Happy Birthday, Viktor!

von ChessBase
23.03.2011 – Mit Viktor Kortschnoj feiert heute einer der ganz Großen des Schachs seinen 80sten Geburtstag. Sein Schachleben beginnt in den frühen 1940er Jahren in Leningrad und umspannt mehrere Generationen. Kortschnoj war Zeitgenosse und Rivale der Spielergeneration um Petrosian, Geller oder Tal. Er unterlag dem jüngeren Boris Spassky auf dessen Weg zum WM-Titel, besiegte ihn später jedoch vor dem Schachkrieg in Baguio City. Die WM-Kämpfe gegen Karpov 1978 und 1981 haben ABBA zum Musical Chess inspiriert. Später ist Kortschnoj ganz "Sportsmen" und tritt 1983 gegen den jungen Kasparov an, obwohl dieser eigentlich schon kampflos verloren hatte. Auch im hohen Alter kann Kortschnoj schachlich überall mithalten, wie er noch vor Kurzem in der Schweizer Liga bewies, als er dort alles in Grund und Boden spielte und wie er zuletzt beim Turnier in Gibraltar zeigte. Am Wochenende feiert die SG-Zürich den Jubilar mit einem Bufeet in Zürich. Zahlreiche Ehrengäste werden erwartet, darunter Garry Kasparov. Ein Leben für das Schach...

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Zum 80sten Geburtstag von Viktor Kortschnoj
Von André Schulz

Der Spruch "Mein Leben für das Schach" trifft wohl auf niemanden mehr zu, als auf Viktor Kortschnoj. Deshalb führt seine Autobiografie, 2004 bei Edition Olms erschienen, auch zurecht diesen Titel. Heute feiert der seit langem in der Schweiz lebende Großmeister seinen 80sten Geburtstag und Schach war diesen 80 Jahren zum allergrößten Teil der Lebensmittelpunkt von von Kortschnoj.

Viktor Lvovich Kortschnoj (Ви́ктор Льво́вич Корчно́й) wurde in Leningrad geboren, das heute nach der Änderung der politischen Machtverhältnisse in Russland, wieder seinen alten Namen St. Petersburg trägt. Die Familie war jedoch polnisch-ukrainisch und stammte sie aus dem Süden der Ukraine. 1926 waren die Eltern vor Hunger und Bürgerkrieg in die russische Metropole geflohen. In den 1920er und mehr noch in 30er Jahren führten die Bolschewiki unter Lenin und Stalin in der Ukraine und in anderen Teilen ihres Herrschaftsgebietes zahlreiche Kampagnen gegen die "Kulaken", die bäuerlichen Grundbesitzer durch, die in mehrere z.T. auch gewollte, Hungerkatastrophen führten. Im so genannten "Holodomor" starben in der Sowjetunion zu jener Zeit geschätzte 10 Mio. Menschen einen grausamen Hungertod.

Die Familie Kortschnoj war eine solche begüterte Gutsbesitzerfamilie, somit ein Klassenfeind, brachte sich aber rechtzeitig durch Flucht in Sicherheit, insofern das Wort Sicherheit zu jener Zeit irgendeine eine Bedeutung hatte. Die Eltern lebten jedoch bald im Zwist miteinander. Die Mutter arbeitete als Musiklehrerin. Der Vater war ursprünglich Lehrer für Literatur und Sprache, arbeitete dann aber als Ingenieur in einer Backwarenfabrik. Im Streit um das Sorgerecht für ihren Sohn Viktor, am 23. März 1931 in Leningrad geboren, denunzierte die Mutter den Vater bei der örtlichen Leitung der Kommunistischen Partie, wo dieser Mitglied war, als heimlichen Kirchgänger. Freunde bewahrten den Beschuldigten vor dem Rauswurf aus der Partei. Viktor wuchs bei seinem Vater und seiner der polnischen Großmutter auf. Als "Wohnung" hatten die drei ein einziges Zimmer von vier mal vier Meter. Die Großmutter schlief in einem Bett, der Vater auf der Couch und der kleine Viktor auf zusammen geschobenen Stühlen in der Mitte des Raumes. Als kultivierter Mensch investierte der Vater aber trotz großer Armut in die Ausbildung seines Sohnes und ließ diesen u.u. sogar deutsch lernen, was ihm später einmal, wie sich herausstellte, nützlich sein würde. Auch Schach brachte der Vater ihm bei.

