von Philipp Hillebrand
Key concepts of Chess – The Hedgehog, ein Fritztrainer von IM Herman Grooten
Vor einiger Zeit schrieb ich bereits eine Rezension über einen Fritztrainer zum Thema “Igel”, welchen GM Yannik Pelletier zusammenstellte. Große neue theoretische Neuerungen wird man auf dem vorliegenden Fritztrainer nicht erfinden und das ist auch gar nicht der Anspruch des niederländischen Trainer und Buchautoren. Man merkt bereits früh die große Erfahrung von Herman Grooten, die er beim Vermitteln von Ideen und Konzepten hat, daher auch der passende Titel seines dritten Teils, welcher sich ausschließlich einer bestimmten Struktur widmet. Obwohl Herman Grooten nicht so bekannt sein dürftest wie Yannik Pelletier, steht er ihm dennoch in nichts nach, wenn es darum geht Ideen, Pläne, Strategien und Taktiken zu vermitteln, welche auch von weniger erfahrenen Schachspielern nachvollzogen werden können dank der Art der didaktischen Vermittlung.
Key Concepts of Chess - The Hedgehog
The topic on this video course is the so-called “hedgehog system†which is characterised by at least four black pawns on the sixth rank which we call the “spikes†of the hedgehog.
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Dieser Fritztrainer ist sehr strukturiert aufgebaut und es geht von einzelnen Elementen strategischer oder taktischer Natur zu der Besprechung von Partien, welche der Autor selbst gespielt hat. Dies finde ich bei dieser Thematik absolut gerechtfertigt, denn es geht insbesondere beim Igel auch um viele psychologische Momente, und die kann ein Autor wesentlich authentischer besprechen, wenn er selbst an diesen Partien beteiligt war. Folglich ist die „Inhaltsangabe“ wie folgt:
I. Einführung
II. Lernen aus klassischen Igelpartien
III. Typische Pläne für den Anziehenden
IV. Typische Pläne für den Nachziehenden
V. Die Maroczy- Struktur gegen den Igel
VI. Partien des Autors
VII. Übungen
Zu I.
Der Autor stellt schematische Pläne und Hintergrundwissen zur Verfügung, wobei er die Diagramme an dieser Stelle mit den lediglich dafür relevanten Figuren und natürlich den Bauern bespricht:
Die Formation der schwarzen Bauern ist die namensgebende für den Begriff „Igel“, denn indem die Bauern des Nachziehenden das Zentrum und den Damenflügel im Bereich der fünften Reihe kontrollieren haben es die Figuren des Anziehenden sehr schwer dort einen Vorposten zu besetzen. Vor allem das Feld d5 ist eines, welches beide Seiten für sich maximal ausnutzen möchten. Die weißen Bauern e4 und c4 werfen einen Blick auf dieses strategisch wichtige Feld und wollen so auch den rückständigen schwarzen Bauern auf d6 unter Kontrolle halten. Dem Igel wohnen aber ganz besondere Dynamiken inne und aus meiner eigenen Erfahrung, sowohl mit den weißen, also auch mit den schwarzen Steinen weiß ich, dass je mehr man diesen Bauern unter Druck setzt, desto heftiger werden die Konter in aller Regel, vor allem dann, wenn der Durchbruch …d6-d5 erfolgt und dadurch die Kraft der schwarzen Figuren freigesetzt wird. Nicht selten wird deshalb auch der Hebel …b6-b5 genutzt, um das Feld d5 zu schwächen. Folglich muss der Anziehende stets drei Hebel in Betracht ziehen, den Zug …b6-b5, den Zug …d6-d5 oder die Kombination aus beiden.
Bereits diese Erkenntnis führt dazu, dass man sich auf viele taktische Sequenzen auf beiden Seiten gefasst machen muss. Das Gute daran aus Sicht des Nachziehenden ist, dass der Anziehende nicht schlicht warten kann, um seinen Raumvorteil zu genießen, denn wenn der Igel seine Stacheln ausfährt, dann kann es sehr schmerzhaft werden für den Anziehenden. Das Thema Raum besitzt ebenfalls einen besonderen Stellenwert im Igel, denn entgegen der Vermutung, dass der Anziehende aufgrund seines Raummangels nachteilig steht, ist ein Irrglaube, denn sogar von der Grundreihe ausstehend, können diese sehr wirkungsvoll sein:
Diese Stellung stammt aus der Partie Wintzer, J – Grooten, H, 0-1 (47), Lugano 1989. Der letzte Zug des Nachziehenden war 47…Db6-b8!, wonach der Anziehende die Waffen streckte.
