Im Fokus: Alireza Firouzja

von Thorsten Cmiel
12.06.2018 – Alle sprechen von den indischen "Wunderkindern" Nihal Sarin oder Praggnanandhaa, aber vielleicht kommt ein zukünftiger Schachweltmeister aus dem Iran. Alireza Firozja ist einer weltbesten U15-Spieler und erinnert in seinem Stil an einen berühmten "Magier", findet Thorsten Cmiel in seinem umfangreichen Portrait. | Foto: All-Indian Chess Federation

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Gestatten: Alireza Firouzja – der iranische Magier

Diesmal schauen wir uns einen Spieler an über den es kaum Informationen gibt, da er keinen Twitter-Account oder eine eigene Homepage betreibt. Unser Schachheld gewann mit 12 Jahren bereits die iranische Landesmeisterschaft und spielte 2016 bei einer Schacholympiade mit. Sein Spielstil ist klar taktisch orientiert. Er erinnert mit seinen Rechenkünsten an einen der größten Schachspieler aller Zeiten.
 
Im April 2018 erfüllte Alireza Firouzja die letzte erforderliche Norm für den Großmeister-Titel. Seine Normen hat er binnen eines Jahres erspielt (zweimal Aeroflot-A-Open (2017 + 2018) und Abu Dhabi Open 2017). Der Iraner ist aus dem Geburtsjahrgang 2003 und wurde am 18. Juni geboren. Er ist also erst 14 Jahre alt und die aktuelle Nummer 1 der U16-Weltrangliste (Elo im Mai 2018: 2570). Alireza lebt in der Nähe des Kaspischen Meeres und ist in Babol geboren. Die Nähe des Geburtsortes zum kaspischen Meer ist eine Gemeinsamkeit zu einem ehemaligen Talent, das gerade 55 Jahre alt geworden ist.
 
Hierzulande ist Alireza verständlicherweise nicht bekannt oder gar populär wie Vincent Keymer oder die beiden Inder Pragg und Nihal. Das liegt vermutlich vor allem daran, dass der Iraner derzeit offenbar nur im befreundeten Ausland spielen kann, also in Russland, Arabien oder eben im Iran. Aktuell sieht es angesichts der politischen Großwetterlage auch nicht so aus als würde sich das in naher Zukunft ändern. Andere Länder hat er bisher offenbar nur bereist, wenn es zu offiziellen Jugendmeisterschaften ging. Gegen ausreichend starke Gegner hat er trotzdem schon gespielt. Und vor allem hat er erfolgreich dabei abgeschnitten und setzt aktuell den Standard für die anderen Talente dieser Welt.

Interview aus dem Jahr 2015

Alirezas Turnierergebnisse: Überragend.

Man könnte glauben, dass ein Spieler aus dem Iran ohne Zugang zur westlichen Welt keine so guten Spielmöglichkeiten hat. Noch hat sich das zumindest nicht negativ auf seine Entwicklung ausgewirkt: 2016 weist die FIDE für den jungen Iraner 121 gewertete Partien und 2017 92 Partien aus. 2018 waren es schon 51 Partien in den ersten vier Monaten.

Die ersten überlieferten Partie von Alireza finden sich im Jahr 2013 bei der U10-Weltmeisterschaft in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Damals bestand sein Repertoire gegen die Hauptzüge 1.e4 und 1.d4 aus Französisch und Benoni. Verglichen mit seinem heutigen Repertoire wirkt zumindest Französisch eher ungewöhnlich. Heutzutage muss man eher mit Najdorf rechnen, was Alirezas taktischen Fähigkeiten eher entgegen kommt.

2016: IM-Titel und Einsatz in der Nationalmannschaft

Das Jahr des Durchbruchs für Alireza. Er schaffte in diesem Jahr seinen IM-Titel und gewann die Landesmeisterschaft, die allerdings in dem Jahr relativ schwach besetzt war, was keine Schmälerung seines Ergebnisses sein soll.

Alireza spielte für die iranische Nationalmannschaft bei der Asien-Team-Meisterschaft, erzielte das beste Ergebnis an Brett 4 und danach folgte sein erster Einsatz bei einer Schacholympiade.

