„Meine Frau ... und das Steckschach“
Interview mit GM Wolfgang Uhlmann zum 75. Geburtstag
Von Dagobert Kohlmeyer

In
Dresden feiert Großmeister Wolfgang Uhlmann am Montag seinen 75. Geburtstag.
Etwas stiller als zum Beispiel seinen 60. vor fünfzehn Jahren. Damals wurde
ihm zu Ehren in der sächsischen Landeshauptstadt ein Französisch-Turnier
veranstaltet. Uhlmanns Gegner hießen Lajos Portisch, Vlastimil Hort und
Rainer Knaak. Der Jubilar gewann und bezeichnet diesen Event noch heute als
"Riesensache". Er bekam zu dieser Gelegenheit vom damaligen DSB-Präsident
Egon Ditt auch die Goldene Ehrennadel des Deutschen Schachbundes überreicht.
Einige
Zeit später erhielt Wolfgang Uhlmann noch eine ganz andere Würdigung. Er
gehört nach Meinung einer Dresdner Tageszeitung zu den 100 bekanntesten
Persönlichkeiten des 20. Jahrhundert aus Elbflorenz, was die Popularität des
Schachhelden noch unterstreicht. Damit befindet sich der Dresdner Vorkämpfer
in der illustren Gesellschaft solcher Größen wie Theo Adam, Peter Schreier,
Manfred von Ardenne, Ingrid Krämer-Gulbin, Gret Palucca, Ludwig Güttler oder
Matthias Sammer.
In
Uhlmanns Arbeitszimmer steht ein wunderbarer Schachtisch, den er bei der
Olympiade 1966 in Havanna vom kubanischen Staatschef Fidel Castro geschenkt
bekam. Das Brett ist eine eingelegte Marmorplatte, die Seiten des Tischs
sind für die Arme mit Leder gepolstert, die Figuren aus tropischen
Edelhölzern gefertigt. Es ist das wertvollste Souvenir des Großmeisters.

Unser
Mitarbeiter Dagobert Kohlmeyer kennt Wolfgang Uhlmann seit über 30 Jahren.
Vor zwei Jahrzehnten war er Initiator und Uhlmanns Co-Autor für dessen
Schachbestseller "Ein Leben lang Französisch", der mehrere Auflagen erlebte.
Anlässlich des 75. Geburtstags von Uhlmann sprach der Berliner
Schachpublizist mit dem Dresdner Großmeister.
Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! Wie wird gefeiert?
In
kleinem Kreise, die Familie trifft sich bei uns zu Hause. Meine Tochter und
mein Sohn kommen, unser Enkel wird aus der Ferne grüßen. Er absolviert
gerade ein Auslandsstudium in China und ist hochzufrieden. Dort lernt er
auch die Sprache.
Warst du jemals in China?
Ja,
aber nicht zu einem Schachturnier. Wir haben mal eine große Privatreise
dorthin gemacht.
Wie fühlt man sich als einer von hundert prominenten
Dresdnern?
Ich war
sehr angenehm überrascht, dass mir diese Ehre zuteilwurde und hatte
überhaupt nicht damit gerechnet. Es sind ja wirklich alles großartige Leute
mit Vorbildwirkung, die dort ausgewählt wurden.
Wo wurdet Ihr geehrt?
Auf
Schloss Albrechtsburg gab es einen Festakt, ich war aber gerade zu einem
Turnier im Ausland und konnte leider nicht teilnehmen. Der Chefredakteur der
Zeitung "Dresdner Neueste Nachrichten" hat mich deshalb später noch einmal
eingeladen. Das war sehr freundlich.
Du spielst jetzt schon 65 Jahre Schach. Wie lange noch?
Ich
habe mir da kein Limit gesetzt. Aber solange es mir Spaß macht und meine
Gesundheit es erlaubt, werde ich die Figuren setzen. Auch wenn die Erfolge
heute natürlich bescheidener sind als früher.
Wann wäre bei Dir definitiv Schluss mit dem Turnierschach?
