Herzlichen Glückwunsch: Yasser Seirawan wird 60!

von Johannes Fischer
24.03.2020 – Ob als Spieler, Autor, Organisator, Ideengeber oder Kommentator: Seit mehr als 40 Jahren ist Yasser Seirawan eine der markantesten Persönlichkeiten der Schachwelt. Dabei wirkt er stets so, als hätte ihn das Schach glücklich gemacht und würde ihn immer noch glücklich machen. Am 24. März 2020 feiert Seirawan 60. Geburtstag. ChessBase gratuliert mit einem Rückblick auf eine bemerkenswerte Karriere. | Foto: David Llada

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Seirawans Schachkarriere

Mit 12 Jahren kam Seirawan erst relativ spät zum Schach. Geboren wurde der vierfache US-Champion am 24. März 1960 in Damaskus als Sohn eines syrischen Vaters und einer englischen Mutter. Wegen politischer Unruhen verließ die Familie Syrien im März 1964, um erst nach England und dann drei Jahre später in die USA zu gehen, wo Seirawans Vater beim Flugzeugbauer Boeing in Seattle arbeitete. 1968 trennten sich die Eltern und Seirawan lebte mit seiner Mutter in verschiedenen amerikanischen Städten, bis sie 1972 wieder nach Seattle zogen.

Die häufigen Wechsel zwischen Städten, Kontinenten und Kulturen scheinen Seirawan nicht geschadet zu haben. Er ist vielseitig begabt, interessiert und ehrgeizig:

"Ob beim Sport, in der Schule oder als Zeitungsjunge, ich wollte der Beste sein. Nicht nur der Beste, sondern herausragend. Ja, ich wollte gewinnen und nicht nur nach den Buchstaben der Regeln, sondern auch im Geiste der Regeln. Wenn ich glaubte, ein Schiedsrichter hätte eine Fehlentscheidung getroffen, dann gab ich der gegnerischen Mannschaft den Ball, was mich bei meinen Mitspielern nicht immer beliebt machte."

Zum Schach kommt er 1972, dem Jahr, in dem Bobby Fischer Weltmeister wird. Ein Nachbar erklärt ihm die Regeln, sie spielen eine Partie, Seirawan verliert und sein Ehrgeiz ist entfacht. Schon bald besucht er regelmäßig die Schachcafés im Uni-Viertel von Seattle und macht eine steile Karriere. Mit 13 wird er amerikanischer Jugendmeister, mit 19 Jugendweltmeister und im Januar 1980 Großmeister, nach Fischer, Spassky und Henrique Mecking der damals viertjüngste Großmeister aller Zeiten. Diese Erfolge verhelfen Seirawan zu einer Auszeichnung, die nur wenigen Schachspielern zuteil wird: 1980 kürt ihn der amerikanische Playboy zum "Junggesellen des Jahres". Mittlerweile ist Seirawan mit Yvette Nagel, der Tochter eines bekannten holländischen Politikers, verheiratet und lebt in Holland und den USA.

Seirawan beim Hoogeventurnier 1980 | Foto: Fernando Pereira / Anefo / CC0

Ganz so rasant wie nach ihrem fulminanten Beginn ging Seirawans Karriere nicht weiter, aber im Laufe der folgenden Jahre kann er sich in der Weltspitze etablieren und qualifiziert sich zwei Mal für das Kandidatenturnier. Auch als Autor ist er erfolgreich. Er schreibt eine Reihe von unterhaltsamen und populären Schachbüchern und gibt von 1988 bis 2000 die Zeitschrift Inside Chess heraus.

Zugleich ist er in der Schachwelt als Ideengeber, Vermittler, Organisator und Ratgeber eine Figur, deren Stimme Gewicht hat. So ist es kein Zufall, dass Seirawan das Kunststück gelingt, als ehemaliger Sekundant von Kortschnoi das Vertrauen von Kasparov und Karpov zu gewinnen und im Laufe der Jahre immer wieder mit ihnen zusammen zu arbeiten.

