Halbzeit in Wijk: Radjabow führt, Kramnik und Topalow liegen im Plan

von ChessBase
20.01.2007 – Radjabov führt, Kramnik beeindruckt durch positionelles, Topalov durch taktisches Druckspiel, Shirov ist völlig außer Form, die Jungstars Karjakin und Navara halten sich gut, Carlsen nicht schlecht. Heute Abend nach der siebten Runde ist Halbzeit beim Corus-Turnier in Wijk aan Zee. Dagobert Kohlmeyer zieht ein Resümee, spricht mit Vladimir Kramnik über seinen Erfolg gegen Anand und mit Igor Stohl, dem Betreuer von David Navara, über dessen Spiel in Wijk.Zur Turnierseite...Kramnik über seinen Sieg gegen Anand (Video)...Mehr...

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Von Dagobert Kohlmeyer

Wenn heute die 7. Runde vorbei ist, haben wir Halbzeit in Wijk aan Zee - Gelegenheit für ein erstes Resümee. Der Orkan hatte sich am Freitag verzogen, die Spieler in der De Moriaan Halle ziehen weiter unentwegt ihre Figuren über die Bretter.



Ein Teilnehmer des Elitefeldes in der A-Gruppe drückte der ersten Turnierwoche im stürmischen Nordseebad seinen Stempel auf: Teimur Radjabow. Der 19-jährige Großmeister aus Aserbaidschan liegt nicht zuletzt dank dreier Schwarzsiege mit einem ganzen Punkt Vorsprung vor den Top-Favoriten Wladimir Kramnik und Weselin Topalow.


Spitzenreiter Teimour Radjabov

Natürlich hatte der junge Mann, der wie Garri Kasparow aus Baku stammt, dabei auch das Glück des Tüchtigen auf seiner Seite, denken wir nur an seinen Sieg gegen David Navarra. Aber Fortune gehört nun einmal dazu, dafür kämpft Radjabow in beinahe jeder Partie wie ein Löwe bis zum letzten Bauern. Vishy Anand, der Seriensieger von Wijk, fiel aufgrund seiner Niederlage in Runde 5 gegen den Weltmeister erst einmal zurück, wird aber sicher im zweiten Durchgang versuchen, sich wieder an die Spitze heranzukämpfen.

Weselin Topalow trennte sich zuletzt remis von David Navarra und liegt gemeinsam mit Wladimir Kramnik in Lauerstellung hinter Radjabow.


Weltranglistennummer 1: Weselin Topalow

Zufrieden kann Sergej Karjakin sein. Der 17-jährige Ukrainer ist noch ungeschlagen und rangiert derzeit mit Anand und Levon Aronian (ebenfalls unbesiegt) auf dem geteilten 4. Platz. Ganz unglücklich ist natürlich Alexej Schirow. Der Wahlspanier ist in diesem Jahr hier völlig von der Rolle und ziert trotz heftiger Angriffsbemühungen mit 0,5 Punkten aus sechs Partien weit abgeschlagen das Tabellenende.

Wladimir Kramnik zeigte uns am Abend im Pressezentrum seine Gewinnpartie gegen den indischen Schachzauberer, wobei er die schreibende Zunft mit interessanten Endspielanalysen beglückte. In Minutenschnelle zauberte der ehemalige Botwinnik-Schüler eindrucksvolle Varianten aufs Demonstrationsbrett. Die russische Schachschule lässt sich eben nicht verleugnen.


Wladimir Kramnik erläutert seinen Sieg gegen Anand

Zum Partieausgang meinte Wladimir:

Ich hatte im Mittelspiel schon eine sehr gute Stellung. Das reduzierte Material gibt dem Verteidiger dann später natürlich Rettungschancen. Darum war große Genauigkeit nötig, alles entscheidet sich manchmal in einem Zug. Ich rechnete die Varianten durch, und zum Schluss schien es mir, dass keine Rettung für Schwarz mehr möglich war. Man kann es noch analysieren, aber ich fand nichts mehr für ihn.


