ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024
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Zum 80sten Geburtstag von Viktor
Kortschnoj
Von André Schulz
Der Spruch "Mein Leben für das Schach" trifft wohl auf niemanden mehr zu, als
auf Viktor Kortschnoj. Deshalb führt seine Autobiografie, 2004 bei Edition Olms
erschienen, auch zurecht diesen Titel. Heute feiert der seit langem in der
Schweiz lebende Großmeister seinen 80sten Geburtstag und Schach war diesen 80
Jahren zum allergrößten Teil der Lebensmittelpunkt von von Kortschnoj.
Viktor Lvovich Kortschnoj (Ви́ктор Льво́вич Корчно́й) wurde in Leningrad geboren, das heute nach der Änderung der
politischen Machtverhältnisse in Russland, wieder seinen alten Namen St.
Petersburg trägt. Die Familie war jedoch polnisch-ukrainisch und stammte sie aus dem
Süden der Ukraine. 1926 waren die Eltern vor Hunger und Bürgerkrieg in die russische Metropole geflohen. In den
1920er und mehr noch in 30er Jahren führten die Bolschewiki unter Lenin und Stalin
in der Ukraine und in anderen Teilen ihres Herrschaftsgebietes zahlreiche Kampagnen gegen die "Kulaken",
die bäuerlichen Grundbesitzer durch, die in mehrere z.T. auch gewollte, Hungerkatastrophen führten.
Im so genannten "Holodomor" starben in der Sowjetunion zu jener Zeit geschätzte 10 Mio. Menschen einen grausamen
Hungertod.
Die Familie Kortschnoj war eine solche begüterte Gutsbesitzerfamilie, somit ein
Klassenfeind, brachte sich aber rechtzeitig durch Flucht in Sicherheit, insofern
das Wort Sicherheit zu jener Zeit irgendeine eine Bedeutung hatte. Die Eltern lebten
jedoch bald im
Zwist miteinander. Die Mutter arbeitete als Musiklehrerin. Der Vater war ursprünglich
Lehrer für Literatur und Sprache, arbeitete dann aber als Ingenieur in einer
Backwarenfabrik. Im Streit um das Sorgerecht für ihren Sohn Viktor, am 23. März
1931 in Leningrad geboren, denunzierte die Mutter den Vater bei der örtlichen
Leitung der Kommunistischen Partie, wo dieser Mitglied war, als heimlichen
Kirchgänger. Freunde bewahrten den Beschuldigten vor dem Rauswurf aus der
Partei. Viktor wuchs bei seinem Vater und seiner der polnischen Großmutter auf.
Als "Wohnung" hatten die drei ein einziges Zimmer von vier mal vier Meter.
Die Großmutter schlief in einem Bett, der Vater auf der Couch und der kleine
Viktor auf
zusammen geschobenen Stühlen in der Mitte des Raumes. Als kultivierter Mensch
investierte der Vater aber trotz großer Armut in die Ausbildung seines Sohnes
und ließ diesen u.u. sogar deutsch lernen, was ihm später einmal, wie sich
herausstellte, nützlich sein würde. Auch Schach brachte der Vater ihm bei.
Als Zehnjähriger erlebt Viktor Kortschnoj den Beginn der Blockade Leningrads
durch die deutsche Wehrmacht. Diese dauerte vom 8. September 1941 bis zum 27.
Januar 1944. Die Stadt konnte nur noch notdürftig über den Ladogasee versorgt werden.
