Rückblick: Hou Yifan gegen Betül Yildiz, Runde zwei des Frauen Grand
Prix in Kazan
Eine Betrachtung von GM Adrian Mikhalchishin, Trainer von WGM Betül Yildiz
Adrian Mikhalchishin
Fotos: Anastasiya Karlovich und Rashit Shiriyazdanov mit freundlicher Genehmigung
der FIDE
Wie spielt man gegen die Weltmeisterin?
Genau diese Frage haben wir uns vor acht Monaten gestellt, als Betül beim
Grand Prix in Shenzen gegen Frauenweltmeisterin Hou Yifan zu einem Remis kam.
Trotz eines Elo-Unterschieds von 300 Punkten hatte Betül zwei sehr gute
Gelegenheiten, diese Partie zu gewinnen.
Jetzt musste Betül in Kazan erneut gegen die Weltmeisterin spielen und
wieder hatte sie Schwarz. Was tun? Wir kamen zu dem Schluss, dass Hou in Shenzen
noch der WM-Kampf gegen Humpy Koneru bevor stand und sie sich nicht auf Spanisch
einlassen würde, um nicht zeigen zu müssen, was sie gegen Koneru vorbereitet
hatte. Hier in Kazan gab es für Hou jedoch keinen Grund, einem Spanier
auszuweichen. Die Frage war nur, welche Variante spielen sollte.
Betül Yildiz
Wir kamen zu dem Schluss, dass Hou sich auf die Hauptvariante der Arkhangelsk-Variante
vorbereiten würde, denn so hatten die beiden vor zwei Jahren schon einmal
gespielt. Damals erhielt Betül eine gute Stellung, wenngleich sie die Partie
später noch verlor. In solchen Situationen ist es wichtig, etwas Neues
vorzubereiten. Unsere Wahl fiel auf die Malaniuk-Onishuk-Version der Arkhangelsk-Variante.
Das Wichtigste jedoch war die psychologische Vorbereitung: das Motto lautete,
etwas schlechtere Stellungen zu vermeiden, denn die Weltmeisterin verfügt
über eine phantastische Technik. Betül sollte versuchen, sie von Anfang
an vor Probleme zu stellen. Scharfes Spiel bietet Chancen! Besser wie ein Held
sterben, als wie eine Maus in einem etwas schlechteren Endspiel untergehen.
Wir haben nichts zu verlieren! Russen und Türken fliehen nicht vom Schlachtfeld!
Während der Partie
Wie sich zeigt, gehört den Mutigen die Welt! Aber es ist nicht leicht,
diese Mentalität bei Schachspielern zu wecken. Ich weiß noch, wie
ich beim zweiten Wettkampf zwischen Kasparov und Karpov in Moskau 1985 Sekundant
von Karpov war. Alle Sekundanten wohnten in der wundervollen Datscha von Marschall
Ivan Konev, einem berühmten Sowjetveteran aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs:
der legendäre Efim Geller, Igor Zaitsev, Valery Salov, Sergei Makarychev,
Victor Zheliandinov und ich.
Eine Stunde vor Partiebeginn hatte Tolya eine 15-Minuten-Sitzung mit seinem
Psychologen, einem Mann aus Odessa, der sehr nett war - er machte eine phantastische
Fischsuppe! Er begann mit seiner mentalen Vorbereitung und durch die Wand hörten
wir, wie er im anderen Raum rief: "Töte ihn! Vernichte ihn! Zwing'
ihn in die Knie!" Wir sind vor Lachen fast gestorben. Geller hat gemeint,
sollte der Boxweltmeister im Schwergewicht zufällig ins Zimmer kommen,
dann würde Tolya ihn in Stücke reißen!
Aber tatsächlich ist psychologische Vorbereitung eine der wichtigsten Aufgaben
von Trainern und Sekundanten, die die Schwächen ihrer Schützlinge
kennen. Das ist eine schwere Aufgabe, die erfolgreich zu lösen nicht immer
gelingt. Aber wenn das klappt, dann ist das der Mount Everest der Trainerarbeit!
Ja, gegen Weltmeister oder Weltmeisterin zu gewinnen ist genau das!