Vom Turnierschach hat sich Seirawan mittlerweile zurückgezogen, aber dem Spiel und der Schachwelt ist er treu geblieben. Sein tiefes Schachverständnis, seine ruhige, locker-leidenschaftliche Art und seine weiche Stimme machen ihn zu einem beliebten Kommentator und auch heute noch kommentiert er mit Sachkenntnis, Begeisterung, guter Laune und einem unerschöpflichen Schatz von Anekdoten regelmäßig Spitzenturniere in aller Welt.

Alte Bekannte und einstige Rivalen: Garry Kasparov und Yasser Seirawan kommentieren die Grand Chess Tour 2015 | Foto: Screenshot

Chess Duels: Seirawans Rückblick auf seine Schachkarriere

Schachleidenschaft durchzieht auch Seirawans Buch Chess Duels, das 2010 erschienen ist, und in dem er auf seine Schachlaufbahn zurückblickt. Den roten Faden bilden dabei Seirawans Begegnungen mit und seine Partien gegen die Schachweltmeister.

"In meiner Karriere hatte ich Glück. Ich habe Max Euwe und Mikhail Botvinnik getroffen und mit ihnen geredet, mit Fischer analysiert, und mit Vassily Smyslov, Mikhail Tal, Tigran Petrosian, Boris Spassky, Anatoly Karpov und Garry Kasparov gespielt."

Dabei gibt Seirawan in seinen gründlich und ehrlich kommentierten Partien einen verblüffend offenherzigen Einblick, wie Spitzengroßmeister denken, wie stark sie spielen, wie viel sie während der Partie sehen und wie viel sie übersehen.

"Es zeigt sich, dass eine Schachkarriere einer interessanten Partie gleicht – nicht so hübsch und ordentlich, einfach oder leicht zu verfolgen, wie sich mancher das wünscht. Meine Hoffnung ist, dass dieses Buch umso besser ist, da es kein hübsches ordentliches Werk ist."

Seirawan beobachtet genau, analysiert präzise und hat Mut zur Meinung, aber vor allem ist er ein begnadeter Erzähler. Er erzählt spannend, lebhaft, unterhaltsam und mit einem Blick für Details und kann Orte, Menschen und Situationen in nur wenigen Strichen lebendig machen. Zum Beispiel, als er sich daran erinnert, wie er 1975 mit Freunden nach Vancouver gefahren ist, um Keres spielen zu sehen:

"Es war aufregend, einen Weltklassespieler in Aktion zu sehen. Sein Auftreten, seine Haltung, seine gelassene Einstellung der Partie gegenüber, die Genauigkeit seiner Züge und die Präzision, mit der er sie ausführte, hinterließen einen tiefen Eindruck. Besonders fasziniert verfolgte ich, wie er seine Figuren zog und sie sorgfältig korrekt in die Mitte des jeweiligen Feldes stellte, um seinen Gegner nicht zu ärgern. Später habe ich zu Hause geübt, um seine Bewegungen nachahmen zu können … Ich wollte Weltklasse sein und mich wie ein Weltklassespieler benehmen. Ich wollte, zumindest vom Auftreten her, wie Paul Keres sein."

Paul Keres

Doch bei aller Begeisterung für das Schach und seine Größen – Heldenverehrung betreibt er nicht. Seirawan porträtiert seine Großmeisterkollegen warmherzig, aber auch mit einem Blick für ihre Schwächen und Eigenheiten. Zum Beispiel, als er erzählt, wie sich Karpov bei der Olympiade 1980 in Malta weigert, dem aus der Sowjetunion emigrierten Lev Alburt vor der Partie die Hand zu geben.

