Hinter den Kulissen
Von André Schulz
Von dem, was hinter den Kulissen eines Schachturniers vor sich geht, bekommen
die Zuschauer meist nicht viel mit. Deswegen an dieser Stelle einmal das
Angebot, genau dorthin zu schauen. Beim Dortmunder Sparkassen Chess Meeting kann
man solch eine Expedition im Wortsinne unternehmen, denn das Turnier findet ja auf der
Bühne eines richtigen Theaters, dem Dortmunder Schauspielhaus statt.

Theaterambiente

Blick auf die noch leere Bühne von der Empore aus
Partiebeginn ist um 15 Uhr, aber die ersten Helfer des Turniers sind schon zwei
Stunden vorher an Ort und Stelle. Pressechef Rolf Behovits verteilt im
Pressecenter an die neu an angereisten Journalisten Akkreditierungsausweise,
vermittelt die zahlreichen telefonische Anfragen der Presse für Interviews oder
beantwortet selbst Fragen von Journalisten zum Turnier.

Rolf Behovits
Hinter der Bühne wird inzwischen die Übertragungstechnik in Betrieb genommen.

Neben den Zug- und Brettübertragungen wird den Zuschauern auch eine
Audiokommentierung der Partien angeboten, die mit Hilfe von drahtlosen
Kopfhörern
zu empfangen ist.

Guido Kohlen ist der Mann, der seit vielen Jahren dafür sorgt, dass die Technik
störungsfrei funktioniert. Er ist sozusagen der Maschinist des Dampfers
Sparkassen Chess Meeting.

Sieht aus wie der Kommandostand in einem U-Boot: der Inspizientenplatz neben der
Bühne
In diesem Jahr werden die Partien ins Internet mit einer 15-minütigen
Verzögerung weitergeleitet, um eventuelle Betrugsmöglichkeiten zu unterbinden.
Bei einer zeitgleichen Zugübermittlung ins Internet könnte ein Helfer auf sehr
einfache Weise mit einem
Schachprogramm die laufenden Partien mitanalysieren und theoretisch den besten
Zug an einen Spieler des Turniers zurück übermitteln. Diese Möglichkeit wurde in
der jüngeren Vergangenheit kontrovers diskutiert. Nicht, dass einer der
Spieler hier auch nur im Entferntesten unter Verdacht stünde, jemals zu solchen
Hilfsmitteln greifen zu wollen, aber man wollte in Dortmund
ein Zeichen setzten und hat diese Verfahren hier erstmals realisiert - übrigens
ein Vorschlag von Vladimir Kramnik. Zur Verzögerung der Übertragung wurde eigens eine Software
geschrieben, die die Züge eine beliebige Zeit festhält und dann mit dem
eingestellten Zeitverzug weiterleitet.
Ein wichtiges Detail des Turniers ist auch ist die Bestückung des Erfrischungsraums mit Getränken und
Snacks.

Auf Neudeutsch: das Catering
Beim Durchwandern der labyrinthartigen Gänge und Räume hinter der Bühne kann es
übrigens schnell einmal passieren, dass man die Orientierung verliert. Wer zum Beispiel hier

stolpert und sich vielleicht den Fuß bricht, wird unter Umständen erst nach der
Sommerpause in einem recht schlechten gesundheitlichen Gesamtzustand wiedergefunden.
Außerdem gibt es eine Reihe von Dingen zu entdecken, deren Sinn sich besonders
in einer Menge Menge, deren Aufbewahrung diese Kiste notwendig macht, für den Nichttheatermann nur ungefähr erhellt.

Im Pressezentrum sind inzwischen bereits einige weitere Mitarbeiter
des Turniers und auch
Besucher eingetroffen.