Bis zum Abzug der Wehrmacht starben in Leningrad etwa 470.000 Menschen, zumeist an Unterernährung -
darunter auch Viktors geliebte Großmutter. Schon im Jahr 1943 begann das Leben
in Leningrad sich allmählich zu normalisieren, schreibt Kortschnoj in seiner Biografie. Der
Junge ging zur Schule, las viel, lernte Klavierspielen und beschäftigte sich auch
intensiv mit Schach. Das Musizieren musste Kortschnoj bald aufgeben, da er kein
Geld für ein eigenes Instrument hatte. Eigentlich wäre er daraufhin gerne Schauspieler
geworden, aber wegen zu schlechter Aussprache musste er auch diesen Plan
aufgeben. Übrig blieb das Schach. 1946 wurde er Jugendmeister von Leningrad. Im
Jahr darauf gewann Kortschnoj auch den Jugendtitel der UdSSR. Selbstkritisch
stellt er schon damals fest, dass seine Stärken in der Verteidigung und im
Endspiel liegen, während er im Mittelspiel viel schlechter als andere war. Bei der
Analyse einer Partie mit einem anderen Jugendlichen erfuhr der spätere Großmeister, dass
sein Gegner die Partie gegen ihn verlieren "musste". Wer die Partie für den
neuen Meister "gekauft" hatte, sein Trainer Zak oder jemand anderes, konnte
Kortschnoj nicht in Erfahrung bringen. Aber so lernte der kommende Schachmeister schon gleich eine "professionelle" Einstellung, kommentierte Kortschnoj bittersüß
in seiner Biografie diese Episode: "Alles wird verkauft oder gekauft!"
Der 16-jährige Viktor Kortschnoj, 1947
Nach der Schule wurde Kortschnoj ein Studium nahe gelegt. Er entschied sich für
das Fach Geschichte, hatte aber vom Studium derselben in der UdSSR eine völlig falsche
Vorstellung, wie sich bald heraus stellte. Statt der Lehren der Geschichte wurde
ihm die Lehre
des Marxismus vermittelt und er musste sich mit den Erkenntnissen von Pseudowissenschaften wie
den "dialektischem
Materialismus" plagen, erinnert sich Kortschnoj später. Sechs verlorene Jahre verbrachte Kortschnoj an der
Universität, hatte aber in dieser Zeit auch Gelegenheit, an Schachturnieren
teilzunehmen. 1949 führte er am ersten Brett die Mannschaft von Leningrad zum
Sieg. Mannschaftskollegen waren Spasski und Lutikov. Seine zweibändige DVD "My
Life for Chess" beginnt mit einer Partie aus diesem Turnier gegen Golenichev.
Das Angebot, Training von Tolusch zu nehmen, lehnte Kortschnoj aus falsch
verstandenem Stolz ab. Später entwickelt sich Spasski mit Tolusch viel schneller
als Kortschnoj es alleine gelang. Kortschnoj lernte jedoch in dieser Zeit, zu
kämpfen.
1951 wird er Sowjetischer Meister des Sports und ist nun in der UdSSR ein
Prominenter. 1952 beendet er die UdSSR-Meisterschaft als Debütant als Sechster.
Im folgenden Jahr begegnete der 22-Jährige beim Wettkampf Leningrad-Lettland dem
16-jährigen Tal. Im Laufe der Partie hatte Tal einen Bauern weniger, Kortschnoj
einen mehr. Tal bot wegen ungleicher Läufer Remis an. Kortschnoj lehnte wegen
der Schwerfiguren, die auch noch auf dem Brett waren, ab und gewann im 94.Zug.
Von da an war Tal, der später immerhin Weltmeister wurde "geimpft", denn er
konnte niemals gegen Kortschnoj eine Partie gewinnen.
Die besten Sportler des Landes wurden in der UdSSR mit einem "Stipendium"
unterstützt. Dieses war abhängig von den Leistungen höher oder niedriger. Der
Höchstsatz betrug in den 60er und 70er Jahren 300 Rubel, was nach offiziellem
Umtauschsatz 430 Dollar entsprach und etwa das Doppelte des monatlichen
Durchschnittsverdienstes in der Sowjetunion war. 1954 durfte Kortschnoj erstmals in Bukarest an
einem Auslandsturnier teilnehmen. Dort trifft er Bob Wade, der ihm geduldig
einige englische Sätze beibringt. 1955/56 nimmt er am Turnier in Hastings teil
und teilt den ersten Platz mit dem späteren FIDE-Präsidenten Fridrik Olafsson.