Wenn
ich anfange, chancenlos zu verlieren. Solange ich aber für mein Team USV TU
Dresden in der 2. Bundesliga eine gute Stütze bin, möchte ich diesen Sport
noch ausüben. Wir steigen zwar nicht auf, denn Aue hat einen zu großen
Vorsprung, aber unser vorderer Tabellenplatz entspricht schon unserer
Spielstärke.
Von wem konntest Du schachlich am meisten lernen?
Von
zwei Weltmeistern. In meiner Jugend studierte ich mit Begeisterung die
Partien von Alexander Aljechin. Später habe ich besonders Michail Botwinnik
sehr verehrt.
Zu welchem Zeitpunkt Deiner Karriere hast Du das beste Schach
gezeigt?
Sicher
in den 60er und 70er Jahren, als ich zur absoluten Weltspitze gehörte.
Damals hatte ich auch meine größten Turniererfolge. In meiner langen
Laufbahn spielte ich gegen zehn Weltmeister der Schachgeschichte, von Euwe
bis Anand. Fünf von ihnen konnte ich besiegen, darunter Bobby Fischer und
auch den aktuellen Titelträger.

Wie viele Turniere hast Du insgesamt gewonnen?
Elfmal
war ich DDR-Meister und siegte in mehr als 35 internationalen Turnieren. Der
erste größere Erfolg gelang mir 1955 in Erfurt. Der letzte datiert aus dem
Jahre 2005, als wir in Dresden Team-Europameister der Senioren wurden. Ich
hatte also auch in jüngerer Zeit noch Erfolge, weil mich das Schachspiel
nach wie vor fasziniert. Ich hoffe, es macht mir noch lange Freude. Bei
Seniorenmeisterschaften spiele ich noch immer regelmäßig.



Bekannt ist dein Faible für Schönheitspartien. Du hast selbst
viele gespielt.
Ja, ich
habe in meiner Karriere etliche Preise gewonnen. Eine meiner bekanntesten
Schönheitspartien gelang mir beim Interzonenturnier in Palma de Mallorca
1970, wo ich mich für die WM-Kandidatenrunde qualifiziert habe. Es war ein
Weiß-Sieg gegen den Mongolen Ujtumen.
Und als Nachziehender?
Mit
Schwarz gelangen mir vor allem viele gute Französisch-Partien, so gegen
Bobby Fischer 1960 in Buenos Aires oder gegen meinen alten Rivalen Wolfgang
Unzicker 1962. Das war bei der Schacholympiade in Warna. Im gleichen Turnier
konnte ich (mit Weiß) auch mein Idol Michail Botwinnik besiegen.
Deine Frau Christine war dir immer eine große Stütze. Was
schätzt Du an ihr?
Sehr
viel. Wir sind im Sommer fünfzig Jahre verheiratet. Am 27. August haben wir
Goldene Hochzeit. Vor allem möchte ich ihr unglaubliches Verständnis für
meine Sportart nennen. Ich war ja über längere Zeiträume hinweg praktisch
nicht zu Hause. Da lag alles in ihren Händen. Sie war immer außergewöhnlich
tolerant und hat mir nie Vorhaltungen gemacht, wenn ich irgendwo in der Welt
unterwegs war.
Und wenn es sportlich nicht so bei dir lief?
Hatte
ich eine Krise als Spieler, dann baute sie mich wieder auf. Auch als ich
voriges Jahr sehr krank war und pausieren musste, stand sie mir sehr zur
Seite. Mit ihr habe ich einfach großes Glück gehabt.
Wen oder was würdest du auf eine einsame Insel mitnehmen?
Auf
jeden Fall meine Frau … und mein Steckschach.

