Im Podcast: Alejandro Ramirez spricht über seine Karriere und den Fall Hans Niemann

von Johannes Fischer
12.10.2022 – Podcasts sind populär und unter dem Namen "C-Squared" haben Fabiano Caruana und Cristian Chirila, der regelmäßig von Spitzenturnieren für den Saint Louis Chess Club berichtet, vor kurzem einen neuen Schach-Podcast gestartet. In Folge fünf war Alejandro Ramirez, Costa Ricas erster Großmeister, ChessBase-Autor, Trainer und beliebter Kommentator, zu Gast. Die drei sprachen über die Karriere von Ramirez, Schach in Costa Rica, aber vor allem über den Fall Hans Niemann. Gefragt, ob er glaube, dass Niemann beim Spiel am Brett betrogen hat, meinte Ramirez: "Die Indizien, die gegen Hans zusammengetragen wurden, scheinen so erdrückend zu sein, dass es mir sehr schwerfällt, sie zu ignorieren."

ChessBase 18 - Megapaket ChessBase 18 - Megapaket

Das Wissen, das Du jetzt brauchst!
Die neue Version 18 bietet völlig neue Möglichkeiten für Schachtraining und Analyse: Stilanalyse von Spielern, Suche nach strategischen Themen, Zugriff auf 6 Mrd. LiChess-Partien, Download von chess.com mit eingebauter API, Spielervorbereitung durch Abgleich mit LiChess-Partien, eingebaute Cloud-Engine u.v.m..

Mehr...

Im ersten Teil des Interviews spricht Ramirez vor allem über seine Schachkarriere – wie er Costa Ricas erster Großmeister wurde, wie schwierig es in Costa Rica war, an Turnieren teilzunehmen, gegen Großmeister zu spielen oder ihnen auch nur zu begegnen. Trotzdem feierte Ramirez‘ schon als Jugendlicher zahlreiche Erfolge und hatte eine steile Schachkarriere. Mit 13 gewann er das Sub-Zonenturnier in Managua 2001 und wurde automatisch IM. Gegen einen Großmeister hatte er zu dieser Zeit allerdings noch nicht gespielt.

Dazu kam es erst bei der Schacholympiade in Bled 2002, als Ramirez in der ersten Runde der Olympiade beim Kampf Costa Rica - Russland mit Weiß gegen Alexander Morozevich gespielt hat. Morozevich war damals einer der besten Spieler der Welt und sorgte mit seinem originellen Spiel immer wieder für Aufsehen. Doch die Partie endete nach spannendem Verlauf Remis. Morozevich hatte zwar fast die ganze Partie über die Initiative, aber fand gegen die hartnäckige Verteidigung von Ramirez kein Mittel. Und am Ende verpasste sogar Ramirez den Gewinn.

 

2004 wurde Ramirez dann im Alter von 15 Jahren selbst Großmeister. Für eine Schachkarriere entschied er sich aber erst nach einem erfolgreichen Abschluss eines Studiengangs im "Video Game Design" an der University of Texas in Dallas.

Als Schachprofi gewann Ramirez eine Reihe bedeutender Turniere und als Sekundant gehörte er beim Weltmeisterschaftskampf zwischen Fabiano Caruana und Magnus Carlsen 2018 zum Team von Caruana. Als Trainer betreut Ramirez die erfolgreiche Mannschaft der Saint Louis University und als populärer und eloquenter Kommentator begleitet er immer wieder Top-Turniere, vor allem in Saint Louis.

Auch beim Sinquefield Cup 2022 war er als Kommentator dabei. So erlebte er das Drama, zu dem es kam, als Magnus Carlsen nach seiner Niederlage gegen Hans Niemann in Runde drei das Turnier vorzeitig abbrach, um dann durch seinen anschließenden "Mourinho-Tweet" Spekulationen auszulösen, dass es bei den Erfolgen von Hans Niemann nicht mit rechten Dingen zugeht, aus nächster Nähe.

