
“Auch wenn nicht alle Künstler Schachspieler sind, so sind doch alle
Schachspieler Künstler”
Gibt es bei all den Dingen, die man weiß, den wieder und wieder erzählten
Geschichten oder den allgegenwärtigen Klischees irgendetwas, das über die
bekannteste Stadt der Welt noch nicht gesagt, nicht gehört, nicht erwähnt oder
nicht gesehen wurde?! Bis ich eine klare Antwort auf diese Frage geben kann:
Willkommen in einer Stadt mit überwältigender Ausstrahlung, einer Stadt, die wie
keine andere ist, ein Gigant, den man nicht vermeiden oder ignorieren kann, das
Epizentrum von Phantasien und Träumen, ein Ort, der immer Verführung ausstrahlt,
immer gleich und doch stets verschieden – willkommen in Paris!
Mit ihren beiden Silben steht die französische Metropole für Dinge, die an jedem
anderen Winkel der Erde Neid erwecken könnten: ein herausragendes Kulturdenkmal,
eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration, die Quintessenz der Eleganz und
Raffinesse, die Hauptstadt des phantastischen Essens und des eleganten
Shoppings, der Ort, an dem man sich hoffnungslos verliebt… Paris ist immer eine
gute Idee.
Mit seinem Charakter voller Charme, mit seinem einzigartigen je ne sais quoi hat
Paris seit Jahrhunden die einflussreichsten Künstler, Schriftsteller, Denker und
Architekten dazu verlockt, die Stadt zu ihrer Heimat zu machen und...’Parisophiles’
zu werden. Können wir dann wirklich immer noch so tun, als seien wir überrascht,
dass eines der wichtigsten Kapitel unserer Schachgeschichte hier, in Paris,
geschrieben wurde?!
1924, genauer gesagt, am 20. Juli, war die Stadt stummer Zeuge der Geburt einer
Organisation, die im Laufe etwas Besonderes für uns alle geworden ist: der FIDE.
Interessant ist der französische Name, der fast ein ganzes Jahrhundert lang
unverändert geblieben ist: Fédération Internationale des Échecs, auf Deutsch
Weltschachverband. Die Wurzeln der FIDE reichen ins 18. und 19. Jahrhundert
zurück, höchstwahrscheinlich bis ins Café de la Régence, dem Herzen der
Schachwelt, das damals eigentlich nur in der französischen Hauptstadt schlagen
konnte. Denn wenn Künstler in Europa keine andere Heimat haben, dann würde ich
es wagen, mir die Freiheit zu ein paar weiteren Spekulationen zu nehmen: Die
Samen des Schachs hätten keinen fruchtbareren Boden finden können als den in der
Stadt an der Seine.
Aber das Akronym “FIDE” ist nicht der einzige französische Ausdruck, der sich
gehalten hat. Ein anderer, unter Schachspielern häufig gebrauchter Begriff,
stammt aus der gleichen großartigen Stadt: Grand Prix! Obwohl diese beiden Worte
vor allem mit der Formel 1oder Kampfsport wie K-1 in Verbindung gebracht werden,
so ist Schach doch ebenso kämpferisch; schließlich sind alle Schachspieler
letztendlich auf den ‘Kill’ aus, oder?
Der hübsche Titel “Grand Prix” steht heute für eines der wichtigsten Turniere
der heutigen Schachwelt: den Weltmeisterschaftszyklus! Für die Uneingeweihten
möchte ich kurz erklären, worum es hierbei eigentlich geht:
• Das Ereignis, das die größte und die meiste Aufmerksamkeit auf sich zieht, ist
natürlich der Wettkampf um den höchsten Titel: die Weltmeisterschaft. Wie wir
alle wissen, wird dieser Wettkampf dieses Jahr in Indien ausgetragen, und zwar
zwischen Carlsen und Anand. Aber wie sind die beiden dorthin gekommen? Um eine
lange Geschichte kurz zu machen: Die FIDE verfiel auf einen ausgeklügelten und
praktikablen Plan, um den stärksten Spielern der Welt eine faire Chance zu
geben, um die Weltmeisterschaft zu spielen. Allerdings muss man sich, wenn man
eine Chance haben will, den Weltmeister herauszufordern, qualifizieren – und
zwar für das:
• Kandidatenturnier, ein doppelrundiges Turnier mit acht Teilnehmern, dessen
Sieger gegen Carlsen oder Anand um den Weltmeistertitel spielen wird; wer aber
hat das Recht, an diesem Spitzenturnier teilzunehmen? Es gibt fünf