Andrzej Filipowicz
Andrzej Filipowicz ist Präsident des polnischen Schachverbandes und in Dortmund
als Schiedsrichter beteiligt.
Dr. Helmut Pfleger kommentiert in Dortmund
zusammen mit Klaus Bischoff seit vielen Jahren die Partien für die Zuschauer und
informiert sich vor Rundenbeginn auf seiner Lieblingsschachwebseite über das
Geschehen in der Schachwelt.

Seit Kommentatorkollege hat genau das gleiche Bedürfnis und sogar die gleiche
Nachrichtenquelle.

Klaus Bischoff
Einer der aktivsten deutschen Schachjournalisten ist Dagobert
Kohlmeyer, der für mehrere Zeitungen, Agenturen und Webseiten Fotos macht und
Berichte schreibt, u.a. auch für ChessBase.

Dagobert Kohlmeyer

Thorsten Behl aus Hennef fotografiert u.a. für New in Chess

Schiedsrichterlegende Geurt Gijssen kam als Besucher
Ab Donnerstag ist ein kleiner Wettkampf zwischen zwei Dortmund-Veteranen
geplant: Heiki Westerinen und
Vlastimil Hort

Heiki Westerinen, aufgenommen in David Hamilton-Ästhetik

Vlastimil Hort: "Machä ich so für Foto, ja?"
Inzwischen nähert sich der Rundenbeginn. Organisationschef Gerd Kolbe erinnert
in seiner Eröffnungsansprache an alte Zeiten und zeigt ein 20 Jahre altes
Programmheft. Im Laufe der vielen Jahre, in denen in Dortmund Schachturniere
veranstaltet werden, sind die Organisatoren, Helfer und Spieler zu einer großen
Familie zusammen gewachsen, betonte Gerd Kolbe.

Als Gast wird der FIDE-Vizepräsident Geoffrey Borg begrüßt, der gerade von der
Präsidiumssitzung der FIDE in Tallinn angereist ist. Dort hat man die
Modalitäten eines WM-Zyklus beschlossen und bereits die Details der nächsten fünf
Jahre festgelegt. Wenn man bedenkt, dass die gegenwärtige FIDE-Führung seit gut
zehn Jahren im Amt ist und welche Metamorphosen die Schachweltmeisterschaft in
dieser Amtszeit durchgemacht hat, dann sind fünf Jahre eine lange Zeit, eine
sehr lange Zeit.
Geoffrey Borg gehörte zum The Right Move-Team von Bessel Kok bei der letzten
FIDE-Wahl. Später ist der Wahlsieger Kirsan Ilyumshinov auf Bessel Kok
zugegangen und Global Chess wurde aus der Taufe gehoben. Mit dem
Kandidatenturnier in Elista ist die neue Organisation erstmals in Erscheinung
getreten und hat zusammen mit der FIDE den neuen WM-Zyklus festgelegt. "Wir
wollten damit auch ein klares Zeichen der Stabilität setzen", kommentierte er im
Gespräch das neue Fünfjahres-Schema.
Der FIDE-Vize weilte übrigens nicht zum ersten Mal in Dortmund. Bei der
Jugend-Weltmeisterschaft 1980 war er einer der Teilnehmer. Kasparov siegte vor
Nigel Short. Geteilter Dritter wurde Klaus Bischoff, der nun in Dortmund
kommentiert. So trifft man sich wieder.

Kramnik und Leko-Manager Carsten Hensel im Gespräch mit Geoffrey Borg
Dr. Helmut Pfleger betritt die Bühne, um auf seinem Kommentatorenplatz in den
Kulissen Platz zu nehmen. Gerade hat man ihm ein Schachspiel einer bekannten
Getränkefirma geschenkt. Über das Geschenk freut er sich, als überzeugter
Ökoanhänger weiß er aber nicht, ob der Namensgeber ihm so recht ist.

Zu den angereisten Journalisten gehört auch Michael Müller,
Ressortleiter Sport beim Neuen Deutschland.

