Von Dagobert Kohlmeyer
Wenn heute die 7. Runde vorbei ist, haben wir Halbzeit in Wijk aan Zee - Gelegenheit
für ein erstes Resümee. Der Orkan hatte sich am Freitag verzogen, die Spieler
in der De Moriaan Halle ziehen weiter unentwegt ihre Figuren über die Bretter.
Ein Teilnehmer des Elitefeldes in der A-Gruppe drückte der ersten Turnierwoche
im stürmischen Nordseebad seinen Stempel auf: Teimur Radjabow. Der 19-jährige
Großmeister aus Aserbaidschan liegt nicht zuletzt dank dreier Schwarzsiege mit
einem ganzen Punkt Vorsprung vor den Top-Favoriten Wladimir Kramnik und Weselin
Topalow.

Spitzenreiter Teimour Radjabov
Natürlich hatte der junge Mann, der wie Garri Kasparow aus Baku stammt, dabei
auch das Glück des Tüchtigen auf seiner Seite, denken wir nur an seinen Sieg
gegen David Navarra. Aber Fortune gehört nun einmal dazu, dafür kämpft Radjabow
in beinahe jeder Partie wie ein Löwe bis zum letzten Bauern. Vishy Anand, der
Seriensieger von Wijk, fiel aufgrund seiner Niederlage in Runde 5 gegen den
Weltmeister erst einmal zurück, wird aber sicher im zweiten Durchgang versuchen,
sich wieder an die Spitze heranzukämpfen.
Weselin Topalow trennte sich zuletzt remis von David Navarra und liegt gemeinsam
mit Wladimir Kramnik in Lauerstellung hinter Radjabow.

Weltranglistennummer 1: Weselin Topalow
Zufrieden kann Sergej Karjakin sein. Der 17-jährige Ukrainer ist noch ungeschlagen
und rangiert derzeit mit Anand und Levon Aronian (ebenfalls unbesiegt) auf dem
geteilten 4. Platz. Ganz unglücklich ist natürlich Alexej Schirow. Der Wahlspanier
ist in diesem Jahr hier völlig von der Rolle und ziert trotz heftiger Angriffsbemühungen
mit 0,5 Punkten aus sechs Partien weit abgeschlagen das Tabellenende.
Wladimir Kramnik zeigte uns am Abend im Pressezentrum seine Gewinnpartie gegen
den indischen Schachzauberer, wobei er die schreibende Zunft mit interessanten
Endspielanalysen beglückte. In Minutenschnelle zauberte der ehemalige Botwinnik-Schüler
eindrucksvolle Varianten aufs Demonstrationsbrett. Die russische Schachschule
lässt sich eben nicht verleugnen.
Wladimir Kramnik erläutert seinen Sieg gegen Anand
Zum Partieausgang meinte Wladimir:
Ich hatte im Mittelspiel schon eine sehr gute Stellung. Das reduzierte Material
gibt dem Verteidiger dann später natürlich Rettungschancen. Darum war große
Genauigkeit nötig, alles entscheidet sich manchmal in einem Zug. Ich rechnete
die Varianten durch, und zum Schluss schien es mir, dass keine Rettung für Schwarz
mehr möglich war. Man kann es noch analysieren, aber ich fand nichts mehr für
ihn.
"Normalerweise gehen die meisten unserer Partien mit klassischer Bedenkzeit
remis aus."
Ist damit sein stärkster Kontrahent besiegt?
Na ja. Normalerweise gehen die meisten unserer Partien mit klassischer Bedenkzeit
remis aus. Gewinnmöglichkeiten hatte ich hier gegen David Navara, aber er fand
im Endspiel einen studienartigen Weg zum Ausgleich. Mein Kompliment.
Was denkt der Weltmeister? Vladimir Kramnik im Interview
Zu seiner Turniertaktik:
Wissen Sie, in so einem Weltklasseturnier ist es schwer, mit Schwarz zu gewinnen,
zumal ich ein klassisches Eröffnungsrepertoire habe. Mit Weiß jedoch spiele
ich jede Partie auf Sieg. Ich versuche den Gegner so lange unter Druck zu setzen,
bis etwas dabei herausspringt. Gegen Anand ist es mir gelungen, weil die Stellung
so schwierig war. So verstehe ich das klassische Herangehen ans Spiel. Meine
Gegner wissen genau, wenn ich Weiß habe, dann mache ich Druck - egal, wer mir
gegenüber sitzt.
Kaffeepause
Achtet er während des Spiels auf die Partien der schärfsten Konkurrenten,
also auf Radjabow und Topalow?
Nur ganz wenig. Es macht jetzt in der Turniermitte noch keinen großen Sinn,
die Tabellensituation ernsthaft zu studieren. Man muss gut spielen, Partien
gewinnen und Punkte machen, denn das Turnier ist noch lang. Erst zum Ende hin
wird es wichtiger sein, das Spiel der Gegner zu beobachten. Im Moment beschäftigt
es mich noch nicht, ich zähle noch nicht einmal meine Punkte! Aber ich denke,
ich liege im Plan.
Interview mit Marina
Ein junges Gesicht im Konzert der Großen ist David Navarra. Der tschechische
Großmeister spielt zum ersten Mal in der A-Gruppe und liegt bei 50 Prozent.
Wenn er seine gute Stellung gegen Radjabow richtig verwertet hätte, könnte der
21-Jährige mit diesem sowie Kramnik und Topalow in der Spitzengruppe liegen.
Wir sprachen mit Davids Trainer Igor Stohl über seinen Schützling und andere
Dinge des Schachlebens.
