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Als Wim Andriessen 1968 Schaakbulletin gründete und kurz darauf seine sichere Stelle an der Hochschule opferte, erklärten ihn viele für verrückt. Berry Withuis, einer der erfahrensten Schachjournalisten, spottete: "Wer in der Niederlande sein Geld rauswerfen will, trägt es zu den Frauen oder gründet ein Schachblatt." Die heimische Schachszene sei doch viel zu klein, als dass sich neben dem Verbandsorgan Schakend Nederland eine zweite Zeitschrift wirtschaftlich halten konnte.
Profitabel ist Schaakbulletin tatsächlich nie geworden. Aber die Eigeninserate halfen, die Schachbücher, die Andriessen auch herausgab, in beachtlichen Stückzahlen abzusetzen. Später warben sie für den dazu gekommenen Schachladen und seine Versandartikel. Aus Schaakbulletin ist 1984 New in Chess hervorgegangen, das Abonnenten in mehr als hundert Ländern gewann, als bestes Schachmagazin der Welt gilt und den Buchverlag und Laden als weitere Standbeine behalten hat. Der Mann, der alles begann und aufbaute, ist außerhalb der Niederlande kaum bekannt. Im Auftrag und Eigenverlag seiner Erben hat Marten Coerts, ein Lehrer und Schachspieler, eine Biografie verfasst, die im Dezember auf Niederländisch erschienen ist. Wörtlich übersetzt heißt sie "Meister im Schach, Großmeister im Herausgeben". Eine bemerkenswerte Karriere für einen, der mit 16 von der Schule abgegangen ist.
Geboren wurde Wilhelm Fredrik Andriessen am letzten Tag des Jahres 1938 in eine Arbeiterfamilie. Sein Vater war Setzer in einer Druckerei. Selbst lernte er den Beruf eines technischen Zeichners. Schach brachte ihm sein jüngerer Bruder Cees bei. In seinen besten Jahren zählte Andriessen wohl zu den besten 500 Spielern der Welt. Einmal schaffte er es ins Finale der Niederländischen Meisterschaft. Eine seiner besten Partien gelang ihm 1967 bei einem Einladungsturnier in Zwolle gegen den späteren Turniersieger Lubosh Kavalek.
Diese Partie schickte er mit Anmerkungen an Schakend Nederland. Abgedruckt wurde sie mit einem herablassenden Kommentar, als handelte es sich um eine Gnade. Eigentlich bevorzugte man ja Großmeisterpartien aus aller Welt. Es war noch nicht lange her, da hatte Andriessen aus dem Verbandsblatt eine andere Frechheit erfahren: In den Ergebnismeldungen las er, dass eine Partie, zu der sein Gegner nicht antrat, remis gewertet worden war. Als er daraufhin reklamierte, wurde das Resultat korrigiert: Nun bekamen sein Gegner und er beide eine Null. Die Partie sei ja nicht gespielt worden.
So durfte es nicht weitergehen mit dem niederländischen Schach. Die Zeit, in der man sich klaglos den Autoritäten beugte, war vorbei. Zusammen mit zwei Studenten gründete Andriessen in seiner Heimatstadt Wageningen Schaakbulletin. Dass er als Zeichner an der Hochschule für Landwirtschaft einiges über Offsetdruck gelernt hatte, kam ihm nun zugute. Als Schachkolumnist des Volkskrant hatte er Schreiberfahrung gesammelt. Auf einem Schnellturnier in Arnheim wurde Ende August 1968 die erste Ausgabe präsentiert. Das von Schakend Nederland vernachlässigte heimische Schachgeschehen, vor allem in der Hoofdklasse, der obersten Liga, wurde endlich dokumentiert und gewürdigt.
Ein zerschnittenes Brett, das Cover der Erstausgabe 1968, stammte wie so viele weitere von Cees Andriessen, dem jüngeren Bruder, der als abstrakter Maler und Zeichner bekannt wurde.
Die Anfänge von Schaakbulletin waren recht bieder. Partien, Ergebnisse, Turnierberichte. In der Hoffnung, Abonnenten zu gewinnen, wurde auch über Bridge und Dame berichtet. "Sie streben eine Ökumene mit Andersdenkenden an", meckerte Hein Donner. Immerhin hatte der Großmeister die Publikation bemerkt. Für die vierzigste Ausgabe führte Max Pam ein Aufsehen erregendes Interview mit Donner. Der Großmeister, den Andriessen sich nicht anzusprechen getraut hatte, bot von selbst an, für sein Magazin zu schreiben.
Donners originelle, mitunter polemische, aber nie langweilige Stücke trugen wesentlich dazu bei, dass Schaakbulletin in den Siebzigerjahren literarischen Ehrgeiz entwickelte und zur Legende wurde. Auf Glossen verstand sich auch Hans Ree. Max Pam lieferte weitere wunderbare Interviews. Tim Krabbé entdeckte Schachkuriosa. Alexander Münninghoff wertete russische Publikationen aus. Jan Timman analysierte Partien.