Möglichkeiten, sich für das Kandidatenturnier zu qualifizieren:
1. Ein Platz geht an den Verlierer des Wettkampfs in Chennai
2. Ein weiterer Platz ist einem Spieler aus dem Land zugesagt, das das
Kandidatenturnier ausrichtet
3. Zwei Spieler sind durch ihre Ratingzahlen qualifiziert: Aronian und Kramnik
4. Zwei Spieler qualifizieren sich über den World Cup in Tromsø, nämlich die
beiden Finalisten
5. Zwei Plätze gehen an die Spieler, die im oben erwähnten Grand Prix am besten
abschneiden
Damit kommen wir den Dingen allmählich näher…es gibt sechs Grand Prix Turniere,
die in den Jahren 2012 und 2013 gespielt werden, und die stärksten Schachspieler
der Welt haben die Möglichkeit, in jeweils vieren dieser Turniere an den Start
zu gehen. Das ist auch der Grund, warum die Großmeister London, Taschkent, Zug,
Saloniki und Beijing bereist haben, die Städte, in denen die ersten fünf Grand
Prix Turniere ausgetragen wurden. Am Ende des Wettbewerbs werden zwei Spieler zu
den Gesamtsiegern erklärt, und qualifizieren sich damit für das
Kandidatenturnier. Ermittelt werden die Gesamtsieger mit Hilfe eines
ausgeklügelten Systems, von dem Sie wahrscheinlich schon gehört haben:
• Das schlechteste Ergebnis aus den vier Turnieren, an denen ein Spieler
teilnimmt, wird gestrichen, um die Folgen einer untypischen Formschwäche zu
minimieren;
• Für jede Platzierung in der Schlusstabelle des jeweiligen Turniers erhält der
Spieler eine bestimmte Anzahl von Punkten: 170 Punkte für den alleinigen ersten
Platz; 140 für den geteilten ersten Platz, usw.;
• Kurz gesagt: Die beiden Spieler, die auf die höchste Punktzahl aus den besten
drei ihrer vier Turniere kommen, qualifizieren sich für das Kandidatenturnier.
Damit kommen wir zum wichtigsten Punkt der Liste: dem letzten Turnier des
Zyklus, dem entscheidenden sechsten Grand Prix! Meiner Ansicht nach ist es kein
Zufall, dass dieses wichtige Turnier da stattfindet, wo alles vor langer Zeit
einmal angefangen hat: in Paris! Ein Ort, der mehr Optimismus und Hoffnung
verströmt, als dieses Gelobte Land der Künstler in uns allen kann ich mir nicht
vorstellen; zudem schließt das den Kreis, der mit der Gründung der FIDE begonnen
hat und mit diesem letzten Grand Prix endet…
So sehr wir uns nach Perfektion sehnen, so hat doch jedes System seine Mängel
und nichts ist vollkommen. Ich werde jetzt versuchen, möglichen Argumenten zuvor
zu kommen, die manche von Ihnen gegen die Realisierbarkeit des Grand Prix’
vorbringen könnten sowie auch möglichen Einwänden, dass nicht alle Spieler, die
am Grand Prix teilnehmen, die gleichen Chancen haben. Doch lassen Sie uns vorher
noch einen Blick darauf werfen, was uns in Paris erwartet und welche Teilnehmer
des Pariser Turniers sich überhaupt noch für das Kandidatenturnier qualifizieren
können:
Name |
London
|
Tashkent
|
Zug/Swiz.
|
Thessaloniki
|
Beijing
|
Paris |
Points
|
Topalov |
140
|
|
170
|
45
|
100
|
|
410
|
Mamedyarov |
140
|
80
|
20
|
|
170
|
|
390
|
Grischuk |
90
|
|
|
85
|
140
|
|
230
|
Caruana |
|
80
|
100
|
125
|
|
|
225
|
Da sich alles um die zwei Qualifikationsplätze dreht, habe ich einfach nur die
Spieler aufgelistet, die sich tatsächlich noch qualifizieren können.
Wie bereits erwähnt, können die ausgewählten Teilnehmer in vier Grand Prix
Turnieren an den Start gehen. Wie man sieht, haben Topalov und Mamedyarov
bereits vier Turniere gespielt. Ein Blick auf die Reihe mit der Gesamtpunkzahl
ganz rechts verrät, dass Topalov mit seinen 410 Punkten bereits sicher
qualifiziert ist, wohingegen Mamedyarov das Geschehen in Paris sicher aufmerksam
verfolgen wird. Denn tatsächlich besteht die Gefahr, dass er den zweiten Platz
doch noch an einen anderen Spieler abtreten muss, da sowohl Grischuk als auch
Caruana die von ihm vorgelegten 390 Punkte noch ganz knapp übertreffen könnten!
