Horatio Caro und die Laskers

von Stephan Oliver Platz
15.01.2021 – Im letzten Dezember jährte sich Horatio Caros Todestag zum 100sten Mal. Sein Name ist durch die nach ihm benannte Verteidigung bekannt. Eigentlich war Horatio Caro Engländer. Er lebte aber in Berlin und traf dort auch neben und am Brett mit den Laskers zusammen.

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Vor etwas mehr als hundert Jahren, am 15. Dezember 1920, starb in London Horatio Caro, dem die Caro-Kann-Verteidigung 1.e4 c6 ihren Durchbruch verdankt. In der historischen Weltrangliste von Jeff Sonas schaffte er es bis auf Rang 7, und ihm gelangen sogar schöne Gewinnpartien gegen Emanuel, Berthold und Eduard Lasker. Wer war dieser Mann, wie stark spielte er und auf welche Weise trug er zur Weiterentwicklung der Eröffnungstheorie bei?

Wer war Horatio Caro?

Horatio Caro wurde am 5. Juli 1862 in Newcastle upon Tyne geboren. Wann genau der Engländer nach Deutschland kam, konnte ich nicht herausfinden. Allerdings scheint er seine Jugendjahre in Frankfurt am Main verbracht zu haben, ehe er 1882 nach Berlin umzog. (a) Dort galt er bereits  Mitte der 1880er Jahre als einer der stärksten Schachspieler. Eduard Lasker (1885 – 1981) verdanken wir die Information, dass Caro "üblicherweise in einem der Berliner Schachcafés angetroffen werden konnte" ebenso wie auch Richard Teichmann, Curt von Bardeleben, Jacques Mieses, Paul Leonhardt und Dr. Berthold Lasker, der acht Jahre ältere Bruder des großen Emanuel Lasker. (b)

Caro kannte die Laskers

Wir können also davon ausgehen, dass Caro die Lasker-Brüder und auch ihren jüngeren  weitläufigen Verwandten Eduard kannte. Berthold Lasker (1860 - 1928) war es, der seinem jüngeren Bruder Emanuel das Schachspielen beibrachte, während dieser mit Masern in einem Spital lag. Durch Schach verdienten sie sich als Studenten in Berlin den größten Teil ihres Lebensunterhalts, und in den Berliner Schachcafés lernten sie neben zahlreichen anderen starken Schachspielern auch Horatio Caro kennen. Während Berthold Lasker nach seiner Promotion als Arzt arbeitete, unterbrach Emanuel Lasker (1868 - 1941) im Jahre 1891 sein Studium, um sich ganz auf das Schach zu konzentrieren, was ihm 1894 den Titel eines Schachweltmeisters einbrachte. In New York, Philadelphia und Montreal bezwang er seinen Vorgänger Wilhelm Steinitz (1836 – 1900) mit 10:5 bei 4 Remisen. Auf dem Wege dorthin sammelte er wertvolle Erfahrungen in Partien mit zahlreichen starken und auch schwächeren Spielern. Eine seiner schmerzlichsten, vielleicht aber auch lehrreichsten Erfahrungen ist dabei mit Horatio Caro verbunden.

Caro schlägt Emanuel Lasker in nur 14 Zügen

Bei einem im Juli 1890 in Berlin ausgetragenen Turnier musste der spätere Weltmeister nach nur 14 Zügen die Segel streichen und damit eine der drastischsten Niederlagen seiner Schachkarriere hinnehmen. Er hatte in der Eröffnung gepatzt, und Caro ließ sich diese einmalige Chance nicht entgehen:

 

Als Hauptgründe für Laskers Niederlage dürften seine mangelhafte Eröffnungsvorbereitung und die größere Erfahrung des sechs Jahre älteren Horatio Caro anzusehen sein. Vielleicht hatte Lasker seinen Gegner auch ein wenig unterschätzt und daher nachlässig oder zu schnell gespielt. Die Niederlage hatte allerdings auch etwas Gutes, denn Emanuel Lasker steigerte sich deutlich im weiteren Verlauf und gewann das Turnier punktgleich zusammen mit seinem Bruder Berthold (je 6 1/2 aus 8), während Caro mit Theodor von Scheve geteilter Dritter wurde (beide 5 1/2). Ein Stichkampf um den ersten Preis zwischen Berthold und Emanuel endete unentschieden.