"Normalerweise gehen die meisten unserer Partien mit klassischer Bedenkzeit remis aus."

Ist damit sein stärkster Kontrahent besiegt?

Na ja. Normalerweise gehen die meisten unserer Partien mit klassischer Bedenkzeit remis aus. Gewinnmöglichkeiten hatte ich hier gegen David Navara, aber er fand im Endspiel einen studienartigen Weg zum Ausgleich. Mein Kompliment.


Was denkt der Weltmeister? Vladimir Kramnik im Interview

Zu seiner Turniertaktik:

Wissen Sie, in so einem Weltklasseturnier ist es schwer, mit Schwarz zu gewinnen, zumal ich ein klassisches Eröffnungsrepertoire habe. Mit Weiß jedoch spiele ich jede Partie auf Sieg. Ich versuche den Gegner so lange unter Druck zu setzen, bis etwas dabei herausspringt. Gegen Anand ist es mir gelungen, weil die Stellung so schwierig war. So verstehe ich das klassische Herangehen ans Spiel. Meine Gegner wissen genau, wenn ich Weiß habe, dann mache ich Druck - egal, wer mir gegenüber sitzt.



Kaffeepause


Achtet er während des Spiels auf die Partien der schärfsten Konkurrenten, also auf Radjabow und Topalow?

Nur ganz wenig. Es macht jetzt in der Turniermitte noch keinen großen Sinn, die Tabellensituation ernsthaft zu studieren. Man muss gut spielen, Partien gewinnen und Punkte machen, denn das Turnier ist noch lang. Erst zum Ende hin wird es wichtiger sein, das Spiel der Gegner zu beobachten. Im Moment beschäftigt es mich noch nicht, ich zähle noch nicht einmal meine Punkte! Aber ich denke, ich liege im Plan.


Interview mit Marina

Ein junges Gesicht im Konzert der Großen ist David Navarra. Der tschechische Großmeister spielt zum ersten Mal in der A-Gruppe und liegt bei 50 Prozent. Wenn er seine gute Stellung gegen Radjabow richtig verwertet hätte, könnte der 21-Jährige mit diesem sowie Kramnik und Topalow in der Spitzengruppe liegen. Wir sprachen mit Davids Trainer Igor Stohl über seinen Schützling und andere Dinge des Schachlebens.


David Navarra und Igor Stohl

Kasparows Abgang hat meinem Buch geholfen: Ein Interview mit GM Igor Stohl

Wie gefällt dir das Spiel deines Zöglings?

In den ersten Runden spielte David großartig. Er hielt remis gegen Kramnik und Topalow. Gegen Radjabow war auf einmal die Luft heraus. Über seine Partien und Ergebnisse (außer dem fünften Spieltag) kann ich mich nicht beklagen. Ich hoffe, dass er in der vorderen Tabellenhälfte landen wird.

Wie lange arbeitet ihr schon zusammen?

Die Kooperation begann praktisch vor diesem Turnier. David hat mich angesprochen und gefragt, ob ich interessiert bin, ihm zu helfen. Ich habe ohne viel zu überlegen zugesagt.

Für länger?

Wir haben eine Absprache erst einmal nur für das Corus Turnier. Wenn es gut läuft, kann es etwas Dauerhaftes werden.

Was ist das Besondere an Davids Spiel?

Er ist jung, ehrgeizig und ein Kämpfer. David macht keine kurzen Remisen und spielt jede Partie aus. Unabhängig von seinem Gegner kämpft er in jedem Spiel um den Sieg.

Und wenn Topalow ihm mit Weiß Remis anbietet?

Na dann wird er es sicher annehmen. Aber wie wir Topalow kennen, bietet er es nicht an und spielt selbst auf Sieg. (so geschah es).

Wie würdest du den Stil deines Zöglings beschreiben?

David liebt keine Theorieduelle und analysiert nicht stundenlang Eröffnungen, wie zum Beispiel die Najdorf-Variante. Er mag lieber den Kampf am Brett.