Jan Timman (vorne links) wurde von Andriessen früh gefördert und in die Redaktion integriert. | Foto: Hidde Andriessen
Den in die Weltklasse strebenden Amsterdamer hatte Andriessen früh gefördert. Um in Ruhe die WM-Partien zwischen Fischer und Spassky für ein Buch kommentieren zu können, stellte er Timman sein neues, noch nicht bezogenes Haus zur Verfügung. 1976 übergab er ihm die Chefredaktion und mit 1000 Gulden monatlich ein sicheres Einkommen. Auch Genna Sosonko hat ihm viel zu verdanken. 1972 über Israel in die Niederlande emigriert, wohnte er einige Monate bei Andriessen, der ihn mit dem niederländischen Leben vertraut machte und für seine Publikationen arbeiten ließ.
Genna Sosonkos (rechts) erste Bleibe nach seiner Emigration in die Niederlande 1972 war das Haus von Andriessen (links). | Foto: Hidde Andriessen
Vor den Großmeistern – Donner, Timman und Sosonko – hatte Andriessen größten Respekt. Mit anderen geriet er oft in die Haare. Mitarbeiter drangsalierte er mit ständig neuen Ideen. Rückblickend nannte er sich einen Hitzkopf.
Selbst arbeitete er achtzig Stunden die Woche. Im Lauf eines Tages konsumierte er bis zu vierzig Tassen lauwarmen Kaffee. Die Hoffnung, mit 3000 Abonnenten kostendeckend zu werden, erfüllte sich nicht, doch die Bücher und der nach dem Umzug ins Amsterdamer Arbeiterviertel De Pijp an die Redaktion angeschlossene Laden brachten zunächst genug ein. Die Jan Steenstraat 104 wurde einige Jahre zum Treffpunkt der Schachintellektuellen.
Anfang der Achtzigerjahre wurde das Geld knapp. Andriessen holte sich einen Partner ins Haus, mit dem Redaktion und Laden nach Rotterdam zogen. Schon nach wenigen Monaten ging man im Krach auseinander. Dass der Streit nicht vor Gericht landete, lag an Elsevier. Jan Verleur, ein Schachliebhaber im Vorstand des Großverlags, wollte ein internationales Schachinformationssystem samt Magazin und Buchproduktion lancieren und suchte eine Kooperation mit dem jugoslawischen Schachinformator. Dank Verleur zahlte Elsevier den zerstrittenen Partner aus, übernahm die laufenden Kosten und stellte die wichtigsten Mitarbeiter ein.
Im Februar 1984 erschien die Nullnummer von New in Chess, im September dann die erste Verkaufsausgabe. Im Monatsrhythmus erschien das Magazin sowohl auf Englisch als auch auf Niederländisch. Von den einstigen Stützen schrieben noch Timman, Ree und Krabbé. Donner war nach einem Schlaganfall ans Bett gefesselt. Die journalistischen Karrieren von Pam und Münninghoff führten weg vom Schach.
Das Cover der Abschiedsnummer im April 1984 gestaltete Alan de Geus.
Die Nullnummer von New in Chess. Die Zeitschrift erschien bei Elsevier anfangs monatlich in einer niederländischen und einer englischen Ausgabe.
Die Redaktion war nun in Hilversum. Doch die Verkäufe entwickelten sich nicht so schnell wie erhofft, und bereits im folgenden Jahr entschied sich Elsevier, die Investitionen abzuschreiben und Andriessen wieder in die Selbständigkeit zu entlassen. Um Kosten zu senken, stellte er die niederländische Ausgabe ein und reduzierte die Zahl der Ausgaben auf acht pro Jahr. Er nahm eine Hypothek auf sein Haus auf, verkaufte schweren Herzens seine Schachbuchsammlung und zog mit der Redaktion ins günstigere Alkmaar. Wie schon bei Schaakbulletin glichen der Buchverlag und der Versandhandel das vielgelobte, aber auch kostspielige Magazin aus.
New in Chess 01/1984
Die ersten zehn Jahre New in Chess fielen zusammen mit den Höhepunkten von Timmans Karriere. Das Interesse an ihm half dem Magazin, auch wenn der nominelle Chefredakteur eigentlich keine Zeit für es hatte. Dafür hatte Andriessen Bert und Invy van de Kamp an der Seite und vor allem Dirk Jan ten Geuzendam, der glänzende Interviews führte. Ten Geuzendam war es auch, der ihm einen Nachfolger an Land zog: den aus dem Tagungsgeschäft kommenden Allard Hoogland.
Der Übergang ging schrittweise. Ab 2000 übernahm Hoogland Anteile. Lange teilten sie sich die Herausgeberschaft, bis Wim Andriessen 2008 ausschied. Die Entscheidung, Schachherausgeber zu werden, hat er nie bereut. "Dem Schach habe ich alles zu verdanken und ganz besonders meine Freiheit."
Marten Coerts: Meester in het schaken, Grootmeester in het uitgeven. 221 Seiten, € 24,95. Nur online zu bestellen bei http://www.grootmeesterinhetuitgeven.nl