Als Zehnjähriger erlebt Viktor Kortschnoj den Beginn der Blockade Leningrads durch die deutsche Wehrmacht. Diese dauerte vom 8. September 1941 bis zum 27. Januar 1944. Die Stadt konnte nur noch notdürftig über den Ladogasee versorgt werden. Bis zum Abzug der Wehrmacht starben in Leningrad etwa 470.000 Menschen, zumeist an Unterernährung - darunter auch Viktors geliebte Großmutter. Schon im Jahr 1943 begann das Leben in Leningrad sich allmählich zu normalisieren, schreibt Kortschnoj in seiner Biografie. Der Junge ging zur Schule, las viel, lernte Klavierspielen und beschäftigte sich auch intensiv mit Schach. Das Musizieren musste Kortschnoj bald aufgeben, da er kein Geld für ein eigenes Instrument hatte. Eigentlich wäre er daraufhin gerne Schauspieler geworden, aber wegen zu schlechter Aussprache musste er auch diesen Plan aufgeben. Übrig blieb das Schach. 1946 wurde er Jugendmeister von Leningrad. Im Jahr darauf gewann Kortschnoj auch den Jugendtitel der UdSSR. Selbstkritisch stellt er schon damals fest, dass seine Stärken in der Verteidigung und im Endspiel liegen, während er im Mittelspiel viel schlechter als andere war. Bei der Analyse einer Partie mit einem anderen Jugendlichen erfuhr der spätere Großmeister, dass sein Gegner die Partie gegen ihn verlieren "musste".  Wer die Partie für den neuen Meister "gekauft" hatte, sein Trainer Zak oder jemand anderes, konnte Kortschnoj nicht in Erfahrung bringen. Aber so lernte der kommende Schachmeister schon gleich eine "professionelle" Einstellung, kommentierte Kortschnoj bittersüß in seiner Biografie diese Episode: "Alles wird verkauft oder gekauft!"


Der 16-jährige Viktor Kortschnoj, 1947

Nach der Schule wurde Kortschnoj ein Studium nahe gelegt. Er entschied sich für das Fach Geschichte, hatte aber vom Studium derselben in der UdSSR eine völlig falsche Vorstellung, wie sich bald heraus stellte. Statt der Lehren der Geschichte wurde ihm die Lehre des Marxismus vermittelt und er musste sich mit den Erkenntnissen von Pseudowissenschaften wie den "dialektischem Materialismus" plagen, erinnert sich Kortschnoj später. Sechs verlorene Jahre verbrachte Kortschnoj an der Universität, hatte aber in dieser Zeit auch Gelegenheit, an Schachturnieren teilzunehmen. 1949 führte er am ersten Brett die Mannschaft von Leningrad zum Sieg. Mannschaftskollegen waren Spasski und Lutikov. Seine zweibändige DVD "My Life for Chess" beginnt mit einer Partie aus diesem Turnier gegen Golenichev. Das Angebot, Training von Tolusch zu nehmen, lehnte Kortschnoj aus falsch verstandenem Stolz ab. Später entwickelt sich Spasski mit Tolusch viel schneller als Kortschnoj es alleine gelang. Kortschnoj lernte jedoch in dieser Zeit, zu kämpfen.

1951 wird er Sowjetischer Meister des Sports und ist nun in der UdSSR ein Prominenter. 1952 beendet er die UdSSR-Meisterschaft als Debütant als Sechster. Im folgenden Jahr begegnete der 22-Jährige beim Wettkampf Leningrad-Lettland dem 16-jährigen Tal. Im Laufe der Partie hatte Tal einen Bauern weniger, Kortschnoj einen mehr. Tal bot wegen ungleicher Läufer Remis an. Kortschnoj lehnte wegen der Schwerfiguren, die auch noch auf dem Brett waren, ab und gewann im 94.Zug. Von da an war Tal, der später immerhin Weltmeister wurde "geimpft", denn er konnte niemals gegen Kortschnoj eine Partie gewinnen.