Uhlmann - Ujtumen
Palma de Mallorca 1970
Königsindisch E 74
1.d4
Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 Lg7 4.e4 d6 5.Le2 0-0 6.Lg5 h6 7.Le3 c5 8.d5 e6 9.dxe6
Lxe6 10.Dd2 Da5 11.Lxh6 Lxh6 12.Dxh6 Sxe4 13.Tc1 Sc6 14.h4 Sd4 15.Kf1
Sf5 16.Df4 Sxc3 17.Txc3 Dxa2 18.Dc1 Da5 19.h5 Sg7 20.Tg3 Lf5 21.hxg6
fxg6 22.Lf3 Tae8 23.Ld5+ Se6 24.Sf3 Kg7 25.Kg1 Th8 26.Txh8 Txh8

27.b4!
Dxb4 28.Lxe6 Db1 29.Dxb1 Lxb1 30.Sg5 Tb8 31.Tf3 Lf5 32.Lxf5 gxf5
33.Txf5 b5 34.cxb5 Txb5 35.Se4 Tb1+ 36.Kh2 Td1 37.Tf3 Td4 38.Sg3 Td5
39.Ta3 c4 40.Txa7+ Kg6 41.Tc7 Tc5 42.Txc5 dxc5 43.Se4 1-0
Uhlmann Botwinnik
Warna 1962
Damenindisch E13
1.d4
Sf6 2.c4 e6 3.Sf3 b6 4.Sc3 Lb7 5.Lg5 h6 6.Lh4 g5 7.Lg3 Sh5 8.e3 Sxg3
9.hxg3 Lg7 10.Dc2 Sc6 11.a3 De7 12.0-0-0 g4 13.Sh4 a6 14.Kb1 h5 15.Le2
Th6 16.f3 0-0-0 17.d5 Sa7 18.Sa4 gxf3 19.gxf3 d6 20.Sg2 Tdh8 21.e4
Kb8 22.Td3 Te8 23.Te1 Lh8 24.Dd2 Tg6 25.g4 hxg4 26.fxg4 Le5 27.Tb3
Th8 28.De3 Dg5? Notwendig war 28. ... Sc8. Wolfgang Uhlmann, der nur noch
eine Minute Bedenkzeit für 12 Züge hat, kann jetzt den entscheidenden
taktischen Schlag anbringen.
29.Sxb6! Dxe3 30.Sd7+ Kc8 31.Sxe3 Kxd7 32.Txb7 Ld4
33.Ld1 Lb6 34.La4+ Kc8 35.Lc6 Th3 36.Sc2 a5 37.Tf1 Sxc6 38.dxc6 Tg7
39.b4 a4 40.e5! Tb3+ 41.Kc1 Td3 42.Td1 Txd1+ 43.Kxd1 Lg1 44.exd6 cxd6
45.b5 Lc5 46.Sb4 Lxb4 47.axb4 Txg4 48.b6 1-0
Unzicker - Uhlmann
Warna 1962
Französisch C18
(Anmerkungen: Wolfgang Uhlmann)
1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Lb4 4.e5 Se7 5.a3 Lxc3+ 6.bxc3 c5
7.Dg4
Neben den positionellen Zügen 7.Sf3 und 7.a4 ist der Damenausfall die
schärfste Fortsetzung. In der Regel entwickelt sich ein Spiel auf Tod oder
Leben. Bauernopfer sind hier etwas Alltägliches, da der Angriff auf den
König die Entscheidung bringen soll. Häufig bleiben beide Könige in der
Grundstellung.
7. ... Dc7
Die Praxis hat gezeigt, dass 7. ...Sf5 günstig für Weiß ist.
8.Ld3 cxd4 9.Se2
Die Idee des frühzeitigen Läuferzuges. Auf Kosten eines
Bauern soll der weiße König doch zur Rochade kommen. Außerdem können die
Läufer ihre volle Kraft entfalten.
9. ... dxc3 10.Dxg7 Tg8
11.Dxh7 Sc6 12.Lf4! Ld7 13.0-0 0-0-0 14.Dh5

14.
... d4 15.Lg3 Le8!
Der Zwischenzug stellt die Drohung 16. ...f5 auf und
überdeckt zugleich den Bauern d4. 16.Df3 Sxe5 17.Df6 Lc6! Die Pointe
der schwarzen Verteidigung. 18.Lxe5 verbietet sich nun wegen 18. ...Txg2+
19.Kh1 Txf2+ 20.Kg1 Tg2+ 21.Kh1 Txe2+ mit leichtem Gewinn für Schwarz.