Allerdings nur unter einer Bedingung: entweder Grischuk oder Caruana werden
alleiniger Erster, denn nur so bekommen sie die nötigen 170 Punkte. In der
Tabelle oben habe ich die schlechtesten Ergebnisse von Grischuk und Caruana
bereits entfernt, und wenn sie zu den rot markierten Zahlen 170 hinzufügen, dann
sehen Sie, dass Mamedyarov noch nicht aus dem Schneider ist.
Natürlich kann man sich fragen, ob es nicht besser ist, im letzten Grand Prix
der Serie zu starten, um die Situation überblicken zu können, ein klares
Turnierziel vor Augen zu haben und alles geben zu können, um das Turnier zu
gewinnen oder auf Sicherheit zu spielen, um das bereits Erreichte nicht mehr aus
Spiel zu setzen? Und was ist mit den anderen Spielern? Könnte es nicht sein,
dass sie nicht mehr motiviert sind, da sie keine Chance mehr haben, sich zu
qualifizieren?
Ich habe noch nie von einer Medaille mit nur einer Seite gehört; außerdem gibt
es Perfektion nur auf den Blättern der Mathematiker. Der wirkliche Reiz eines
solches Turniers wie diesem in Paris liegt genau in seinen ‘Mängeln’. Genau
dieser ‘Vorteil’ eines klar umrissenen Ziels kann man auch als eine zusätzliche
Last begreifen, die auf den Schultern von Grischuk und Caruana ruht. Und was die
so genannten unmotivierten Spieler betrifft, ist dieses Turnier für sie nicht
eine Möglichkeit, völlig frei aufzuspielen, einfach nur Schach zu spielen und
…Preise zu gewinnen?!
Ich fürchte, ich werde diese Fragen nicht letztendlich beantworten können, aber
das kommende Grand Prix Turnier in Paris wird diese Dinge klären und unsere
Geduld und unsere Sehnsucht nach Drama befriedigen. Deshalb und egal, wie man
die Dinge sieht, würde ich auf ein sehr interessantes, aufregendes und mit
Sicherheit nicht langweiliges Turnier wetten!
Und noch ein letzter Farbtupfer für Sie: Elegant bis ins Mark verblüfft mich
Paris immer wieder durch seine beneidenswerte Nonchalance, mit der die Stadt
einen gerade durch ihre fehlende Perfektion von ihrer Perfektion überzeugt!
Warum akzeptieren wir dann unsere Schwächen nicht auf die gleiche souveräne
Weise wie Paris es tut?! Voltaire hat es noch besser ausgedrückt: “Das Perfekte
ist das Feind des Guten”.
Ein Turnier ist ein wenig so wie das wahre Leben; die Regeln sind immer fair,
aber der Zufall und das Unvorhergesehene kann uns unterschiedliche Rollen
zuteilen; es hängt mithin von jedem von uns ab, unsere Karten so gut zu spielen,
wie wir können.
Start- und Preisgeldliste
No.
|
Player |
Nat.
|
Rating
|
w-rnk
|
1
|
Caruana, Fabiano |
ITA
|
2796
|
3
|
2
|
Grischuk, Alexander |
RUS
|
2785
|
4
|
3
|
Nakamura, Hikaru |
USA
|
2772
|
9
|
4
|
Gelfand, Boris |
ISR
|
2764
|
11
|
5
|
Dominguez, Leinier |
CUB
|
2757
|
12
|
6
|
Ponomariov, Ruslan |
UKR
|
2756
|
13
|
7
|
Wang, Hao |
CHN
|
2747
|
14
|
8
|
Giri, Anish |
NED
|
2737
|
20
|
9
|
Ivanchuk, Vassily |
UKR
|
2731
|
22
|
10
|
Bacrot, Etienne |
FRA
|
2714
|
31
|
11
|
Fressinet, Laurent |
FRA
|
2708
|
37
|
12
|
Tomashevsky, Evgeny |
RUS
|
2706
|
40
|
|
|
No.