Sehr wahrscheinlich führte diese Verlustpartie Laskers gegen Caro, in der er frühzeitig seinen Damenläufer entwickelte und dadurch in Schwierigkeiten geriet, zur Formulierung des folgenden Eröffnungsgrundsatzes, niedergelegt in seinem Erstlingswerk "Gesunder Menschenverstand im Schach":

"Entwickle die Springer vor den Läufern, insbesondere dem Damenläufer." (c)

Die Regel passt zur obigen Partie, ist aber wahrscheinlich doch etwas zu dogmatisch. Würde man sie streng befolgen wollen, müsste man immer mit dem Vierspringerspiel eröffnen oder sich jedenfalls mit vielen "Ausnahmen" herumplagen.

Horatio Caro macht kurzen Prozess mit Eduard Lasker

Kurioserweise wiederholte sich die Geschichte 17 oder 18 Jahre später, als Horatio Caro einem entfernten Verwandten von Emanuel Lasker am Schachbrett gegenübersaß. Eduard Lasker wurde am 3. Dezember 1885 in Kempen geboren, eine kleine Stadt, die bis Anfang 1920 zu Preußen und nachher zu Polen gehörte. In Breslau besuchte er das Gymnasium und lernte Schach spielen, sehr zum Verdruss seiner Mutter, die ihn deshalb sogar auf ein Internat schickte. Um ungestört Schach spielen zu können, entschied sich Eduard Lasker, nach dem Abitur Ingenieurswesen zu studieren, weil dieser Studiengang an der Universität in Breslau nicht angeboten wurde. Das gab ihm die Möglichkeit, an die TU Charlottenburg zu gehen und in Berlin ungestört seiner Schachleidenschaft zu frönen. Dort freundete er sich auch schnell mit Berthold und Emanuel Lasker an. Wertvolle Einblicke in diese Zeit gibt sein Buch "Chess Secrets - I Learned From The Masters", erschienen in New York 1951. (b)

Im 4. Kapitel dieses Buches bringt Eduard Lasker unter der Überschrift "Erste Turniererfahrung" eine Partie, die er mit Schwarz gegen Horatio Caro in nur 23 Zügen verlor. Sie wurde vermutlich 1907 oder 1908 in Berlin gespielt:

 

Als Grund für diese und andere Niederlagen in jener Zeit gibt Eduard Lasker seine „unkorrekte Behandlung der Eröffnung“ an: „Meinen Gegnern gelang es irgendwie, besser entwickelt aus der Eröffnung herauszukommen, d. h. mit einer höheren Mobilität ihrer Figuren“. Immerhin hatte sich Eduard Lasker in seiner Partie gegen Caro neun Züge länger gehalten als ehedem Emanuel Lasker.

In der Berliner Meisterschaft 1908 belegte Eduard Lasker punktgleich mit Caro und Ehrhardt Post den 3.-5. Rang (7 1/2 aus 11). Das Turnier gewann Wilhelm Cohn (8 1/2 Punkte) vor Bernhard Gregory (8). 1914 wanderte Eduard Lasker in die USA aus und gewann dort mehrere Male die US-Meisterschaft. Im Großmeisterturnier von New York 1924 gelang es ihm sogar, Emanuel Lasker ein Remis abzutrotzen, ja er hätte diese Partie beinahe gewonnen. Außerdem spielte Edward Lasker, wie er sich nunmehr nannte,  ziemlich gut Go und galt viele Jahre lang als der beste amerikanische Go-Spieler. Er starb am 25. März 1981 in New York im Alter von 95 Jahren.

Wie stark war Horatio Caro?