Ramirez interviewte die Spieler beim Sinquefield nach ihren Partien und so war er es, der Niemann nach seinem Sieg gegen Carlsen und nach seiner Partie gegen Alireza Firouzja interviewte. Auch Niemanns berühmt gewordenes Statement nach seiner Partie gegen Leinier Dominguez, in dem er zugab, im Alter von 12 und 16 bei Online-Partien Computerhilfe benutzt zu haben, aber beteuerte, seitdem nie wieder betrogen zu haben, gab Niemann während eines Interviews mit Ramirez ab.

Hans Niemann im Interview mit Alejandro Ramirez nach seinem Sieg gegen Carlsen

Hans Niemann im Interview mit Alejandro Ramirez nach seiner Partie gegen Alireza Firouzja

Hans Niemann im Interview mit Alejandro Ramirez nach seiner Partie gegen Leinier Dominguez

So drehte sich der Hauptteil des Gesprächs zwischen Ramirez, Chirila und Caruana auch um den Fall Hans Niemann.

Ramirez schilderte, wie und warum Niemann zum Sinquefield Cup eingeladen worden war, sprach über die Auswirkungen der Betrugsvorwürfe auf die Schachwelt und die Organisation von Schachturnieren und die Schwierigkeiten, Computerhilfe im Online-Schach und beim Live-Schach nachzuweisen.

Er sprach auch über den Schaden, der durch Betrugsvorwürfe entsteht: "Nehmen wir einmal an, dass Hans unschuldig ist. Dann ist der Schaden, der angerichtet wurde, unglaublich."

Als Chirila schließlich direkt fragte, wie Ramirez zu den Vorwürfen gegen Niemann steht, meinte er jedoch:

"Die Indizien, die gegen Hans zusammengetragen wurden – vor allem, was Betrug im Spiel am Brett betrifft – scheinen so erdrückend zu sein, dass es mir sehr schwerfällt, sie zu ignorieren. … Laut meinen Erfahrungen und meiner Expertise in diesen Dingen scheint es mir sehr wahrscheinlich zu sein, dass er am Brett betrogen hat. … Aber bin ich da sicher? Nein, ich bin hier definitiv nicht sicher. ... Es gibt einen Teil von mir, der möchte, dass Hans unschuldig ist. Ich möchte daran glauben, dass die Geschichte von seinem märchenhaften Aufstieg stimmt. Aber kann man einem Märchen glauben?"

Der C-Squared Podcast mit Alejandro Ramirez

Zeitachse

0:00 – Einleitung
0:43 – Schachanfänge
9:56 – Begrenzte Möglichkeiten für Spieler aus Costa Rica
11:00 – Jugendturniere
14:05 – Schachverbände mit begrenzten Mitteln
20:46 – Online-Ressourcen
21:19 – Besser werden durch Niederlagen gegen gute Spieler
22:32 – Umzug in die USA
24:39 - University of Texas in Dallas
25:25 – Desillusioniert und ausgebrannt
27:40 – Ein MA-Abschluss in "Video Game Design"
30:50 – Den Lebensunterhalt nach dem College verdienen
32:12 – Die U.S.-Meisterschaft 2013
34:11 – "Ich habe kein Rating, ich habe einen Namen."
34:59 – Salsa Lizano
39:44 – Hans Niemann
45:47 – Wie viele Beweise sind genug Beweise?
48:35 – Cheater verstecken sich
50:55 – Falsch-positive Nachweise
53:25 – Nachweis und Strafe
56:00 – Weiter machen
59:54 – Die Interview von Hans Niemann nach seinen Partien
1:15:55 – Was glaubt Alejandro?
1:21:06 – Chapulina, die Eule
1:22:47 – Ein Gute-Nacht-Kuss für die Kumpels

Links


Johannes Fischer, Jahrgang 1963, ist FIDE-Meister und hat in Frankfurt am Main Literaturwissenschaft studiert. Er lebt und arbeitet in Nürnberg als Übersetzer, Redakteur und Autor. Er schreibt regelmäßig für KARL und veröffentlicht auf seinem eigenen Blog Schöner Schein "Notizen über Film, Literatur und Schach".