Die ersten drei Preise waren damals übrigens 60, 40 und 20 Pfund. Mehr gab es
nicht. Gleich danach spielt Kortschnoj bei der UdSSR-Meisterschaft mit, gewann diese
und erhielt nun die Auszeichnung "Großmeister der Sowjetunion". Sein Abzeichen
trug die Nummer 17. Er war also der 17. Großmeister des Landes seit dessen
Gründung. Kortschnoj gehörte nun zum Establishment.
In seiner Autobiographie lässt Kortschnoj seinen weiteren Aufstieg Revue
passieren, der ihn bis in die sowjetische Nationalmannschaft und in die
Weltspitze führt. Partieabsprachen, Rivalität und Intrigen unter den
sowjetischen Großmeistern waren dabei an der Tagesordnung. Beim Interzonenturnier in
Stockholm 1962 unterliegt Kortschnoj Robert Fischer, der auf dem Wege ist, den
Sowjetspielern die Vormachtstellung im Weltschach streitig zu machen. Fischer
gewinnt das Turnier überlegen und wird fortan unter dem Einfluss der
sowjetischen Schachpresse als Flegel verunglimpft. Beim Kandidatenturnier in
Curacao sprechen Petrosian, Geller und Keres ihre Partien zu kurzzügigen Remisen
ab, sparen Kraft und konzentrieren sich auf ihre Rivalen Kortschnoj , Tal und vor allem Fischer.
Letzter wird auf diese Weise als WM-Herausforderer ausgebootet.
Curacao 1962
Ein KGB-Aufpasser, der die
Sowjetdelegation begleitet hatte, schwärzte Kortschnoj nach dem Turnier bei der
UdSSR-Schachföderation an. Die Verfehlung: Kortschnoj hatte ein Spielcasino
besucht. 1962 und 1964 wurde Kortschnoj daraufhin nicht für die Schacholympiaden
berücksichtigt. 1963 hätte Kortschnoj eigentlich am Piatigorsky-Cup in den USA
teilnehmen sollen, die Organisatoren hatten ihn eingeladen, doch Petrosian sorgte dafür, dass stattdessen er selber teilnahm.
Von dieser Intrige erfuhr Kortschnoj erst 1977, nachdem er die UdSSR verlassen
hatte. 1963 gab Kortschnoj bei einem Besuch in Havanna mehrere
Simultanvorstellungen, bei denen auch der schachbegeisterte
Industrieminister Ernesto (Che) Guevara mitspielte. Kortschnoj, der zuvor schon
zweimal gegen Guevara gewonnen hatte, wurde gebeten, eine Partie gegen den
Minister vielleicht auch einmal aus Höflichkeit remis zu geben, gab dem Ansinnen aber mit einer Begründung
nicht nach, die
später von Tal berichtet wurde: "Wie kann ich remis geben, er hat ja keine
Ahnung von Katalanisch!"
Mitte der 1960er Jahre entstanden zwischen Kortschnoj und der Verbandsführung
erste Spannungen, teils weil andere Spieler bevorzugt wurden teils weil
Kortschnoj den Wünschen des Verbandes an bestimmten Turnieren teilzunehmen nicht
nachkam. Mit Petrosian und Geller hat Kortschnoj zudem zwei Feinde, die bei
jeder Gelegenheit mehr oder weniger heimlich gegen ihn arbeiten. Bei einer Reise nach Bad Ems wurde
Kortschnoj angeboten, in Deutschland zu bleiben, doch Kortschnoj lehnte mit
Hinweis auf seine besonders bevorzugte Stellung als einer der besten
Schachspieler der UdSSR ab. Noch.
In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre erreichte der Leningrader seinen ersten
Zenit. Er nahm an den Kandidatenwettkämpfen teil, besiegte in den Matches Reshevsky und Tal,
schied dann aber gegen den späteren Weltmeister Spasski aus. Bei einem Besuch in
der Tschechoslowakei, kurz nach dem Einmarsch der Roten Armee zur Niederschlagung
des Prager Frühlings, lernte Kortschnoj die Realität in den unterdrückten
kommunistischen Satellitenstaaten kennen. Mit Ludek Pachmann wurde hier auch ein
Schachgroßmeister inhaftiert und mehrere Jahre gefangen gehalten. Keres, mit dem
Kortschnoj die Reise unternommen hatte, traf sich heimlich mit Oppositionellen,
doch das Treffen wurde verraten. Keres wird nach der Rückkehr gemaßregelt und hält
Kortschnoj für den Verräter, doch es war der gefeierte Langstreckenläufer Emil
Zatopek, der das Treffen der Oppositionellen verraten hatte. 1973 trifft
Kortschnoj den inzwischen aus der CSSR ausgewiesenen Pachmann in Solingen wieder und
der Tscheche erzählt ihm die Details des Verrats.