David Navarra und Igor Stohl
Kasparows Abgang hat meinem Buch geholfen: Ein Interview mit GM Igor Stohl
Wie gefällt dir das Spiel deines Zöglings?
In den ersten Runden spielte David großartig. Er hielt remis gegen Kramnik und
Topalow. Gegen Radjabow war auf einmal die Luft heraus. Über seine Partien und
Ergebnisse (außer dem fünften Spieltag) kann ich mich nicht beklagen. Ich hoffe,
dass er in der vorderen Tabellenhälfte landen wird.
Wie lange arbeitet ihr schon zusammen?
Die Kooperation begann praktisch vor diesem Turnier. David hat mich angesprochen
und gefragt, ob ich interessiert bin, ihm zu helfen. Ich habe ohne viel zu überlegen
zugesagt.
Für länger?
Wir haben eine Absprache erst einmal nur für das Corus Turnier. Wenn es gut
läuft, kann es etwas Dauerhaftes werden.
Was ist das Besondere an Davids Spiel?
Er ist jung, ehrgeizig und ein Kämpfer. David macht keine kurzen Remisen und
spielt jede Partie aus. Unabhängig von seinem Gegner kämpft er in jedem Spiel
um den Sieg.
Und wenn Topalow ihm mit Weiß Remis anbietet?
Na dann wird er es sicher annehmen. Aber wie wir Topalow kennen, bietet er es
nicht an und spielt selbst auf Sieg. (so geschah es).
Wie würdest du den Stil deines Zöglings beschreiben?
David liebt keine Theorieduelle und analysiert nicht stundenlang Eröffnungen,
wie zum Beispiel die Najdorf-Variante. Er mag lieber den Kampf am Brett.
Was passierte in der Partie gegen Radjabow?
Nun, der Junge hat sich mit Weiß ganz gut aufgestellt und besaß einen gesunden
Mehrbauern. Dann aber ist er nervös geworden und hat leider den Spielfaden verloren.
Sein Bauernvorstoß 21.e4 hat mir schon während der Partie nicht gefallen. David
hätte dort lieber 21. a4 einschalten sollen. Dann wären die Chancen gut gewesen,
den Mehrbauern zu verwerten. Er hat 23…Dd7 übersehen, und musste statt 26.Tb6
besser 26.Tbd1 spielen.
Andrang bei Navarra gegen Radjabow
Radjabow hat im Corus Turnier tatsächlich einen Lauf…
Das kann man laut sagen. Er hat das Glück des Tüchtigen. Ihm gelingt in diesem
Turnier wirklich alles. Drei Schwarzsiege und eine Performance über 3000 - das
ist unglaublich.
Igor, was macht deine eigene Schachkarriere?
Ich spiele in der slowakischen Nationalmannschaft und in einigen europäischen
Schach-Ligen: in Deutschland, Österreich, Ungarn, Kroatien. In der Bundesliga
hast du ja vor einiger Zeit gewechselt. Derzeit spiele ich bei Bindlach-Aktionär
an einem hinteren Brett. Bislang habe ich alle Runden mit bestritten.
Igor Stohl
Das war vorher bei Neukölln in Berlin nicht immer der Fall…
Wir haben uns schon vor einigen Jahren getrennt. Ich sage ganz offen, warum:
Die Finanzierung war nicht mehr gesichert.
Du hast dir auch als Buchautor einen Namen gemacht. Ein Bestseller sind deine
beiden Bände über Kasparow. Wie kamst du auf diese Idee?
Eigentlich war dies eine Idee von meinem englischen Verlag Gambit. Ich hatte
für sie zuvor schon ein Buch mit dem Titel "Instruktive Meisterwerke" verfasst,
das auch in Deutsch erschienen ist. Es enthält moderne Meisterpartien und kam
2001 heraus. Das Buch war ziemlich erfolgreich und deshalb kam die Anfrage,
ob ich nicht etwas über Kasparows Wirken verfassen möchte. Es gab lange keine
Monographie von ihm.
Wann habt ihr das vereinbart?
Den Vertrag unterschrieb ich Ende 2002. Dann habe ich sehr viel Arbeit mit dem
Manuskript von "Kasparows Greatest Chess Games" gehabt, hinzu kamen persönliche
Veränderungen in meinem Leben. Ich heiratete, wir zogen in Bratislava in eine
neue Wohnung. Inzwischen haben wir schon zwei Kinder, es sind zwei Mädchen.
Wie man hört, verkauft sich dein Kasparow-Buch sehr erfolgreich.
Es hat ihm sehr gut getan, dass Garri Kasparow im Frühjahr 2005 plötzlich seine
Karriere beendete. Etwa sechs Wochen später kam der erste Teil des Buchs heraus.
Das war natürlich eine Super-Marketing-Sache.
Wie viele Übersetzungen gibt es?
Ich habe es in Englisch geschrieben, und es gibt Ausgaben in sechs Sprachen:
In Französisch, Deutsch, Spanisch sowie Türkisch ist der erste Teil schon erschienen.
Italienisch ist geplant bzw. in Vorbereitung. Der zweite Band in Deutsch kommt
dieses Frühjahr heraus.
Werden wir dich im April zur Europameisterschaft in Dresden am Brett sehen?
Nein, es wird zuviel. Ich spiele, wie schon gesagt, Mannschaftskämpfe in der
deutschen Bundesliga, in Österreich, Ungarn, Kroatien usw. Ich bin Schachprofi
und Trainer. Das füllt mich aus. Ich habe zwar Jura studiert, aber den Beruf
als Jurist übe ich nicht aus.
Zuschauer in Wijk
Text und Fotos: Dagobert Kohlmeyer