Die besten Sportler des Landes wurden in der UdSSR mit einem "Stipendium" unterstützt. Dieses war abhängig von den Leistungen höher oder niedriger. Der Höchstsatz betrug in den 60er und 70er Jahren 300 Rubel, was nach offiziellem Umtauschsatz 430 Dollar entsprach und etwa das Doppelte des monatlichen Durchschnittsverdienstes in der Sowjetunion war. 1954 durfte Kortschnoj erstmals in Bukarest an einem Auslandsturnier teilnehmen. Dort trifft er Bob Wade, der ihm geduldig einige englische Sätze beibringt. 1955/56 nimmt er am Turnier in Hastings teil und teilt den ersten Platz mit dem späteren FIDE-Präsidenten Fridrik Olafsson. Die ersten drei Preise waren damals übrigens 60, 40 und 20 Pfund. Mehr gab es nicht. Gleich danach spielt Kortschnoj bei der UdSSR-Meisterschaft mit, gewann diese und erhielt nun die Auszeichnung "Großmeister der Sowjetunion". Sein Abzeichen trug die Nummer 17. Er war also der 17. Großmeister des Landes seit dessen Gründung. Kortschnoj gehörte nun zum Establishment.

In seiner Autobiographie lässt Kortschnoj seinen weiteren Aufstieg Revue passieren, der ihn bis in die sowjetische Nationalmannschaft und in die Weltspitze führt. Partieabsprachen, Rivalität und Intrigen unter den sowjetischen Großmeistern waren dabei an der Tagesordnung. Beim Interzonenturnier in Stockholm 1962 unterliegt Kortschnoj Robert Fischer, der auf dem Wege ist, den Sowjetspielern die Vormachtstellung im Weltschach streitig zu machen. Fischer gewinnt das Turnier überlegen und wird fortan unter dem Einfluss der sowjetischen Schachpresse als Flegel verunglimpft. Beim Kandidatenturnier in Curacao sprechen Petrosian, Geller und Keres ihre Partien zu kurzzügigen Remisen ab, sparen Kraft und konzentrieren sich auf ihre Rivalen Kortschnoj , Tal und vor allem Fischer. Letzter wird auf diese Weise als WM-Herausforderer ausgebootet.


Curacao 1962

Ein KGB-Aufpasser, der die Sowjetdelegation begleitet hatte, schwärzte Kortschnoj nach dem Turnier bei der UdSSR-Schachföderation an. Die Verfehlung: Kortschnoj hatte ein Spielcasino besucht. 1962 und 1964 wurde Kortschnoj daraufhin nicht für die Schacholympiaden berücksichtigt. 1963 hätte Kortschnoj eigentlich am Piatigorsky-Cup in den USA teilnehmen sollen, die Organisatoren hatten ihn eingeladen, doch Petrosian sorgte dafür, dass stattdessen er selber teilnahm. Von dieser Intrige erfuhr Kortschnoj erst 1977, nachdem er die UdSSR verlassen hatte. 1963 gab Kortschnoj bei einem Besuch in Havanna mehrere Simultanvorstellungen, bei denen auch der schachbegeisterte Industrieminister Ernesto (Che) Guevara mitspielte. Kortschnoj, der zuvor schon zweimal gegen Guevara gewonnen hatte, wurde gebeten, eine Partie gegen den Minister vielleicht auch einmal aus Höflichkeit remis zu geben, gab dem Ansinnen aber mit einer Begründung nicht nach, die später von Tal berichtet wurde: "Wie kann ich remis geben, er hat ja keine Ahnung von Katalanisch!"

Mitte der 1960er Jahre entstanden zwischen Kortschnoj und der Verbandsführung erste Spannungen, teils weil andere Spieler bevorzugt wurden teils weil Kortschnoj den Wünschen des Verbandes an bestimmten Turnieren teilzunehmen nicht nachkam. Mit Petrosian und Geller hat Kortschnoj zudem zwei Feinde, die bei jeder Gelegenheit mehr oder weniger heimlich gegen ihn arbeiten. Bei einer Reise nach Bad Ems wurde Kortschnoj angeboten, in Deutschland zu bleiben, doch Kortschnoj lehnte mit Hinweis auf seine besonders bevorzugte Stellung als einer der besten Schachspieler der UdSSR ab. Noch.