1970 bei der UdSSR-Landesmeisterschaft in Riga nahmen auch einige "Jugendliche"
teil, darunter Karpov, Vaganjan und Podgajec, mit denen Kortschnoj hier noch
"kurzen Prozess" machte. In den Kandidatenwettkämpfen 1971 trifft Kortschnoj auf
seinen Intimfeind Geller, den er aber klar besiegen kann, auch weil er zuvor mit
Karpov ein Trainingsmatch gespielt hatte. Allerdings verlor Kortschnoj dabei seinen
alten Trainer Semjon Furman, der nun für Karpov arbeitete. In einem weiteren Match zerriss Fischer,
nach einer Pause nach dem Interzonenturnier von Sousse 1967 wieder ins
Profischach zurückgekehrt, Mark Tajmanov mit 6:0. Das Ergebnis war für das ganze Sowjetschach
sehr demütigend. Deshalb wurde Tajmanov nach
seiner Rückkehr gemaßregelt. Zum Anlass nahm man ein Solzhenyzin-Buch und
ein paar nicht-deklarierte Dollar, die man bei der Einreise in Tajmanovs Gepäck fand.
Tajmanov verlor unter anderem seine Pension. Nach dem Sieg
über Geller traf Kortschnoj in der nächsten Kandidatenrunde auf Petrosian. Es
gab viele Remisen und am Ende entschied eine einzige Partie zugunsten von Petrosian. Auch
wenn Kortschnoj in seiner Autobiographie darauf nicht recht eingeht, so gibt es
dennoch hartnäckige Gerüchte, dass dieser Wettkampf abgesprochen gewesen sei.
Die Idee solle darin bestanden haben, Petrosian gegen Fischer ins Rennen zu
schicken, da dieser gegen den Amerikaner mutmaßlich die besseren Chancen haben
würde. Genutzt hat
die Absprache, falls es sie gab, jedoch nichts. Petrosian konnte Fischer auf dem
Weg zum Titel auch nicht stoppen.
Als Kortschnoj und Petrosian beim nächsten Kandidatenzyklus erneut aufeinander
trafen, kam es auf der Bühne des Theaters in Odessa, wo das Match gespielt
wurde, zum offenen Streit. Bei eigenem Rückstand protestierte Petrosian gegen
das Ergebnis und verlangte, den Gewinn zugesprochen zu bekommen, da er sich
durch Kortschnoj gestört fühlte. Der Protest wurde abgewiesen, Kortschnoj gewann
den Wettkampf und wechselte mit Petrosian nie wieder ein Wort. 1974 kam es dann
zum ersten Wettkampf zwischen Kortschnoj und Karpov.
1974
Der neue Star des Sowjetschachs war jünger, entsprach
mehr dem Ideal des Sowjetmenschen und machte auch sonst niemals den Eindruck, er
würde sich jemals anders verhalten als die Verbandsführung und die Führung der
Sowjetunion von ihm erwartete. So genoss er die volle Unterstützung, während
Kortschnoj mehr oder weniger auf sich allein gestellt war. Kortschnoj verlor den
Wettkampf und Karpov wurde daraufhin später Weltmeister, denn Fischer trat zur
Titelverteidigung nicht an. Als Kortschnoj sich bald danach in einem Interview abfällig über
Karpov äußerte, wurde eine Kampagne gegen ihn eingeleitet. Er hatte sich vor dem
Sportkomitee zu rechtfertigen, wurde für ein Jahr für die Nationalmannschaft
gesperrt und seine Pension wurde um ein Drittel gekürzt. Petrosian nutzte die
Gelegenheit, um in der Schachpresse gegen seinen alten Feind zu hetzen. Es gab
keine Einladungen mehr zu Lektion oder Simultanveranstaltungen für Kortschnoj und vorübergehend
auch keine Auslandsturniere.