2017: Zwei Großmeisternormen

Im Januar erzielte Alireza beim Kazar Cup in Rasht im Iran 6 aus 9 gegen einen Widerstand von 2396. Beim Aeroflot-A-Open erzielte Alireza seine erste Großmeisternorm mit 6 aus 9 bei einem Gegnerschnitt von 2621. Das erste echte Ausrufezeichen seiner Karriere. Gleich drei deutsche Skalps gab es bei dem Turnier für den Iraner, der mit einer Startniederlage begonnen hatte – nicht selten bei Alireza. Seine Performance lag bei beachtlichen 2766. Eine Auszeit folgte: Zunächst folgte eine kleine Enttäuschung bei der iranischen Landesmeisterschaft mit 4 aus 11 bei einem Schnitt von 2489. Alireza spielte in Dubai beim Open 4,5 aus 8. Es folgte das Turnier in Abu Dhabi. Es gelang dem Iraner in den Runden 4 bis 6 drei Großmeister in Serie zu schlagen. Seine Performance lag bei 2644. Eine weitere Großmeisternorm.

Das Jahr endete mit 8 aus 9 bei der U16-Team-WM in Indien. Bei einem Gegnerschnitt von 2350 war das keine schlechter Jahresausklang. Er gewann in einer Partie gegen ein anderes Wunderkind.

2018: Definitive GM-Norm und über 2550

Das Jahr begann gut mit der Qualifikation für die Landesmeisterschaft, das so genannte Halbfinale: Alireza erzielte 7,5 aus 9 Partien bei einem Gegnerschnitt von 2397. Das Ergebnis reicht eigentlich für eine GM-Norm. Allerdings hatte er nur zwei Großmeister als Gegner und landesinterne Turniere sind nicht GM-Norm-tauglich. Die Performance betrug 2678.
 
Die fehlende, die definitive, Norm folgte dann in Moskau: Beim Aeroflot-A-Open reichten 50 Prozent bei einem Gegnerschnitt von 2635. Alireza spielte gegen neun Großmeister und gewann zwei Partien praktisch auf Kommando, nämlich nach einer Niederlage. Das zeigt Nerven- und Willensstärke. Zuvor spielte Alireza beim 26ten Internationalen Fajr Festival (Oxin Cup) in der nordiranischen Stadt Amo: In der Meistergruppe erspielte er sich 6,5 aus neun Runden. Der Gegnerschnitt von 2453 ergab eine Performance von 2640. Allerdings spielte der Iraner in dem Turnier gegen sechs Landsleute, was die Regeln für internationale Titel nicht erfüllt. Jedenfalls erzielte der junge Iraner zu Jahresbeginn drei GM-Normergebnisse.

Danach spielte Alireza die iranische Landesmeisterschaft und wurde mit 7 aus 11 und bei einem Gegnerschnitt von 2479 bei einer Performance von 2581 letztlich Dritter. Beim Sharjah Masters erzielte Alireza 6 aus 9 gegen einen Gegnerschnitt von 2396 und verlor erstmals seit langer Zeit wieder Elopunkte: Es ging seit langer Zeit erstmals bergab von 2572 auf 2570.

Alirezas Spielstil: kompromisslos

Mir ist keine bessere Vokabel als kompromisslos eingefallen. Der Iraner weicht keinen Verwicklungen und taktischen Scharmützeln aus. Nie. Zudem schickte er lange Zeit fast ausnahmslos seinen Königsbauern zwei Felder vor im ersten Zug. Außer sein Gegner spielt beispielsweise Königsindisch, dann weicht er schon mal davon ab.

Der junge Iraner strebt taktisch anspruchsvolle Stellungen an. Es mag zunächst etwas übertrieben klingen, ihn mit dem Zauberer von Riga zu vergleichen, aber wer seine Partien und einige Fragmente nachspielt, der wird ins Schwärmen geraten. Garantiert.
Um seine „Stellungen“ zu erreichen spielt Alireza gelegentlich leicht dubiose Varianten und anders als die beiden Inder Pragg und Nihal mag er Figurentauschaktionen eher nicht. Seine Quote der entschiedenen Partien ist auch höher.

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Was sonst auffällt

Alireza ist ein Spätstarter und startet in der ersten Runde oft verhalten. So verlor er bei der Landesmeisterschaft 2018 seine ersten beiden Partien und beendete das Turnier dann dennoch mit guten 7 aus 11.
 
Aber mehr Aussagekraft als alle Statistik und Beschreibungen haben die Partien des Schachtalents aus dem Iran: Die Auswahl der komplett beschriebenen Partien und Fragmente soll einen Eindruck von seiner Spielweise geben. Vielleicht hat Alireza noch leichte positionelle Schwächen, aber das kompensiert er in vielen Partien durch Rechenkünste, die oft Großmeister zur Verzweiflung treiben dürften. Auch ist sein Eröffnungsrepertoire auf seinen Spielstil abgestimmt.

Partien

 

Momente

 

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Thorsten Cmiel ist Fide-Meister lebt in Köln und Milano und arbeitet als freier Finanzjournalist.

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