|
Prize |
GP Pts
|
1
|
25,000
|
120+50
|
2
|
22,500
|
110+30
|
3
|
20,000
|
100+10
|
4
|
17,500
|
90
|
5
|
15,000
|
80
|
6
|
13,000
|
70
|
7
|
12,000
|
60
|
8
|
11,000
|
50
|
9
|
10,000
|
40
|
10
|
9,000
|
30
|
11
|
8,000
|
20
|
12
|
7,000
|
10
|
|
Grand Prix-Serie - Ergebnisse und Punkte
Name |
CTY |
2012 |
2013 |
|
|
|
|
|
|
Worst |
Best |
|
|
London |
Tashkent |
Zug |
Thessaloniki |
Beijing |
Paris |
2012 |
2013 |
Result |
3 Res. |
|
|
20 Sep - 4 Oct |
21 Nov - 5 Dec |
17Apr-01May |
21 May -04 Jun |
3 - 17 Jul |
18 Sep - 02 Oct |
London |
Tashkent |
Zug |
Thessaloniki |
Beijing |
Paris |
|
|
Topalov, Veselin |
BUL |
2752 |
|
2771 |
2793 |
2767 |
|
140 |
|
170 |
45 |
100 |
|
45 |
410 |
Mamedyarov, Shakriyar |
AZE |
2729 |
2764 |
2766 |
|
2761 |
|
140 |
80 |
20 |
|
170 |
|
20 |
390 |
Grischuk, Alexander |
RUS |
2754 |
|
|
2779 |
2780 |
X |
90 |
|
|
85 |
140 |
|
0 |
315 |
Caruana, Fabiano |
ITA |
|
2786 |
2772 |
2774 |
|
X |
|
80 |
100 |
125 |
|
|
0 |
305 |
Morozevich, Alexander |
RUS |
|
2748 |
2758 |
2760 |
2736 |
|
|
140 |
75 |
25 |
65 |
|
25 |
280 |
Karjakin, Sergey |
RUS |
|
2775 |
2786 |
|
2776 |
X |
|
140 |
50 |
|
65 |
|
0 |
255 |
Wang, Hao |
CHN |
2742 |
2737 |
|
|
2752 |
X |
70 |
140 |
|
|
30 |
|
0 |
240 |
Ponomariov, Ruslan |
UKR |
|
2741 |
2733 |
2742 |
|
X |
|
50 |
100 |
85 |
|
|
0 |
235 |
Leko, Peter |
HUN |
2737 |
2732 |
2744 |
|
2737 |
|
80 |
50 |
50 |
|
100 |
|
50 |
230 |
Dominguez Perez, Leinier |
CUB |
2725 |
2726 |
|
2723 |
|
X |
35 |
20 |
|
170 |
|
|
0 |
225 |
Nakamura, Hikaru |
USA |
2783 |
|
2767 |
2775 |
|
X |
15 |
|
140 |
60 |
|
|
0 |
215 |
Kamsky, Gata |
USA |
|
2762 |
2741 |
2741 |
2763 |
|
|
10 |
75 |
125 |
10 |
|
10 |
210 |
Gelfand, Boris |
ISR |
2738 |
2751 |
|
|
2773 |
X |
140 |
30 |
|
|
30 |
|
0 |
200 |
Kasimdzhanov, Rustam |
UZB |
2684 |
2696 |
2709 |
2699 |
|
|
35 |
80 |
20 |
70 |
|
|
20 |
185 |
Giri, Anish |
NLD |
2730 |
|
2727 |
|
2734 |
X |
15 |
|
50 |
|
65 |
|
0 |
130 |
Svidler, Peter |
RUS |
|
2747 |
|
2769 |
|
X |
|
50 |
|
45 |
|
|
0 |
95 |
Ivanchuk, Vassily |
UKR |
2769 |
|
|
2755 |
2733 |
X |
55 |
|
|
10 |
30 |
|
0 |
95 |
Wang,Yue |
CHN |
|
|
|
|
2705 |
|
|
|
|
|
65 |
|
0 |
65 |
Adams, Michael |
ENG |
2722 |
|
|
|
|
|
55 |
|
|
|
|
|
0 |
55 |
Bacrot, Etienne |
FRA |
|
|
|
2725 |
|
|
|
|
|
25 |
|
|
0 |
25 |
Radjabov, Teimour |
AZE |
|
|
2793 |
|
|
X |
|
|
20 |
|
|
|
0 |
20 |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
2738,8 |
2747,1 |
2755,6 |
2752,9 |
2751,4 |
|
870 |
870 |
870 |
870 |
870 |
0 |
|
|
|
|
12 |
12 |
12 |
12 |
12 |
12 |
|
|
|
|
|
|
|
|
Der Spielort:

Die Chapelle de la Villedieu (Foto: Wikipedia) wurde 1180 vom Orden der
Tempelritter erbaut. Sie ist die erste Station auf der Route von Paris nach
Chartres auf der Pilgerstrecke des Jakobsweg nach Santiago de Compostela in
Galizien, wo gemäß der Legende die Gebeine des Apostels Jakobus begraben sind.

Hier wird in Kürze Schach gespielt
Offizielles Hotel: Pullman Versailles in Paris
Spielort: Chapelle de la Villedieu
Organisation: FIDE zusammen mit FFE (Präsident - Diego Salazar und Executive
Director - Laurent Verat)
Schiedsrichter: IA Luarent Freyd
Zweiter Schiedsrichter: Anastasia Sorokina
Chef des Schiedsgerichts: Israel Gelfer
Pressechef: Alina l'Ami
Offizielle Seite...
Von Alina L'Ami (Pressechef)