18.Tfe1 Txg3! Ein erzwungenes, aber auch sehr kräftiges Qualitätsopfer,
das die aktivste Figur von Weiß beseitigt. 19.Sxg3 Sxd3 20.cxd3 Sg6
21.Se2 Dd7 22.h4 e5 23.h5 Dg4 24.Sg3 Sf4! 25.h6 Sxg2 Gut, doch
weniger aufregend wäre 25. ...Dg6 mit Übergang in ein für Schwarz gewonnenes
Endspiel. 26.h7 Dh3 27.Txe5?! Danach ist Weiß verloren. Er hätte
unbedingt 27.Df5+ versuchen sollen. Dann musste Schwarz folgenden
studienhaften Gewinnweg finden: 27. ...Dxf5 28.Sxf5 Sxe1!! (ignoriert die
weißen Drohungen) 29.Se7+ Kb8 30.Sg8 Sf3+ 31.Kf1 (31.Kh1? Sg5+) 31. ...
e4!! 32.h8D exd3!, und die weiße Niederlage ist nicht abzuwenden, zum
Beispiel 33.Dh7 d2 34.Sf6 c2! 35.Dxc2 Lb5+ 36.Kg2 Se1+ mit Figurengewinn.
27. ... Se3! Weiß gab auf. Das Matt auf g2 ist nicht zu verhindern.
Wenn
einer eine Reise tut…
Ein
bekannter Spruch sagt: „Das Beste, was man von Reisen mit nach Hause bringt,
ist die heile Haut.“ Das gilt sicher auch für Schachspieler. Die
Spitzenleute unserer Zunft, aber auch viele Amateure düsen permanent durch
die Welt und erleben dabei kuriose, mitunter auch riskante Dinge. Wolfgang
Uhlmann kann von vielen aufregenden Erlebnissen erzählen, wenn er auf seine
Karriere zurückblickt. Manche Ereignisse liegen schon sehr lange zurück,
sind aber bis heute unvergessen. Wir haben sie gern für die ChessBase-Leser
notiert.

Der
verlorene Koffer
1965
erhielt ich eine Einladung zum internationalen Turnier nach Marianske Lazne
(Marienbad). Ich fuhr mit dem Zug dorthin. Zwischen Prag und Pilzen kamen
Paul Keres sowie Karel Opocenzky in mein Abteil. Es war Mittagszeit, sie
schlugen vor, in den Speisewagen zu gehen. Gesagt, getan. Es war ein
durchgehender Zug. Als wir einige Zeit später ins Abteil zurückkamen, war
mein gesamtes Gepäck gestohlen. Einschließlich Mantel und Reisetasche. Alles
war weg! Was sollte ich machen? Die Notbremse ziehen? Es hätte nicht viel
gebracht, der Zug befand sich schon kurz vor dem Bahnhof in Plzen. Hinterher
erfuhr ich, dass es organisierte Banden waren, die mit leeren Koffern kamen
und sie einfach über ihre Beute stülpten, ehe sie sich mit ihr davonmachten.
Eine
schöne Bescherung. Ich hatte nur meinen Pullover an, und im April war noch
hässliches Wetter. Die tschechischen Freunde haben mir dann als erstes einen
Schirm gekauft, der in diesen Tagen ein wichtiges Requisit wurde.