In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre erreichte der Leningrader seinen ersten Zenit. Er nahm an den Kandidatenwettkämpfen teil, besiegte in den Matches Reshevsky und Tal, schied dann aber gegen den späteren Weltmeister Spasski aus. Bei einem Besuch in der Tschechoslowakei, kurz nach dem Einmarsch der Roten Armee zur Niederschlagung des Prager Frühlings, lernte Kortschnoj die Realität in den unterdrückten kommunistischen Satellitenstaaten kennen. Mit Ludek Pachmann wurde hier auch ein Schachgroßmeister inhaftiert und mehrere Jahre gefangen gehalten. Keres, mit dem Kortschnoj die Reise unternommen hatte, traf sich heimlich mit Oppositionellen, doch das Treffen wurde verraten. Keres wird nach der Rückkehr gemaßregelt und hält Kortschnoj für den Verräter, doch es war der gefeierte Langstreckenläufer Emil Zatopek, der das Treffen der Oppositionellen verraten hatte. 1973 trifft Kortschnoj den inzwischen aus der CSSR ausgewiesenen Pachmann in Solingen wieder und der Tscheche erzählt ihm die Details des Verrats.

1970 bei der UdSSR-Landesmeisterschaft in Riga nahmen auch einige "Jugendliche" teil, darunter Karpov, Vaganjan und Podgajec, mit denen Kortschnoj hier noch "kurzen Prozess" machte. In den Kandidatenwettkämpfen 1971 trifft Kortschnoj auf seinen Intimfeind Geller, den er aber klar besiegen kann, auch weil er zuvor mit Karpov ein Trainingsmatch gespielt hatte. Allerdings verlor Kortschnoj dabei seinen alten Trainer Semjon Furman, der nun für Karpov arbeitete. In einem weiteren Match zerriss Fischer, nach einer Pause nach dem Interzonenturnier von Sousse 1967 wieder ins Profischach zurückgekehrt, Mark Tajmanov mit 6:0. Das Ergebnis war für das ganze Sowjetschach sehr demütigend. Deshalb wurde Tajmanov nach seiner Rückkehr gemaßregelt. Zum Anlass nahm man ein Solzhenyzin-Buch und ein paar nicht-deklarierte Dollar, die man bei der Einreise in Tajmanovs Gepäck fand. Tajmanov verlor unter anderem seine Pension. Nach dem Sieg über Geller traf Kortschnoj in der nächsten Kandidatenrunde auf Petrosian. Es gab viele Remisen und am Ende entschied eine einzige Partie zugunsten von Petrosian. Auch wenn Kortschnoj in seiner Autobiographie darauf nicht recht eingeht, so gibt es dennoch hartnäckige Gerüchte, dass dieser Wettkampf abgesprochen gewesen sei. Die Idee solle darin bestanden haben, Petrosian gegen Fischer ins Rennen zu schicken, da dieser gegen den Amerikaner mutmaßlich die besseren Chancen haben würde. Genutzt hat die Absprache, falls es sie gab, jedoch nichts. Petrosian konnte Fischer auf dem Weg zum Titel auch nicht stoppen.

Als Kortschnoj und Petrosian beim nächsten Kandidatenzyklus erneut aufeinander trafen, kam es auf der Bühne des Theaters in Odessa, wo das Match gespielt wurde, zum offenen Streit. Bei eigenem Rückstand protestierte Petrosian gegen das Ergebnis und verlangte, den Gewinn zugesprochen zu bekommen, da er sich durch Kortschnoj gestört fühlte. Der Protest wurde abgewiesen, Kortschnoj gewann den Wettkampf und wechselte mit Petrosian nie wieder ein Wort. 1974 kam es dann zum ersten Wettkampf zwischen Kortschnoj und Karpov.