Dieses Diagramm beinhaltet zugleich viele Elemente des Igels, denn der Anziehende kann oft auf dem Damenflügel große Fortschritte erzielen, aber dafür steht der weiße König am anderen Brettabschnitt oft gefährdet. Dazu zählen in der Regel die Anwesenheit der schwarzen Dame und der Aufzug des weißen f-Bauern, welcher die Diagonale g1-a7 schwächt. Der Damentausch ist mithin auch ein Element des Igels, welches der Nachziehende nicht anstreben sollte, trotz seines Raumnachteils, denn je mehr Figuren das Brett verlassen, desto anfälliger wird der schwarze Bauer d6 und der Raumnachteil kann sich dann verstärkt bemerkbar machen. Also gilt es als Nachziehender seine Chancen im Königsangriff zu suchen und das ist es, was der Igelspieler möchte, eine wilde Königsjagd!
Zu II:
In einer TV Partie (Bedenkzeit von 60 Minuten) gespielt zwischen dem damaligen Weltmeister Robert Fischer und dem aufstrebenden Ulf Andersson kam eine Igelstellung aufs Brett, wenngleich auch mit vertauschten Farben:
Hier sind es die Bauern des Anziehenden, welche den Igelaufbau charakterisieren und so wie sich der Nachziehende aufgebaut hat, soll der weiße Lb2 neutralisiert werden. Wie eben angemerkt, sucht der Igelspieler den gegnerischen König und der nun folgende Zug 13.Kh1!! unterstreicht dies. In der Folge soll mittels Tg1 und g2-g4-g5 dem schwarzen Monarchen eingeheizt werden. Wie so oft gelang es Fischer seine Pläne in nahezu glasklarer Form aufs Brett zu bringen und diese Partie war eine Art Startschuss für die Pioniere um die GMs Adorjan, Ribli und vor allem Suba, sich mit dem Igel zu beschäftigen. Sie trugen sehr instruktive und ästhetisch ansprechende Partien zu dieser Thematik bei uns es lohnt sich diese Klassiker anzuschauen, leider sind diese nicht auf diesem Fritztrainer zu finden, aber dieser möchte ja auch die ersten Schritte und Konzepte begleiten und die Partien dieser Akteure sind schon auf sehr hohem Niveau, insbesondre die Feinheiten in der Eröffnung. Demnach lohnt sich noch einmal der Blick zu dem Werk von GM Pelletier!
Zu III:
Etwas weiter oben merkte ich die Besonderheit des Feldes d5 an und es gibt Umstände, wo der Anziehende ohne Rücksicht auf Verluste einen Springer nach d5 stellen kann:
Dieser Rösselsprungnach d5 gewinnt immer dann an Kraft, wenn er mit Fesselungsmotiven entlang der c-Linie daherkommt. Es gibt auch Fälle, wo eine positionelle Dominanz völlig ausreichend ist als Kompensation, aber sofern sich die Gegenüberstellung der Schwerfiguren entlang der c-Linie ergibt, so kann man kaum von einem Opfer sprechen. Das unangenehme dabei ist aus Sicht des Nachziehenden, dass er es dem Anziehenden nicht gestatten kann, sich auf e7 zu bedienen, denn der Läufer ist eine der Schlüsselfiguren für das schwarze Spiel, sowohl für die Verteidigung des schwarzen Bauern d6, als auch für Kontermöglichkeiten gegen den weißen König. Nach der Zugfolge …exd5 cxd5 und dem darauffolgenden Nehmen auf c6 verbleibt der Nachziehende jedoch mit einer Ruine, was nicht zuletzt darin mündet, dass das Feld d5 für andere weiße Figuren genutzt werden kann. Der Autor spricht in diesem dritten Kapitel von „shaving the spines“, also dem Abrasieren der Stacheln. Dieses Bild passt sehr gut, denn es hilft dabei