Den Berechnungen des Statistikers Jeff Sonas zufolge lag Horatio Caro im Oktober 1893 mit 2676 Elo auf Rang 7 in der nachträglich errechneten Weltrangliste hinter Emanuel Lasker (2824), Siegbert Tarrasch (2752), Michail Tschigorin (2727), Wilhelm Steinitz (2723), Carl Walbrodt (2706) und Gyula Makovetz (2681). In der historischen ELO-Liste von Edochess belegte Caro 1892 Rang 11. (d)

Edward Lasker, 1924

Ab ca. 1888 gelangen ihm Turniersiege in mehreren Berliner Turnieren, so u. a. in der 1904 erstmals ausgetragenen offiziellen Berliner Stadtmeisterschaft. Caro gewann dieses Turnier überzeugend mit 15 von 18 möglichen Punkten vor den Großmeistern Ossip Bernstein und Rudolf Spielmann (je 14 1/2) sowie Wilhelm Cohn (14) und wiederholte diesen Erfolg ein Jahr später im Jahre 1905.

In einigen anderen Turnieren war Caro dagegen weniger erfolgreich:

In Berlin 1897 wurde er unter 19 Teilnehmern Neunter mit 10 Punkten (+6 -4 =8). Das Turnier gewann Rudolf Charousek (13 1/2) vor Carl Walbrodt (13) und Joseph Henry Blackburne (12).

In Wien 1898 wurde Caro nur Siebzehnter von 19 Teilnehmern, erzielte mit 12 1/2 von 36 aber immerhin rund ein Drittel der möglichen Punkte. In diesem doppelrundigen Großmeisterturnier siegte Siegbert Tarrasch (27 1/2) nach Stichkampf gegen den punktgleichen Harry Nelson Pillsbury vor David Janowski (25 1/2), Wilhelm Steinitz (23 1/2), Carl Schlechter (21 1/2), Michail Tschigorin und Amos Burn (je 20). Gegen den englischen Großmeister Joseph Henry Blackburne gewann Caro beide Partien. Ein 1:1-Unentschieden erreichte er gegen Tschigorin, allerdings profitierte er hier von einem kapitalen Bock, den sich der russische Großmeister in einem gewonnenen Endspiel leistete und der zum Verlust eines Springers durch eine Läuferfesselung führte. Je ein Remis bei einer Niederlage erzielte Caro gegen den Ex-Weltmeister Steinitz sowie gegen Janowski, Schlechter, Burn und Maróczy.

Beim DSB-Kongress 1904 in Coburg spielte Horatio Caro im Meisterturnier mit, das von Rudolf Swiderski, Carl Schlechter und Curt von Bardeleben punktgleich mit 7 1/2 aus 12 gewonnen wurde vor Ossip Bernstein und Georg Marco (je 7) sowie Johann Berger und Jacques Mieses (je 6 1/2). Caro wurde 11.-12. mit 4 aus 12 vor Schlusslicht Hermann von Gottschall (3 1/2) und erzielte ähnlich wie in Wien 1898 ein Drittel aller möglichen Punkte. Er gewann gegen die Großmeister Ossip Bernstein und Leo Forgacs. Remisen erreichte er gegen Schlechter, Marco, Berger und Hugo Süchting.

Caros Erfolge in Wettkämpfen

In Wettkämpfen erzielte Caro einige beachtenswerte Resultate gegen namhafte Gegner:

1892  Wettkampf gegen Curt von Bardeleben +2 -2 =2

1892  Wettkampf gegen Simon Winawer +2 -3 =2

1897 Wettkampf gegen Jacques Mieses +3 -4 =3

1903 Wettkampf gegen Curt von Bardeleben +4 -4 =0

Dagegen verlor er 1906 einen Wettkampf gegen Erich Cohn deutlich mit +1 -5 =1.