1974

Der neue Star des Sowjetschachs war jünger, entsprach mehr dem Ideal des Sowjetmenschen und machte auch sonst niemals den Eindruck, er würde sich jemals anders verhalten als die Verbandsführung und die Führung der Sowjetunion von ihm erwartete. So genoss er die volle Unterstützung, während Kortschnoj mehr oder weniger auf sich allein gestellt war. Kortschnoj verlor den Wettkampf und Karpov wurde daraufhin später Weltmeister, denn Fischer trat zur Titelverteidigung nicht an. Als Kortschnoj sich bald danach in einem Interview abfällig über Karpov äußerte, wurde eine Kampagne gegen ihn eingeleitet. Er hatte sich vor dem Sportkomitee zu rechtfertigen, wurde für ein Jahr für die Nationalmannschaft gesperrt und seine Pension wurde um ein Drittel gekürzt. Petrosian nutzte die Gelegenheit, um in der Schachpresse gegen seinen alten Feind zu hetzen. Es gab keine Einladungen mehr zu Lektion oder Simultanveranstaltungen für Kortschnoj und vorübergehend auch keine Auslandsturniere.

Als Kortschnoj dann doch wieder im Ausland spielen durfte, begann er heimlich Papiere, Dokumente, Fotos, Bücher, etc., in den Westen zu schaffen. Der Leningrader Großmeister hatte den Entschluss geschafft, die Sowjetunion irgendwann zu verlassen. Während des Turniers in Amsterdam 1976 gab Kortschnoj ein sehr offenherziges Interview, in dem er auch den bevorstehenden Boykott der UdSSR gegenüber der Schacholympiade Haifa kritisierte. Das Interview wurde sogleich auch in der UdSSR veröffentlicht und Kortschnojs Freunde in den Niederlanden mutmaßten, dass er danach wohl nie wieder aus der UdSSR werde ausreisen dürfen. Kortschnoj sah nun den Zeitpunkt gekommen, nicht mehr in die Sowjetunion zurück zu kehren.


August 1976

Er beantragte Asyl. versteckte sich in den Niederlanden und hatte eine Heidenangst, dass ihm das gleiche passieren würde, wie anderen Prominenten, die aus der Sowjetunion geflohene waren: vom Geheimdienst entführt, zusammen geschlagen oder umgebracht zu werden. Nachdem seine Flucht bekannt geworden war, mussten die russischen Großmeister eine gemeinsame Erklärung unterschreiben, in der sie das Verhalten von Kortschnoj verurteilten. Nur Gulko und Botvinnik weigerten sich, Spassky war schon nach Frankreich ausgereist und befand sich ebenfalls nicgt auf der Liste. Von nun an wurde Kortschnoj wie zuvor Ludek Pachmann von den Sowjet-Großmeistern boykottiert.

Kortschnoj war im Westen ein von den Medien gefragter Mann. Er wurde u.a. in die Schweiz zu Simultanveranstaltungen eingeladen und lernte dort seine spätere Frau Petra Leeuwerik kennen, eine Deutsche, in Leipzig geboren, die nach dem Krieg in Wien von den Sowjets in ein Lager nach Sibirien verschleppt worden war. Man hatte sie der Tätigkeit in einer missliebigen Leipziger Studentenorganisation verdächtigt. Später hatte sie einen Holländer geheiratet.

Da man Kortschnoj nicht bestrafen konnte, rächte sich die Sowjetunion an dessen in der UdSSR zurück gebliebenen Familie, besonders seinem Sohn Igor. Dieser wurde in seinem Studium behindert, schließlich als Wehrdienstverweigerer verhaftet und später in ein Lager geschafft. Zudem hatte man über den Sohn die Möglichkeit, Kortschnoj bei den kommenden Kandidatenwettkämpfen, die man nicht boykottieren konnte, unter Druck zu setzten. Das Los wollte es, dass der Dissident Kortschnoj nacheinander gegen drei Sowjet-GMs anzutreten hatte, bis er schließlich sogar am Thron von Weltmeister Karpov rüttelte. Kortschnoj wurde nun zu "Viktor, dem Schrecklichen", auf jeden Fall für das Sowjetschach, und die folgenden Wettkämpfe wurden zum Stellvertreterkrieg zwischen dem "System der Unterdrückung", verkörpert durch die UdSSR-Spieler und der "Freiheit", die Kortschnoj symbolisierte. Während die Sowjets jedoch mit der vollen Unterstützung ihres Schachverbandes und zahlreichen Helfern antraten, stand Kortschnoj praktisch alleine da, unterstützt von einigen wenigen Mitstreitern und Petra Leeuwerik.