Du
kannst dir vorstellen, wie schlecht man ein Schachturnier spielt, wenn nicht
nur alle Kleidungsstücke, sondern auch sämtliche Aufzeichnungen verloren
gegangen sind. Meine ganze Eröffnungskartei war weg. Es gab ja seinerzeit
noch keine elektronischen Datenbanken wie heute. Ich hatte wie jeder
Großmeister natürlich viele Pfeile im Köcher, die noch nicht verschossen
waren. Du kennst mein Eröffnungsprogramm. Als Weißer spielte ich vor allem
Damengambit und Englisch, mit Schwarz Königsindisch oder Französisch. Viele
Varianten, die in häuslicher Analyse entstanden waren, gingen bei diesem
Raub verloren. Es war keine leichte Situation und für mich ein ganz bitterer
Verlust. Der Schock wirkte sich unmittelbar auf mein Spiel aus. So hatte ich
im Endspiel gegen Leonid Schamkowitsch zwei Bauern mehr und ließ in dieser
Gewinnstellung einen Turm stehen. Er kassierte den Punkt und hat auf diese
Weise die Großmeisternorm geschafft. Mein Pech war sein Glück. Hinter Keres
und Hort wurde Schamkowitsch Dritter in diesem Turnier, ich belegte am Ende
Platz 4.
Wolfgang Uhlmanns Frau Christine erinnert sich ebenfalls noch genau an das
damalige Malheur:„Es war an einem Wochenende, als Wolfgang abfuhr. Ich habe
in Dresden ein Tennisturnier gespielt, das mir sehr viel Spaß machte. Zu
Hause angekommen, erhalte ich die schockierende Nachricht, dass sein Koffer
weg war. Damals konnte man ja nicht so einfach losfahren. Ich musste mir am
Montag bei der Polizei erst ein Visum holen, was sie mir dann auch schnell
gegeben haben. Rasch packte ich neue Sachen für Wolfgang ein und fuhr nach
Marienbad. Die ganze Zeit im Zug habe ich mich nicht von dem Koffer
weggerührt. Ich blieb etliche Tage als Gast bei diesem Turnier, für mich war
es eine schönere Zeit als für Wolfgang.“
Flug
über die Anden
Ein
Jahr später, so berichtet Wolfgang Uhlmann weiter, reiste er ins
argentinische Mar del Plata und erlebte dies: Mein Gepäck kam bei der
Ankunft in Buenos Aires erneut abhanden. Es traf erst zum Ende des Turniers
ein. Ich bin wohl Spezialist für diese Sache. Jedenfalls hatte ich wieder
einmal nichts zum Anziehen. Dort war Sommer, zu Hause bei uns Winter. Ich
musste mich also mit den nötigsten Dingen versehen. Der Wettbewerb ging über
15 Runden und war äußerst stark besetzt. Es spielten dort u.a. Smyslow,
Reshewsky, Stein und Portisch. Wassili Smyslow hat vor Leonid Stein
gewonnen.
Am Ende
des Turniers legte ein Streik im argentinischen Luftverkehr auch viele
internationale Fluglinien lahm. Kurzerhand haben die Veranstalter für Stein
und mich noch eine Rundereise durch Argentinien organisiert, auf der wir
simultan spielten. Wir waren dann drei Wochen in diesem großen Land
unterwegs; fast von der Äquatorzone bis nach Patagonien am Südpolar-Kreis.
Es herrscht eine riesige Schachbegeisterung in Argentinien. Der letzte Ort,
den wir vor unserer Abreise besuchten, lag am Fuße der Anden. Auch die
dortigen Schachfans wollten unbedingt gegen uns simultan spielen. Deshalb
sagten die Organisatoren zu uns beiden: „Wenn ihr kommt, stellen wir euch
ein Privatflugzeug zur Verfügung“. Das geschah dann auch. Wir gaben also die
letzte Simultanvorstellung, und nachts schloss sich eine große
Fête an, die bis um 2 oder 3 Uhr
morgens dauerte. Am Vormittag wurden wir dann zum Flugplatz gefahren, wo
eine kleine, einmotorige Maschine auf uns wartete. Mit ihr sollten wir über
die Anden nach Buenos Aires fliegen. Todesmutig sind Stein und ich
eingestiegen. Es war eine reizvolle und zugleich ängstliche Erfahrung. Wir
hatten einen sagenhaften Ausblick auf die imposante Gebirgswelt, aber hin
und wieder sackten wir auf Grund der heftigen Luftströmungen ganz schön ab.
