäre ich
früher mit Go bekannt geworden, so wäre ich wohl kaum Schachweltmeister
geworden." Trotzdem haben natürlich sowohl Schach als auch Go ihren
jeweils spezifischen Reiz, sie stehen gleichberechtigt nebeneinander.
ND: Wie
lange spielen Sie schon Go?
TIMM:
Ungefähr 30 Jahre.
ND: Gibt
es ein Ranking im Go?
TIMM: Das
fängt an mit dem 30. Kyu und geht bei den Amateuren hoch bis zum 8. Dan.
Ich selber trage den 1. Kyu. Von den Dan-Graden der Amateure sind die
Profi-Spielstärken zu unterscheiden, mit dem 10. Dan als höchstem Ranking.
Um den Leistungsunterschied deutlich zu machen: Der 8. Dan eines Amateurs
entspricht dem 1. bis 2. Dan eines Profis.
ND: Wie
viele Go-Spieler sind in Deutschland aktiv?
TIMM:
Im Deutschen Go-Bund sind rund 2000 registriert. Der DGOB
veranstaltet Punktspiele, mit einer Bundesliga im Internet und Begegnungen
direkt am Brett, wie in der Ruhrliga.
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Weitere Infos, insbesondere
auch eine kleine Regelkunde, auf den Seiten des Deutschen Go-Bundes: www.dgob.de