Das Neue Deutschland ist vielleicht die Tageszeitung, die am regelmäßigsten über
Schachthemen berichtet. Mindestens einmal pro Woche kann man etwas über Schach
lesen. In Berlin ist man mit der Resonanz der Leser sehr zufrieden.
Inzwischen sind auch die Spieler eingetroffen und haben
ihre Plätze auf der Bühne eingenommen.

Peter Leko

Magnus Carlsen, vor ihm kniend Dagobert Kohlmeyer, Alekseev fehlt noch
Der Zuschauerraum füllt sich allmählich. Zum Beginn der Runde werden die unteren
Reihen vollständig besetzt sein. Nur auf der Empore finden sich noch einige
Plätze. Über die Kopfhörer lauschen die Zuschauer den Kommentaren von Dr. Helmut
Pfleger und Klaus Bischoff.

Neben den acht Teilnehmern des
Großmeisterturniers wird auch die Spitzenpartie des Opens auf der Bühne des
Schauspielhauses ausgetragen. Der
Sieger des letzten Jahres Olaf Heinzel ist heute wieder einer der beiden
Spieler im Spitzentisch des Opens.

Titelverteidiger
IM Olaf Heinzel

Vjacheslav Savchenko gegen Olaf Heinzel.

Geoffrey Borg spricht mit Shakriyar Mamedyarov, daneben Turnierleiter
und UEP-Geschäftsführer Stefan Koth und Andrzej Fillipowicz

Mameydyarov und Kramnik

Carlsen streckt sich, Alekseev ist immer noch nicht da

Hier wird schon gespielt

Hier auch

Und hier ebenfalls


Während der ersten Züge haben die Fotografen fünf Minuten lang Gelegenheit, ihre
Fotos von der Runde zu schießen. Dann werden sie von den Schiedsrichtern
verscheucht. Als Letzter ist nun auch Evgeny Alekseev eingetroffen, der seinen
Startplatz als Sieger des Aeroflot-Opens erhalten hat.


Die Verbindung von Dortmund zum Aeroflot-Open ergibt sich über Alexander Bakh,
der in Dortmund seit viele Jahren als Schiedsrichter fungiert und in Moskau das
Aeroflot-Open organisiert.
Nun sind alle Partien im Gange und die ersten Spieler schon wieder zum Kaffee
holen im Erfrischungsraum verschwunden.

Klaus Bischoff und Dr. Helmut Pfleger haben ihre
Kommentatortätigkeit aufgenommen und unterhalten die Zuschauer mit Erläuterungen
zu den Partien.

Heute werden alle fünf Partien remis enden. Gelfand und Anand und
auch Mamedyarov und Kramnik werden dabei nicht besonders lange dauern, bieten
den Kommentatoren aber dennoch reichlich Stoff für interessante Vorschläge und
Analysen. Mit 17...Se4 drohte Anand einen Läufereinschlag auf h2. Später wollten
die beiden Kommentatoren mit 20...Dd6 Gelfands Dame gegen Turm und Leichtfigur
tauschen. Der Israeli spielte anders und erzielte einen Zug später das wohl
erwünschte Remis gegen den Weltranglistenersten.
In der Partie zwischen Mamedyarov und Kramnik schien der Weltmeister um den
15. Zug Vorteil erzielt zu haben, doch die Spannung löste sich innerhalb weniger
Züge auf. In den übrigen Partien kämpfte Carlsen um den Sieg, während Naiditsch
Leko mit der seltenen Sizilianischen Nimzowitsch-Variante überrascht hatte. Am
Ende waren auch diese Partien ohne Sieger.
Schaut man sich die Partien im Nachhinein an und blättert kurz durch die Züge,
bekommt man nur einen völlig oberflächlichen Eindruck, während man vor Ort, mit
Abstrichen bei den Live-Übertragungen im Internet, diese in Echtzeit sehr viel
intensiver miterlebt und Zeit hat, den Gehalt zu erfassen. Also: Gehen Sie zum
Schach!