Das Flugzeug flog nicht sehr schnell, die Stunden vergingen, und es wurde
finster. Das hatten sie nicht einkalkuliert. Als das Kerosin zu Ende ging,
landeten wir schließlich in der Dunkelheit irgendwo in der Pampa, ohne unser
Ziel erreicht zu haben. Danach mussten Leonid Stein und ich noch 300
Kilometer mit dem Bus nach Buenos Aires zu fahren.
Insgesamt war ich 1966 fast sechs Wochen in Argentinien. Damals gab es ja
längst nicht solche Kommunikationsmöglichkeiten wie heute. Meine Frau wusste
weder, wo ich gerade war, noch wie es mir ging. Es war alles sehr
kompliziert, aber ein einmaliges Erlebnis. Wir sahen traumhaft schöne
Gegenden und lernten liebenswürdige Menschen kennen, die Schach wahnsinnig
gern haben.
* * * * * *
Vor
wenigen Tagen probierte der Schreiber dieser Zeilen seine Skype-Leitung zu
Artur Jussupow aus. Bei der Gelegenheit bat er den Großmeister, der im
vorigen Monat 50 Jahre alt wurde, um ein paar Gedanken zu Wolfgang Uhlmanns
Jubiläum.
Artur Jussupow: „Er ist der Klassiker im Franzosen“
Wolfgang Uhlmann war und ist ein großartiger Spieler. Wenn ich an die
Französische Verteidigung denke, dann fällt er mir sofort ein. Weil er sein
ganzes Leben lang die eigene Überzeugung verteidigte. An seinen Eröffnungen
hat Uhlmann nicht viel verändert, das ist fast einmalig. Von seinem
hervorragenden Buch „Ein Leben lang Französisch“ habe ich sehr profitiert.
Das war meine Hauptvorbereitung für den WM-Kandidatenkampf 1991 gegen
Wassili Iwantschuk. Vor dem Duell in Brüssel studierte ich sehr aufmerksam
Wolfgangs Kommentare und Analysen, das hat mir schon sehr geholfen.
Man
kann nicht Französisch lernen, ohne die Partien von Uhlmann zu studieren.
Anatoli Karpow hat ihn ja auch einmal vor einem WM-Match gegen Kortschnoi
konsultiert. Das Buch vom Beyer-Verlag ist wirklich sehr gut. Uhlmann ist
ganz einfach d e r Klassiker dieser Eröffnung, er hat ja viele
Schachgrößen mit der Französischen Verteidigung geschlagen.
Ich
erinnere mich an ein internationales Turnier in der Sowjetunion, bei dem ich
als Gast zuschaute. Uhlmann spielte gegen Lew Psachis die superscharfe
Variante, wo der Bauer auf g7 geopfert wird. Ich glaube, keiner konnte das
so gut wie er. Jedenfalls war ich damals in Tallinn die ganze Zeit
Augenzeuge dieser Partie und denke, Wolfgang hat wohl immer die besten Züge
gemacht. Er spielte wirklich phantastisch und hat mich damit stark
beeindruckt. Später analysierte ich diese Partie mit Psachis, und wir fanden
keine Verbesserung gegen das schwarze Spiel. Es war eine Musterpartie, wie
man einen scharfen Franzosen als Nachziehender behandelt.
Wolfgang Uhlmann glänzte nicht nur als enorm starker Schachspieler, er ist
auch eine sehr nette und angenehme Persönlichkeit. Wir spielten bei
verschiedenen Turnieren in der Sowjetunion, in Deutschland und Österreich
gegeneinander. Der Dresdner hat seinen festen Platz in der Schachgeschichte.
Ich gratuliere ihm herzlich zum Geburtstag! Vor allem wünsche ich ihm, dass
er gesundheitlich durchhält, weiter so aktiv bleibt und uns noch viele
schöne Kommentare und Analysen beschert.