Als Kortschnoj dann doch wieder im Ausland spielen durfte, begann er heimlich
Papiere, Dokumente, Fotos, Bücher, etc., in den Westen zu schaffen. Der
Leningrader Großmeister hatte den Entschluss geschafft, die Sowjetunion
irgendwann zu
verlassen. Während des Turniers in Amsterdam 1976 gab Kortschnoj ein sehr
offenherziges Interview, in dem er auch den bevorstehenden Boykott der UdSSR
gegenüber der Schacholympiade Haifa kritisierte. Das Interview wurde sogleich
auch in der UdSSR veröffentlicht und Kortschnojs Freunde in den Niederlanden
mutmaßten, dass er danach wohl nie wieder aus der UdSSR werde ausreisen dürfen.
Kortschnoj sah nun den Zeitpunkt gekommen, nicht mehr in die Sowjetunion zurück zu kehren.
August 1976
Er beantragte Asyl. versteckte sich in den Niederlanden und hatte eine Heidenangst, dass ihm das gleiche passieren würde, wie anderen Prominenten, die aus der Sowjetunion geflohene waren: vom Geheimdienst entführt, zusammen geschlagen oder umgebracht zu werden. Nachdem seine Flucht bekannt geworden war, mussten die russischen Großmeister eine gemeinsame Erklärung unterschreiben, in der sie das Verhalten von Kortschnoj verurteilten. Nur Gulko und Botvinnik weigerten sich, Spassky war schon nach Frankreich ausgereist und befand sich ebenfalls nicgt auf der Liste. Von nun an wurde Kortschnoj wie zuvor Ludek Pachmann von den Sowjet-Großmeistern boykottiert.
Kortschnoj war im Westen ein von den Medien
gefragter Mann. Er wurde u.a. in die Schweiz zu Simultanveranstaltungen
eingeladen und lernte dort seine spätere Frau Petra Leeuwerik kennen, eine
Deutsche, in Leipzig geboren, die nach dem Krieg in Wien von den Sowjets in ein
Lager nach Sibirien verschleppt worden war. Man hatte sie der Tätigkeit in einer
missliebigen Leipziger Studentenorganisation verdächtigt. Später hatte sie einen
Holländer geheiratet.
Da man Kortschnoj nicht bestrafen konnte,
rächte sich die Sowjetunion an dessen in der UdSSR zurück gebliebenen Familie,
besonders seinem Sohn Igor. Dieser wurde in seinem Studium behindert,
schließlich als Wehrdienstverweigerer verhaftet und später in ein Lager
geschafft. Zudem hatte man über den Sohn die Möglichkeit, Kortschnoj bei den
kommenden Kandidatenwettkämpfen, die man nicht boykottieren konnte, unter Druck
zu setzten. Das Los wollte es,
dass der Dissident Kortschnoj nacheinander gegen drei Sowjet-GMs anzutreten hatte, bis er schließlich
sogar am Thron von Weltmeister Karpov rüttelte. Kortschnoj wurde nun zu "Viktor,
dem Schrecklichen", auf jeden Fall für das Sowjetschach, und die folgenden
Wettkämpfe wurden zum Stellvertreterkrieg zwischen dem "System der Unterdrückung",
verkörpert durch die UdSSR-Spieler und der "Freiheit", die Kortschnoj
symbolisierte. Während die Sowjets jedoch mit der vollen Unterstützung ihres
Schachverbandes und zahlreichen Helfern antraten, stand Kortschnoj praktisch alleine da, unterstützt von
einigen wenigen Mitstreitern und Petra Leeuwerik.