Petra und Viktor Kortschnoj

Als erstes wurde Petrosian besiegt. Dann gewann Kortschnoj auch das Match gegen Polugajewski. Nach diesem Wettkampf bekam Kortschnoj an Angebot des Mäzens Wilfried Hilgert und unterschrieb für ein festes Monatsgehalt von 2500 D-Mark bei der SG-Porz. Als Gegenleistung spielte er für Porz in der Bundesliga und musste einmal im Monat beim Clubabend erscheinen. 1977 reiste er in die USA und in Pasadena kam es zu einem Treffen mit Bobby Fischer, der ihn zuvor zu seiner Fluch beglückwünscht hatte. Das Match mit Boris Spassky, den Kortschnoj ja seit vielen Jahren kannte, und mit dem ihn ein freundschaftliche Verhältnis verband, fand in Belgrad statt. Die beiden Spieler hatten sich auf das blockfreie Jugoslawien als Austragungsort geeinigt. "Wir  begannen das Match als Kollegen, und beendeten es als Feinde," schreibt Kortschnoj. Kortschnoj gewann ungefährdet und stand nun als Herausforderer von Karpov fest - der Krieg von Baguio City 1978 konnte beginnen. Im Vorwege hatte der Dissident geglaubt, die Philippinnen seien - weit weg von der Sowjetunion- ein neutraler und für den KGB schwer zu erreichender Austragungsort. Doch das war ein Irrtum. Der Organisator Campomanes wurde vom KGB als Agent angeheuert und hat im Verlauf des Wettkampfes Karpov und die russische Delegation nach Kräften unterstützt. Im Gegenzug haben die Sowjets ihn später bei seiner Kandidatur als FIDE-Präsident unterstützt. Die Sowjetdelegation reiste mit großen Containern an und Kortschnoj fühlte sich abgehört. Außerdem glaubte der Leningrader, dass die Sowjets ihm mit Hilfe von Parapsychologen zusetzten. Es gab Streit darüber, wo der vermeintliche Parapsychologe, der Kortschnoj aus dem Zuschauerraum anstarrte, sitzen dürfe. Kortschnoj wehrte sich schließlich damit, dass er einen indischen Guru einflog, der den Parapsychologen "neutralisieren" sollte. Zudem ließ er die Joghurts beanstanden, die Karpov während der Partien gereicht wurden. Die Farbe des Joghurts könnte schließlich eine Bedeutung haben. Kortschnoj verlor den Wettkampf ganz knapp mit 16,5:15,5. In der letzten und entscheidenden Partie hatte er als Überraschung die Pirc-Verteidigung gewählt, doch während der Partie, die schließlich verloren ging, das Gefühl, dass Karpov bestens darauf vorbereitet war, so als ob er die Wahl der Eröffnung schon vorher gekannt hätte. Nach dem Ende der Sowjetunion gab Tal, der in Baguio als Karpov-Sekundant bestellt war, an, im Falle eines Sieges von Kortschnoj hätte der KGB diesen umbringen wollen.

Drei Jahre später in Meran war es erneut Kortschnoj, der Karpov herausforderte.


Meran 1981

Diesmal war die Atmosphäre nicht ganz so gespannt wie in Baguio City und die Kräfteverhältnisse auch nicht so ausgeglichen wie beim vorherigen WM-Match. Karpov gewann recht glatt. Kortschnojs Stationen auf dem Weg zum WM-Kampf waren erneut Petrosian und Polugajevsky und schließlich Hübner gewesen. Im folgenden Zyklus erreichte Kortschnoj nicht mehr das Finale, spielte aber dennoch eine besondere Rolle. Im innersowjetischen Schach-Machtkampf hatte man diesmal versucht, den jungen Emporkömmling Kasparov auszubooten. Mit Hilfe des willfährigen FIDE-Präsidenten Campomanes wurde als Austragungsort für den Wettkampf Kortschnoj gegen Kasparov Pasadena ausgewählt und dann Kasparov erklärt, dass er als Sowjetbürger in den USA nicht spielen könne. Wegen des Einmarsches der Roten Armee in Afghanistan hatte die USA und viele Weststaaten die Olympiade 1980 boykottiert. Die Beziehungen waren schlecht. Kasparov durchschaute den Winkelzug erst, nachdem Kortschnoj schon kampflos zum Sieger erklärt worden war. Dann sprang dem jungen Großmeister aus Baku der örtliche KGB-Chef und spätere erste Staatspräsident des unabhängigen Aserbaidschach Heydar Alijev zur Seite, der auch in Moskau großen Einfluss hatte. Dieser setzte durch, dass mit Kortschnoj noch einmal wegen einer Neuaufnahme gesprochen wurde. Der Wahlschweizer stimmte zu, stellte aber Forderungen, u.a., dass man das Boykott der Sowjetgroßmeister gegen ihn aufhob.