Was passierte in der Partie gegen Radjabow?

Nun, der Junge hat sich mit Weiß ganz gut aufgestellt und besaß einen gesunden Mehrbauern. Dann aber ist er nervös geworden und hat leider den Spielfaden verloren. Sein Bauernvorstoß 21.e4 hat mir schon während der Partie nicht gefallen. David hätte dort lieber 21. a4 einschalten sollen. Dann wären die Chancen gut gewesen, den Mehrbauern zu verwerten. Er hat 23…Dd7 übersehen, und musste statt 26.Tb6 besser 26.Tbd1 spielen.


Andrang bei Navarra gegen Radjabow

Radjabow hat im Corus Turnier tatsächlich einen Lauf…

Das kann man laut sagen. Er hat das Glück des Tüchtigen. Ihm gelingt in diesem Turnier wirklich alles. Drei Schwarzsiege und eine Performance über 3000 - das ist unglaublich.

Igor, was macht deine eigene Schachkarriere?

Ich spiele in der slowakischen Nationalmannschaft und in einigen europäischen Schach-Ligen: in Deutschland, Österreich, Ungarn, Kroatien. In der Bundesliga hast du ja vor einiger Zeit gewechselt. Derzeit spiele ich bei Bindlach-Aktionär an einem hinteren Brett. Bislang habe ich alle Runden mit bestritten.


Igor Stohl

Das war vorher bei Neukölln in Berlin nicht immer der Fall…

Wir haben uns schon vor einigen Jahren getrennt. Ich sage ganz offen, warum: Die Finanzierung war nicht mehr gesichert.

Du hast dir auch als Buchautor einen Namen gemacht. Ein Bestseller sind deine beiden Bände über Kasparow. Wie kamst du auf diese Idee?

Eigentlich war dies eine Idee von meinem englischen Verlag Gambit. Ich hatte für sie zuvor schon ein Buch mit dem Titel "Instruktive Meisterwerke" verfasst, das auch in Deutsch erschienen ist. Es enthält moderne Meisterpartien und kam 2001 heraus. Das Buch war ziemlich erfolgreich und deshalb kam die Anfrage, ob ich nicht etwas über Kasparows Wirken verfassen möchte. Es gab lange keine Monographie von ihm.

Wann habt ihr das vereinbart?

Den Vertrag unterschrieb ich Ende 2002. Dann habe ich sehr viel Arbeit mit dem Manuskript von "Kasparows Greatest Chess Games" gehabt, hinzu kamen persönliche Veränderungen in meinem Leben. Ich heiratete, wir zogen in Bratislava in eine neue Wohnung. Inzwischen haben wir schon zwei Kinder, es sind zwei Mädchen.

Wie man hört, verkauft sich dein Kasparow-Buch sehr erfolgreich.

Es hat ihm sehr gut getan, dass Garri Kasparow im Frühjahr 2005 plötzlich seine Karriere beendete. Etwa sechs Wochen später kam der erste Teil des Buchs heraus. Das war natürlich eine Super-Marketing-Sache.

Wie viele Übersetzungen gibt es?

Ich habe es in Englisch geschrieben, und es gibt Ausgaben in sechs Sprachen: In Französisch, Deutsch, Spanisch sowie Türkisch ist der erste Teil schon erschienen. Italienisch ist geplant bzw. in Vorbereitung. Der zweite Band in Deutsch kommt dieses Frühjahr heraus.

Werden wir dich im April zur Europameisterschaft in Dresden am Brett sehen?

Nein, es wird zuviel. Ich spiele, wie schon gesagt, Mannschaftskämpfe in der deutschen Bundesliga, in Österreich, Ungarn, Kroatien usw. Ich bin Schachprofi und Trainer. Das füllt mich aus. Ich habe zwar Jura studiert, aber den Beruf als Jurist übe ich nicht aus.


Zuschauer in Wijk

Text und Fotos: Dagobert Kohlmeyer

Die ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.

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