Petra und Viktor Kortschnoj
Als erstes wurde Petrosian besiegt. Dann gewann Kortschnoj auch das Match gegen
Polugajewski. Nach diesem Wettkampf bekam Kortschnoj an Angebot des Mäzens
Wilfried Hilgert und unterschrieb für ein festes Monatsgehalt von 2500 D-Mark bei der SG-Porz. Als Gegenleistung
spielte er für Porz in der Bundesliga und musste einmal im Monat beim Clubabend
erscheinen. 1977 reiste er in die USA und in Pasadena kam es zu einem Treffen
mit Bobby Fischer, der ihn zuvor zu seiner Fluch beglückwünscht hatte. Das Match mit Boris Spassky, den Kortschnoj
ja seit vielen
Jahren kannte, und mit dem ihn ein freundschaftliche Verhältnis verband, fand in
Belgrad statt. Die beiden Spieler hatten sich auf das blockfreie Jugoslawien als
Austragungsort geeinigt. "Wir begannen das Match als Kollegen, und
beendeten es als Feinde," schreibt Kortschnoj. Kortschnoj gewann ungefährdet und
stand nun als Herausforderer von Karpov fest - der Krieg von Baguio City 1978
konnte beginnen. Im Vorwege hatte der Dissident geglaubt, die Philippinnen seien - weit weg von
der Sowjetunion- ein neutraler und für den KGB schwer zu erreichender Austragungsort. Doch das war ein Irrtum. Der
Organisator Campomanes wurde vom KGB als Agent angeheuert und hat im Verlauf des
Wettkampfes Karpov und die
russische Delegation nach Kräften unterstützt. Im Gegenzug haben die Sowjets ihn
später bei seiner Kandidatur als FIDE-Präsident unterstützt. Die
Sowjetdelegation reiste mit großen Containern an und Kortschnoj fühlte sich
abgehört. Außerdem glaubte der Leningrader, dass die Sowjets ihm mit Hilfe von
Parapsychologen zusetzten. Es gab Streit darüber, wo der vermeintliche
Parapsychologe, der Kortschnoj aus dem Zuschauerraum anstarrte, sitzen dürfe.
Kortschnoj wehrte sich schließlich damit, dass er einen indischen Guru einflog,
der den Parapsychologen "neutralisieren" sollte. Zudem ließ er die Joghurts
beanstanden, die Karpov während der Partien gereicht wurden. Die Farbe des
Joghurts könnte schließlich eine Bedeutung haben. Kortschnoj verlor den
Wettkampf ganz knapp mit 16,5:15,5. In der letzten und entscheidenden Partie
hatte er als Überraschung die Pirc-Verteidigung gewählt, doch während der
Partie, die schließlich verloren ging, das Gefühl, dass Karpov bestens darauf
vorbereitet war, so als ob er die Wahl der Eröffnung schon vorher gekannt hätte.
Nach dem Ende der Sowjetunion gab Tal, der in Baguio als Karpov-Sekundant
bestellt war, an, im
Falle eines Sieges von Kortschnoj hätte der KGB diesen umbringen wollen.
Drei Jahre später in Meran war es erneut Kortschnoj, der Karpov herausforderte.
Meran 1981
Diesmal war die Atmosphäre nicht ganz so gespannt wie in Baguio City und die Kräfteverhältnisse auch nicht so ausgeglichen wie beim vorherigen WM-Match. Karpov gewann recht glatt. Kortschnojs Stationen auf dem Weg zum WM-Kampf waren erneut Petrosian und Polugajevsky und schließlich Hübner gewesen. Im folgenden Zyklus erreichte Kortschnoj nicht mehr das Finale, spielte aber dennoch eine besondere Rolle. Im innersowjetischen Schach-Machtkampf hatte man diesmal versucht, den jungen Emporkömmling Kasparov auszubooten. Mit Hilfe des willfährigen FIDE-Präsidenten Campomanes wurde als Austragungsort für den Wettkampf Kortschnoj gegen Kasparov Pasadena ausgewählt und dann Kasparov erklärt, dass er als Sowjetbürger in den USA nicht spielen könne. Wegen des Einmarsches der Roten Armee in Afghanistan hatte die USA und viele Weststaaten die Olympiade 1980 boykottiert. Die Beziehungen waren schlecht. Kasparov durchschaute den Winkelzug erst, nachdem Kortschnoj schon kampflos zum Sieger erklärt worden war. Dann sprang dem jungen Großmeister aus Baku der örtliche KGB-Chef und spätere erste Staatspräsident des unabhängigen Aserbaidschach Heydar Alijev zur Seite, der auch in Moskau großen Einfluss hatte. Dieser setzte durch, dass mit Kortschnoj noch einmal wegen einer Neuaufnahme gesprochen wurde. Der Wahlschweizer stimmte zu, stellte aber Forderungen, u.a., dass man das Boykott der Sowjetgroßmeister gegen ihn aufhob.
