Herausragend: John Donaldsons "Bobby Fischer and His World"

von Johannes Fischer
09.03.2021 – Heute vor 78 Jahren, am 9. März 1943, kam Bobby Fischer zur Welt. Über keinen anderen Schachspieler wurde so viel geschrieben wie über Fischer und vor kurzem hat der amerikanische Internationale Meister und Schachhistoriker John Donaldson ein weiteres Buch über den 11. Schachweltmeister veröffentlicht: "Bobby Fischer and His World". Gut recherchiert und spannend geschrieben zeigt es die vielen Facetten der widersprüchlichen Persönlichkeit Fischers – und ist so eines der besten, ja vielleicht sogar das beste Buch, das je über Fischers Leben geschrieben wurde.

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Kein anderer Weltmeister erreichte auch über die Schachwelt hinaus eine derartige Bekanntheit wie Bobby Fischer. Auf dieser DVD führt Ihnen ein Expertenteam die Facetten der Schachlegende vor und zeigt Ihnen u.a die Gewinntechniken des 11.Weltmeisters

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John Donaldson: Bobby Fischer and His World - Eine Rezension

Bobby Fischers Leben ist voller Widersprüche: Mit sechs Jahren lernte er Schach, mit 14 war er das erste Mal US-Meister, mit 15 Großmeister, damals und bis 1992, als Judit Polgar diesen Rekord brach, der jüngste der Welt.

1972 wurde er Weltmeister und löste in den USA und vielen anderen Ländern der Welt einen Schachboom aus, doch er selbst spielte nach dem Titelgewinn er zwanzig Jahre keine offizielle Partie mehr.

Fischers Mutter Regina war Jüdin, genau wie sein leiblicher Vater, aber Fischer selbst machte immer wieder durch antisemitische Tiraden Schlagzeilen. Nach seinem Sieg im WM-Kampf 1972 gegen Boris Spassky wurde Fischer in den USA gefeiert, später sorgte er mit anti-amerikanischen Statements für Aufsehen.

2004 verlangte die US-Regierung von Japan, Fischer in die USA auszuliefern, um ihn dort wegen Steuerhinterziehung vor Gericht zu stellen – was wahrscheinlich zu einer langjährigen Gefängisstrafe geführt hätte. Daraufhin machte Island Fischer zum Isländer und so lebte Fischer die letzten Jahre seines Lebens in Reykjavik, wo er am 17. Januar 2008 im Alter von 64 Jahren gestorben ist.

Bobby Fischers Grab in Reykjavik | Foto: Gerd Densing

Doch Donaldsons Bobby Fischer and His World ist keine klassische Biographie, die das Leben ihres Helden Jahr für Jahr detailliert nachzeichnet. Stattdessen konzentriert sich Donaldson auf entscheidende Momente in Fischers Laufbahn, die er genauer beleuchtet. So schreibt Donaldson in der Einleitung:

Ich suchte nach Antworten auf eine Reihe bohrender Fragen über den 11. Schachweltmeister. Wer war Fischers Schachlehrer? Wie ist es Bobby gelungen, von Anfang Juni 1955 bis Ende August 1958 so eine enorme Steigerung der Spielstärke zu erreichen? Woher stammt sein enormer Hass auf die Regierung der USA? Warum, wo doch seine Mutter Ärztin und seine Schwester Krankenschwester waren, hatte er eine solche Abneigung gegen westliche Medizin? Warum hat Fischer einen Wettkampf gegen Spassky gespielt, nachdem so viele andere geplante Wettkämpfe nie zustande kamen? Was geschah mit seinem Besitz, vor allem den Dingen, die verloren gingen, nachdem der Inhalt seines Speicherraums versteigert wurde? ... Während meiner Nachforschungen ... erkannte ich, dass die Berichte aus erster Hand, Dokumentationen und Meinungen (von denen manche anderen widersprochen haben), die ich von Spielern, Freunden, Förderern, und anderen Menschen aus Fischers Umfeld eingeholt hatte, sich zu einer Geschichte verwoben. Und diese Geschichte hat sich zu diesem Buch entwickelt, ein Porträt von Fischers Welt. (S. XIII)

So kommen in diesem Buch erstaunlich viele Zeitzeugen, Freunde und Bekannte von Fischer zu Wort und vermitteln ein lebhaftes und vielschichtiges Bild Fischers, von seinen Jugendjahren in New York, in denen er erste Schritte in die Schachwelt unternahm, über die "Dunklen Jahre" bis hin zu Fischers Tod in Reykjavik. Viele Facetten dieses Bildes sind bekannt – Fischers Paranoia, sein Misstrauen, sein Antisemitismus, seine Liebe zum Schach, sein Ehrgeiz und Siegeswillen – aber zugleich verweisen die Berichte auch auf andere Seiten von Fischer: seine Freundlichkeit, seine Aufrichtigkeit, sein jungenhafter Charme.