"Ich merkte, wie ich wegen dieses Vorfalls von Karpov enttäuscht war. Viele Jahre später fragte ich ihn danach. ‚Warum Lev nicht einfach die Hand geben?’, fragte ich ihn unschuldig. Seine Erklärung zeigte, wie weit die Welten, in denen wir lebten, voneinander entfernt waren: ‚Yasser, das war die Zeit der Sowjetunion. … Wir wurden die ganze Zeit über beobachtet. Alles, was wir gesagt oder getan haben, wurde irgendwie überwacht oder ‚aufgezeichnet’. Lev war ein Überläufer. Dem Staat zufolge offiziell ein Krimineller. Wenn ich dabei beobachtet worden wäre, wie ich ihm die Hand gebe, dann hätte man über mich Bericht erstattet und ich hätte mich einer Befragung unterziehen müssen und hätte mich erklären müssen. … Es wäre ein schwarzer Fleck in meiner Akte gewesen.’“ Seirawan kommentiert: ‚So gesehen konnte ich Anatolys Entscheidung verstehen. Ich hätte auch nicht gerne einen schwarzen Fleck in meiner CIA-Akte. Hmm – habe ich eine CIA-Akte?’"

Jahre später: Anatoly Karpov beim Spielen in der Bundesliga | Foto: Georgios Souleidis

Auch eigene Fehler und Schwächen verschweigt Seirawan nicht, zum Beispiel, als er erzählt, wie er und der amerikanische Großmeister Larry Christiansen beim abendlichen Bridge Karpov und Kavalek beschummeln wollten, oder wie Seirawan Kasparov einmal mit einer undiplomatischen Bemerkung über Mutterbeziehungen vor den Kopf gestoßen hat.

Chess Duels steckt voller Anekdoten, Geschichten und Porträts und ist damit ein faszinierender Insiderbericht über aktuelle Schachgeschichte. Zugleich ist Chess Duels durch Seirawans Kunst des Erzählens und seine Schachleidenschaft eines der interessantesten Schachbücher der letzten Jahre.

Yasser Seirawan
Chess Duels: My Games with the World Champions
432 Seiten, gebunden, 1. Auflage 2010, ca. €24,95.
(Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach Niggemann zur Verfügung gestellt.)

Nicht zu vergessen die Partien. Hier zwei typische Beispiele, die zeigen, wie Seirawan kommentiert – bittere Niederlagen und glänzende Siege.

 

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"Nichts ist schwerer als eine gewonnene Partie zu gewinnen!" lautet ein bekannte Schachweisheit. Sergey Tiviakov zeigt, wie man dieses "Problem" angehen kann und noch mehr Punkte aus gewonnenen Stellungen macht.

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Abschließend schreibt Seirawan:

"Eine dieser wirklich, wirklich schmerzhaften Niederlagen, die man während des schlimmsten Turniers seines Lebens erleidet. … Doch bevor wir Linares 1983 verlassen, noch ein kleiner Exkurs, um zu zeigen, wie zornig die Götter auf mich waren. Aus irgendeinem Grunde lockte mich 1982/1983 der Gedanke, einen Roman zu schreiben. … Erst wurde ein Ringbuch vollgeschrieben, dann ein anderes, bis ich meinen Roman schließlich mit fünf dicken Ringbüchern im DIN A4 Format zum Abschluss brachte. … Bis zu diesem Turnier hatte ich die Ringbücher immer im Handgepäck mitgenommen, aber jetzt war der Roman beendet und es schien sinnvoll, die voluminösen Ringbücher bei meinem Flug nach Madrid im Koffer zu verstauen, der als Gepäck aufgegeben wurde. Doch mein aufgegebenes Gepäck kam nie in Madrid an. Eine Versicherungsgesellschaft ersetzte mir den Schaden für den eingecheckten Koffer, aber mein Roman war verloren. Da ich alles handschriftlich geschrieben hatte, verfügte ich natürlich auch über keine Kopien…."

Besser erging es Seirawan in der folgenden Begegnung. 1982 besiegte er den damaligen Weltmeister Karpov in einer Aufsehen erregenden, theoretisch bedeutsamen Partie.

 

Seirawan gehörte lange Zeit zu den besten Spielern der Welt. Zu den besten und interessantesten Kommentatoren des Schachgeschehens gehört er immer noch.


Johannes Fischer, Jahrgang 1963, ist FIDE-Meister und hat in Frankfurt am Main Literaturwissenschaft studiert. Er lebt und arbeitet in Nürnberg als Übersetzer, Redakteur und Autor. Er schreibt regelmäßig für KARL und veröffentlicht auf seinem eigenen Blog Schöner Schein "Notizen über Film, Literatur und Schach".

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