sich einige generelle strategische Ideen klar zu machen, und im Folgenden stellt der niederländische IM weitere Ideen zusammen, womit man der schwarzen Stellung unangenehm zu Leibe rücken kann. Dazu zählt der Einsatz des weißen a- Bauern, der Durchbruch um c4-c5 nach der Vorbereitung um b2-b4 und e4-e5. All diese Bauernzüge haben die Absicht bereits erwähnte Vorposten für die weißen Figuren zu schaffen, denn in solchen Fällen wirkt sich der Raumvorteil aus, weil nunmehr die schwarzen Bauern angegriffen werden können, bzw. die Figuren des Anziehenden deutlich mehr Aktivität ausstrahlen:
Oft ist es am Ende der schwarze Bauer auf a6, der zur Zielscheibe für die weißen Figuren wird, und was man auch nicht vergessen darf, sollten die Damen vom Brett verschwinden, so kann der weiße Monarch sehr fix und kräftig via f2-e3-d4 im Zentrum aktiv werden, folglich sollte der Anziehende stets ein waches Auge auf solche Durchbruch haben und unangenehme Endspiele vermeiden, wie es u.a. in einer Partie zwischen Zoltan Ribli und Andrei Sokolov im Jahre 1985 beim Lugano Open der Fall war.
Zu IV:
Die Bauerndurchbrüche um …d6-d5, …b6-b5 werden in diesem Abschnitt eingehender beleuchtet. Darüber hinaus auch der Plan, welchen Robert Fischer mit vertauschten Farben gegen Ulf Andersson in die Turnierpraxis einführte, dennoch lohnt es sich einmal aus Sicht des Nachziehenden dieses Angriffsschema zu betrachten:
Die Figuren des Nachziehenden haben sehr aggressive und aussichtsreiche Positionen eingenommen, vor allem der schwarze Königsläufer auf c7 spielt in vielen Abschnitten nach dem Bauernzug …d6-d5 eine wichtige Rolle, denn der Punkt h2 in der unmittelbaren Nähe des weißen Monarchen ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Brennpunkt. Wenn das Feld g3 frei zugänglich ist, macht sich der schwarze Sf6 auf die Reise dorthin via h5. Dieses Schach auf g3 ist meist sofort entscheidend, denn es zwingt den weißen König in ein Abzugsschach.
Diese Stellung stand in einer Blitzpartie zwischen Sergey Kasparov und Sergei Azarov auf dem Brett. Der Namensvetter des großen Champs spielt selbst mit den schwarzen Steinen den Igelaufbau und er weiß deshalb recht genau, was die schwarzen Figuren ausrichten können. Deswegen hat er sich auch schon präventiv mit Kg1-h1 und Be3-g1 um den neuralgischen Punkt h2 gekümmert. Dennoch hat der Nachziehende mehr Feuerkraft auf dem Königsflügel, was die Verteidigung unwahrscheinlich schwer zu organisieren macht.
Wie schon einmal erwähnt, sind es genau solche Königsangriffe, die man als Nachziehender spielen möchte. Dazu bietet es sich an, Partien von Sergey Shipov zu studieren, der auch zwei sehr beachtliche Bücher zum Igel geschrieben hat, das nun folgende Beispiel gehört rein thematisch zum Komplex „Durchbruch um …b6-b5“:
Diese Stellung kam zwischen Sergei Pestov und Sergei Shipov aufs Brett während eines Opens in Moskau 1994.
Der Abtausch des weißen Lg2 hilft oft dem Nachziehenden aus zwei Gründen. Zum einen ist der weiße König gegen Angriffe anfälliger geworden und zum anderen wird die Kontrolle über das Feld d5 geringer. Ebenfalls typisch ist dann auch das Auftauchen der schwarzen Dame auf b7, von wo aus sie nach g2 schaut, aber eben auch auf das Feld b5.