Caro macht die Eröffnung 1.e4 c6 populär

In den Jahren 1886 und 1887 veröffentlichte Horatio Caro in der Schachzeitschrift "Brüderschaft" insgesamt drei Beiträge zur Theorie der Caro-Kann-Verteidigung 1.e4 c6, die bis dahin als selten gespielte unregelmäßige Eröffnung keine Beachtung gefaunden hatte. Plötzlich, wie aus dem Nichts, erwachte das Interesse der Schachwelt und hält bis heute an. Zu Recht trägt die Eröffnung daher Caro's Namen neben dem des Österreichers Marcus Kann (1820 - 1886), der sie zwar früher spielte, von dem andererseits aber keine eröffnungstheoretischen Veröffentlichungen dazu bekannt geworden sind.

Damit hat die Schachwelt es vor allem Horatio Caro zu verdanken, dass die Lieblingsverteidigung mehrerer Weltmeister (u. a. Capablanca, Karpow und Anand) ins Bewusstsein der Schachöffentlichkeit gerückt und sozusagen salonfähig wurde. Sehen wir uns eine interessante Gewinnpartie Caro's mit dieser Eröffnung an:

Caro bezwingt Berthold Lasker

Diesmal ist Berthold, der ältere Bruder von Emanuel Lasker an der Reihe. Berthold Lasker war selbst ein ziemlich starker Schachspieler. Jeff Sonas gibt seine beste historische ELO-Zahl mit 2683 an. Das bedeutete Rang 8 in der nachträglich berechneten Weltrangliste vom Juni 1891. (e)

Emanuel und Bertold Lasker

Die folgende Partie wurde 1886 in Berlin gespielt. Nach unspektakulärem Beginn driftet Weiß in ein schlechter stehendes Endspiel, in welchem ihm seine ungünstige Königsstellung zum Verhängnis wird. Caro packt die Gelegenheit beim Schopf und stellt seinen Gegner vor die Alternative Matt oder Figurenverlust:

 

Berthold Lasker revanchiert sich

Um den Laskers Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, möchte ich noch die folgende Gewinnpartie von Berthold gegen Horatio Caro erwähnen, die in dem    bereits  erwähnten Berliner Turnier 1890 gespielt wurde, in welchem Emanuel gegen Caro in nur 14 Zügen verloren hatte. Der ältere Bruder überspielte den Engländer in der Steinitz-Verteidigung der Spanischen Partie und stellte damit sozusagen die Familienehre wieder her:

 

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Horatio Caros Grab in London | Foto: Ken Whyld Association

Quellen und Anmerkungen:

(a) Es könnte auch 1884 gewesen sein, denn hier widerspricht sich die Jubiläumsausgabe von "Kagans Neueste Schachnachrichten" aus dem Jahre 1926: "Horatio Caro, geboren am 5. Juli 1862 zu Newcastle-on-Tyne, lebte bis zu seinem 22. Lebensjahre in Frankfurt a. M. Seit 1882 wohnte er in Berlin." 1882 war Caro 20 Jahre alt. Wenn er tatsächlich mit 22 Jahren nach Berlin umgezogen sein sollte, so wäre es erst 1884 gewesen.

(b) Auszüge aus Eduard Laskers Buch wurden von Wolf-Dieter Raschke vorbildlich ins Deutsche übersetzt: http://www.schach-starter.de/Schach-Biografien.html Die Zitate in diesem Artikel sind diesem Beitrag entnommen.

(c) Emanuel Lasker, "Gesunder Menschenverstand im Schach", 5. Auflage, Düsseldorf und Kempten 1980, S. 13

(d) Historische ELO-Zahlen von Chessmetrics:

http://chessmetrics.com/cm/CM2/SingleMonth.asp?Params=199510SSSSS3S020045189310131000000000003410100

und von Edochess:

http://www.edochess.ca/years/y1892.html

(e) http://chessmetrics.com/cm/CM2/SingleMonth.asp?Params=199510SSSSS3S073074189106131000000000017510100

 


Stephan Oliver Platz (Jahrgang 1963) ist ein leidenschaftlicher Sammler von Schachbüchern und spielt seit Jahrzehnten erfolgreich in der mittelfränkischen Bezirksliga. Der ehemalige Musiker und Kabarettist arbeitet als freier Journalist und Autor in Hilpoltstein und Berlin.

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