Psachis – Uhlmann
Tallinn 1987
C18: Französische
Verteidigung (Nimzowitsch-Variante) 1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Lb4 4.e5 Se7
5.a3 Lxc3+ 6.bxc3 c5 Der Standardhebel 7.Dg4 Dc7 8.Dxg7 Tg8
Schwarz droht Materialgewinn: Tg8xg7 9.Dxh7 cxd4 10.Se2 Sbc6 11.f4 dxc3
12.Dd3 Ld7 [12...d4 13.Sg3²] 13.Sxc3 [13.h4 Sf5] 13...a6
Punkt b5 14.Tb1 Tc8 [14...Sa5 15.g3=] 15.h4² Sf5 16.Th3 Sce7
[16...Scd4 17.Ld2] 17.Ld2 Lc6 [17...Tg4 18.De2 Sh6 19.h5] 18.h5
Sh6 [18...Kf8 19.Df3] 19.Tg3! Ein interessanter Zug, der den
Druck von der g-Linie abwenden soll und den Vormarsch des g-Bauern
vorbereitet. (W. Uhlmann) 19...Txg3 20.Dxg3 Sef5 [20...d4 21.Sd1
Kd7±] 21.Dh3± d4 22.Sd1 Dd8 [22...De7 23.Tb4±] 23.Sf2 [23.g4
Sh4 24.Le2 Ld5+-] 23...Se3 24.Lxe3 dxe3 25.Dxe3 Sf5
26.Dd3

Hier bot Psachis Remis an,
das nach längerem Überlegen angenommen wurde. Der letzte Zug von Weiß war,
wie W. Uhlmann in seinem Französisch-Buch schreibt, ungenau. Jetzt hätte
Schwarz nach 26…Dh4! auf Gewinn spielen können. Richtig wäre 26. Dd2 mit
gleicher Stellung gewesen.
Rainer Knaak: „Wir haben uns
gut verstanden“
Ein langjähriger Weggefährte
Wolfgang Uhlmanns ist der Leipziger Großmeister Rainer Knaak. Der heutige
Chefredakteur des ChessBase Magazins erinnert sich gern zurück:
Wir gehören nicht derselben
Generation an, das heißt, ich bin als Schachspieler erst gut geworden, als
Wolfgang schon seine Riesenerfolge errungen hatte. Er war eigentlich immer
das Ziel, welches ich vor Augen hatte. Ich kam dann zwar in seine Nähe,
konnte aber seine großen Erfolge nicht erreichen, vor allem auch deshalb,
weil in den 1970er und 80er Jahren die Möglichkeiten, international zu
spielen und uns mit der Weltspitze zu messen, für die DDR-Spieler nicht mehr
vorhanden waren.
Wir waren natürlich
Konkurrenten, ganz klar. Aber im Vergleich zu den Spielern in anderen
Ländern haben wir uns doch gut verstanden. Wenn ich gehört habe, wie es in
Ungarn zuging, so waren die dortigen Schachspieler damals wie Hund und
Katze. Wir Spitzenleute in der DDR haben uns gut verstanden.
Wolfgang Uhlmann und ich
hatten verschiedene Spielstile. Seine Partien waren eher strategisch
angelegt, ich habe hingegen etwas mehr riskiert. Ob das immer bewusst war,
ist eine andere Frage. Ich war einfach optimistischer und wollte gern den
vollen Punkt machen. Das will doch jeder. Die Frage ist immer, wie sind die
Mittel dazu. Ich glaube, dass ich insgesamt auch mehr Verlustpartien hatte
als er. Das ist dann eben die Kehrseite der Medaille. Ich war fünfmal
DDR-Meister, Wolfgang natürlich viel öfter. Ich denke, ein guter
Schachspieler muss ein Allrounder sein.
Noch heute bin ich sehr
stolz darauf, dass Wolfgang Uhlmann mich vor 15 Jahren zu seinem
Geburtstagsturnier eingeladen hat, wo nur Französisch gespielt wurde. Neben
ihm, Portisch und Hort war ich der Vierte im Bunde. Das habe ich als große
Würdigung empfunden. Es ist ein Beleg dafür, dass wir uns bei aller
Konkurrenz doch gut verstanden haben.
Texte und Fotos: Dagobert
Kohlmeyer