Fischers Leben ist gut dokumentiert und erforscht, aber dennoch stieß Donaldson bei seinen Recherchen auf eine ganze Reihe wenig bekannter Menge Fakten. So berichtet er von Fischers kurzer Karriere als Fernschachspieler oder erzählt, wie Fischer einmal beauftragt wurde, Partien abzuschätzen, oder er erzählt, wie Fischer Anfang Juni 1972, also kurz vor Beginn seines Wettkampfs gegen Spassky in Reykjavik, am "Zweiten Dewar’s Sports Celebrity Tennis Tournament" in Kalifornien teilnahm, einem Turnier, in dem etwa 60 der besten Sportler der USA im Tennis gegeneinander antragen, darunter so bekannte Namen wie die Basketballlegende Elgin Baylor, Boxstar Joe Frazier oder der damals noch als Football-Spieler bekannte O. J. Simpson. Trotz aller dieser Berühmtheiten aus der Welt des Sports stand, so Donaldson, "Bobby im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit" und Zeitungsberichten zufolge haben etliche der großen Sportstars Fischer um ein Autogramm gebeten.

Auch wichtige, bislang wenig bekannte Personen, die in Fischers Leben eine große Rolle gespielt haben, hat Donaldson aufgespürt. Eine davon war Lina Grumette (1908-1988), sechsfache US-Frauenmeisterin, die Fischer kennengelernt hatte, als er im Juli 1957 während eine Reise bei ihr in Los Angeles. Sie wurde so etwas wie eine zweite Mutter für Bobby und reiste 1972 in der kritischen Phase des WM-Kampfs gegen Spassky nach Reykjavik und trug maßgeblich dazu bei, dass Fischer den Wettkampf zu Ende spielte und Weltmeister wurde. (Vgl. S. 119 bis 121)

Es sind auch diese zahlreichen kurzen Biographien von Menschen, die Fischers Weg gekreuzt haben, die Donaldsons Buch so spannend, interessant und lesbar machen. Man erfährt durch sie nicht nur etwas über Fischer, sondern auch über die Schachwelt in den USA, und Spieler, deren Namen man vielleicht nur kennt, weil sie in einer Datenbank oder einem Buch als Gegner von Fischer auftauchen, werden plötzlich lebendig. Ein Beispiel dafür ist Ron Gross, den Fischer bei der US-Jugendmeisterschaft 1955 kennengelernt hatte.

Bobby Fischer 1957 | Foto: Robert Walker, New York Times

Bald danach zog Gross nach New York und die beiden Jugendlichen machten die Schachszene New Yorks unsicher. Auch als sich ihre Wege trennten und Gross zum Studium nach Kalifornien zog, blieben sie bis in die 80er Jahre hinein Freunde. Fischer besuchte ihn regelmäßig und auch nach 1972, als Fischer sich vor der Öffentlichkeit versteckte, gingen die beiden zusammen fischen oder reisten nach Mexiko. Bis Fischer sich wegen eines Zeitungsartikels, den er nicht einmal gelesen hatte, von Gross verraten fühlte, und die Freundschaft mit einem kurzen Telefonanruf beendete.

Einen guten Eindruck von der Welt Bobby Fischers vermitteln auch die zahlreichen phantastischen Schwarz-Weiß Bildern, mit denen das Buch illustriert ist. Sie reichen von Bildern, die den 13-jährigen Fischer am Brett zeigen bis hin zu Aufnahmen, die am Ende von Fischers Karriere entstanden sind.

Großen Wert legt Donaldson, der Internationaler Meister ist und bereits zwei Großmeisternormen erzielt hat, auch auf das schachliche Erbe Fischers. Er präsentiert etliche bekannte Partien von Fischer, hat aber auch zahlreiche, bislang unbekannte Fischer-Partien entdeckt, die in diesem Buch vielleicht das erste Mal veröffentlicht werden.

Die gut und sehr gründlich recherchierte spannend geschriebene Darstellung der Welt Fischers mit ihren zahlreichen Berichte von Zeitzeugen, wunderbaren Fotos und die Würdigung des schachlichen Vermächtnisses von Fischer, machen dies zu einem der besten, wenn nicht sogar dem besten Buch, das je über das Leben dieses so widersprüchlichen und faszinierenden Schachgenies geschrieben worden ist.

John Donaldson, "Bobby Fischer and His World", 645 kartoniert, 1. Auflage, Siles Press 2020, ca. 29,95€. (Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von Schach Niggemann zur Verfügung gestellt.)

Über den Autor John Donaldson verrät der Klappentext des Buches Folgendes:

Inspiriert vom Weltmeisterschaftskampf zwischen Bobby Fischer und Boris Spassky begann John Donaldson im Herbst 1972 im Tacoma Chess Club Schach zu spielen. Er ist Internationaler Meister mit zwei Großmeisternormen und war bei 21 Schacholympiaden und Mannschaftsweltmeisterschaften Kapitän der U.S.-Mannschaften, darunter Luzern 1993 und Baku 2016, wo die Amerikaner den ersten Platz belegten. Er hat zahlreiche Artikel und Bücher geschrieben, unter anderem The Life & Games of Akiva Rubinstein: Vol. 1: Uncrowned King und Vol. 2: The Later Years und A Legend on the Road: Bobby Fischer’s 1964 Simultaneous Tour.

John Donaldson ist zusammen mit seiner Partnerin Holly und ihrer 18-jährigen Katze Seuss in Berkeley, Kalifornien, zu Hause.

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Johannes Fischer, Jahrgang 1963, ist FIDE-Meister und hat in Frankfurt am Main Literaturwissenschaft studiert. Er lebt und arbeitet in Nürnberg als Übersetzer, Redakteur und Autor. Er schreibt regelmäßig für KARL und veröffentlicht auf seinem eigenen Blog Schöner Schein "Notizen über Film, Literatur und Schach".

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