Kasparov und Kortschnoj 2006 in Zürich
Kasparov gewann den Wettkampf, der nun in London stattfand, und wurde am Ende Weltmeister.
Kortschnoj und Spassky beim Aeroflot-Open in Moskau
Danach beruhigten sich die Gewässer, endgültig als 1990 die Sowjetunion zerfiel.
Kortschnoj lebte inzwischen in der Schweiz, seit 1992 ist er Schweizer Bürger, und gehörte als starker Großmeister
auch im fortgeschritten Alter zur Weltspitze. Mit ihm am 1. Brett erlangte auch
die Schweizer Nationalmannschaft an gewicht. Anders als z.B. sein viel jüngerer
Rivale Karpov schaffte Kortschnoj als einer der wenigen Spieler seiner
Generation - vielleicht als einziger - den Sprung ins Computerzeitalter,
Vielleicht ist dies einer der Gründe, warum er trotz fortschreitenden Alters
viel weniger schnell an Spielstärke abbaute als andere. Natürlich hasste
Kortschnoj aber "die
verdammte Maschine", und hätte sie am liebsten bei nächster Gelegenheit aus dem
Fenster geworfen. Seine Frau Petra war diejenige, die dafür verantwortlich war,
dass die Maschine ihre Aufgaben erfüllt und dem Meister die gewünschten
Informationen in der ChessBase-Datenbank zur Verfügung stellt. Dies gelang ihr
einigermaßen, auch mit Hilfe vieler Telefonkonferenzen mit der Hamburger ChessBase-Zentrale, wo sie praktisch jeden Mitarbeiter persönlich kennt. Als
Kortschnoj noch regelmäßig in Biel mitspielte, hatte ich einmal Gelegenheit, seine
Arbeitsweise zu beobachten. Neben der Tastatur seines Computers stand ein
kleines Taschenschach. Der zweifache Vizeweltmeister suchte in der Datenbank
nach bestimmten Varianten oder Partien, stellt dann aber die Positionen auch
noch auf seinem Taschenschach nach!
Kortschnoj mit Ehrendoktorhut der Universitär von Chisinau
Auch mit Siebzig Jahren und danach eilte Kortschnoj von Turnier zu Turnier, von
Einladung zu Einladung. Wenn möglich nahm er jede Einladung an, auch an
entlegenen Orten. "Wenn ich die Einladung nicht annehme, werde ich vielleicht
beim nächsten Mal nicht mehr eingeladen", lautete seine Begründung.
"Mein Leben für das Schach", ist eine Formel, die für niemanden mehr gilt, als
für diese große Schachpersönlichkeit.
Happy Birthday, Viktor!
Die SG Zürich und Dr. William Wirth, der
in diesem Jahr ebenfalls seinen 80sten Geburtstag feiert, ehren den Jubilar am
nächsten Wochenende mit einem Empfang in Zürich. Zahlreiche Ehrengäste werden
erwartet, unter anderem Gary Kasparov.
Die meisten Informationen zum Lebenslauf von Viktor Kortschnoj wurden seiner
Autobiographie "Mein Leben für das Schach" entnommen: Edition Olms, 2004, Euro
29,95.
Anlässlich seines Jubiläums hat Edition Olms eine erweiterte Neuauflage des
Werkes "Meine besten Kämpfe" veröffentlicht, Euro 19,95.
Wer die Begeisterung genießen will, die Kortschnoj beim Schach empfindet, dem
seien seine beiden DVDs "My
Life for Chess, Vol 1 und 2 empfohlen.