Zu V:
Dieser Abschnitt gefällt mir besonders gut, denn in diesem setzt sich der Autor mit den verschiedenen Anfangszügen des Anziehenden auseinander und erklärt sehr gut und nachvollziehbar die Finessen um 1.e4, 1.d4, 1.c4 und 1.Sf3, um als Nachziehender Stellungen zum Thema Igel zu erhalten. Folglich sind es in der Regel nach 1.e4 c5 Stellungen aus dem Sizilianer, die man erwarten kann, nach 1.d4 sind es oft Partien aus dem Dameninder, beispielsweise durch 1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.Sf3 b6 4.a3 La6 5.Dc2 Lb7 6.Sc3 c5 7.e4 cxd4. Diese Struktur ist wie ein Sizilianer und dem Igel insgesamt durch den Abtausch des weißen Damenbauern gegen den schwarzen c-Bauern gekennzeichnet. Man sieht aber an den Zugreihenfolgen, dass beide Spieler bereit sein müssen, einen Igel auf dem Brett entstehen zu lassen. Wenn der Anziehende es wünscht, kann er mit 1.g3 einen Igel unterbinden, was auch bedeutet, dass man als Nachziehender nicht gegen alle weißen Eröffnungen zu dieser Struktur kommen kann!
Zu VI:
Die Partien des niederländischen Autors sind meiner Meinung nach besonders wertvoll, denn gerade weil er an diesen Parteien beteiligt war, sind die Emotionen und psychologischen Effekte gut geschildert:
Zu dieser Stellung kam es zwischen Ingo Böhme und Hermann Grooten im Jahre 1995 während eines Opens in Bochum, 0-1 (25). Aktuell sieht die schwarze Stellung sehr bedenklich aus, denn der schwarze König e8 scheint in großer Gefahr, aber die schwarzen Möglichkeiten sind sehr beachtlich und die Schlussstellung zeigt, wie viel Appetit einem Nachziehenden die Jagd auf den weißen Regenten machen dürfte:
Der letzte Zug war 23…Td2! und laut Aussage des Autors fiel sein Gegner dabei fast vom Stuhl. Solche Partien bleiben einem demnach lange und gerne in Erinnerung und unterstreichen den Kampfcharakter, den ein Igelspieler hat.
VII:
Die Übungen finde ich sehr gut ausgesucht und sie werden auch jenseits der interaktiven Videos sehr ansprechend kommentiert mit vielen taktisch pointierten Varianten und verbalen Kommentaren:
Diese Stellung kam zwischen Igor Bjelobrk und Ian Rogers im Jahre 2004 während der australischen Meisterschaft aufs Brett 0-1 (43).
Es schaut so aus, als hätte der Anziehende die Lage gut im Griff, aber erneut werden die Schleusen gegen den weißen König durch den Zug …d6-d5 geflutet.
Fazit:
Dieser Fritztrainer ist prall gefüllt mit instruktivem Material zum Thema Igel und auch wer noch keine Vorkenntnisse besitzt wird durch niederländischen Autor vieles lernen können. Man merkt die große Erfahrung im Vermitteln von komplexen Zusammenhängen und ein solides Schulenglisch ist dazu geeignet den Ausführungen zu folgen. Wie die Fritztrainer zuletzt auch kommen neben den interaktiven Test auch die Möglichkeiten ins Spiel, das Trainingsmaterial mit Hilfe der ChessBase Apps zu nutzen und auch die Streamingfunktion gestattet es kurz während einer Pause etwas zu lernen, was nicht nur bequem ist, sondern oft mustergültige Königsangriffe präsentiert. Zwar muss mal als der Spieler, der Igel Strukturen spielen möchte, ein gewisses Risiko eingehen, aber die vielen attraktiven Angriffschancen wiegen dieses auf.
Ich kann diesen Fritztrainern denjenigen empfehlen, die Konterchancen zu wissen nutzen und mit den schwarzen Steinen einen Königsangriff in die Wege leiten möchten, um zum einen um den vollen Punkt kämpfen zu können und zum anderen um attraktive wie ästhetisch ansprechende Partien schaffen zu können!
Key Concepts of Chess - The Hedgehog
The topic on this video course is the so-called “hedgehog system†which is characterised by at least four black pawns on the sixth rank which we call the “spikes†of the hedgehog.
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