Kasparov und Kortschnoj 2006 in Zürich

Kasparov gewann den Wettkampf, der nun in London stattfand, und wurde am Ende Weltmeister.


Kortschnoj und Spassky beim Aeroflot-Open in Moskau

Danach beruhigten sich die Gewässer, endgültig als 1990 die Sowjetunion zerfiel. Kortschnoj lebte inzwischen in der Schweiz, seit 1992 ist er Schweizer Bürger, und gehörte als starker Großmeister auch im fortgeschritten Alter zur Weltspitze. Mit ihm am 1. Brett erlangte auch die Schweizer Nationalmannschaft an gewicht. Anders als z.B. sein viel jüngerer Rivale Karpov schaffte Kortschnoj als einer der wenigen Spieler seiner Generation - vielleicht als einziger - den Sprung ins Computerzeitalter, Vielleicht ist dies einer der Gründe, warum er trotz fortschreitenden Alters viel weniger schnell an Spielstärke abbaute als andere. Natürlich hasste Kortschnoj aber "die verdammte Maschine", und hätte sie am liebsten bei nächster Gelegenheit aus dem Fenster geworfen. Seine Frau Petra war diejenige, die dafür verantwortlich war, dass die Maschine ihre Aufgaben erfüllt und dem Meister die gewünschten Informationen in der ChessBase-Datenbank zur Verfügung stellt. Dies gelang ihr einigermaßen, auch mit Hilfe vieler Telefonkonferenzen mit der Hamburger ChessBase-Zentrale, wo sie praktisch jeden Mitarbeiter persönlich kennt. Als Kortschnoj noch regelmäßig in Biel mitspielte, hatte ich einmal Gelegenheit, seine Arbeitsweise zu beobachten. Neben der Tastatur seines Computers stand ein kleines Taschenschach. Der zweifache Vizeweltmeister suchte in der Datenbank nach bestimmten Varianten oder Partien, stellt dann aber die Positionen auch noch auf seinem Taschenschach nach!


Kortschnoj mit Ehrendoktorhut der Universitär von Chisinau

Auch mit Siebzig Jahren und danach eilte Kortschnoj von Turnier zu Turnier, von Einladung zu Einladung. Wenn möglich nahm er jede Einladung an, auch an entlegenen Orten. "Wenn ich die Einladung nicht annehme, werde ich vielleicht beim nächsten Mal nicht mehr eingeladen", lautete seine Begründung. "Mein Leben für das Schach", ist eine Formel, die für niemanden mehr gilt, als für diese große Schachpersönlichkeit.

Happy Birthday, Viktor!

 


Die SG Zürich und Dr. William Wirth, der in diesem Jahr ebenfalls seinen 80sten Geburtstag feiert, ehren den Jubilar am nächsten Wochenende mit einem Empfang in Zürich. Zahlreiche Ehrengäste werden erwartet, unter anderem Gary Kasparov.

Die meisten Informationen zum Lebenslauf von Viktor Kortschnoj wurden seiner Autobiographie "Mein Leben für das Schach" entnommen: Edition Olms, 2004, Euro 29,95.

Anlässlich seines Jubiläums hat Edition Olms eine erweiterte Neuauflage des Werkes "Meine besten Kämpfe" veröffentlicht, Euro 19,95.

Wer die Begeisterung genießen will, die Kortschnoj beim Schach empfindet, dem seien seine beiden DVDs "My Life for Chess, Vol 1 und 2 empfohlen.



 





Die ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.

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